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Heinrich Ahlemeier wurde wegen Verbreitung von „Greuelpropaganda“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert und der Gestapo übergeben.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Hermann Albrecht
* 11.3.1917 in Bohnsack bei Danzig, gest. 28.3.1945 in Langenholdinghausen
Der Danziger Wehrmachtssoldat Hermann Albrecht hatte mit seiner Ehefrau Elisabeth vier Kinder. Er wurde kurz vor Kriegsende von einem in der Gaststätte Kurth in Langenholdinghausen zusammengetretenen SS-Standgericht wegen Entfernung von der Truppe als Deserteur zum Tode verurteilt und am Fuß der lokalen Höhe „Eibel“ erschossen. Er wurde zunächst auf dem Gemeindefriedhof bestattet, 1952 dann auf die zentrale Gedenkstätte für Angehörige deutscher militärischer Verbände in Gosenbach verlegt. Dagegen gab es Widerstand: Da Hermann Albrecht fahnenflüchtig gewesen sei, sei kein Platz für ihn auf der „Kreisehrenanlage“ des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge. Dort fand noch Anfang dieses Jahrhunderts eine großformatige NS-Propagandaskulptur Platz, die in Vorbereitung des Zweiten Weltkriegs entstanden war, mit dem Abriss einer der Siegener Kasernen am alten Standort nicht weiter bleiben konnte und die ihrer ganzen Geschichte nach einem Gedenken an Deserteure des NS-Kriegs widerspricht.
Grabstelle von Hermann Albrecht in Gosenbach, in der Fluchtlinie im Hintergrund das Kriegspropagandadenkmal
Ein 1999 am Ort der Erschießung errichteter Gedenkstein und ein Personenartikel im Aktiven Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen erinnern an Hermann Albrecht.
Fries 2007, 38; Ohrndorf, 804f.
Karl Althaus
* 11.11.1898 in Laasphe
Karl Althaus kam schwer kriegsbeschädigt aus dem Ersten Weltkieg. Seit 1933 arbeitete er als Strafvollzugsbeamter im Gerichtsgefängnis der Stadt Dorsten. 1942 wurde er aufgrund der Kriegsbeschädigung in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Anders als viele Beamtenkollegen war Karl Althaus nicht Parteigenosse. Mit einer Ausnahme war er nur in den allgemein üblichen Massenorganisationen NSV, Reichsluftschutzbund (RLB) und Reichsbund Deutscher Beamter (RDB). Die Ausnahme war der Bund der Kinderreichen, eine strikt rassenpolitische und rassenhygienische Organisation, an deren Spitze im Siegerland der Alte Kämpfer Arnold Feldmann stand.
Am 11. August 1944 wurde Karl Althaus durch die Gestapo verhaftet und in Siegen inhaftiert. Sein Untermieter, der SS-Mann Friedrich Schuppener, hatte ihn denunziert, Sender der Allierten gehört („Rundfunkverbrechen“) und abgeworfene alliierte Flugblätter gesammelt und nicht abgegeben zu haben.
Die Anzeige führte zu einer Anklage, zu der die Vorwürfe der Verächtlichmachung Hitlers und der Verbreitung von Gerüchten kamen. Rundfunkgerät und Dienstwaffe wurden beschlagnahmt, der Waffenschein wurde eingezogen. Auf Karl Althaus wurde der § 51 angewandt, der ihn für unzurechnungsfähig erklärte. Er sollte in der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster festgehalten werden. Durch ärztliche Atteste konnte er aber seine Haft- und Transportunfähigkeit belegen, und so wurde er am 25. August 1944 aus der Haft entlassen. Die Gefängnisunterbringung beschrieb er in seinem Entschädigungsantrag als „eine 3 x 3 m große Zelle, die sich 7 Personen teilen mussten, es gab keine Sitzgelegenheiten und alles war verwanzt.“
Althaus klagte nach 1945 gegen den Denunzianten, das Verfahren wurde aber eingestellt, da nach Meinung der Ermittler die Gründe der Denunziation nicht in einer Gegnerschaft zum Regime, sondern in persönlichen Streitigkeiten zwischen Althaus und Schuppener gelegen hätten.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-441 (Georg Kuhlmann); LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 30.347
B
Otto Bäcker
* 27.11.1887 in Siegen, gest. im Frühjahr 1945
Der Siegener gelernte Schlosser Otto Bäcker arbeitete bei der Reichsbahn.
Er war in der Novemberrevolution der SPD beigetreten. Er war Mitglied im sozialistischen („freien“) Deutschen Eisenbahner-Verband und dort seit 1920 Geschäftsführer, nachdem er aus dem Bahndienst wegen seiner Streikführerrolle gegen den Kapp-Putsch entlassen worden war. Seit 1929 bis 1933 vertrat er seine Partei in der Stadtverordnetenversammlung. Er wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt Mitglied des SPD-nahen Reichbanners Schwarz-Rot-Gold, einer republikanischen Schutz- und Massenorganisation.
Aufgrund seiner antifaschistischen Haltung und Aktivität wurde er vom NS-Regime mehrfach inhaftiert. Nach der auch im Siegerland stattfindenden Verhaftungsaktion im Anschluss an den Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 wurde Bäcker in das KZ Sachsenhausen deportiert. Ende Dezember 1944 wurde er in das KZ Dachau überstellt und von dort im Außenlager Aufkirch bei Überlingen eingesetzt. Die Häftlinge leisteten Zwangsarbeit im Goldbacher Stollensystem für ein Friedrichshafener Firmenkonsortium der Unternehmen Luftschiffbau Zeppelin, Maybach, Dornier und Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF AG), die dort eine Rüstungsproduktion planten, zu der es nicht mehr kam. Otto Bäcker starb unter ungeklärten Umständen in der Zusammenbruchsphase bzw. wurde – so die Mitteilung der Gedenkstätte Dachau – am 29. April 1945 befreit und starb wenig später an den Haftfolgen.
Arbeit am Goldbacher Stollensystem
Für Otto Bäcker wurde 2013 ein Stolperstein vor dem Standort des damaligen Gewerkschaftshauses in der Sandstraße 20 verlegt. Zwei Jahre später wurde er im Zuge der Bauarbeiten für „Siegen zu neuen Ufern“ vorübergehend entfernt. Im Februar 2016 wurde er dann neu verlegt und um einen Stein für das „Haus der Arbeit“ ergänzt.
Es gibt für Bäcker eine Eintragung im virtuellen Aktiven Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen.
EB 1931/32; SZ, 14.2.1921, 3.5.1924; Mitteilung Gedenkstätte Dachau; Opfermann 2001, 213; Jüngst, 118; Wetzel/Durt, 148, 152f.; Mitteilung Kreisarchiv S-W, 21.2.2016
Balog(h), Josef
* 5.1.1880 in Brčko (Bosnien, später Jugoslawien), gest. 31.5.1964 in Bad Hersfeld
Der 1904 nach Siegen zugezogene Kaufmann Josef Balogh war Inhaber eines Zeitungsvertriebs, seit 1924 Mitinhaber des Verlags der pädagogischen Zeitschrift Schule und Elternhaus und Gründer und Mitinhaber der Eisen- und Blechwerk Schallex-Apparatebau GmbH. Katholisch getauft trat er später aus seiner Kirche aus und wurde Mitglied der anthroposophischen Christengemeinschaft.
Als 1921 mehrere Siegerländer zu einer Neugründung der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) in Siegen zusammenkamen und erste Aktivitäten planten, gehörte Josef Balogh zu ihnen. Nach der förmlichen Gründung einer lokalen Gruppe im März 1922 wurde er, der „die Vorarbeit übernommen hatte“, zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. In der Folgezeit entwickelte die regionale DFG zahlreiche Aktivitäten, so auch seit Anbeginn gegen völkisch-nazistische Bestrebungen. 1924 war er einer der Gründer der regionalen Organisation des SPD-dominierten Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, zugleich auch ein Mitbegründer der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Als die DDP sich im Zuge der allgemeinen Rechtsentwicklung spaltete und 1930 der rechte Flügel die Deutsche Staatspartei (DStP), der linke die Radikaldemokratische Partei (RDP) gründete, schloss Josef Balogh sich der DStP an.
Die DFG und mit ihr Joseph Balogh setzten sich einer ständigen Kritik durch die im Siegerland dominierenden Rechtskräfte, die regionale DFG später dann im Zusammenhang mit dem Panzerkreuzerbau (1928) auch der SPD aus. Wie sich Joseph Balogh dazu positionierte, ist nicht bekannt. Als er in den 1920er Jahren zu den Unterstützern des von völkischen Studenten bekämpften liberalen Dozenten am Hilchenbacher Lehrerseminar Walter Hüsken gehörte, wurde er von Deutschnationalen und Nazis heftig angegriffen. Als „Demokratenführer“ und undurchsichtiger „Balkan-Ausländer“, von dem nichts Gutes zu erwarten sei, wurde er in diesen Jahren in der Zeitung Das Volk der völkischen „Stoecker-Bewegung“ stigmatisiert.
Josef Balogh war Mitglied in einer Reihe bürgerlicher Zusammenschlüsse wie dem Reit- und Fahrverein, dem TV Jahn und dem Verein für Tierschutz und Geflügelzucht. 1929 gründete er eine soziale Stiftung zugunsten der Stadt Siegen.
Nach dem Machtantritt der NSDAP und ihrer deutschnationalen Bündnispartner wurde er festgenommen. Danach positionierte er sich politisch grundlegend neu. Als Schriftleiter seiner Pädagogik-Zeitschrift setzte er nun einen NS-Pädagogen ein. Sie konnte bis in das Jahr 1938 weiter erscheinen. Danach „ruhte“ sie. Er trat der Reichsschrifttumskammer und der Reichspressekammer bei und wurde Mitglied des rassehygienischen Reichsbunds Deutsche Familie, der im Siegerland seit den 1920er Jahren von einem Alten Kämpfer geführt wurde.
Zwar trat er der NSDAP nicht bei, spendete aber für NS-Einrichtungen, darunter häufig SS-Gliederungen, in der Summe mindestens 10.342,75 RM (Eigenangabe im Entnazifizierungsverfahren). Nach Kritik an ihm aus der NSDAP setzten sich der NS-OB Alfred Fissmer, der 1933 sein Parteieintrittsgesuch eingereicht hatte, der NSDAP-Gauinspekteur Walter Heringlake, der NSDAP-Leiter des städtischen Hauptbüros Wilhelm Neuhard und der NSDAP-Kreisleiter Paul Preußer für ihn ein. Josef Balogh reagierte auf diese Unterstützungsbereitschaft mit unterwürfigen Ergebenheitsbekundungen gegenüber den neuen Machthabern. Seine Firma „Schallex“ profitierte von „wichtigen Heeresaufträgen“.
Dennoch wurde er am 11. August 1944 im Rahmen einer nach dem Putschversuch vom 20. Juli auch in der Region durchgeführten Verhaftungswelle kurzzeitig festgenommen.
Nach dem Ende des Regimes gehörte Josef Balogh 1946 zu den Neugründern der DFG. Er war ihr 1. Vorsitzender und wurde nach seiner Ablösung durch Karl Ley im Jahr darauf zum Ehrenvorsitzenden gewählt. 1946 war er auch einer der Gründer der regionalen FDP, die er als Kreisvorsitzender leitete und deren Ehrenvorsitzender er später ebenfalls wurde. Er gründete ferner den Verband Westdeutscher Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten (Düsseldorf). Auch hier war er zeitweise der Vorsitzende. Josef Balogh war Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Siegen.
Als 1947 mehrere Stadtverordnete mit Emil Graskamp an der Spitze unter Verweis auf das alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 30, das u. a. zur Entfernung von Straßennamen „bekannter Militaristen“ verpflichtete, die Umbenennung der Hindenburgstraße, der Hindenburgbrücke und der Stoeckerstraße beantragten, gehörte Josef Balogh mit zu einer von dem vormals deutschnationalen Stadtverordneten Ernst Bach angeführten gegnerischen Mehrheit, der auch Mitglieder der SPD und der FDP angehörten. Auf der Seite dieser Mehrheit blieb Balogh auch bei den anschließenden Neuanträgen, die jedes Mal scheiterten. Nachdem der Regierungspräsident Fritz Fries den Innenminister bat, das Thema „zurückzustellen“, „versiegte“ (Weidner) der Konflikt ohne Namensänderungen zugunsten der rechten Stadtratsmehrheit und ihrer Unterstützer aus FDP und SPD.
1955 erhielt Josef Balogh das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse. 1962 richtete er eine zweite soziale Stiftung zugunsten der Stadt Siegen ein. In einem Entschädigungsverfahren machte er erhebliche wirtschaftliche Schäden durch das NS-System geltend und erhielt 17.000 DM zugesprochen.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-190; ebenda, NW 1.110-1.103; ebenda, NW 106, Nr. 81; ebenda, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.784; SZ, 14.2.1921, 26.2.1986; V, 7.4.1923, 7.4.1924; WR/Sl, 17.4.1964; Fries 2013, passim; Hesse 2011; Irle 1974, 26; Opfermann 2001, 214; Weidner, 196f.; Regionales Personenlexikon, Artikel Josef Balogh; zur Straßenbenennungspraxis in Siegen: Datenbank Marcus Weidner
Heinrich Bamberg
* 6.8.1897 in Heinsberg (Kr. Olpe)
Der Bergmann Heinrich Bamberg war verheiratet mit Johanna Bamberg geb. Sauerwald. Er war im Ersten Weltkrieg Soldat. In den 1930er Jahren war er als Vorarbeiter im Tiefbau tätig.
Nach dem Krieg wurde er Mitglied der KPD, der Roten Hilfe und des Kampfbunds gegen den Faschismus.
Kundgebung einer KPD-verbundenen antifaschistischen Organisation, des Kampfbunds gegen den Faschismus oder der Antifaschistischen Aktion, in der Schlussphase der Weimarer Republik; Siegen, Unterm Hain(?)
Als Gegendemonstrant gegen eine NS-Kundgebung am Abend des 17. Juli 1932 wurde Heinrich Bamberg 1932 durch das LG Arnsberg zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.
Die Siegener Zeitung sah eine Koinzidenz der lokalen und nichtlokaler Ereignisse „an diesem politisch so bewegten Tag“. Damit dürfte die reichsweite Welle öffentlicher Auftritte von SA und SS nach der Aufhebung des zeitweiligen Verbots dieser Organisationen und politischer Kundgebungen während des Reichstagswahlkampfs im Juli 1932 gemeint gewesen sein. Einen Höhepunkt der Meldungen bildete der später so genannte „Altonaer Blutsonntag“. Zeitlich einige Stunden vor den Siegener Ereignissen hatte im linken und vor allem kommunistisch orientierten Hamburg-Altona im Verlauf eines provokativen Aufmarschs von 7.000 SA- und SS-Angehörigen und daraus resultierender Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten vor allem der Antifaschistischen Aktion Polizei, die die Kundgebung begleitete und absicherte, 16 meist unbeteiligte Anwohner erschossen. Zwei SA-Angehörige starben ebenfalls durch Schüsse, mutmaßlich auch aus Polizeikarabinern.
Altonaer Blutsonntag, Festnahme eines Demonstranten gegen den SA-Aufmarsch oder eines Zuschauers. Im Hintergrund mit Schirmmützen Angehörige des Reichsbanners oder des Kampfbunds gegen den Faschismus bzw. der Antifaschistischen Aktion
Nach dem Reichstagsbrand wurde Heinrich Bamberg am 1. März 1933 mit 25 weiteren Personen verhaftet und im „Braunen Haus“ der NSDAP (Hindenburgstraße 2) in Siegen schwer misshandelt. Er war bis zum 23. März 1933 im Landgerichtsgefängnis Siegen, anschließend bis zum 8. Juni 1933 als „Schutzhäftling“ im Gefängnis Werl inhaftiert.
Am 20. Oktober 1933 wurde Bamberg ein weiteres Mal verhaftet und durch das OLG Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Der Prozess endete für ihn mit einem Freispruch. Er blieb allerdings bis zum 12. Februar 1934 in Untersuchungshaft.
Bei der Verhaftungswelle nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 sollte Heinrich Bamberg erneut verhaftet werden, er war aber nicht in Siegen und entging dem daher.
Nach dem Krieg eröffnete er einen Schrott- und Altstoffhandel im Altenhof. Im Entschädigungsverfahren teilte er mit, seine Tochter sei von der Gestapo in den Tod getrieben worden.
Die Antifaschistische Aktion, eine Pendant zur Eisernen Front der SPD, wurde 1932 aus der KPD heraus als Schutzorganisation für Massenveranstaltungen gegründet. Sie stand für ein Einheitsfrontkonzept, das Arbeiter der unterschiedlichen politischen, gewerkschaftlichen und konfessionellen Richtungen aktivieren sollte. Die SPD verbot ihren Mitgliedern Aktivitäten dort.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.886; ebenda, Q 211 a, 13.282-13.284, 13.294-13.207, 13.423, 13.492-13.522; EB 1956/57; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland; SZ, 13.8.1932; Opfermann 2001, 214
Regina Bamberg
* 7.4.1900 in Heinsberg (Kr. Olpe)
Regina Bamberg (später verheiratete Böhler) war die Schwester von Heinrich Bamberg und beide lebten bis 1933 in häuslicher Gemeinschaft. Sie arbeitete in der Papierfabrik Oechelhäuser in Siegen. Sie wurde 1933 verhaftet, als Parteilose mit 25 weiteren Mitgliedern und Unterstützern der KPD wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und wegen eines „Waffenvergehens“ – sie hatte zwei im Haus ihres Bruders aufgefundene Pistolen bei sich versteckt, damit kein Unheil damit angerichtet werde – am 29. Januar 1934 zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Strafe musste sie in den Gefängnissen von Hagen und Essen verbringen. Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des parteilosen Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
1958/59 kämpfte Regina Bamberg vor dem OLG Hamm um die Aufhebung des Urteils. Dabei bezog sie sich auf das Straffreiheitsgesetz vom 3. Juni 1947. Das Gericht lehnte ab, sie sei keine „Überzeugungstäterin“, sondern eine „Gelegenheitstäterin“ gewesen. Sie habe „nicht überwiegend aus Gegnerschaft zum Nationalsozialismus gehandelt“, sondern die Waffen „allein aus Sorge um das Wohl ihres Bruders“ verschwinden lassen. Der Vorgang habe sich im übrigen auch bereits im Herbst 1932 ereignet. Das Straffreiheitsgesetz aber beziehe sich auf den Zeitraum nach der „Machtergreifung“. Das Gericht bestätigte das Urteil im Grundsatz, milderte jedoch die Strafzumessung auf einen Monat und 23 Tage Gefängnis ab. Das Urteil zog nach sich, dass Regina Bamberg kein Anrecht auf eine Haftentschädigung hatte, da das politische Motiv fehlen würde. Ihr wurde 1953 der zuvor zuerkannte Status der NS-Verfolgten aberkannt und ihr Verfolgtenausweis eingezogen.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, 13.282-13.284, 13.294-13.207, 13.423, 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.891; ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1/2.933-3.132/2.992/0.134; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Jacob Bangard
*13.1.1890 in Niederschelden, gest. 14.6.1965
Der Arbeiter Jacob Bangard trat bereits 1908 der SPD bei. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat, wurde 1915 schwer verwundet und mit 70% Kriegsbeschädigung nach Hause entlassen. Bis 1923 arbeitete er in der Charlottenhütte in Niederschelden als Werksmeister, dann konnte er aufgrund der Kriegsverletzung seinen Beruf nicht mehr ausüben. Er erlernte den Beruf des Steuerberaters und machte sich mit einem eigenen Büro selbstständig. Er vertrat die SPD im Gemeinderat von Niederschelden und war Mitbegründer und Vorsitzender des Arbeiter-Sport-Vereins. Außerdem war er Mitglied im Reichbanner Schwarz-Rot-Gold.
Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 erfolgte eine große Verhaftungswelle gegen Gegner des sich etablierenden Regimes. Auch Jacob Bangard sollte verhaftet werden, konnte jedoch rechtzeitig fliehen und versteckte sich bei Bekannten in Köln. Dort lebte er bis Juni 1933 in der Illegalität. Nach wie vor blieb er zunächst Mitglied des Gemeinderats. Am 8. Juni wurde er ausgeschlossen.
Nazis drangen bei der Suche nach ihm in seine Niederschelder Wohnung ein und beschlagnahmten aus seiner Bibliothek die Werke von Marx, Engels, Bebel und weitere sozialistische Literatur. In den folgenden Jahren bis 1945 wurde die Wohnung mehr als zwanzig Mal von SA und Polizei durchsucht. 1935 verlor Jacob Bangard seine Zulassung als Steuerberater. Dafür, dass er dennoch in seinem Beruf tätig blieb, musste er 1.000 RM Strafe zahlen. In den Jahren 1938 und 1944 wurde er durch Angehörige der Familie Gustav Böcking denunziert, die Anzeigen blieben aber ohne Folgen. Auch nach dem Attentat auf Hitler wurde er 1944 von der Gestapo verhört.
Nach dem Ende des Regimes war Jacob Bangard wieder in der SPD aktiv und von 1949 bis 1955 Direktor des Amts Eiserfeld.
Im Entschädigungsverfahren wurde die Zeit der Illegalität nicht berücksichtigt, da sie keine Haftzeit gewesen sei. Für die gestohlenen Bücher und das durch das Berufsverbot geminderte Einkommen („Schaden im beruflichen Fortkommen“) wurde ihm eine Entschädigung nicht zuerkannt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 58.902; Irle 1974, 27; Jarchow
Karl Bastian
* 7.10.1906 in Siegen
Der gelernte Dreher Karl Bastian war seit 1929 als Ziegeleiarbeiter bei der Ziegelei Hubert in Siegen beschäftigt. Er war ein Schwager von Erich Schutz.
Karl Bastian war Mitglied der KPD. Nach der Machtübergabe wurde er im März 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand der Vorwurf, über einen – nicht aufzufindenden – Vervielfältigungsapparat für die Herstellung von Flugschriften gegen das NS-Regime verfügt zu haben. Es musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde vom Gericht als zweifelhaft beurteilt.
Im Juli 1933 wurde er durch das SA-Kommando Odendahl schwer misshandelt. Er hatte „tiefgehende Blutergüsse“ und war vier Wochen arbeitsunfähig.
Gegen ihn und weitere Mitglieder der KPD wurde nach einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 in einem zweiten Verfahren ermittelt. Die Siegener Zeitung beschrieb unterstützend die Verhaftungen als eine Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte.
1934 wurde Karl Bastian mit weiteren elf Kommunisten vor dem OLG Hamm wegen Vorbereitung des „hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, angeklagt und am 13. Juli 1934 zu einem Jahr und fünf Monaten Haft verurteilt, die er bis zum 14.10.1935 in den Gefängnissen von Hamm und Herford verbrachte. Mit diesem Urteil verlor Bastian seine „Wehrwürdigkeit“, das heißt, er konnte nicht zur Wehrmacht eingezogen werden. Ab 1940 arbeitete Bastian als Dreher bei der Walzendreherei Karl Buch in Weidenau. Ab 1942 wurden auch die sogenannten „Wehrunwürdigen“ zum Militär eingezogen und in speziellen Einheiten zusammengefasst. Karl Bastian wurde im Februar 1943 zum Strafbataillon 999 – aufgestellt nach den hohen Verlusten der Wehrmacht an der Ostfront – eingezogen. Die militärische Ausbildung fand auf dem Gelände des ehemaligen KZ auf dem Heuberg in Württemberg statt. Als Soldat war Bastian auf der griechischen Insel Rhodos eingesetzt und kam 1945 in britische Kriegsgefangenschaft.
Nach dem NS-Ende und seiner Rückkehr nach Siegen trat er erneut der KPD bei und wurde Mitglied der VVN.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423, 13.282-13.284, 13.294-13.207, 13.423, 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.887; VVN-NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; Fr/Rt, 8.10.1948; SNZ, 4.12.1933; SZ, 4.12.1933
Max Hermann Baumann
* 26.3.1889 in Baldenburg / Pommern, gest. 2.8.1967 in Dornholzhausen
Nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg begann Baumann 1919 eine Laufbahn als Verwaltungsangestellter im Amt Eiserfeld, gleichzeitig trat er der SPD bei. Er war gewähltes Mitglied im Gemeinderat in Eiserfeld und im Kreistag des Kreises Siegen. Darüber hinaus war er Begründer eines Arbeitersportvereins in Eiserfeld. Als Gegner des NS trat er auch dem Reichsbanner bei. Im Aushängekasten der SPD platzierte er immer wieder Artikel und Karikaturen gegen die NSDAP, woraufhin der Aushängekasten zerstört wurde.
Nach der Machtübergabe tauchte Baumann für einige Tage im Ruhrgebiet unter. Doch die SPD war noch nicht verboten, so leitete Baumann vor der Märzwahl 1933 eine sozialdemokratische Wahlveranstaltung und trat dort als Redner gegen den Faschismus auf. Am 30. März 1933 wurde Baumann erstmalig für einige Tage verhaftet. Der berüchtigte SA-Schläger
Richard Odendahl betrieb im Julie 1933 seine Einweisung in ein Konzentrationslager. Das gelang aus nicht überlieferten Gründen nicht.
Bald darauf wurde Baumann aus der Verwaltung des Amts Eiserfeld wegen Betätigung gegen die NSDAP entlassen. Im Juni 1933 wurde er erneut verhaftet und im Polizeigefängnis Burbach schwer misshandelt, er blieb vier Tage in Haft. Danach stand er unter Polizeiaufsicht und musste sich regelmäßig persönlich melden. Auch wurde sein Haus durchsucht und eine Anzahl von Büchern beschlagnahmt. Da er in der Folgezeit keine Arbeit finden konnte, zog Baumann mit seiner Frau und den drei Kindern nach Frankfurt am Main und eröffnete dort unter dem Namen seiner Frau ein Lebensmittelgeschäft. 1938 übernahm er aus jüdischer Hand eine Versicherungsagentur.
Nach NS-Ende kehrte Baumann in das Siegerland zurück, trat wieder der SPD bei und arbeitete in der Siegener Stadtverwaltung. Er ging 1954 als Oberstadtdirektor in den Ruhestand.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.885; Irle 1974, 28
Alfred Becker
* 24.4.1902 in Niederschelden
Der Hüttenarbeiter Alfred Becker wurde 1923 Mitglied der KPD und war Mitglied des KJVD. Aus der Landeskirche trat er 1924 aus, da er „den Klassencharakter der Kirche“ ablehnte. Wie viele andere war er von 1931 bis 1934 arbeitslos. Als Röster arbeitete er ab 1934 auf der Grube Eisenzecher Zug in Eiserfeld. Von 1939 bis 1945 war er als Ablader auf der Charlottenhütte in Niederschelden beschäftigt.
Als die regionale KPD-Gruppe sich Anfang November 1923 in Vorbereitung auf eine erwartete rechte Machtübernahme (September: „Ordnungszelle“ Bayern im Ausnahmezustand mit rechtem „Generalstaatskommissar“ von Kahr, Oktober: Putsch Schwarzer Reichswehr in Küstrin) zu bewaffnen versuchte, wurden eine Reihe ihrer Mitglieder verhaftet, wegen Vorbereitung zum Hochverrat, Verstoßes gegen das Gesetz zum Schutz der Republik, Sprengstoff- und Waffendelikten angeklagt und 15 von ihnen im Januar 1925 im „Siegerländer Kommunistenprozess“ vom Reichsgericht Leipzig verurteilt. Tatsächlich hatte der bereits in den Kapp-Putsch involvierte Siegerländer Landrat Heinrich Goedecke 1923 durch seinen vormaligen Assessor Otto Ehrensberger Waffen für Rechtsorganisationen im Siegerland besorgen lassen, was nicht unbekannt geblieben war, wie der damalige SPD-Vorsitzende Fritz Fries später mitteilte.
Das Gericht konzedierte zwar, dass „die Entwicklung der Verhältnisse bei rechtsradikalen Verbänden in Bayern und der Ausbruch des ‚Hitlerputsches'“ eine rechte „Kampfansage“ gegen die bestehende Verfassung „erwiesen“ habe. Die KPD habe aber in der von ihr so genannten „faschistischen Gefahr“ für die Verfassung nur eine Gefahr für sich selbst gesehen, sonst hätte sie sich ja mit der Reichswehr und der Polizei verbündet.
Ausweislich bereits zeitgenössischer liberaler Rechtshistoriker (Julius Gumbel u. a.) urteilte das höchste Weimarer Gericht in Verfahren zu politischem Landesverrat notorisch gegen linke Angeklagte (Ludwig Quidde, Carl von Ossietzky und viele andere mehr) mit Höchststrafen und gegen rechte (Adolf Hitler, Anton Graf Arco-Valley und viele andere mehr) äußerst milde, was spätere Juristen von der „Verrottung des Rechts und des Rechtsgefühls“ sprechen ließ, die im weiteren Verlauf „bis zur nationalsozialistischen Verbiegung aller Rechtsbegriffe“ geführt habe (siehe: Ingo Müller, Vortrag „Das gute Gewissen der Juristen“).
Alfred Becker wurde vom Reichsgericht 1925 zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft sowie 500 RM Geldstrafe verurteilt.
Nach dem Ende des NS-Regimes war er wieder Mitglied der KPD.
BA Berlin, R 3.003, ORA/RG, Nr. 12J55/31, 13J948/23 und 24, 14aJ321/24; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 32-64 (Alfred Becker); PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; Dynamit; Opfermann/Schilde
Jacob/Jakob Becker
* 14.4.1889 in Hachenburg (Kr. Altenkirchen), gest. 24.8.1959 in Rudersdorf
Der Anstreicher Jacob Becker wohnte in Rudersdorf, war seit 1925 Mitglied der KPD und zeitweise Leiter der Ortsgruppe.
Nach der Machtübergabe an die NSDAP und ihre deutschnationalen Bündnispartner wurde er verhaftet und misshandelt. 1938 wurde Jacob Becker erneut festgenommen und Ermittlungen gegen ihn wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ wurden eingeleitet. Er wurde beschuldigt, ein Spottgedicht auf Hitler, Göring und Goebbels verbreitet zu haben. Das Verfahren wurde mit einer Verwarnung eingestellt.
Im November 1939 wurde er ein drittes Mal festgenommen, weil er durch „zersetzende Äußerungen“ („Das Volk will keinen Krieg. Den will die Regierung.“ u. a.) an seinem Arbeitsplatz Unruhe in die Bevölkerung getragen und den Zusammenhalt mit der Front untergraben habe. Er wurde vom Sondergericht Dortmund zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Durch Misshandlungen im Dortmunder Polizeigefängnis Steinwache, „eine der berüchtigtsten Folterstätten der Region“, trug Jacob Becker einen nachhaltigen Cerebralschaden davon, und es wurden ihm 17 Zähne ausgeschlagen. Er war bis zum September 1940 in Haft.
Nach 1945 wurde Jacob Becker wieder Mitglied der KPD. 1948 wurde er als politisch Verfolgter des NS-Regimes anerkannt. Sowohl die Anerkennung als Verfolgter als auch als Geschädigter wurde mit dem Inkrafttreten des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) 1953 durch den Anerkennungsausschuss des Landkreises Siegen rückgängig gemacht. U. a. wurde bestritten, dass Beckers Gegnerschaft gegen das Regime „sichtbaren Ausdruck“ gefunden habe. Er sei kein „Überzeugungstäter“ gewesen. Als „Kämpfer gegen den Nationalsozialismus“ sei er weder vor noch nach 1933 aufgetreten. Vorsitzender des Ausschusses war der ehemalige Stahlhelm-Mann Hermann Buch, der Vertreter des öffentlichen Interesses und staatliche Volljurist im Ausschuss war der Amtsgerichtsrat Berthold Werner, ein ehemaliger Landgerichtsdirektor des Sondergerichts Wien und Kriegsgerichtsrat bei verschiedenen Divisionen. Nach dem Ende des Regimes war er zunächst nurmehr ein kleiner Amtsgerichtsrat, später dann Landgerichtsrat in Siegen. Als solcher leitete Werner auch das „Wiedergutmachungsamt“ beim Landgericht.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.704; ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland; Fr/Sl, 11.10.1946
Johann Becker
* 18.11.1904 in Siegen
Der Maurer Johann Becker war Mitglied der KPD. Er wurde 1933 verhaftet, mit 25 weiteren Mitgliedern und Unterstützern der KPD der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt und am 29. Januar 1934 durch das OLG Hamm zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Für fünf Jahre wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt.
Zuchthausstrafen verlangte die Anklage bei Tatbeständen ab Mai 1933, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ gewesen sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Johann Becker war in verschiedenen Haftanstalten und Lagern, u. a. von 1937 bis 1938 im KZ Sachsenhausen.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, 13.282-13.284, 13.294-13.207, 13.423, 13.492-13.522; SNZ, 30.1.1934; Mitteilung Gedenkstätte Sachsenhausen; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Wilhelm Gustav Becker
* 14.2.1906 in Siegen, gest. 10.7.1943 in Monte Profeta, Rhodos (Griechenland)
Gustav Becker war Mitglied der KPD und des ihr verbundenen Kampfbunds gegen den Faschismus. Seit 1929 war der Maschinenschlosser mit Elisabeth Becker geb. Nell verheiratet, das Paar hatte drei Kinder.
1933 verlor er seinen Arbeitsplatz und wurde zum Hilfsarbeiter. Er wurde durch die Nationalsozialisten festgenommen, ins „Braune Haus“ der NSDAP, der vormaligen „Alten Oberförsterei“ in Siegen (Hindenburgstraße 2), verschleppt und dort brutal misshandelt. Mit 25 weiteren Mitgliedern und Unterstützern der KPD wurde er ein weiteres Mal festgenommen, der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt und am 29. Januar 1934 durch das OLG Hamm zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt.
Die „hochverräterischen Ziele“ der KPD-Aktivitäten lagen nach Meinung des Gerichts in dem Bestreben, „die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, und im Ziel der „Errichtung einer Rätediktatur nach russischem Vorbilde.“ Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Die Haft verbrachte Gustav Becker bis zum 25. April 1935 in Gefängnissen in Siegen, Hagen, Herford und Limburg. Als politisch Vorbestrafter konnte Becker nicht zur Wehrmacht eingezogen werden, er war „wehrunwürdig“. Als ab 1942 nach großen Verlusten im Osten auch diese Gruppe zur Wehrmacht einberufen wurde, war auch Becker dabei. Er wurde am 4. Februar 1943 eingezogen und dem Strafbataillon 999 – aufgestellt nach den hohen Verlusten der Wehrmacht an der Ostfront – in Heuberg zugeteilt. Gustav Becker starb beim Einsatz des Strafbataillons durch Bauchschuss auf der Insel Rhodos am 10. Juli 1943.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.888; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; PS Sammlung Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland; SNZ, 30.1.1934; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Karl Behner
*19.12.1917 in Niederschelden
Anlässlich des Zusammenbruchs des faschistischen Italien unterhielt sich Karl Behner mit Zwangsarbeitern und sagte „Das passiert hier gerade auch“. Kurz nach dem Gespräch wurde er denunziert und am 2. Oktober 1943 durch die Gestapo verhaftet. Das Sondergericht Dortmund verurteilte ihn wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ und staatsfeindlicher Äußerungen zu sieben Monaten Haft. Er wurde am 18. April 1944 aus der Haft entlassen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.711; ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Der Bergmann Ferdinand Bender aus Herdorf war Mitglied der KPD und überlebte die Zeit der NS-Verfolgung nicht. 1946 wurde er vom Volks-Echo, der regionalen Tageszeitung der KPD, als einer derjenigen geehrt, die im Siegerland „als Opfer des Nationalsozialismus und politische Gefangene ihr Leben gaben.“
EB 1935; VE/Rt, 10.5.1946
Siegfried Betz
* 7.10.1910 in Holzhausen, gest. 7.8.1932 in Dillenburg
Der junge Schlosser Siegfried Betz aus Holzhausen, Gemeinde Burbach, war Mitglied der SPD und der ihr verbundenen Organisationen Reichbanner Schwarz-Rot-Gold und Eiserne Front. Die Fahne der Eisernen Front hatte er während des Wahlkampfs zu den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 auf dem Dach des Wohnhauses der Familie in Holzhausen angebracht.
Die Siegener Zeitung berichtete über zwei Angriffe auf Häuser von Angehörigen der Eisernen Front.
In der Nacht vom 24. auf den 25. Juli wollte ein Holzhausener SA-Trupp diese Fahne vom Dach holen. Aufgeschreckt durch die Geräusche öffnete Betz das Fenster und schrie die SA-Leute an, damit aufzuhören. Von Seiten der Nazis wurde ein Schuss abgefeuert, die Kugel traf Betz dicht unter der Halsschlagader. Er verstarb am 7. August im Dillenburger Krankenhaus an den Folgen der Schussverletzung. Siegfried Betz war damit noch vor der Machtübergabe das erste Mordopfer der Nazis im Siegerland. Seine Beerdigung fand am 11. August 1932 unter hoher Beteiligung seiner Mitgliedsorganisationen und der Bevölkerung statt. Die Grabrede hielt der SPD-Abgeordnete im preußischen Landtag Fritz Fries aus Siegen.
Holzhausen, 3. November 2017, Ehrung von Siegfried Betz
Nach 85 Jahren und damit drei Generationen später kam es auf Initiative der Dorfprojektgruppe „Gedenken an Siegfried Betz“ zu einer öffentlichen Ehrung in Holzhausen durch eine vor dem ehemaligen Wohnhaus angebrachte Erinnerungstafel. Im Jahr zuvor hatte der Heimatverein Holzhausen mehrere Fotografien der Beerdigung im Netz publiziert.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 20-180 (Oskar Fey); SZ, 30.7.1932, 3.11.2017; Opfermann 2001, 215; 70 Jahre SPD; PM G. Damm, Holzhausen (2017); Detlev Kretzer, Der 25. Juli 1932
Ein Auflistung des Regierungspräsidenten für den NRW-Innenminister vom 6. April 1950 wegen Hadftentschädigungen nennt Karl Betzel in Laasphe als aus politischen Gründen NS-Verfolgten.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 114-35
Gustav Adolf Bissels
* 25.1.1886 in Elberfeld, gest. 1.1.1959 in Siegen
Der Siegener Bauarbeiter Gustav Bissels war Mitglied der KPD. Gegen ihn und weitere Mitglieder der KPD wurde nach einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 ermittelt. Die profiliert antilinke Siegener Zeitung begrüßte die Verhaftungen und den Abtransport der Verhafteten, bei dem zwei Protestrufer gleich ebenfalls fest- und mitgenommen wurden. Sie sprach von einer Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte.
Gustav Bissels wurde am 13. Juni 1934 durch das OLG Hamm wegen des Versuchs, „die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“ („Vorbereitung zum Hochverrat“), mit elf weiteren Männern und Frauen verurteilt, er zu elf Monaten und 15 Tagen Gefängnis. Die Haft verbrachte er in den Gefängnissen von Siegen, Hamm, Herford und Iserlohn. Er wurde am 28. Oktober 1934 entlassen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284, 13.294-13.297; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.850; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934; SZ, 4.12.1933
Konrad Blaesen
* 14.1.1894 in Welldorf (Kr. Jülich)
Der Gastwirt Konrad Blaesen war ab 1932 in Berleburg ansässig und betrieb dort die Bahnhofsgaststätte. Bis 1933 war er Mitglied der Zentrumspartei, doch 1934 trat er in die SA ein und war dort im Rang eines Rottenführers. Nach Ablauf der vierjährigen Beitrittssperre wurde er 1937 Mitglied der NSDAP. 1944 erhielt er das Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse.
Im August 1941 erhielt die Familie Blaesen die Nachricht, dass ihr Sohn Peter, der ein Patient der Heil-und Pflegeanstalt Düren war, von dort aus „kriegswichtigen Gründen“ in die Landes-Heil-und Pflegeanstalt Hadamar verlegt worden und an einer Gesichtsrose mit anschließender Sepsis verstorben sei.
Landesheilanstalt Hadamar
Ende 1940 hatte die „T4“-Zentrale Umbauten in der Landesheilanstalt durchführen lassen, um sie als Tötungsanstalt für Behinderte und Kranke verwenden zu können. Berichte über die in den Heil- und Pflegeanstalten vorgenommenen Morde liefen auch im Siegerland und in Wittgenstein um und veranlassten Konrad Blaesen, sich zu einem Besuch in Hadamar anzukündigen. Der wurde ihm vom Anstaltsleiter abgelehnt, da in Hadamar „Seuchengefahr“ bestehe. Auch die Herausgabe des Nachlasses sei nicht möglich, da dieser bereits an die NSV übergeben worden sei.
Dennoch fuhr Konrad Blaesen nach Hadamar. „Dass ich in allem beschwindelt worden war“, erzählte er nach seiner Rückkehr offen in Berleburg und erstattete eine Strafanzeige. Darauf reagierte die NSDAP in Berleburg mit einer Verwarnung durch den Ortsgruppenleiter.
1949 wurde Konrad Blaesen Berleburger Schützenkönig.
Ein Artikel im virtuellen Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen erinnert an seinen Sohn Peter.
Konrad Blaesen, Schützenkönig, 1949
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.118-228 (Konrad Blaesen); Aktives Gedenkbuch; HP Schützenverein Berleburg
Bode wurde 1942/43 denunziert, einer „Ostarbeiterin“ Lebensmittel gegeben zu haben. Dies war bei Strafe verboten. Ob die Denunziation Folgen hatte, ist nicht bekannt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.037-B I-15.712 (Oswald Koelsch)
August Bode
* 14.12.1895 in Banfe
August Bode war bis zum Verbot 1933 Mitglied der SPD und von Beruf Journalist. Bereits 1933 wurde er wegen „Widerstands“ vor dem Landgericht in Siegen angeklagt. Die Strafe wurde ihm allerdings durch eine Amnestie nach dem Tod Hindenburgs erlassen. Nach dem Prozess stand er unter „Aufsicht der Gestapo“ (Selbstaussage 1947). August Bode wurde 1937 Mitglied der Reichsschrifttumskammer, war also vermutlich noch journalistisch tätig. In den Jahren 1936-1946 betrieb er in Mollseifen bei Winterberg eine Pension.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.118-314 (August Bode), NW 1.118-555 (Wilhelm Dietrich); SZ, 2.3.1933
Karl Born
* 7.3.1906 in Siegen
Der Schlosser Karl Born betrieb seit 1928 in Siegen eine eigene Blechwarenfabrik. Er war bis zur Selbstauflösung der Zentrumspartei Anfang Juli 1933 deren Mitglied. Er wurde mehrmals durch die Gestapo verhaftet, verhört und misshandelt. Dabei wurden ihm vier Zähne ausgeschlagen. 1937 wurden ihm die Eisen- und Blechquoten entzogen und damit die Grundlage seines Betriebs, den er in der Folge schließen musste. Am 18. September 1937 wurde er erneut von der Gestapo in Haft genommen. Durch das Sondergericht Dortmund wurde er am 7. Januar 1938 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ zu sechs Monaten Haft verurteilt. Diese Haftzeit musste er in Einzelhaft verbringen. Anschließend musste er sich ein Jahr lang einmal pro Monat bei der Gestapo persönlich melden. Ab 1940 war er in der Firma Dango und Dienenthal als Schlosser beschäftigt. Da er den „Deutschen Gruß“ nicht anwendete, wurde er von der Betriebsleitung als Arbeiter zweiter Klasse geführt.
Er hatte keinen Urlaubsanspruch und war von Sonderzahlungen ausgeschlossen. Ab 1943 arbeitete Born in der Firma INO Apparatebau. Nachdem er sich für Ostarbeiterinnen eingesetzt hatte, wurde er von der Gestapo gemaßregelt.
Nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 wurde Karl Born für einen Tag in Haft genommen. Noch in der Endphase des Krieges wurde ihm 1945 im Luftschutzbunker Fortuna-Stollen durch NSDAP-Mitglieder gedroht, ihn zu erschießen.
Nach der Befreiung war Karl Born Mitbegründer und Vorstandsmitglied der VVN Siegen.
LA NRW,Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.892
Willi Bottenberg
* 14.4.1913 in Niederschelderhütte
Der Kranführer Willi Bottenberg war vor 1933 Mitglied im Arbeiter-Turn-und-Sportverein Niederschelden. Da er als Gegner der Nazis bekannt war, wurde er nach dem Reichstagsbrand von der SA gesucht. Er versteckte sich drei Monate lang bei Bekannten. Im März 1934 wurde er verhaftet und für zwei Monate im Gerichtsgefängnis Kirchen in „Schutzhaft“ genommen. Wegen des Abhörens ausländischer Sender („Rundfunkverbrechen“) wurde er im August 1936 erneut für zwei Monate inhaftiert. Nach Kriegsbeginn wurde er zur Wehrmacht eingezogen, aber wegen politischer Unzuverlässigkeit im September 1940 entlassen. Im April 1941 trat er in die NSDAP ein, um – wie er im späteren Entschädigungsverfahren erklärte – die Beschaffung eines „Ariernachweises“ für seine Braut aus Lodz zu erleichtern.
Nachdem er im Januar 1942 erneut wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ und verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen verhaftet und durch das Sondergericht Koblenz zu acht Monaten Haft verurteilt wurde, schloss ihn die NSDAP-Ortsgruppe Niederschelderhütte mit sofortiger Wirkung aus der Partei aus.
Willi Bottenberg wurde später erneut zur Wehrmacht eingezogen. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 sei er, wie er erklärte, mit einem Offizier aus dem Kreis um Goerdeler in die Schweiz desertiert, von wo er 1946 nach Niederschelderhütte zurückgekehrt sei. Eine Entschädigung wurde trotz Anerkennung als NS-Verfolgter angesichts seiner zeitweisen Zugehörigkeit zur NSDAP abgelehnt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 114-35; ebenda, Abt. Rheinland, NW 114-35; ebenda, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 58.904
Heinrich Josef Braach
* 26.1.1876 in Siegen, gest. 13.5.1953 in Siegen
Der Siegener Heinrich Braach war selbständiger Bäckermeister, verheiratet und hatte vier Kinder. Im Ersten Weltkrieg war er wegen Gehorsamsverweigerung bestraft worden und in der Novemberrevolution Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats in Siegen. Als auch politisch sich bekennender Katholik war er in der Zentrumspartei und gehörte im Katholizismus der Weimarer Republik der linkskatholischen Vitus-Heller-Bewegung an.
Zeitung der Arbeiter- und Bauernpartei Deutschlands. Christlich-Radikale Volksfront, deren Spitzenkandidat im Juli 1932 Vitus Heller war, die sich dem „Faschismus“ als kommender Unterdrückung „der schaffenden Massen“ entgegenstellte und zur „Einheitsfront“ aufrief.
Am 13. Juni 1934 wurde Heinrich Braach erstmals verhaftet – die Gründe sind nicht bekannt – und bis zum 16. August 1934 in Siegen inhaftiert, entging aber wohl einer Anklage und Verurteilung, denn der der Festnahme zugrundeliegende Sachverhalt wurde in einem späteren Prozess nicht wieder als vorausgegangene Belastung aufgegriffen.
Im August 1935 hatte Heinrich Braach in einer Scheuerfelder Gaststätte gegenüber Gästen und dem Wirt, der Kreisinspekteur der NSDAP war, Zweifel am wirtschaftlichen Aufschwung geäußert und den Aufstieg der NSDAP mit Geldern des Montan-, Rüstungs- und Medienunternehmers Alfred Hugenberg und des Kölner Bankiers Kurt von Schröder in Verbindung gebracht. Er hatte erklärt, der Vorgang ekle ihn an. Noch im Verfahren bekannte er offen, weiterhin „internationaler Pazifist“ zu sein. Ein Gutachten des Staatlichen Gesundheitsamts in Siegen, das von dem Alten Kämpfer Dr. Wilhelm Klein geleitet wurde, erklärte Heinrich Braach zum unzurechnungsfähigen „Psychopathen“, auf den der § 51 anzuwenden sei. Das Gericht war der Meinung, der Angeklagte müsse „wie eine Eiterbeule ausgemerzt“ werden, aber verminderte Zurechnungsfähigkeit schütze ihn noch, so dass er wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ nur zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde.
Nach einer „Verächtlichmachung der Partei“ wurde er am 28. Oktober 1936 erneut wegen „Heimtücke“ verhaftet und durch das Sondergericht Dortmund verurteilt. Er war bis zum 27. Januar 1938 in den Haftanstalten von Siegen, Hagen und Wetter in Haft. Die Nazis drangsalierten aber nicht nur ihn, sondern auch seine Familie. Einer seiner Töchter wurden die Erlaubnis zur Eheschließung und ein Ehestandsdarlehen verweigert.
Am 23. März 1939 wurde Heinrich Braach ein viertes Mal festgenommen. Die Richter erklärten ihn im folgenden Prozess für psychisch krank und mit der Diagnose Paranoia Querulanta wurde Braach in die Heil- und Pflegeanstalt Eickelborn eingeliefert.
Heil- und Pflegeanstalt Eickelborn, 1960er Jahre
Die sechs Jahre des Krieges musste er dort verbringen und wurde erst am 7. April 1945 entlassen. Nach dem Krieg baute er seinen Bäckereibetrieb wieder auf und engagierte sich erneut politisch. Er wurde Mitglied der neugegründeten CDU und war am 8. Mai 1947 einer der Gründer der regionalen VVN, deren Kreisvorsitzender er wurde.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.826; VVN-NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; SNZ, 16.6.1936; SZ, 16.6.1936; WP/Rt, 9.5.1947
Paul Braach
* 1.6.1893 in Eiserfeld
Der Arbeiter Paul Braach kam als schwerkriegsbeschädigter Soldat aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Er wurde Mitglied der KPD. Im Mai 1933 wurde er von Angehörigen der SA brutal misshandelt. In den folgenden Jahren wurde er mehrfach verhaftet und verhört. So war er 1934 acht Tage in Siegen und vier Wochen in Arnsberg inhaftiert.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.713
Hermann Brado
* 17.8.1895 in Stein-Neukirch (Westerwald)
Der in Weidenau wohnende Hermann Brado hatte sich aus einer der aus dem französischsprachigen Raum zugezogenen regionalen jenischen Familien zum Hufschmied hochgearbeitet. Er war verheiratet mit Pauline Brado geb. Schade. Die beiden hatten 1933 sechs Kinder. Er war bis 1933 Mitglied der KPD und der Roten Hilfe. Zu seinen Parteiaktivitäten zählte der Verkauf der lokalen Kleinzeitung Weidenauer Sender der KPD. Dort seien, erklärte er später vor Gericht, Artikel anderer Zeitungen, einzelne Persönlichkeiten und Behörden aus kommunistischer Sicht der Kritik ausgesetzt worden.
Nach der Machtübergabe wurde er im März 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand der Vorwurf, über einen – nicht aufzufindenden – Vervielfältigungsapparat für die Herstellung von Flugschriften gegen das NS-Regime verfügt zu haben. Es musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
Der vormalige NS-Aktivist und völkische Heimatgenealoge Dr. Lothar Irle thematisierte die jenische Bevölkerungsgruppe in einer seiner Schriften. Er publizierte 1950 nach einer langen Auflistung abwertender Urteile, die durchgängig „Asozialität“ als angebliches Gruppenmerkmal beinhalteten, eine Namensliste und setzte dabei auch die Namensgruppe Brado erneut der Stigmatisierung aus.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; Irle 1970, 14
Oskar Brado
* 15.12.1907 Siegen
Oskar Brado (ursprünglich: Pradeau) kam aus einer der im 18. Jahrhundert aus dem französischsprachigen Raum in die Region zugezogenen jenischen Familien. Er wohnte in Niederschelden und war dort verheiratet mit Elisabeth Brado geb. Nikodemus. Das Paar hatte fünf Kinder. Er arbeitete als Ankerwickler auf der Charlottenhütte in Niederschelden. Er war vor 1933 Mitglied im Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) und seit 1925 im Reichbanner Schwarz-Rot-Gold. 1934 wurde er nach seiner Aussage im späteren Entschädigungsverfahren durch den Metzgermeister und Nazi Otto Knautz aus Niederschelden bei der Gestapo denunziert und am 27. Dezember 1934 verhaftet. Durch das OLG Hamm wurde er wegen Vorbereitung zu Hochverrat verurteilt. Im Januar 1935 war er zwei Wochen in der berüchtigten Steinwache in Dortmund und anschließend bis zum 27. Juli 1935 im KZ Esterwegen inhaftiert. Oskar Brado wurde später zur Wehrmacht eingezogen und kehrte 1947 aus französischer Gefangenschaft nach Niederschelden zurück. In seinem Entschädigungsverfahren gab er an, vor 1933 Mitglied der SPD gewesen zu sein.
Der SPD-Unterbezirk bestätigte diese Angabe nicht. Oskar Brado wurde 1953 seine kleine Verfolgtenrente von 46,70 DM aberkannt.
Der vormalige NS-Aktivist und völkische Heimatgenealoge Dr. Lothar Irle thematisierte die jenische Bevölkerungsgruppe in einer seiner Schriften. Er publizierte 1950 nach einer langen Auflistung abwertender Urteile, die durchgängig „Asozialität“ als angebliches Gruppenmerkmal beinhalteten, eine Namensliste und setzte auf diese Weise die Namensgruppe Brado erneut der Stigmatisierung aus.
LA NRW, Abt. Westfalen, Best. Polizeipräsidien, Nr. 1.441; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.714; Irle 1970, 14; Lüerßen, 251
Otto Braun
*2.4.1892 in Müsen, ev.-ref.
Otto Braun arbeitete wie viele Müsener als Bergmann. Diesen Beruf übte er bis 1931 aus. Im Jahre 1933 eröffnete er in Müsen eine Gastwirtschaft. Zusätzlich arbeitete er für das Elektrizitätswerk Siegerland (EWS), nach seinen Angaben im Entschädigungsverfahren ab 1940 als Kassierer im Bezirk Kreuztal-Hilchenbach-Vormwald, nach den vorausgegangenen Auskünften im Entnazifizierungsverfahren dagegen ab 1942 und als Kassenbote.
Bei einer Kassierung im Haus des Schuhmachers Spies in Ferndorf, erklärte er, habe sich ein Gespräch mit dessen Ehefrau entwickelt. Im Verlauf der Unterhaltung habe er die Frage aufgeworfen, „wenn wir keinen Hitler hätten, ob wir dann keinen Krieg hätten?“ Der Sohn der Familie Spies habe ihn daraufhin beim EWS denunziert, und er sei durch die Gestapo verhaftet worden. Das Sondergericht Dortmund habe ihn wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ zu drei Monaten Haft verurteilt. Diese Haft habe er vom 19. Mai bis zum 19. August 1942 im Landgerichtsgefängnis Siegen verbracht, und das EWS ihn wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ entlassen. Im Entnazifizierungsverfahren war dagegen von einer Haft nicht die Rede. Hier erklärte er nur, er sei „wegen Nazi feindlicher Einstellung entlassen“ worden. Es entsteht also die Frage, weshalb er die Haft verschwiegen haben sollte, wenn es sie gab.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.926; ebenda, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 33-705; ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Alfred Brinkschulte
* 19.11.1899 in Kirchveischede (Kr. Olpe), gest. 25.7.1957 in Siegen
Der Hüttenarbeiter Alfred Brinkschulte war verheiratet mit Agnes Brinkschulte geb. Schade und ein Bruder von Peter Brinkschulte.
Er war seit 1923 Mitglied der KPD und ab 1930 im Kampfbund gegen den Faschismus. Im Jahre 1932 wurde er als bekannter NS-Gegner in Weidenau von SA-Männern angegriffen und erlitt dabei schwere Schlag- und Stichverletzungen. Am 9. Juli 1933 wurde er verhaftet und schwer misshandelt, „seitdem war ich ein kranker Mann.“ Im Juli 1933 wurde er festgenommen und gemeinsam mit 25 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Am 29. Januar 1934 wurde er zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“ Zuchthausstrafen hatte das Gericht bei Tatbeständen ab Mai 1933 verhängt, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ eingetreten sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“
Die Haft musste Alfred Brinkschulte im Zuchthaus Werl und in den Emslandkonzentrationslagern Neusustrum und Aschendorf verbringen. Er wurde am 28. Juli 1935 entlassen.
Die Emsland-KZs waren bevorzugte Haftstätten für Opfer der ersten Verfolgungswellen gegen politisch Oppositionelle im Siegerland und in Wittgenstein. Etwa zeitgleich wurden dort auch Siegerländer SS-Angehörige eingesetzt.
Anfang der 1940er Jahre arbeitete er in Siegen bei den Firmen Gontermann und Meteor. Durch die Verurteilung wegen Hochverrats galt Brinkschulte zunächst als „wehrunwürdig“ und wurde nicht zum Kriegsdienst eingezogen. Am 1. Februar 1944 wurde er zum Strafbataillon 999 – aufgestellt nach den hohen Verlusten der Wehrmacht an der Ostfront – in Baumholder einberufen und gegen Kriegsende in Dalmatien eingesetzt.
Er war verfolgungsbedingt zu 100% erwerbsgemindert und starb an den gesundheitlichen Folgen der Verfolgung.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.893; ebenda, Q 211 a, 13.492-13.522; ITS Arolsen 1.2.2.1/2.933-3132/2.992/0.134; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland; SNZ, 30.1.1934, 29.1.1938; Opfermann 2001, 217; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [dort zu Hermsen]
Peter Brinkschulte
* 15.6.1893 in Kirchveischede (Kr. Olpe), gest. 31.12.1953 in Siegen
Peter Brinkschulte war im Ersten Weltkrieg Matrosenartillerist in der 2. Kompanie des II. Matrosen Artillerieregiments. Er war verheiratet mit der Dienstmagd Anna Brinkschulte geb. Meckel aus Siegen. Er war ein Bruder von Alfred Brinkschulte. Bereits 1920 wurde er Mitglied der KPD und war später Leiter der Ortsgruppe Siegen. Im „Siegerländer Kommunistenprozess“ wurde Brinkschulte 1925 durch das Reichsgericht in Leipzig wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis und 200 RM Geldstrafe verurteilt (siehe: Alfred Becker). Im selben Jahr wurde er in Siegen in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Peter Brinkschulte war Mitglied der Roten Hilfe (1929-1931) und des Kampfbunds gegen den Faschismus (1931-1933), dessen Kassierer er war. Von 1929 bis 1933 arbeitete er als Vorarbeiter im Straßenbaubetrieb Richard Mellange in Siegen. Die Nazis verhafteten Peter Brinkschulte am 2. Dezember 1933. Im „Braunen Haus“ der NSDAP in Siegen (Hindenburgstraße 2) wurde er „…von jungen SS-Leuten zweimal bewusstlos geschlagen.“ Im Juli 1933 wurde er im Zuge einer Massenverhaftung gegen die KPD festgenommen und mit 25 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Ham angeklagt. Am 29. Januar 1934 wurde er zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Zuchthausstrafen hatte das Gericht bei Tatbeständen ab Mai 1933 verhängt, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ eingetreten sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Peter Brinkschulte verbrachte die Haft in den Zuchthäusern Werl, Münster und Herford. Am 2. Juni 1935 wurde er entlassen. Während der Haftzeit erhielten seine Ehefrau und der Sohn 8 RM Wohlfahrtsunterstützung pro Woche. Im Gegensatz zu vielen anderen NS-Gegnern fand Brinkschulte nach der Haft schnell wieder Arbeit. Er arbeitete bei der Ziegelei Hubert in Siegen.
Am 22. August 1944 wurde er nach dem gescheiterten Attentats auf Hitler ein weiteres Mal verhaftet, doch schon am 31. August wieder entlassen.
Nach dem Ende Hitler-Deutschlands trat Peter Brinkschulte der VVN bei.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
BA Berlin, R 3.003, ORA/RG, Nr. 12J55/31, 13J948/23 und 24, 14aJ321/24; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-3.270 (Christian Leng); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.894; StA Siegen, StVV-Protokolle 28.9.1925ff.; VVN-NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; SNZ, 30.1.1934; Burleigh, 170; Dynamit; Raim, 364-370 [zu Hermsen]; Ritscher, 11
Ernst Bruch
* 9.5.1891 in Weidenau, gest. 4.2.1942 in Siegen
Der Heizungsmonteur Ernst Bruch war ein Jahr verheiratet, da begann der Erste Weltkrieg und er wurde eingezogen und an die Front geschickt. Nach Kriegsende und Novemberrevolution trat er der SPD bei, und als Arbeiter organisierte er sich gewerkschaftlich. In beiden Rollen war sein späterer Eintritt in das 1924 in Reaktion auf völkisch-nationalistische Putschversuche entstandene, aber auch gegen die KPD gerichtete, von der SPD dominierte Reichbanner Schwarz-Rot-Gold ein Zeichen seiner politischen Überzeugung. Zu Beginn der 1930er Jahre wurde Ernst Bruch Hausmeister im Siegener Gewerkschaftshaus in der Sandstraße. Er bewohnte dort mit seiner Familie eine kleine Dienstwohnung.
Als die Nazis am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser in Deutschland stürmten und damit die Gewerkschaften endgültig zerschlugen, wurde auch das Haus in der Siegener Sandstraße verwüstet. Die anwesenden Gewerkschaftsmitglieder, darunter Ernst Bruch, wurden durch das SA-Kommando Odendahl schwer misshandelt.
Im Gerichtsverfahren gegen das „Rollkommando Odendahl“ wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit 1948 schilderten Zeugen den Hergang der Ereignisse. Sein Genosse Peter Müller, ebenfalls Opfer der Übergriffe, konnte bestätigen, dass der Verstorbene „an diesem Tage von der SA schwer misshandelt“ worden und „seit dieser Zeit bis zu seinem Tode kränklich“ gewesen sei. Das Gericht stellte fest, dass Bruch wurde so geschlagen worden sei, „dass sein Körper blutige und blutunterlaufene Stellen aufwies. Er klagte auch über Nierenbeschwerden … .“
Die Nationalsozialisten beschlagnahmten das Gewerkschaftshaus, und es fanden dort noch eine Zeitlang Misshandlungen von politischen Gegnern statt. Die Familie Bruch, die dort weiter wohnte, konnte die Schreie der Geschlagenen hören. Als NS-Gegner verlor Ernst Bruch seinen Arbeitsplatz und damit die Existenzgrundlage für sich und seine Familie. Erst 1937 fand er wieder Arbeit als Heizer, doch aufgrund der schweren Misshandlungen erkrankte er dauerhaft und erlitt einige Jahre später einen Schlaganfall. 1942 verstarb er an den Folgen der Misshandlungen vom 2. Mai 1933 im Alter von 50 Jahren.
Der Entschädigungsantrag, den seine Witwe stellte, wurde 1949 abschlägig entschieden. Es stünden, hieß es, „Misshandlung und früher Tod in keinem Zusammenhang“. Erst ein umfangreiches fachärztliches Gutachten brachte 1953 die Anerkennung als politisch Verfolgter und damit eine kleine monatliche Rente für Ernst Bruchs Witwe.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.878
Ignaz Bruck
* 19.7.1889 in Eisleben, gest. 3.4.1945 in Klafeld
Der Weidenauer Ignaz Bruck, Betriebsleiter der Grube Neue Haardt in Weidenau, war Mitglied der NSDAP und der SA. Während der letzten Kämpfe in Weidenau wurde er wegen Kapitulationsbereitschaft von Volkssturmangehörigen, die unterwegs waren, „Plünderer“ zu erschießen, auf dem Klafelder Markt nach einem erfolglosem Versuch, ihn zu erhängen, von dem Volkssturmsoldaten Friedrich Jaeger erschossen. Über der Leiche wurde an einem Baum ein Schild platziert mit der Schrift „So geht es jedem Vaterlandsverräter!“ Der Täter, der nach dem NS-Ende von einem britischem Militärgericht wegen Erschießung zweier „Plünderer“ verurteilt worden war, wurde nach Ermittlungen und Festnahme durch ein deutsches Gericht wegen Erschießung von Ignaz Bruck in Untersuchungshaft (1947-1948) genommen, jedoch mangels hinreichenden Tatverdachts wieder entlassen. 1950 wurde er ein weiteres Mal festgenommen, vor dem LG Siegen angeklagt und 1951 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Es ist nicht bekannt, wann er wieder auf freiem Fuß war. Im Prozess räumte er ein, „dass er in vier Fällen an solchen Exekutionen teilgenommen und persönlich dabei einen deutschen und vier Plünderer fremder Staatsangehörigkeit erschossen“ hatte.
Ein Artikel im virtuellen Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen erinnert an Ignaz Bruck.
„Beim Antritt des Marsches [an den späteren Hinrichtungsort], möglicherweise auch schon vorher, ist Bruck … allem Anschein nach in die Nierengegend geschossen worden, so dass ihm infolge von Schmerzen und Blutverlust der Weg sehr schwer wurde. … Bruck taumelte vor Schwäche. Zwei Soldaten fuhren mit einem niedrigen Karren hinter ihm her und stiessen ihn, wenn er langsamer ging, damit von hinten in die Kniekehlen. … Man hörte die erregten Rufe: ‚Volksverräter’ und ‚Aufhängen’. … [nach Vorführung vor dem Bataillonskommandeur Erich Oberschulte-Beckmann im Gefechtsstand Sohlbacher Str. 13:] Der Angeklagte [Friedrich Jaeger] liess aus der Gastwirtschaft einen Tisch und einen Stuhl holen. Im Hofe fand sich ein Stück Fernsprechkabel. … Der Draht riss, und Bruck fiel auf den Boden, war aber noch nicht tot, sondern wälzte sich stöhnend. Der Angeklagte nahm … den Karabiner … und gab auf den gekrümmt am Boden liegenden Bruck aus 2-3 m Entfernung einen Schuss ab. Dieser durchschlug beide Schultern im Rücken, … Da Bruck sich noch bewegte, nahm der Angeklagte seine Pistole aus der Tasche und gab auf die Brust des Bruck 3-4 Schüsse ab, die tödlich trafen.“ (aus dem Urteil gegen Friedrich Jaeger, 1951)
SZ, 21., 23.5.1951, 26., 27.1.1953; WP/Rt, 10.5., 22., 23.5.1951; WR/Rt, 23.5.1951, 27.1.1953; PM Hans Andreas (Netphen); Justiz und NS-Verbrechen, Bd. VIII, Lfd. Nr. 279; ebenda, Bd. X, Lfd. Nr. 337; Aktives Gedenkbuch
Paul Brücher
* 17.2.1908 in Klafeld
Der Elektriker Paul Brücher war Mitglied der KPD und wurde als solcher im März 1933 durch die SA verhaftet. Er war bis Juni 1933 in den Gefängnissen von Hagen und Werl inhaftiert.
Nach der Entlassung aus der Haft fand er als Kommunist keine Arbeitsstelle. Erst im Juli 1936 konnte er wieder eine feste Anstellung finden.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.716
Der Siegener Schlosser Waldemar Brückmann wohnte in der Corviniusstraße 22 (1940). Er war bis 1933 Mitglied der SPD. Sein Schicksal ist bisher unbekannt. 1946 wurde er von der regionalen Tageszeitung Volks-Echo der KPD als einer derjenigen geehrt, die im Siegerland „als Opfer des Nationalsozialismus und politische Gefangene ihr Leben gaben.“
VE/Rt, 10.5.1946; EB 1935, 1940
Josef Brümmer wurde wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert und nach Hagen überführt.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Friedrich („Fritz“) Buch
* 30.10.1908 Rinthe
Der Gussformer Fritz Buch war verheiratet mit Elisabeth Buch, mit der er zwei Kinder hatte. Seit 1928 war er Mitglied der KPD und ab 1930 im Kampfbund gegen den Faschismus aktiv. Von 1929 bis 1931 arbeitete er in der Walzengießerei Roland in Weidenau, dann wurde er infolge der schlechten wirtschaftlichen Lage arbeitslos. Nach der Machtübergabe wurde er im „Braunen Haus“ der NSDAP in Siegen (Hindenburgstraße 2) von den SS-Männern Zimmermann und Gerlach schwer misshandelt. 1933 wurde er im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand der Vorwurf, über einen – nicht aufzufindenden – Vervielfältigungsapparat für die Herstellung von Flugschriften gegen das NS-Regime verfügt zu haben. Es musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
Ein weiteres Mal wurde er 1933 mit 25 weiteren Mitgliedern und Unterstützern der KPD festgenommen, wegen Vorbereitung zum Hochverrat wiederum vor dem OLG Hamm angeklagt und am 29. Januar 1934 zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Diese Haft musste er bis Juni 1934 in den Gefängnissen von Hagen, Hamm und Herford verbringen. Von Juni 1934 bis zum 28. März 1935 war er in dem berüchtigten Emslandlager III Brual-Rhede inhaftiert.
Die Emsland-KZs waren bevorzugte Haftstätten für Opfer der ersten Verfolgungswellen gegen politische Gegner im Siegerland und in Wittgenstein. Etwa zeitgleich wurden dorthin Siegerländer SS-Angehörige aus ihrer Heimatregion abgeordnet.
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Während seiner Haftzeit bekam Fritz Buchs Frau mit zwei Kindern eine Wohlfahrtsunterstützung von 13 RM pro Woche. Gemeinsam mit anderen Frauen von inhaftierten Kommunisten ging Elisabeth Buch zum Siegener Wohlfahrtsamt, um sich zu beschweren, da die Unterstützung zur Versorgung einer Familie nicht ausreiche. Die Antwort des NSDAP-Stadtamtmanns Wilhelm Neuhard, bis 1933 Leiter des Wohlfahrtsamts, dann zu dem des Hauptamts befördert, spiegelt die Machtverhältnisse deutlich wieder: „Sie sollen ihre Männer nächstens besser erziehen, der niedrige Unterstützungssatz soll als Strafe erziehend wirken.“ Nach der Haftentlassung fand Fritz Buch als Antifaschist keine Arbeit. Er wurde zwangsverpflichtet und musste beim Bau der Kasernen auf dem Wellersberg arbeiten. Erst 1940 fand er wieder Arbeit bei seiner alten Firma in Weidenau. Dort arbeitete er bis Januar 1943, dann erfolgte seine Einberufung zum Strafbataillon 999 – aufgestellt nach den hohen Verlusten der Wehrmacht an der Ostfront – im württembergischen Heuberg. Nach einer Kriegsgefangenschaft kehrte er nach Siegen zurück.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.797; ITS Arolsen 1.2.2.1/2.933-3.132/2.992/0.134; SNZ, 30.1.1934, 29.1.1938; PM Gerold Spork, 4.12.2009; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Hermann Danz
* 18.10.1906 in Niederschelderhütte, gest. 5.2.1945 im Zuchthaus Brandenburg-Görden
Der uneheliche Sohn der Arbeiterin Anna Danz lernte nach dem Volksschulabschluss das Schmiedehandwerk und trat als junger Mann dem KJVD und der KPD bei. Von 1928 bis 1931 besuchte er in Moskau die Internationale Lenin-Schule der Kommunistischen Internationale. 1931/32 arbeitete er als Übersetzer in Moskau für den sowjetischen Rundfunk.
Nach seiner Rückkehr 1932 nach Deutschland wurde er erneut für die KPD aktiv. Er gehörte als Instrukteur und dann als Mitglied des Sekretariats von 1931 bis 1933 der Bezirksleitung Thüringen in Erfurt an. Am 5. März 1933 wurde der bereits im Februar unter der Koalitionsregierung Hitler aus NSDAP und DNVP Verhaftete noch in den Preußischen Landtag gewählt.
Hermann Danz und sein Freund und Genosse Hans Schellheimer
Nach seiner Entlassung im März 1933 übernahm er die Leitung des in der Illegalität arbeitenden KPD-Bezirksvorstands Magdeburg-Anhalt. Im November 1933 wurde er ein weiteres Mal verhaftet und anschließend wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe verurteilt, die er in den Haftanstalten Luckau und Brandenburg absaß. Nach seiner Entlassung ging er erneut in den Widerstand. Aus der Magdeburger Mühle und Zuckerfabrik organisierte er die Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln an Zwangsarbeiter. Seine Gruppe baute Kontakte zu der Gruppe um Anton Saefkow und Franz Jacob in Berlin und zum Nationalkomitee Freies Deutschland auf, dessen Positionen zum Sturz der Naziherrschaft auch Hermann Danz vertrat.
Am 9. Juli 1944 wurde seine Gruppe aufgedeckt, und auch er verhaftet und erneut vor Gericht gestellt. Er wurde am 1. November 1944 zum Tode verurteilt und zusammen mit seinen Genossen Martin Schwantes, Johann Schellheimer und Friedrich Rödel am 5. Februar 1945 im Zuchthaus Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil hingerichtet.
1950 wurde die Urne mit Hermann Danz‘ sterblichen Überresten im Ehrenhain des Magdeburger Westfriedhofes beigesetzt. In der DDR wurden in Magdeburg, in Hecklingen (Sachsen-Anhalt) und in Hermsdorf (Thüringen) eine Straße, in Schmalkalden eine Realschule und in Friedrichroda (Thüringen) ein FDGB-Ferienheim nach ihm benannt, das heute ein Altersheim unter dem Namen „Residenz Friedrichroda“ ist.
In Magdeburg wurde 2010 ein Stolperstein für Hermann Danz verlegt. 2013 wurde an der Schule in Schmalkalden für den „Antifaschisten und Kommunisten“ eine Gedenktafel angebracht, wie diese mit ihrer Überschrift erklärt.
Im Kreis Siegen-Wittgenstein waren er und seine Lebensgeschichte generationenlang völlig unbekannt, bis vor wenigen Jahren die VVN begann, sie öffentlich bekannt zu machen.
Magdeburg.de, Gegen das Vergessen; Deutsche Widerstandskämpfer, S. 186-190; Drobisch, Danz, Hermann; Günther-Schellheimer, Die Magdeburger Widerstandsgruppe um Hermann Danz
Gustav Daub aus Fellerdilln war verheiratet mit Luise Daub geb. Rothenpieler. Beide waren Mitglied der christlichen Bekenntnisgemeinschaft der Ernsten Bibelforscher (Zeugen Jehovas).
Als im November 1935 ein aufsehenerregender Prozess gegen 14 Angehörige der Gemeinschaft aus verschiedenen Orten des Südsiegerlands und der sich anschließenden Dill-Region stattfand, galt der Angeklagte Gustav Daub aus Fellerdilln dem Gericht „als der eigentliche Drahtzieher der Gesellschaft“.
Die Zeugen Jehovas waren durch die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 und durch Erlass des preußischen Innenministers vom 24. Juni 1933 für aufgelöst erklärt und verboten worden, kamen aber dennoch weiter zusammen und setzen ihre Tätigkeiten insgesamt fort. Gustav Daub hatte Schriften der Gruppe vervielfältigt und verteilt und im Oktober 1934 ein Schreiben an die Reichsregierung gerichtet, das, wie es im Verfahren hieß, „von Schnoddrigkeiten im Tone der Bibelforscher strotzte.“ Bereits mit Eintritt in die Verhandlung verweigerte ein Teil der Angeklagten den Hitler-Gruß und wurde dafür vom Vorsitzenden zur Rede gestellt.
Gustav Daub wurde zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Drei Angeklagte wurden freigesprochen, die übrigen erhielten Geldstrafen von 150 RM und 200 RM.
SNZ, 13.11.1935; SZ, 13.11.1935; allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Luise Daub
* 10.11.1879 in Kaan-Marienborn, gest. 28.3.1945 in Kaan-Marienborn
Luise Daub geb. Rothenpieler war verheiratet mit Gustav Daub. Beide bekannten sich zur christlichen Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.
Die Zeugen Jehovas, auch „Ernste Bibelforscher“ genannt, waren seit dem 24. Juni 1933 vom NS-Regime verboten. Trotz des Verbots verteilte Luise Daub weiter die Schriften Der Wachtturm und Das goldene Zeitalter der Gemeinschaft und traf sich mit Gleichgesinnten. Sie wurde am 20. November 1938 verhaftet und stand im April 1939 vor dem in Siegen tagenden Sondergericht Dortmund. Der Staatsanwalt erklärte, die Auflösung der Zeugen Jehovas sei „wegen fortgesetzter gehässiger Uebergriffe auf dem Gebiet des Politischen“ erfolgt. Die Angeklagten seien von ihrer Glaubensgemeinschaft angehalten worden, die Kriegsdienstpflicht mit der Waffe, den Hitler-Gruß und die Beteiligung an Wahlen zu verweigern. Diesen gefährlichen Ideen sei zu begegnen. Konkret wurde Luise Daub die widerrechtliche Verteilung der Gruppen-Schriften vorgeworfen und damit ein Verstoß gegen die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933. Als Hauptangeklagte wurde Luise Daub zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Sie wurde erneut festgenommen und vom 1. Juni 1939 bis zum 11. Juli 1939 in Hagen inhaftiert. Aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustands wurde sie wegen Haftunfähigkeit entlassen.
Nach dem Ende des NS-Regime bekam der Witwer Gustav Daub für diese Haftzeiten eine Entschädigung von 750 DM zugesprochen.
Auszug aus einem im Untergrund verteilten internen Schreiben der Zeugen Jehovas, 1943
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 58.967 und 38.967; SNZ, 13.11.1935, 17.4.1939; allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Albert Decker
* 25.5.1907 in Herzhausen
Der in Herzhausen lebende Hammerschmied Albert Decker war bis 1933 Mitglied der Zentrumspartei. Nach der Machtübergabe wurde er von örtlichen SA-Mitgliedern so schwer misshandelt, dass er drei Wochen bettlägrig war. Zwei unterschiedliche Begründungen werden in den Quellen dafür genannt, die sich jedoch in ihrem Kern decken. Einmal heißt es, Albert Decker habe bei den Reichstagwahlen am 5. März 1933 auf geheimer Wahl bestanden und es sei ihm vorgeworfen worden, eine von drei Stimmen gegen die NSDAP abgegeben zu haben (Elkar). Ein anderes Mal wird auf die Volksabstimmung am 12. November 1933 zum Austritt des Deutschen Reichs aus dem Völkerbund verwiesen. Albert Decker sei einer Nein-Stimme bezichtigt worden.
1947 führte der Überfall auf ihn zu einem durch Gang und Ausgang bemerkenswerten Strafverfahren, das als typisch für derartige regionale Prozesse gelten kann. Angeklagt waren die SA-Mitglieder Otto Bruch, Walter Bruch und Ewald Klöckner. Die ersten beiden wurden zu geringen Haftstrafen verurteilt, Klöckner als Haupttäter zu neun Monaten Gefängnis. Er wurde nach Verbüßung der Hälfte der Strafe entlassen. Er hatte im Verfahren erklärt, nicht zu Misshandlungen aufgefordert zu haben. Er habe nur gesagt, „macht mit ihm, was ihr wollt.“ Als Tat- und Belastungszeuge stand dem Gericht mit Lorenz Jäger ein weiteres Opfer der Klöckner-Gruppe zur Verfügung, als Leumunds- und Entlastungszeuge aber trat der Alte Parteigenosse Dr. jur. Emil Hoffmann für Klöckner ein.
Der Entnazifizierungsausschuss betrachtete wie zuvor das Gericht die Klöckner-Entlastungen als gesicherte Tatsachen. Er sah Klöckner als nur „nominelles Mitglied“ der NSDAP, der in den NS-Jahren „immer mehr Nazi-Gegner“ geworden sei.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 42-692 (Albert Decker), NW 1.127-1.406 (Ewald Klöckner); Fr/Rt, 4.7.1947; WR/Rt, 12.7.1947; Elkar, 252
Emil Denker
* 12.10.1889 in Salchendorf bei Neunkirchen, gest. 23.11.1934 Salchendorf bei Neunkirchen
Der Former Emil Denker war Soldat im Ersten Weltkrieg und kehrte 1918 kriegsversehrt (Lungendurchschuss) aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Als Arbeiter war er gewerkschaftlich organisiert. Er war Mitglied der SPD und Vorsitzender des Ortsvereins Freier Grund – Wilden. Bis 1933 war er auch Mitglied im Reichbanner Schwarz-Rot-Gold. Von den SA-Schlägern um Richard Odendahl wurde er am 6. Mai 1933 in der Waschküche seines Hauses zusammengeschlagen, unversorgt in das Spritzenhaus in Neunkirchen gebracht und dort eingesperrt. Er starb nach längerer Leidenszeit am 23. November 1934 an den Folgen der Misshandlungen. Seine hochschwangere Ehefrau Christina geb. Jung erlitt daraufhin eine Frühgeburt. Mutter und Kind starben noch in derselben Nacht.
Odendahl wurde 1949 wegen dieses und weiterer Verbrechen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Die staatsanwaltliche Maxime gegenüber Odendahl und seinen Mittätern war gewesen, „das Urteil möge sühnen, aber auch versöhnen.“
Ein Artikel im virtuellen Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen und seit 2016 zwei Stolpersteine erinnern an Christina und Emil Denker.
SZ, 6.11.1929, 3.3.1933, 3.12.1949; WP/Rt, 12.3., 19.3.1948; WR/Rt, 20.3.1948; Opfermann 2001, 219; Pfau 2003, 22; Uhr, 21; Aktives Gedenkbuch zu Christina Denker und zu Emil Denker
Der Vollzugsbeamte Johann Deutschmanek aus Weidenau wurde am 11.11.1940 von der Gestapo Siegen wegen abfälliger Äußerungen gegen Staat und Führer und wegen Abhörens fremder Sender („Rundfunkverbrechen“) festgenommen. Nach Vernehmung durch den Gestapobeamten Weitendorf wurde er wieder entlassen.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.117-1.141 (Max Koschuch); EB 1940
Heinrich „Heinz“ Dickel
* 11.1.1908 in Berleburg
Der Sohn Heinz des Kammerjägers Heinrich Dickel gt. Lagerin vom Altengraben und Schwager von Franz Rebstock, einem Bewohner des Berleburger „Zigeunerbergs“ mit Sinto-Herkunft, war bis zum Verbot 1933 Mitglied der KPD und aktiver Antifaschist. So nahm er noch 1933 an einem „Demonstrationszug“ gegen die NS-Bedrohung teil. Damit wurde seine Festnahme durch SA und/oder SS und die lokale Polizei wenige Wochen später begründet. Heinz Dickel kam in Polizeihaft und wurde bewusstlos geschlagen, bis „das Blut an den Wänden spritzte“, wie sein Vater 1949 in einem ausführlichen Bericht mitteilte. Die Polizei habe damit gedroht, „er würde einem K.Z.Lager überwiesen“. Das geschah offenbar nicht, aber wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt sei Heinz, so der Vater, zu einer Haft von drei Monaten verurteilt worden.
In der Darstellung des Vaters von 1949 fehlt jeder Hinweis erstens auf die KPD-Mitgliedschaft des Sohns und zweitens auf einen Zusammenhang der Altengrabener Dickels mit der Sinto-Minderheit.
Heinrich Dickel nennt zur Frage seiner Abstammung „Halbjuden“, weswegen seine Söhne aus der Wehrmacht entlassen worden seien, und eine Einstufung als „nicht arisch … und … den Juden gleichgestellt“. Es seien die von ihm vorgelegten Herkunftsnachweise der Kripo Dortmund übergeben worden. Zuständig für „Zigeuner“ war die Kripo, für die jüdische Minderheit die Gestapo. Die Entlassungen aus der Wehrmacht dürften tatsächlich auf die Vorschriften gegen „Zigeuner“ und „Zigeunermischlinge“ zurückzuführen sein. Offenbar ging der Vater 1949 davon aus, dass Antikommunismus und Antiziganismus als staatliche Verfolgungsmotive nicht mit dem Nazi-Regime untergegangen waren.
Nach der Machtübergabe 1933 erfolgten bei dem Sohn Heinz mehrere Hausdurchsuchungen durch die Polizei und die SS.
Nach dem Ende des NS-Regimes wurde Heinz Dickel kaufmännischer Angestellter, Mitglied der SPD und deren Vorsitzender im Kreis Wittgenstein. Er war ab 1948 Bürgermeister der Stadt Berleburg und Mitglied im Wittgensteiner Kreistag.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.095-11.575 (Heinrich Dickel), NW 1.112-645 (Heinz Dickel), NW 1.118-1.261 (Hermann Kuhmichel); WR/Rt, 16.4.1947
Heinrich Dicker
* 6.12.1900 in Eiserfeld
gest. 13.2.1942 in Eiserfeld
Der Bergmann Heinrich Dicker war Mitglied der KPD. Als solcher wurde er am 28.3.1934 in Schutzhaft genommen. Bis zum 6.5.1934 wurde er im Polizeigefängnis Niederschelden inhaftiert, von dort wurde er in das Gerichtsgefängnis nach Siegen überstellt und von dort in das Konzentrationslager Esterwegen eingewiesen. Aus diesem wurde er am 6.11.1935 entlassen. Im Februar 1940 wurde er kurzzeitig zur Wehrmacht einberufen aber aufgrund seiner Berufserkrankung Silikose schon im Mai 1940 wieder entlassen. Heinrich Dicker starb am 13.2.1942 an TBC in Eiserfeld.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26791
Wilhelm Diehl
* 29.4.1892 in Siegen
Der Kanalarbeiter Wilhelm Diehl arbeitete seit 1932 bei den Stadtwerken Siegen. Mindestens seit 1929 war er Miglied der SPD und einer linken „freien Gewerkschaft. Am 15. April 1933 wurde er deshalb aus dem städtischen Dienst entlassen. Grundlage dafür war das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Nach der Entlassung fand er längere Zeit keine Arbeit. Die wöchentliche Wohlfahrtsunterstützung für ihn, seine Frau und die vier Kinder betrug 18 RM. Er wurde am 18. Juli 1936 bei den Stadtwerken wiedereingestellt. Nach dem Ende des Nazi-Systems wurde er als ns-geschädigt anerkannt und bekam eine Entschädigung für den Lohnverlust.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.880; ebenda, NW 1.110-3.263 (Theodor Steinbrück); SZ, 5.11.1929, 3.3.1933
Albert Dittmann
* 8.8.1901 in Niederschelderhütte
Der Gußputzer Albert Dittmann war ab 1923 Mitglied der KPD. Noch im selben Jahr wurde er unter dem Vorwurf festgenommen, sich gemeinsam mit anderen staatsgefährdend bewaffnet zu haben. Im „Siegerländer Kommunistenprozess“ wurde er 1925 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu einem Jahr und sechs Monaten Haft und 200 RM Geldstrafe verurteilt (siehe: Alfred Becker). Die Angeklagten hatten sich damit verteidigt, sich auf einen Rechtsputsch vorbereitet zu haben. Tatsächlich hatte der bereits in den Kapp-Putsch involvierte Siegerländer Landrat Heinrich Goedecke 1923 durch seinen vormaligen Assessor Otto Ehrensberger Waffen für Rechtsorganisationen im Siegerland besorgen lassen, was nicht unbekannt geblieben war, wie der damalige SPD-Vorsitzende Fritz Fries später mitteilte. Das hatte keine juristischen Folgen gehabt.
Albert Dittmann war Mitglied des Gemeinderats Niederschelderhütte und verblieb in dieser Rolle bis mindestens zum Mai 1933. Am 16. Mai tagte der Gemeinderat von Niederschelderhütte. Beim Absingen des Deutschlandlieds blieb Albert Dittmann als einziger demonstrativ sitzen.
Nach 1945 war er wieder Mitglied der KPD und kandidierte 1948 für die Kreisvertretung im Kreis Altenkirchen.
BA Berlin, R 3.003, ORA/RG, Nr. 12J55/31, 13J948/23 und 24, 14aJ321/24; Dynamit; Jarchow; 60 Jahre SPD Kreisverband Altenkirchen
Karl Dornseifer
* 9.9.1891 in Weidenau, gest. 5.8.1933 in Kreuztal
Der Blechschlosser Karl Dornseifer aus Weidenau, Sohn eines Weidenauer Hüttenarbeiters, kehrte als Schwerkriegsbeschädigter aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Aufgrund der Kriegsbeschädigung konnte er seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben und arbeitete als Händler. Im Jahre 1923 heiratete er Hedwig Münker aus Kreuztal. Das Paar hatte einen Sohn Martin und wohnte in Kreuztal.
Karl Dornseifer war bis zum Betätigungsverbot gegen Sozialdemokraten im Juni 1933 Mitglied der SPD. Am 5. August 1933 wurde er auf offener Straße durch den SA-Angehörigen Karl Pfeifer, einen „Alten Parteigenossen“, durch einen Pistolenschuss in den Bauch angeschossen und anschließend in den Kopf gezielt erschossen. Keine der verbliebenen drei nicht unmittelbar der NSDAP unterstellten Siegerländer Zeitungen teilte ihren Lesern das spektatuläre Verbrechen mit. Nur eine kleine Todesanzeige, die keinen Bezug zu den Todesumständen enthielt, erschien drei Tage später in der Siegener Zeitung. Die Beerdigung von Karl Dornseifer wurde von der SA durch den Geräuschpegel eines für diesen Zeitpunkt auf einem nahen Schießstand angesetzten Übungsschießens gestört.
Ursächlich für den Mord war die Gegnerschaft des Sozialdemokraten Dornseifer gegen das NS-System und einer der Anlässe wohl dessen Äußerung über ein Hitlerbild, das er offenbar zu seinem Leidwesen bei einer Verlosung gewonnen hatte. Er habe erklärt, hieß es später im Entschädigungsverfahren, „er wolle das Bild mit Brettern einer Margarinekiste einrahmen und auf den Abort hängen.“
Der Täter Pfeifer wurde zwar anschließend verhaftet, erhielt aber noch am gleichen Abend Besuch durch den SA-Führer Paul Giesler, der ihn mit Handschlag und mit „Treue um Treue“ begrüßte. Nach einer Erinnerung des vormaligen Amtsbürgermeisters Dr. Erich Moning, einem SA- und Parteimitglied, sei Pfeifer zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden. Dazu passt nicht, dass er bereits einige Monate nach dem Mord auf freiem Fuß war und als Kammerwart an der SA-Sportschule Hamm II (1934) arbeitete. Dort fiel er schon bald wieder auf, weil er SA-Angehörige mit einer Schusswaffe bedrohte. Die anschließenden Ermittlungen gegen Pfeifer endeten mit einer Ermahnung durch den Standartenführer.
Nach dem Zusammenbruch des NS-Systems wurde ein Verfahren gegen den Mörder angestrebt, das erfolglos blieb, weil Pfeifer bereits 1944 verstorben war.
Die Beerdigung von Karl Dornseifer hatte in den Händen des Ferndorfer „Deutsche-Christen“-Pfarrers August Wehmeier gelegen. Im späten Rückblick nahm er in der Rolle des „Zeitzeugen“ das Geschehen zum Anlass, sich als NS-Gegner darzustellen, der er als Mitglied der DC-Bewegung mindestens zu diesem Zeitpunkt nicht gewesen sein kann. Er erklärte, man habe ihn zwar von einer scharfen Predigt abzuhalten versucht, er aber habe mutig kein Blatt vor den Mund genommen. Er habe nämlich mit einem Johannes-Zitat bekundet ,“Herr, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Das dürfte, falls es stimmen sollte, wenig zu dem Spruch der Todesanzeige der Familie gepasst haben: „Es ist der Herr [gewesen], er tue, was ihm wohl gefällt.“
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-3 (Paul Flender); LA NRW Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.527; SZ, 8.8.1933; WR/Sl, 13.11.1982, 4.8.2018; genealogy.net
W. Dornseiffer war Mitglied der SPD und wechselte in die linke USPD. 1935 stand er vor dem in Siegen tagenden Sondergericht Dortmund, weil er, wie es hieß, in einer Weidenauer Gaststätte „gehässige und hetzerische Aeußerungen gegenüber führenden Persönlichkeiten der Partei getan und die Hakenkreuzfahne beschimpft“ habe. Er wurde denunziert, angeklagt und nach dem Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei („Heimtückegesetz“) vom 20. Dezember 1934 zu drei Monaten und zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Dabei wurde zu seinen Gunsten gewertet, dass er angetrunken und unzurechnungsfähig gewesen sei, so dass der § 51, 2 herangezogen werden könne.
SNZ, 30.9.1935; SZ, 30.9.1935
Die Laaspher Verwaltungsangestellte der fürstlichen Rentkammer Wittgenstein Katharina Duchardt nahm während des antisemitischen Pogroms in Laasphe am 9. November 1938, das sich in Gestalt einer nächtlichen Verwüstungsorgie von Laaspher Mob unterschiedlicher sozialer Zuordnung in der Kleinstadt ereignete, eine der beiden jüdischen Familien Gunzenhäuser in ihrem Haus auf. Es ist nicht bekannt, ob dem eine Denunziation oder Sanktionen gefolgt sind.
Von anderen Laasphern ist bekannt, dass sie jüdische Bitten um Aufnahme und Schutz ausdrücklich ablehnten.
Opfermann 2009, 105; Schmidt 1991, 93
Alfred Duchhardt
* 16.8.1901 in Berghausen
Der Schuhmacher Alfred Duchhardt aus Berghausen war Mitglied der KPD und deren Kreisvorsitzender in Wittgenstein. Nach der Machtübergabe erfolgten bei ihm mehrere Hausdurchsuchungen, und er wurde mehrmals in Haft genommen. Aufgrund seiner Gegnerschaft zur NS-Bewegung und zum NS-System verlor er seine Arbeitsstelle.
Nach der Befreiung wurde er von der Militärregierung in den Wittgensteiner Kreistag berufen. Er war Vorsitzender des Entnazifizierungsausschusses im Kreis Wittgenstein.
Nach einer 1946 von der Stadt Berleburg zusammengestellten „Nachweisung“ wurde er aus politischen Motiven „durch Grausamkeit oder Sadismus misshandelt“.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.037-A/Reg.-15.974 (Otto Marloh); StABb, Nr. 151, 244 b
Luise Eck geb. Mees wurde im Oktober 1943 wegen „staatsabträglicher Reden“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert und wenig später von der Gestapo abgeholt.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 114-35 (Luise Eck)
Gustav Adolf Friedrich Emde
* 5.9.1898 in Siegen, gest. 20.2.1945 KZ Dachau
Gustav Emde war der Sohn von Friedrich und Mathilde Emde geb. Bub. Er hatte zwei Geschwister, Paul und Elisabeth. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat. 1927 heiratete er die am 15. Juni 1897 in Wipperfürth geborene Agnes Wieser. Über seine Jahre in der Weimarer Republik ist ansonsten nichts bekannt.
Der Siegener Arbeiter und Kesselwärter arbeitete seit Ende der 1930er Jahre bei der Firma Siegas Metallwarenfabrik Wilhelm Loh KG, in Siegen. Dort wurde er während des „Ausländereinsatzes“ als Wachmann für das firmeneigene Lager für sowjetische Zwangsarbeiterinnen eingesetzt, das etwa 50 bis 60 Insassinnen hatte.
Im Juli 1944 wurde Gustav Emde aufgrund von Denunziationen durch den Siegener Gestapobeamten Otto Faust, dem Referenten für „Ostarbeiter“, verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, ein „Verhältnis zu einer Ostarbeiterin“ zu haben. Zunächst in Siegen und Herne inhaftiert, wurde Gustav Emde am 23. Dezember 1944 als „Schutzhäftling“ in das Konzentrationslager Dachau eingewiesen. Dort verstarb er einige Wochen später. Die Sterbeurkunde wurde am 1. März 1945 ausgestellt. Sie gibt an, er sei an einer „Herzmuskelentzündung“ gestorben. Sie entstand nach den Angaben des Kriminalsekretärs und Leiters der Politischen Abteilung Otto Kloppmann, der bis zum Juli 1944 diese Funktion auch im Vernichtungslager Majdanek gehabt hatte.
Während der Entschädigungsantrag von Agnes Emde in den 1950er Jahren mit der Begründung abgelehnt wurde, ihr Mann sei kein politisch, rassisch oder religiös Verfolgter gewesen, war Kloppmann spätestens ab 1954 in Nordenham wieder als Polizeimeister tätig und verblieb in dieser Funktion bis zu seiner Pensionierung 1962.
Häftlingskartei
Das Aktive Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen und ein Stolperstein erinnern heute an Gustav Emde.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-1.1362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; EB 1935, 1940; Totenbuch Dachau, 39; Mitteilung Gedenkstätte Dachau; Aktives Gedenkbuch
Hermann Engelbert
* 1.5.1880 in Hilchenbach, gest. 9.12.1953 in Hamburg
Der Volksschullehrer Hermann Engelbert war Mitglied der SPD und in der Novemberrevolution Mitglied des Arbeiter- und Soldatenrats Siegen. Er schrieb unter dem Pseudonym „Frau Brätsch“ regelmäßig in der regionalen Siegener Volks-Zeitung der SPD, kommentierte die Politik und wandte sich nach der Erinnerung von Fritz Fries dort vor allem gegen den deutschnationalen Stahlhelm, einen engen Bündnispartner der NSDAP.
Zum Zeitpunkt der Machtübergabe war er Konrektor in Kreuztal. Eine Razzia bei dem SPD-Vorsitzenden Fritz Fries deckte sein Pseudonym auf. SA prügelte ihn aus der Schule und nahm ihn in „Schutzhaft„. Bei einer Hausdurchsuchung hatte man angeblich eine geladene Pistole in einem Schrank gefunden. Die National-Zeitung der Nazis verleumdete ihn nach seiner Verhaftung auf das Übelste und diffamierte ihn als durch „die ständigen Besudeleien des nationalen Denkens und der nationalen Symbole“ allgemein bekanntes „marxistisches Subjekt“ und als „Gesinnungslumpen“.
Zu einem Verfahren gegen das Opfer des Überfalls wie in anderen Fällen führte das nicht, aber Hermann Engelbert wurde aus dem Schuldienst entlassen.
Ein neues Unterkommen fand er in den folgenden Jahren in der Verwaltung der dem Rechtsspektrum traditionell eng verbundenen Siegener Zeitung, die ab 1939 mit Friedrich Alfred Beck einen in Westfalen prominenten Nazi als Hauptschriftleiter hatte. Unter dem Kürzel „hek“ (für Hermann Engelbert, Kreuztal) durfte Engelbert dort als Heimatautor weiter tätig sein. Dazu passte er sich in Ton und Inhalt deutlich den Zeitverhältnissen an.
So wenn er 1936 zum 25jährigen Bestehen des konservativen Siegerländer Heimatvereins diesem dafür dankte, „dem heimischen und deutschen Volkstum ein Segen gewesen“ zu sein, und dafür, dass durch diesen auch er inzwischen begriffen habe, „daß unsere Dorfkirchhöfe keine Judenfriedhöfe sein dürfen.“ Ihm, Engelbert, sei als „Dolmetsch unserer Heimatliebe“ vor allem gelegen, „die Seele unseres Bodens und Blutes“ darzustellen.
Im Jahr darauf ehrte er den 75jährigen Heimatautor, Lokalpolitiker und notorischen Antisemiten Jakob Henrich als „Dolmetsch“ der „Heroldsrufe“ von Adolf Stoecker, nach Selbstbeschreibung der „Vater der antisemitischen Bewegung“ und tatsächlich der Gründer sowie langjährige Vorsitzende eines Vorläufers der NSDAP.
Zum Westfalentag 1938 sprach Engelbert völkisch-erbbiologisch die eingesessene Bewohnerschaft des Siegerlands als seine „Blutsgenossen“ an, die das „schöne, ewige und vertraute Heimatgesicht“ aufweisen würden, welches „Stammesblut“ geformt habe, so dass man den fremden „Überläufer“ an der Nasenspitze erkennen könne: „Das Gesicht verrät ihn!“ Das war ein für jedermann erkennbarer antisemitisch-gehässiger Anklang an die „Judennase“.
Nach dem NS-Ende trat Hermann Engelbert erneut in die SPD ein. Er spielte eine führende Rolle in Entnazifizierungsverfahren, auch durch zahlreiche Entlastungserklärungen. Er war führend beim Wiederaufbau des regionalen Schulwesens, Kreisschulrat und Kreisheimatpfleger.
Schriften:
– mit Ernst Ebberg u. a., Verwaltungs-Bericht des Amtes Ferndorf für die Zeit von 1905, o. O. 1930
– Hinterhüttsche Chronik, Kreuztal 1994
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-174, NW 1.127-1.066 (Lothar Irle); SNZ, 16.5., 27.5.1933, 18.4.1934; SZ, 25.4.1936, 26.2.1937, 8.7.1938; WR/Rt, 13.1.2008; Irle 1974, 80; Opfermann 2001, 220; Vitt, passim; Zabel, 131; Regionales Personenlexikon, Hermann Engelbert
Peter Ermert wurde 1940 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ sieben Monate in Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Robert Ermert
* 2.5.1907 in Eiserfeld, gest. 8.7.1972 in Netphen
Robert Ermert war aktiv in der katholischen Jugendbewegung und zu Beginn der 30er Jahre deren Vorsitzender im Dekanat Siegen. In dieser Funktion war er als NS-Gegner im Siegerland bekannt. Bereits im Juni 1932 wurde er von der SA in Eiserfeld überfallen und durch zwei Messerstiche verletzt. Als Verwaltungsangestellter leitete er die Nebenstelle des Siegener Arbeitsamts in Bad Berleburg.
Schon kurze Zeit nach der Machtübergabe wurde öffentlich durch Anhänger des NS-Systems seine Entlassung aus dieser Position gefordert. Der Amtsleiter Dr. Adolf Kirschner versetzte ihn stattdessen nach Olpe. Weiterhin war er in katholischen Vereinen tätig, so als Präfekt im Katholischen Männerverein Geisweid. Im Juli 1937 hatte er ein Gespräch mit dem Kreispersonalleiter Wüsthoff in Olpe, in diesem Gespräch äußerte sich Wüsthoff wie folgt: „Die NSDAP hat … keine Veranlassung, Volksgenossen in öffentlichen Stellungen zu belassen, denen konfessionelle Vereine, die mehr oder weniger eine staatsfeindliche Tendenz haben, lieber sind als die Formationen und Gliederungen der NSDAP.“ Im August 1937 erfolgte dann die fristlose Entlassung. Die Gestapo beobachtete ihn weiterhin und meldete im September 1937, dass Ermert weiterhin politisch unzuverlässig und ein fanatischer Anhänger der römisch-katholischen Kirche sei. Aufgrund dieser Stellungnahme konnte er im Kreis Siegen keine neue Arbeitsstelle finden und entschloss sich nach mehrmonatiger Arbeitslosigkeit eine Stelle in der Glaswerkstatt Süssmuth in Schlesien anzunehmen. 1938 kehrte er zurück und arbeitete bis zum Ende des NS-Systems bei der Eisern-Siegener-Eisenbahn.
Ab ersten Juni 1945 war er Amtsbürgermeister in Netphen und nach Aufteilung der Verwaltungsspitze in einen ehrenamtlichen Bürgermeister und eine hauptamtliche Leitung der Verwaltung ab März 1946 Amtsdirektor des Amtes Netphen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.940; Irle 1974, 82
Vinzenz Euteneuer wurde im Sommer 1942 wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“ im Landgerichtsgefängnis Siegen einen Monat lang inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
F
Theodor Ferber
* 9.2.1874 in Kaan-Marienborn
Theodor Ferber war ein Siegener Kaufmann, Inhaber eines Herrenbekleidungsgeschäfts am Kornmarkt, der der jüdischen Minderheit angehörte und in der Jüdischen Gemeinde aktiv mitarbeitete, in deren Vorstand er 1924 gewählt wurde.
Als im Juli 1923 während des Schützenfests die Häuser durchgängig schwarz-weiß-rot beflaggt waren, setzte Theodor Ferber in der Oberstadt als einziger eine schwarz-rot-goldene Fahne. Sie war das Symbol der demokratischen Republik, die von Antisemiten als „Judenrepublik“ geschmäht wurde, schwarz-weiß-rot das Symbol der Gegnerschaft zu Republik und Verfassung und in allen Weimarer Jahren im Siegerland und in Wittgenstein dominierend. Theodor Ferber wurde daraufhin von angetrunkenen Anhängern des Rechtsspektrums angepöbelt und von ihnen gezwungen, die Fahne zu entfernen.
Im März 1938 flüchtete die Familie in die Niederlande, nachdem ihr betriebliches Eigentum „arisiert“ worden war und ein großer Teil des privaten ebenfalls den Eigentümer gewechselt hatte.
Ein Artikel im virtuellen Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen erinnert an die Familie Ferber.
LA NRW, Abt. Westfalen, Gauleitung Westfalen-Süden, Gauwirtschaftsberater, Nr. 75; LA NRW, Abt. Westfalen, K 340, Nr. 1.183 [zum Siegener „Flaggenstreit“]; SZ, 13., 14.7.1923, ; V, 14.7.1923; Dietermann 1998, 108; Opfermann 2009, 48, 116; Aktives Gedenkbuch
Maria Elisabeth Hedwig Finger
* 5.1.1899 in Siegen, gest. 29.7.1974 in Siegen, kath.
Die Einzelhandelskauffrau Hedwig Finger geb. Schwunk war die Tochter eines Siegener Tabakwarenhändlers. Nach Volks- und Handelsschule arbeitete sie als Kontoristin. 1923 heiratete sie den Siegener Schneidermeister Engelbert Johann Josef Finger. Die beiden hatten sieben Kinder. Zusammen mit ihrem Mann betrieb sie ein Bekleidungshaus für Herren am Marburger Tor.
Hedwig Finger hatte viel politisches Interesse und eine hohe Bereitschaft zum Engagement. Parteipolitisch seit 1923 im Zentrum organisiert trat sie 1924 in die bürgerlich-liberale Deutsche Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) ein, die von der NSDAP und anderen rechtsgerichteten Zusammenschlüssen bekämpft wurde.
Aufruf zu Veranstaltung gegen drohende Kriegsgefahr, Januar 1932 – Mitveranstalter: Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, deutsche Rednerin: Erika Mann
Zu einem unbekannten Zeitpunkt wurde sie Mitglied im Friedensbund deutscher Katholiken (FDK). Sie war aktiv in der lokalen Caritas, die sie als Vorsitzende von 1930 bis 1933 leitete.
Seit 1930 hatte sich der FDK die Bekämpfung der NS-Bewegung zu einer seiner Aufgaben gemacht. Auf seine Initiative ging die „Arbeitsgemeinschaft der Konfessionen für den Frieden“ zurück, dem auch der Jüdische Friedensbund angehörte. Erfolglos erbat der FDK im März 1933 eine Intervention der katholischen Bischöfe zugunsten der Juden. Nachdem der katholische Friedensbund im Juli 1933 verboten worden war und desen Mitglieder damit der Verfolgung ausgesetzt waren, verweigerten die Bischöfe ihnen ihren Schutz und begünstigten so die Repression durch NS-Maßnahmen. Ob und inwieweit Hedwig Finger davon betroffen war, dazu gibt es bislang nur ihre kurze Mitteilung im Entnazifizierungsfragebogen, „geschäftlichen Benachteiligungen aller Art“ ausgesetzt gewesen zu sein.
Nach dem Ende des NS-Regimes trat sie in die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG) ein und war 1946 an der Gründung der regionalen CDU beteiligt, die sie von 1946 bis 1954 zunächst als berufenes, dann als gewähltes Mitglied im nordrhein-westfälischen Landtag vertrat, aber aufgrund der Remilitarisierungspolitik wieder verließ. Zeitweise war sie Mitglied des der CDU eng verbundenen Bunds der Verfolgten des Nazi-Regimes (BVN).
Internationale Friedensfahrt der DFG auf dem Rhein, Köln-Remagen, Juni 1967; Hedwig Finger oben rechts mit der Siegener Teilnehmerin Frau Huismann, auf den Tischen die rote Nelke, das traditionelle Symbol der Arbeiterbewegung
1951 nahm Hedwig Finger am „Kongreß der Frauen und Mütter für den Frieden“, dem Gründungskongress der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung (WFFB), in Velbert teil.
1958 gehörte sie dem regionalen Ausschuss „Kampf dem Atomtod“ an. Gemeinsam mit der WFFB-Präsidentin, der weithin bekannten sowohl von den Nazis wie von den bundesdeutschen Instanzen als Prokommunistin überwachten und bekämpften Pazifistin Klara-Marie Fassbinder, zählte Hedwig Finger zu den Mitbegründern des „Ständigen Kongresses aller Gegner der atomaren Aufrüstung in der Bundesrepublik“, der sich im Juni 1958 in Gelsenkirchen konstituierte, und war Mitglied des Präsidiums. U. a. aus dem Kongresskreis wurde 1960 die Deutsche Friedens-Union (DFU) gegründet, der Hedwig Finger beitrat. Sie war Mitglied im Bezirksvorstand Siegen-Wittgenstein, kandidierte für die DFU 1961 zum Bundestag und war seit 1962 bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre Mitglied im Bundesvorstand der DFU.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.039 F-1.590; WR/Rt, 28.4.1958; PS Ulrich F. Opfermann, Mitgliederkartei der DFG, 1960er Jahre; Blanchet, 15, 42, 46; Irle 1974, 87f.; Appelius, 421; Kreisarchiv S-W, Personenartikel
Nach der Machtübergabe 1933 wurde die Wohnung des Schweißers Fritz Flug im Billweg 1 in Weidenau nach regimefeindlichem Material durchsucht.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.117-1.141 (Max Koschuch); EB 1940
Hermann Forschepiepe
* 11.8.1902 in Siegen, gest. 8.10.1986, ev.
Hermann Forschepiepe war ein Sohn des bekannten Siegener Kaufmanns und Sportlers Wilhelm Forschepiepe, der über Jahrzehnte den TV Jahn Siegen 1879 leitete. Er machte nach der Schule eine kaufmännische Lehre in einem Industriebetrieb. Er war verheiratet mit Ilse Forschepiepe geb. Palm.
Seit der Gründung des Hauptausschusses für deutsche Jugendherbergen (später: Reichsverband für Deutsche Jugendherbergen) 1919 war Hermann Forschepiepe, „Wandervogel“, an der Seite des Mitgründers und Geschäftsführers, des Hilchenbachers Wilhelm Münker, zunächst ehrenamtlich, seit 1923 hauptamtlich in der zentralen Geschäftsstelle in dessen großem Privathaus tätig. Bis 1929 war er zugleich Stadtjugendpfleger.
Hermann Forschepiepe war eng der Lebensreformbewegung verbunden. Er baute die Jugendburg Freusburg zum Sitz und Veranstaltungsort der von ihm gegründeten Freusburg-Arbeitsgemeinschaft für Lebenserneuerung aus. 1931 (oder 1934/35?) gründete sie sich zum Neuleben-Kreis für natürliche Lebensgestaltung um. 1939 löste sie sich auf oder wurde aufgelöst. Damit endete zugleich die von Forschepiepe im Selbstverlag herausgegebene Vegetarier- und Lebensreformzeitschrift Neuleben. Parteipolitisch organisierte er sich 1932 und 1933 in der nach rechts gerückten 1930 entstandenen Nachfolgepartei DStP der vormals linksliberalen DDP. Im gleichen Jahr wurde er auch Mitglied der pazifistischen Deutschen Friedensgesellschaft (DFG).
Nach der Machtübergabe wurde im April 1933 der Hilchenbacher Sitz des Jugendherbergsverbands von Polizei, SA und HJ auf Berliner Anweisung besetzt. Er und die Wohnung des stellvertretenden Geschäftsführers Forschepiepe wurden durchsucht. Man habe, hieß es dann, an beiden Orten „stark belastendes Material“ gefunden, bei Forschepiepe zudem solches „über die Verbindung mit staatsfeindlichen Elementen“. Er wurde von der NS-Reichsjugendführung entlassen und vorübergehend inhaftiert. Damit werde, kommentierte die Siegener Zeitung befriedigt, auch „das Theater der internationalen Tagungen auf der Jugendburg Freusburg“ verschwinden. Die lokale Presse verbreitete, Forschepiepe habe Geld unterschlagen. Der Vorwurf war „völlig aus der Luft gegriffen“ (Elkar). Das Verfahren musste im Juli eingestellt werden.
Trotz der Anfeindungen konnte er anschließend hauptamtlich in die 1934 zur rassepolitischen Gleichschaltung der Lebensreformbewegung gegründete Deutsche Gesellschaft für Lebensreform wechseln. Deren Vorsitzender war der vormalige Gründer der Thule-Gesellschaft und Altnazi Hanns Georg Müller vom Hauptamt für Volksgesundheit der NSDAP.
Seine Verlegerrolle konnte Hermann Forschpiepe nach Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer (spätestens 1940) fortführen. Er publizierte wenig und Abseitiges, etwa Schriften des Siegener religiös-philosophischen Gymnasiallehrers Edmund Mugler.
Befreundet war das Ehepaar Forschepiepe mit dem 1933 aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassenen jüdischen Medizinalrat Dr. Artur Sueßmann und dessen Frau Else. Als die beiden, um ihrer Deportation zu entgehen, am 16. Juni 1942 Selbstmord begangen hatten, gehörten Forschepiepes zu den wenigen Teilnehmern der Beerdigung.
1947 erklärte Forschpiepe in seinem Entnazifizierungsverfahren, von der HJ „ständig verfolgt“ und „wirtschaftlich geschädigt“ worden zu sein. Er habe „in jeder mir möglichen Form gegen die Nazis gearbeitet.“ Belege liegen nicht vor. Von 1935 bis 1945 sei er „selbständiger Buch- und Zeitschriftenverleger“, 1942 bis 1944 zudem Geschäftsführer der Wirtschaftsgruppe Blechwarenindustrie im Siegerland gewesen. Seine Arbeit für die Deutsche Gesellschaft für Lebensreform verschwieg er. Von 1935 bis 1945 sei der familiäre Unterhalt allein aus dem Verlagserlös gekommen.
16. Welt-Vegetarier-Kongress, 20.8.1960, Haus des Vegetarismus in Hannover, Empfangsdinner: Hermann Forschepiepe, mit Gesicht zum Betrachter in der Mitte
Nach dem Ende des NS-Systems trat Hermann Forschepiepe erneut in die DFG ein und der VVN bei, wechselte aber bald in den von der CDU gegründeten Bund der Verfolgten des Nazi-Regimes (BVN) und leitete in den 1950er Jahren den gemeinsamen Sozialausschuss der NS-Verfolgten im Siegerland. 1947 war er Amts- und Stadtdirektor in Hilchenbach. Er war einer der führenden Köpfe und der Geschäftsführer des 1956 von dem Arzt Bodo Manstein gegründeten Kampfbunds gegen Atomschäden, der früh auch die nichtmilitärische Nutzung der Atomkraft ablehnte, den Vorrang der Gesundheit vor Wirtschaftsinteressen forderte und auch gegen den Krieg der USA in Vietnam Stellung bezog. Die DFG war korporatives Mitglied des „Kampfbunds“. In dem Hilchenbacher Verlag erschien dessen von Manstein geleitete Zeitschrift „Das Gewissen“.
Zeitschrift Das Gewissen des Kampfbunds gegen Atomschäden mit Leitartikel zu Vietnam, 1965
Mit Abgrenzung nach links reagierte Hermann Forschpiepe auf den medial und politisch gegen Militär- und Atomgegner gerichteten Antikommunismus. Hauptaktionsfeld wurde die Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundheits-Bewegung, in der der „Kampfbund“ aufging. Hermann Forschepiepe war einer der drei Vorsitzenden und verlegte deren Medizinalpolitische Rundschau (später: Gesundes Leben). Er war Vizepräsident der Europäischen Union gegen den Mißbrauch der Tiere, Impfzwanggegner und Vorsitzender des Schutzverbands für Impfgeschädigte e. V.
1971 wurde er vom Verband Deutscher Heilpraktiker mit der Goldenen Hahnemann-Medaille und im Jahr darauf mit der Priesnitz-Medaille der Deutschen Heilpraktikerschaft ausgezeichnet.
Literatur:
– Florentine Fritzen, Gesünder leben. Die Lebensreformbewegung im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 17-11 (Hermann Forschepiepe); PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland; SNZ, 14.12.1942; SZ, 19.10.1928, 10., 12.4., 15.7.1933, 26.10.1953, 9.10.1986; V, 5.10.1928, 8.10.1929; WR/Rt, 6.11.1946; Appelius, 402; Butterwegge, 179; Irle 1974, 93f.; Elkar, 245, 288; Fries/Prange, 31; Fritzen, 147 (Personenartikel), passim; Irle 1974, 93f.
Georg Frank
* 3.10.1891 in Schwarzenau
Der Landwirt und Händler Georg Frank aus Schwarzenau war Mitglied der linken USPD (1921), dann bis 1933 der SPD. Nach dem Machtantritt der Regierung Hitler wurde er in „Schutzhaft“ genommen und anschließend unter Polizeiaufsicht gestellt. Nach einer 1946 von der Stadt Berleburg zusammengestellten „Nachweisung“ wurde er aus politischen Motiven „durch Grausamkeit oder Sadismus misshandelt“. Nach der Befreiung wurde er im Mai 1945 zum Amtsdirektor berufen.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.118-650 (Georg Frank); StABb, Nr. 151; SZ, 14.2.1921
Heinrich Frank
* 29.1.1893 in Weidenau
Der Weidenauer Heinrich Frank war verheiratet mit Ida Frank geb. Giebeler aus Dreis-Tiefenbach. Er war bis August 1931 bei der Firma Schmidt & Melmer als Schwarzblechklempner beschäftigt, dann wurde er arbeitslos. Er war Mitglied der linken („freien“) Gewerkschaft Deutscher Metallarbeiter-Verband und politisch in der KPD organisiert, die er mit seiner Arbeitslosigkeit auch im Siegerländer Erwerbslosenausschuss vertrat.
Nach der Machtübergabe verließ er die Partei nicht und verteilte auch weiter ihre Flugschriften. 1933 wurde er im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand der Vorwurf, über einen – nicht aufzufindenden – Vervielfältigungsapparat für die Herstellung von Flugschriften gegen das NS-Regime verfügt zu haben. Es musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
Dennoch verbrachte Heinrich Frank neun Monate in Haft. Von März bis Juli 1933 war er im Arbeitshaus Benninghausen in „Schutzhaft“, von dort kam er in das KZ Börgermoor, aus dem er am 22. Dezember 1933 entlassen wurde. Nach der Haft fand er als NS-Gegner zunächst keine Arbeit. Im April 1934 wurde er der Firma Ernst Spies in Weidenau zugewiesen.
Nach dem Ende der NS-Regimes war Frank wieder Mitglied der KPD und trat der VVN bei.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 8-29 (Heinrich Frank); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.721;VVN-NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; SZ, 9.11.1929; PS Ulrich F. Opfermann
Friedrich Wilhelm („Fritz“) Fränken
* 15.1.1897 in Herrath (Kr. Grevenbroich), gest. 3.7. 1976 in Trier
Der Schlosser Fritz Fränken und seine Frau Anna geb. Jennessen lebten am linken Niederrhein. 1938 geschieden, heiratete er später Berta Fränken.
1920 trat Fritz Fränken in die KPD ein. 1927 war er Sekretär des Unterbezirks Düsseldorf, 1928 der Ortsgruppe Rheydt und Fraktionsführer im Stadtrat, 1929 Sekretär des Unterbezirks Krefeld. Von 1930 bis 1933 leitete er von Siegen aus den Unterbezirk Siegen-Olpe-Altenkirchen, der zum Bezirk Niederrhein der KPD gehörte.
1925 wurde Fritz Fränken in den Rheinischen Provinziallandtag gewählt und vertrat von 1928 bis 1933 seine Partei im Preußischen Landtag.
Bereits in der Weimarer Republik wurde er aus politischen Gründen angeklagt. 1924 wurde er wegen Landfriedensbruchs verurteilt. Im Januar 1932 war er Redner einer Veranstaltung der KPD in Klafeld zu „Volksrevolution gegen faschistische Diktatur“. Es folgte eine Anzeige. Er habe, lautete der Vorwurf, den Reichskanzler Brüning als „Hunger-Kanzler“ bezeichnet.
Nach der Machtübergabe an die NSDAP und ihre Bündnispartner wurde Fritz Fränken Anfang März 1933 in Wuppertal festgenommen und im KZ Sonnenburg inhaftiert (8.3.- 24.12.1933). 1933 wurde er im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer vor dem Oberlandesgericht Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat gemeinsam mit 27 weiteren Angehörigen und Unterstützern der KPD angeklagt. Im Mittelpunkt des Verfahrens stand der Vorwurf, über einen – nicht aufzufindenden – Vervielfältigungsapparat verfügt zu haben, mit dem Flugschriften gegen das NS-Regime hätten hergestellt werden können oder hergestellt worden seien. Da dem Gericht die Beweisführung nicht gelang, musste das Verfahren in allen Fällen eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
Im September 1933 wurde Fritz Fränken als vormaliger Leiter der Erwerbslosenausschüsse im Siegerland und als Redner einer Erwerbslosenkundgebung in Daaden, die im November 1932 stattgefunden hatte, vom Amtsgericht Kirchen (Sieg) wegen eines „Versammlungsvergehens“ zu drei Wochen Gefängnis verurteilt. Während des Verfahrens, für das Fritz Fränken aus dem KZ nach Kirchen gebracht worden war, hatte es, wie ein Zeitzeuge später mitteilte, einen Plan von Siegener Genossen gegeben, ihn zu befreien und in einem vorbereiteten „illegalen Quartier“ unterzubringen, was er abgelehnt habe.
KZ Sonnenburg, Haftort von Fritz Fränken; SZ, 13.4.1933
Nach der Entlassung aus dem KZ wurde er im April 1934 ein weiteres Mal verhaftet, konnte im weiteren Verlauf aber untertauchen und lebte illegal (1934-1935) in Norddeutschland. Dort übernahm er als „Oberberater“/“Politischer Leiter“ unter den Tarnnamen „der Alte“, „Emil“, „Walter“ und „Karl“ die Leitung des Bezirks Wasserkante der KPD. Er verließ im Mai 1935 Deutschland und ging über Prag nach Moskau. Dort gehörte er zum linken Flügel der Auslandsleitung der KPD. Im Oktober 1935 nahm er als „Fritz Goltz“ für Hamburg an der bei Moskau stattfindenden und als „Brüsseler Konferenz“ bezeichneten Tagung der KPD zur Lage in Deutschland teil. Es ging darum, im Anschluss an den VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale (KI) einen grundlegenden Wandel von Taktik und Strategie im Sinne einer aktiven Bündnispolitik mit sozialdemokratischen, anderen linken und mit bürgerlichen Kräften für Deutschland zu entwickeln.
Aus der UdSSR wurde Fränken von seiner Partei über Prag nach Frankreich geschickt. In Paris gehörte er der KPD-Emigrationsleitung an. Anfang 1937 wechselte er nach Spanien, um auf der Seite der Volksfront für die Erhaltung der spanischen Demokratie zu kämpfen. In diesem Jahr wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Er war unter dem Namen „Hans Golda“ als politischer Kommissar des Thälmann-Bataillons der Internationalen Brigaden eingesetzt und erlitt während der Kämpfe um Teruel im Januar 1938 mit dem Verlust des linken Unterarms eine schwere Verletzung. Er ging nun zurück nach Frankreich und setzte dort sein antifaschistisches Engagement gemeinsam mit Heinz Renner (KPD), Max Braun (SPD) und Lisa Kirbach (SPD) in der Führung des Freundschaftskreises für eine deutsche Volksfront fort. Er gehörte zu den Unterzeichnern der zwei Aufrufe des „Ausschusses der deutschen Opposition“ unter den Titeln „An das deutsche Volk“ und „An die Völker der demokratischen Länder“ von 1938.
Unter dem Decknamen „Jean Pierre Dussaut“ war er in der Résistance tätig und 1944 Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland für den Westen (Comité Allemagne libre pour l’Ouest [CALPO]). Fritz Fränken wurde von der französischen Polizei zweimal festgenommen, beim ersten Mal wurde er im Lager Le Vernet der Vichy-Regierung und nach der zweiten Festnahme in den Lagern Roland Garos und Les Milles inhaftiert.
Lager Le Vernet, Haftort von Fritz Fränken
1945 kehrte er in seine niederrheinische Heimat zurück und war für seine Partei in Führungsfunktionen tätig. Er war Erster Sekretär in Mönchengladbach und kandidierte für die KPD im Wahlbezirk Rheydt-Mönchengladbach-Viersen. Aufgrund der westdeutschen Remilitarisierungspolitik schloss er sich der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) an, deren Gruppenvorstand in Düsseldorf er angehörte, und im Vorstand des Landeskomitees NRW des 1949 gegründeten Westdeutschen Friedenskomitees, dessen führende Vertreter als „Rädelsführer“ wegen Unterstützung einer „kriminellen Vereinigung“ 1959/60 in Düsseldorf verurteilt wurden. Davon blieb er verschont. Er war Mitglied der Gemeinschaft der republikanischen Spanienfreiwilligen und beteiligte sich Ende der 1960er Jahre aktiv am Aufbau der DKP.
Autobiografisches:
– Max Schäfer (Hrsg.), Spanien – 1936 bis 1939. Erinnerungen von Interbrigadisten aus der BRD, Frankfurt a. M. 1976; Essen 2018, kommentierte Neuaufl. [fünf Kapitel]
Literatur:
– Werner Abel/Enrico Hilbert, „Sie werden nicht durchkommen“. Deutsche an der Seite der Spanischen Republik und der sozialen Revolution, Bd. 1, Lich 2015
– Gottfried Hamacher unter Mitarbeit von Andre Lohmar und Harald Wittstock, Deutsche in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“. Ein biographisches Lexikon. Arbeitsmaterial, Berlin 2003
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.006 -1.591 (Friedrich Fränken); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; Stadtarchiv Siegen, Kreis Siegen, Landratsamt, Nr. 1.183; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, Interview mit Ernst Stein, 28.10.1987; SZ, 31.7., 5., 11.8.1930, 5.4., 15.9.1933; Abel/Hilbert, 152f.; Appelius, 516, 545; Balzer, 89; Barth/Schweizer/Grimm, 415, 639; Hamacher, 59; Röder/Strauss, 185; Weber, S. 213f.; http://www.dkp-duesseldorf.de/0501MRZ.htm
Karl Josef Rudolf Frevel
* 16.1.1911 in Siegen
Der Kaufmann Rudolf Frevel gehörte der katholischen Jugendbewegung an und nahm vor 1933 an Gebetsaktionen der katholischen Friedensbewegung in der Kapelle des Marienkrankenhauses teil. Der Initiator dürfte mutmaßlich der Friedensbund deutscher Katholiken gewesen sein, zu dessen Selbstverständnis seit 1930 auch die Bekämpfung der NS-Bewegung gehörte und dem auch Siegerländer angehörten.
Bekanntes Motiv des Friedensbunds Deutscher Katholiken, 1933
Daneben war er Mitglied im Siegerländer Deutschen Roten Kreuz.
Rudolf Frevel arbeitete bis Juli 1939 im Bauunternehmen Anton Müller in Siegen, dann wurde er dienstverpflichtet und musste in den chemischen Werken in Marl-Hüls arbeiten. 1941 erfolgte seine Einberufung zur Wehrmacht. Wegen Wehrkraftzersetzung wurde er 1944 durch ein Kriegsgericht unter Vorsitz des Oberstabsrichters Paul Eisenberg und mit dem Ankläger Oberkriegsgerichtsrat Dr. Otto Wöhrmann zu zwei Jahren Haft verurteilt. Er verbrachte die Haft in Hofgeismar, Kassel und Berlin, wo er am 8. Mai 1945 befreit wurde.
Im Entschädigungsverfahren wurde Rudolf Frevel durch den Bund der Verfolgten des Nazi-Regimes (BVN) in Person von Hedwig Finger und Hermann Forschepiepe vertreten.
Nach dem Ende des NS-Regimes wurde Eisenberg, der vormalige Feldkriegsgerichtsrat bei der 433. und 463. Infanteriedivision, Amtsgerichtsrat in Lippstadt, und Wöhrmann, der vormalige Experte für politische Straftaten, stieg zum Präsidenten des Landwirtschaftssenats am Celler Oberlandesgericht auf.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.804; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.114-35 (Rudolf Frevel)
Konrad Gustav Karl Otto Frielinghaus
* 15.10.1907 in Oppeln, gest. 19.12.1968 in oder bei Blida (Algerien)
Konrad Frielinghaus kam aus großbürgerlichen Verhältnissen. Sein Großvater war Vorstandsmitglied des Bochumer Zechenverbands, sein Vater hoher preußischer Beamter. Der Sohn trat als Gymnasiast der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) der SPD bei. Nach dem Abitur 1926 arbeitete er ein Jahr als Bergarbeiter auf der Steinkohlenzeche Dannenbaum in Bochum-Laer, studierte – unterbrochen von einem Jahr im spanischen Bergbau und acht Monaten als Steiger im oberschlesischen Kohlebergbau – bis 1932 in Berlin und examinierte dort zum Dipl.-Bergingenieur. Von 1932 bis 1935 arbeitete er als Revisionsassistent für die Deutsche WirtschaftsprüfungsAG in Berlin.
Er war zweimal verheiratet. Seine erste Frau war Ursula Lübke (1935), seine zweite die Lehrerin Käthe Großmann (1947). Er hatte drei Kinder und nach dem NS-Ende ein Pflegekind.
1933 trat er der sozialistischen Widerstandsgruppe Neu Beginnen bei, die schon 1929/30 für eine Einheitsfront aus KPD und SPD eingetreten war. 1935 wurde er festgenommen und im Jahr darauf zusammen mit Georg Eliasberg, Walter Schmidt, Otto Sperling, Edith Taglicht und Conrad Walde vom Kammergericht Berlin wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Er erhielt zweieinhalb Jahre und sechs Monate Zuchthaus, drei Jahre „Ehrverlust“, ein Berufsverbot und es wurde ihm sein Diplom-Titel aberkannt. Er war vom Dezember 1935 bis zum September 1936 in Berlin-Moabit im KZ Columbiahaus, anschließend bis zum Oktober 1937 im Zuchthaus Brandenburg und danach bis zum September 1938 im Zuchthaus Waldheim (Sachsen) inhaftiert. Nach seiner Entlassung 1938 war er für die Rohstoffbetriebe der Vereinigten Stahlwerke erst in Dortmund und ab 1940 in Siegen tätig.
Er wohnte dort in einem sehr bürgerlichen Stadtteil, in der Martin-Luther-Straße am Häusling. Er sei, so der Biograph Claus Leggewie, in Dortmund und im Siegerland in illegalen Gruppen politisch aktiv gewesen. Erneut aufgedeckt und festgenommen wurde er 1942 „zur Bewährung“ in ein Strafbataillon der Wehrmacht gesteckt, an der Ostfront eingesetzt und im Januar 1943 schwer verwundet. Nach seiner Gesundung wurde er nach Italien versetzt, wo er gegen Kriegsende zu den Partisanen überlief.
Ab September 1945 arbeitete er für die Gelsenkirchener BergwerksAG. Er trat der IG Bergbau und der KPD bei, die er 1946 in Bochum im gewählten städtischen Wohnungsausschuss und dann im Stadtrat vertrat. Zunächst Elektroschweißer arbeitete er anschließend als Angestellter in der Hauptverwaltung der IG Bergbau in Bochum.
Da ihm in einem jahrelangen Entschädigungsverfahren eine Erwerbsminderung von 50 Prozent zuerkannt werden musste, erhielt er am Ende eine Rente.
Konrad Frielinghaus wandte sich gegen die mit Gründung der Bundesrepublik zu erwartende Remilitarisierung. Er gehörte 1949 zusammen mit dem Olper Amtsrichter und Autor Adolf von Hatzfeld zu den Inititiatoren des Vorläufigen Komitees der Friedensbewegung in Westdeutschland. Seit den 1950er Jahren übte er unterschiedliche Tätigkeiten in Betrieben, Politik und Wissenschaft aus, musste aber nach „einem der ersten Berufsverbote“ (Leggewie) gegen Kommunisten als Schweißer arbeiten, zuletzt bei den Düsseldorfer DKW-Werken. Auch nach dem Verbot der KPD (1956) blieb er in der Partei. Deren Widerstand gegen das Verbot wie auch ihren Umgang mit dem Stalinismus fand er jedoch unzureichend, so dass er nach Konflikten 1959 wegen „Rechtsabweichung“ ausgeschlossen wurde.
Er ging nun nach Algerien, um dort im Unabhängigkeitskrieg den Front Nationale de Liberation (FLN) gegen die französische koloniale Besetzung zu unterstützen. Er schloss sich den bewaffneten Kräften, der Armée de Liberation Nationale (ALN), an. Unter dem Namen „Dejoul“ war er als „vollwertiger Angehöriger“ (Leggewie) der algerischen Streitkräfte im marokkanisch-algerischen Grenzgebiet aktiv. Er war am Aufbau von Waffenfabriken und an der Beschaffung und Weiterleitung von Material an die kämpfenden Einheiten beteiligt. Nach dem Sieg der FLN blieb er in Algerien und beteiligte sich am wirtschaftlichen Aufbau des zerstörten Landes. Er starb an den Folgen eines Autounfalls in Algerien.
Konrad Frielinghaus wurde zum einflussreichen Initiator einer Weiterentwicklung der Theorie der selbstbestimmten Belegschaftskooperation der arbeits- und industriesoziologischen Schule um Hans Paul Bahrdt. Seine Spuren finden sich bis heute in der Literatur. 1962 gründete er mit auch einigen linken Sozialdemokraten als Zusammenschluss für eine betriebsnahe linke Bildungsarbeit die Sozialwissenschaftliche Vereinigung Duisburg, in der Peter von Oertzen eine führende Rolle hatte.
Seine Biografie motivierte den Filmemacher Alexander Kluge zu einem Filmprojekt, das über die Recherche aber nicht hinausgelangte.
Schriften:
– Der Wettbewerb der Gesellschaftsordungen und die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten (1962)
– Gewalt und gesellschaftlicher Fortschritt (1961)
– Selbstbestimmte Belegschaftskooperation gegen kapitalistische
Hierarchie und Bürokratie, in: Heidelberger Schriften. Zeitschrift für Probleme der Arbeit und Gesellschaft, Nov. 1969-April 1970, S. 112-159
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.035-23.194; EB 1940; ebenda, BR 2.182PM Kurt Schilde (Potsdam); Leggewie; Wolfstetter
Carl Friedrich („Fritz“) Fries
* 8.3.1887 in Siegen, gest. 25.5.1967 in Garmisch-Partenkirchen
Der Siegener gelernte Schlosser und Vorzeichner Fritz Fries war als Werkmeister tätig. Von 1919 bis 1924 war er Geschäftsführer des Bezirks Südwestfalen des Deutschen Werkmeisterverbands. Er war in der Kaiserzeit zunächst in der Heilsarmee, dann ab 1916 christlich orientiertes Mitglied der SPD und schloss sich dem Bund religiöser Sozialisten an. Die Heilsarmee bezeichnete er nun als seine „Vorschule des Sozialismus“. 1918 war er Mitglied in einem bürgerlich geprägten Siegener „Arbeiter- und Soldatenrat“, der an die Stelle eines „wilden, stark bewaffneten Soldatenrats“ (Fries) getreten war, und von 1919 bis 1920 in der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung, von 1921 bis 1932 dann Mitglied des Preußischen Landtags sowie von 1919 bis 1933 der Stadtverordnetenversammlung in Siegen. Bis 1933 leitete er als Sekretär den Unterbezirk Siegen der SPD.
In den Weimarer Jahren wandte Fritz Fries sich gegen den Antisemitismus, in dem er „Judenhetze“ in höchster Form (1924) und ein Merkmal der Deutschnationalen (DNVP) sah. Er war Kreisleiter des Reichsbanners und Vorsitzender der regionalen Eisernen Front. Aussagen gegen die NSDAP und andere nazistische Organisationen liegen bislang nicht vor, aber da die Haltung seines Unterbezirks insofern eindeutig war (Siegener Volks-Zeitung der SPD 1930: „Fort mit den Faschisten!“ ), lässt sich annehmen, dass er sie grundsätzlich teilte. Wörtlich überliefert dagegen sind Aussagen von Fries, in denen er 1928 im Kontext der SPD-Haltung zum Panzerkreuzerbau die KPD, die Deutsche Friedensgesellschaft (siehe Hans Labus, Heinrich Otto) oder den aus der SPD ausgeschlossenen religiösen Sozialisten Erwin Eckert, also Vertreter einer linken Kritik an seiner Partei, angriff. Bei den Wahlen im Mai 1928 war die SPD mit der Parole „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer!“ sehr erfolgreich (29,8%), so mit 20,4% auch im Siegerland. Das waren jeweils einsame Weimarer Spitzenergebnisse. Nach den Wahlen wurde von der von ihr geführten Regierung die Kinderspeisung jedoch abgelehnt und das Rüstungsprojekt befürwortet. Fries unterstützte diesen Kurs.
Sonderausgabe der Siegener Volks-Zeitung der SPD zu den Reichstagswahlen 1930: „Fort mit den Faschisten!“
Wirtschaftspolitisch kritisierte er die seiner Meinung nach unzureichende Förderung der Siegerländer Firmen („Das sterbende Siegerland“, 1928), aber auch Entscheidungen von Unternehmensführungen, was ihn heftiger Gegenkritik aussetzte.
Nach der Machtübergabe gab Fritz Fries für die SPD im Stadtrat eine „versöhnlich gehaltene Erklärung“ ab, die „allen die Hand reicht, die an dem nationalen Rettungswerk teilnehmen“, durch welches „Friede und Wohlfahrt für das gesamte deutsche Volk“ wieder werde herbeigeführt werden können. Für einen Antrag der NSDAP auf eine Ehrenbürgerschaft für Hitler und Hindenburg und dazu passende Umbenennungen von zwei Straßen äußerte er sein „volles Verständnis“. Dennoch aber wurde er kurzzeitig in Siegburg inhaftiert, wenn auch nach Einspruch durch den aus Siegen stammenden Gauinspekteur der NSDAP Walter Heringlake und den OB Alfred Fissmer, der gerade sein Eintrittsgesuch in die Partei abgegeben hatte, wieder entlassen (1933). Seitdem waren bis 1945 ns-kritische Äußerungen von Fries nicht mehr zu hören. Er wechselte zum „Deutschen Gruß“ und demonstrierte öffentlich seine Anpassungsbereitschaft. Fries tauchte nicht wie mancher andere ins Privatleben ab, sondern wechselte in die Rolle des öffentlich beachteten Kleinunternehmers. Er gründete eine Firma für Installation, Bauklempnerei und Zentralheizungen, für die er die Ausbildungsberechtigung mit Hilfe der Alten Parteigenossen Johannes Bedenbender und Walter Heringlake erhielt. Er stieg bald zum Obermeister seiner Handwerksinnung auf. OB Fissmer berief ihn zum stellvertretenden Einsatzleiter für die Beseitigung von Fliegerschäden und 1944 zum Bunkerbeauftragten der Stadt Siegen.
Von der umfangreichen Festnahmewelle von regionalen Politikern der Weimarer Jahre nach dem Putschversuch des 20. Juli 1944 war Fritz Fries nach eigener Aussage deshalb nicht betroffen, weil die Alten Parteigenossen Fritz Falk, Walter Neuser und Wilhelm Tiefenbach sowie der NSDAP-OB Erklärungen zu seinen Gunsten abgaben. Der Führer des berüchtigten SA-Rollkommandos Richard Odendahl sah ihn zwar als „großen Gegner der NSDAP“, „als Mensch“ aber schätze und achte er ihn, wie er noch vor dem Regimeende und seiner Festnahme 1945 erklärt hatte. Das Rollkommando überfiel und misshandelte in den 1930er Jahren eine Vielzahl von NS-Gegnern, darunter zahlreiche Sozialdemokraten, Fries behelligte es nicht.
Nach dem Ende des NS-Regimes wurde Fritz Fries von der Militärregierung 1945 zum OB und zum Landrat ernannt. Noch im selben Jahr folgte die Ernennung zum Präsidenten des Regierungsbezirks Arnsberg.
In einem Konflikt mit der Militärregierung um die Entlassung seines OB-Vorgängers Fissmer und um dessen Pension stellte Fritz Fries sich auf die Seite des Ex-OB, dem er eine stets „aufrechte Haltung“ und „grundehrliche Natur“ bescheinigte. Einen frühen stadträtlichen Versuch, eine Straße nach Fissmer zu benennen, den die Militärregierung unterband, unterstützte Fries. Das machten ihm politisch Verfolgte wie Fritz Vetter öffentlich zum Vorwurf.
Entlastungserklärungen schrieb er für eine größere Zahl von Alten Parteigenossen und regionale Prominenz der NSDAP (zu Details siehe den Personenartikel zu Fries im Regionalen Personenlexikon). So auch für seinen vormaligen Unterstützer, Auftraggeber beim Hausneubau und Gastgeber zum abendlichen Essen Walter Heringlake, der nach einem Arisierungserwerb 1939 und dem Herztod des jüdischen Eigentümers vom Kohlenhändler zum erfolgreichen Industrieunternehmer aufgestiegen war. Fries betrachtete ihn als „entlastet“, er möge „geschäftlich gewesen sein, wie er will“.
Er unterstützte den wegen Beteiligung an der Deportation der Berleburger Sinti-Nachfahren nach Auschwitz verurteilten und aus der Berleburger Stadtverwaltung entlassenen Hermann Fischer bei dessen Versuch der Rückkehr in den öffentlichen Dienst (1946). Der Gestapo-Beamte Wilhelm Bültmann, mit Regimeende untergetaucht und später wegen Erschießung eines italienischen Zwangsarbeiters verurteilt, suchte seine Hilfe, vertraute sich ihm an und benannte ihn in seinem Prozess als Entlastungszeugen (1950).
Als die seit 1946 nach der Kontrollratsdirektive Nr. 30 fällige Umbenennung der Hindenburgstraße, der Hindenburgbrücke und der Stoeckerstraße in Siegen nach einem Antrag mehrerer Stadtverordneter mit Emil Graskamp an der Spitze mehrfach von einer rechten Ratsmehrheit unter Führung des ehemaligen Deutschnationalen Ernst Bach und unterstützt aus FDP (siehe Josef Balogh) und SPD 1947/48 verhindert wurde, schaltete Fries sich über den Innenminister in den Konflikt ein und bewirkte, dass er „versiegte“ (Weidner) und es bei „Hindenburg“ und „Stoecker“ blieb.
Spätestens 1946 kamen im Siegerland und in der SPD Fragen zu Fries‘ NS-Vergangenheit auf. Er habe, warfen Betroffene ihm vor, nach der Machtübergabe hinter den Kulissen ein scharfes Sondergerichtsurteil gegen KPD- und SPD-Angehörige durchzusetzen versucht (Fries zu den Vorwürfen: „kommunistische und nationalsozialistische Lügenmethoden“). Thema des Verfahrens war ein Zusammenstoß zwischen Nazis und Gegnern im März 1933 vor der NSDAP-Geschäftsstelle gewesen. Angeklagt gewesen waren nur Antifaschisten.
Weitere Vorwürfe sahen Fries als Gestapo-Vertrauensmann („Nr. 93“) und Informanten. Gegenleistung der Gestapo seien Zigaretten, Fleisch- und Buttermarken gewesen. Auch habe er mit dem für ihn zuständigen Gestapobeamten Bültmann (s. o.) Geschenke ausgetauscht („Mit besten Grüßen und Heil Hitler!“), wie er überhaupt stets mit „Heil Hitler!“ gegrüßt habe. Mehrere Zeugen erklärten, immer wieder an seinem Revers das Parteiabzeichen gesehen zu haben. Seine guten Beziehungen in die Partei hinein, hätten auch gute Aufträge bewirkt. Fries reagierte mit einer Verleumdungsklage. Der Hauptkritiker, der Burbacher Amtsrentmeister Karl Kettner (SPD), und andere mit ihm wurden vom Landgericht zu Geldstrafen verurteilt. Im Urteil ging es eingeschränkt nur um das Parteiabzeichen als Mitgliedsnachweis. Als Unterstützer von Fries traten aus der NSDAP u. a. der vormalige OB Fissmer, der Alte Parteigenosse Theo Steinbrück und Albrecht Dornseifer auf, der Fries als „den ritterlichsten Gegner der NSDAP“ lobte. Als Erklärung für Verhaltensweisen wie seinen „Tagesgruß“ nannte Fries, er habe „sich in jedem Augenblick neu tarnen“ müssen.
In Fries‘ Partei überzeugte das Urteil des Landgerichts Siegen viele nicht. So hatten sich für den SPD-Bezirksvorsitzenden Fritz Henßler, aktiver Widerständler und langjähriger Sachsenhausen-Häftling, die „Fragen in Hinsicht auf die Nazigegnerschaft von Fries“ (Zabel) nicht erledigt. Die NRW-Regierung setzte Ende Januar 1949 eine Untersuchungskommission zu Fries ein. Fries erfuhr einen „Mangel an solidarischer Unterstützung“ (Zabel). Zu den Bezirksvorstandssitzungen wurde er nicht mehr eingeladen. Auch an seinem Dienstort liefen inzwischen (1947) unangenehme Angaben und Nachfragen zu seiner Biographie im NS um. 1949 stellte er einen Antrag auf vorzeitigen Ruhestand. Anfang August 1949 ging er in Pension.
1957 wurde er mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Bernhard Weiss, Präsident der Industrie- und Handelskammer Siegen. Zehn Jahre zuvor war Weiss im Nürnberger Nachfolgeprozess „Fall V“ gegen Friedrich Flick und andere als Kriegsverbrecher verurteilt worden. Fries‘ Urteil zu Weiss war dem entgegengesetzt. In einer Entlastungserklärung nannte er Weiss „einen Menschenfreund“ und „Typ des ehrlichen und tüchtigen deutschen Unternehmers“.
Eine hymnische Laudatio stand 1962 zu Fries‘ 75jährigen in der Siegener Zeitung. Autor war als „einer seiner Freunde“ (SZ) und als ein „Verehrer“ (Zabel) der ns-belastete Wilhelm Faust, Wechsler von der SPD in die NSDAP und zurück.
Der vormalige NS-Dozent und Heimatautor Lothar Irle nahm Fries 1974 in sein „Siegerländer Persönlichkeiten- und Geschlechter-Lexikon“ auf. Das ist deshalb bemerkenswert, weil Irle dort vom NS-Regime Verfolgten die Aufnahme nahezu vollständig verwehrte. Unter zigtausend Namen nannte er nur vereinzelt Sozialdemokraten – nicht unbedingt auch als solche ausgewiesen – und nicht ein KPD-Mitglied – auch nicht bei hohen staatlichen oder parlamentarischen Rollen. Breit vertreten ist die bürgerliche gesellschaftliche und politische Welt inklusive der NSDAP, jedoch exklusive der Siegerländer Juden.
Der Kreisverband Siegen-Wittgenstein/Olpe der AWO benannte in jüngerer Zeit ein von ihm getragenes Altersheim in Siegen nach dem Politiker („Fritz-Fries-Seniorenzentrum“).
Fries erklärte sein fragwürdiges Verhalten im und gegenüber dem NS-Regime und dessen Vertretern 1946 damit, dass er „nur eine Wahl“ gehabt habe, sich „zu tarnen und durchzujonglieren, so gut es eben ging“, so dass er die Zeit „gesundheitlich und wirtschaftlich“ überstehen würde, was mangels einer solchen „Tarnung“ manchen „leider nicht gelungen“ sei. Als beispielhaft für eine von ihm als falsche Wahl angesehene Gegnerschaft, die prompt in den Tod geführt habe, nannte er die politischen KZ-Häftlinge Otto Bäcker, Willi Steinseifer und Walter Krämer, die demnach anders als er sich vom Verdacht einer NS-Gegnerschaft nicht hinreichend hatten entlasten können oder wollen.
Literatur:
– Manfred Zabel, Die Heimatsprache der Begeisterung. Ausgewählte Reden und Schriften von Fritz Fries, Siegen 1990
– zur Straßenbenennungspraxis in Siegen siehe: Datenbank Marcus Weidner
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 106, Nr. 81; ebenda, RWN 110-2 (Nachlass Hans Bruno Jenner); ebenda, NW 1.110-190 (Josef Balogh); ebenda, 1.127-115 (Hermann Fischer); ebenda, NW 1.049-3.804 (Walter Heringlake); ebenda, NW 1.110-3.263 (Theodor Steinbrück); ebenda, NW 1.110-1.918 (Friedrich Vetter); SVZ, Wahlausgabe, September 1930; SZ, 25.11.1924, 1.4.1933, 7.3.1962; Elkar, 288; Irle 1974, 97; Krüger, 24ff.; Weidner, 196f.; Zabel, passim, insbesondere 11f., 69f., 90ff., 135-137; LWL, Internetportal Westfälische Geschichte, Personenartikel; Regionales Personenlexikon, Artikel Fritz Fries
Karl Fries
* 18.7.1909 in Hagen-Vorhalle, ev.
Der parteilose Knappschafts-Inspektor Karl Fries arbeitete als Verwaltungsangestellter bei der Siegerländer Knappschaft. Bereits kurz nach der Verkündung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums am 7. April 1933 wurde Karl Fries aus politischen Gründen aus dem Dienst entlassen.
Das Kündigungsschreiben formulierte entsprechend dem Gesetzestext den Verdacht, dass er „nach seiner bisherigen politischen Tätigkeit keine sichere Gewähr“ biete, „jederzeit rückhaltlos im Sinne der nationalen Regierung zu arbeiten.“ Er bekam keine Arbeitslosenunterstützung, da seine Eltern noch lebten und sie zu seiner Versorgung herangezogen wurden.
Karl Fries fand später wieder Arbeit in der Firma seines Onkels, des vormaligen SPD-Vorsitzenden Fritz Fries. Am 1. Mai 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Er erhielt das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse.
Nach dem Ende des Regimes wurde Karl Fries wieder bei der Siegerländer Knappschaft als Inspektor eingestellt. Er wurde als NS-Geschädigter anerkannt und für Verdienstausfälle entschädigt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.875; ebenda, Abt. Rheinland, NW 1.110-635
Wilhelm Fries
* 19.9.1901 in Buschgotthardtshütten, gest. in 31.10.2000 Weidenau, ev.
Der Weidenauer Schlosser und spätere Verwaltungsbeamte Wilhelm Fries war verheiratet mit Ruth Fries geb. Bökenkrüger aus Wuppertal. Seit September 1933 wohnte die Familie im Haus der jüdischen Familie Frank in Weidenau.
Zunächst als Berufsanfänger Mitglied des der Christlich-Sozialen Bewegung des antisemitischen Agitators und Politikers Adolf Stoecker eng verbundenen Christlichen Metallarbeiterverbands, der mit großem Abstand größten Siegerländer Metallarbeitergewerkschaft, wechselte er nach der Novemberrevolution zum kleinen linken („freien“) Deutschen Metallarbeiterverband und wurde 1921 Mitglied der SPD. Vom Ende der 1920er Jahre bis zur Machtübergabe an die NS-Bewegung und ihre Verbündeten war er gewerkschaftlich organisierter Betriebsobmann der Weberwerke auf der Sieghütte.
Wilhelm Fries hatte im Ersten Weltkrieg drei ältere Brüder verloren. Er wandte sich dem Pazifismus zu. Nachdem Anfang 1922 eine Regionalgruppe Sieg-Lahn-Dill der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) entstanden war, die sich informell bereits 1921 in Siegen zusammengefunden haben dürfte, ergab sich aus einer im Dezember 1922 in Weidenau stattfindenden Vortragsveranstaltung die Gründung einer Ortsgruppe auch in Weidenau, der Wilhelm Fries beitrat. 1924 nahm er am Weltfriedenskongress in Berlin teil. Er war Mitarbeiter der Redaktion von Der Pazifist bzw. Das Andere Deutschland, der Zeitschrift der DFG. Nach dem Weggang des Bezirksgeschäftsführers Heinrich Otto trat Wilhelm Fries 1928 an dessen Stelle. 1930 gab er seine Funktion an seinen Freund Hans Labus weiter.
Antifaschistische Veranstaltungen der DFG, Anzeige in der SZ, 17.6.1924
Die DFG engagierte sich früh gegen den aufkommenden Faschismus. Die 1922 der Gründung der Gruppe Weidenau unmittelbar vorausgegangene Veranstaltung hatte das Thema „Fascismus und Friedensbewegung“. Im Juni 1924 rief die DFG aus Anlass einer von der völkisch-nationalistischen Rechten und wesentlich von der NSDAP in Siegen ausgerichteten Großveranstaltung „Deutscher Tag“ zu einer Kundgebung „gegen die Verächter der Menschenwürde“ auf, Thema: „Das Hakenkreuz ist Deutschlands Untergang“.
Dem Nein der regionalen SPD zum Volksentscheid über den Bau des Panzerkreuzers A und dem Seitenwechsel der Reichstags-SPD zugunsten des Baus widersprach die DFG. Darauf fasste die SPD einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die DFG, und das SPD-dominierte Reichsbanner weigerte sich, weiter den Saalschutz bei DFG-Veranstaltungen zu übernehmen. Die DFG kritisierte das als einen „Ansporn für die schwarz-weiß-roten Wehrverbände“. Wilhelm Fries blieb sowohl in seiner Partei als auch in der DFG.
Gesellschaftlich und politisch war Wilhelm Fries vielseitig interessiert, wie seine dem überwiegend völkisch-nationalistischen Siegerländer Protestantenmilieu zum Teil fremden und gegnerischen Mitgliedschaften ausweisen. Das waren neben dem Verein Deutsche Jugendherbergen, dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), dem Bund Deutscher Bodenreformer oder der Vereinigung Die Wissenschaft für Alle auch die Paneuropäische Union, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und seit 1923 die Liga gegen den Kolonialismus sowie die Deutsche Liga für Menschenrechte.
Noch zu den letzten, bereits unter NS-Bedingungen stattfindenden Wahlen, zu denen im Gegensatz zur KPD Sozialdemokraten noch kandidieren durften, ließ Wilhelm Fries sich zur Kandidatur für den Kreistag gewinnen. Vor der von den neuen Machtträgern in Gang gesetzten „Gleichschaltung“ erklärte er als Mitglied des VDK-Vorstands , „ein Gesinnungswechsel komme für ihn nicht in Frage.“ 1935 trat er als Zeichen einer oppositionellen Haltung der Evangelischen Bekenntnisgemeinde in Weidenau bei. Wilhelm Fries blieb in offenem und engem Kontakt zu seinen sozialdemokratischen Genossen wie auch zu jüdischen Familien. Er unterhielt Kontakte zu sowjetischen und anderen Zwangsarbeitern an seinem Arbeitsplatz in den Weberwerken und unterstützte sie in Wort und Tat, so etwa durch Verstöße gegen das Umgangsverbot wie mit der Teilnahme an einer russischen oder ukrainischen Hochzeit, mit Lebensmitteln, mit einer Babyausstattung, durch Vermittlung von Nebenarbeiten. Berichtet wird ein Konfliktfall um beim Abladen vom Wagen gefallene Kartoffeln. Sowjetische Zwangsarbeiter hoben einige davon auf. Mit gezogener Pistole wollte der Lagerführer und SS-Mann Lippe dies verhindern. Wilhelm Fries trat mit dem Spaten dazwischen und widersprach ihm laut und entschieden. Angesichts zahlreicher Zeugen gab der SS-Mann klein bei. Bei anderer Gelegenheit weihten Franzosen Wilhelm Fries in ihre Fluchtpläne ein. Fries‘ Verhältnis zu Angehörigen der Siegener jüdischen Minderheit wurde von Unbekannten heimlich beobachtet. Er wurde deshalb offenbar mehrfach denunziert, denn er wurde dazu von der Gestapo vorgeladen und vernommen. Von dem Gestapo-Beamten Bültmann wurde er unter vier Augen gewarnt, bei einem nächsten Anlass verhaftet zu werden.
Nach dem NS-Ende trat Wilhelm Fries erneut der SPD bei. Bis September 1945 war er Erster Beigeordneter des Amts Weidenau und im Anschluss Amtsinspektor. Von der britischen Militärregierung wurde er 1945 in den Beratenden Ausschuß für den Land- und Stadtkreis Siegen berufen. Da nicht ns-belastet, wurde er Leiter des eng mit der Militärregierung verbundenen Besatzungsamts sowie des Beschaffungs- und Flüchtlingsamts, später dann des unter Nachkriegsbedingungen sehr wichtigen Wohnungsamts. Er gehörte zu den Neugründern der DFG, die er als Vorstandsmitglied neben dem Vorsitzenden Hans Labus vertrat.
1946 wurde er mit seiner Familie das Opfer einer Denunziation durch den entlassenen Ex-Schulleiter und Alten Parteigenossen Reinhard Becker. Becker behauptete gegenüber der Kripo, Familie Fries habe sich ungerechtfertigte Vorteile bei der Schulspeisung erschlichen. Das war unzutreffend und die Denunziation damit nicht erfolgreich.
Bis ins hohe Alter war Wilhelm Fries als ein Zeitzeuge, der ein Gegner der Nazis gewesen war, in Schulen und an anderen Orten aufklärend aktiv.
Wilhelm Fries nach Foto aus der App „Lost Generation“ des Volksbunds (Autoren: Dieter Pfau/Stefan Nies)
Literatur:
– Traute Fries, Wilhelm Fries aus Weidenau. Ein beispielhaftes Leben im 20. Jahrhundert. Eine biografische Skizze, Siegen 2007
– Dies., Die Deutsche Friedensgesellschaft im Bezirk Sieg-Lahn-Dill in der Weimarer Republik. Eine historische Rekonstruktion, Siegen 2013
SZ, 3.3.1933; WR/Sl, 15.10.1985, 20.11.1993; PM Traute Fries; Appelius, 701; Opfermann 1991, 104, passim; Opfermann 2001, 223; Zabel, 70
Der Ingenieur Oskar Frisch hielt sich beruflich in der UdSSR auf, aus der er 1936 zurückkehrte. Anschließend lebte er in Wesermünde, von wo er 1941 nach Berleburg kam.
Nach einer 1946 von der Stadt Berleburg zusammengestellten „Nachweisung“ wurde er aus politischen Motiven „durch Grausamkeit oder Sadismus misshandelt“. Über seine politischen Präferenzen ist nichts bekannt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.037-A/Reg.-15.974 (Otto Marloh); StA Bad Berleburg, Nr. 151, 244 b
Georg („Schorsch“) Führ
* 6.11.1880 in Urbar (Kr. Mayen-Koblenz), gest. 2.2.1943 im KZ Sachsenhausen
Der Anstreichermeister Georg Führ war bis 1920 Mitglied der USPD und trat dann der KPD in Siegen bei. In den 1920er Jahren war er Erster Sekretär der KPD in Siegen und vertrat die Partei im Rat der Stadt, zeitweise als Fraktionsvorsitzender.
Der Gruppe wurde vorgeworfen, heimlich einen Rundfunksender gebaut und eine kommunistische Kleinzeitung herausgegeben zu haben. Nach der Machtübergabe wurde er 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt. Georg Führ wurde später erneut verhaftet und war ab dem 9. Sepember 1941 im KZ Sachsenhausen als sogenannter „Schutzhäftling“ inhaftiert. Er wurde dort am 2. Februar 1943 ermordet. 1946 wurde er vom Volks-Echo, der regionalen Tageszeitung der KPD, als einer derjenigen geehrt, die im Siegerland „als Opfer des Nationalsozialismus und politische Gefangene ihr Leben gaben.“
2012 verlegten die Schüler der Klasse 10 d der Städtischen Gesamtschule Eiserfeld einen „Stolperstein“ für Georg Führ vor dem vormaligen Wohnhaus in der Friedrich-Wilhelm-Straße 47. Seitdem erinnert ein Artikel im virtuellen Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte ihn Siegen an ihn.
LA NRW, Abt. Westfalen, Nr. Q 211 a, 13.422, 13.423; StA Siegen, StVV-Protokolle; EB 1935, 1940; VE/Rt, 10.5.1946; SZ, 28.6.1922; V, 27.1.1925; Siegerland-Kurier, 1.2.2012; Gedenkbuch Stadt Siegen; Mitteilung Gedenkstätte Sachsenhausen; PS Ulrich F. Opfermann, Interview mit Ernst Stein, 28.10.1987; Aktives Gedenkbuch[zurück zur Übersicht]
G
Wilhelm Geisbe
* 24.9.1895 in Siegen, gest. 28.5.1945 in Siegen, kath.
Der Siegener Reichsbahnschlosser Wilhelm Geisbe war seit 1922 mit Maria Elisabeth Stötzel aus Weidenau verheiratet und hatte mit ihr fünf Kinder. Als engagierter Katholik organisierte er sich ab 1924 politisch in der Zentrumspartei, und für diese war er Mitglied im Rat der Stadt Siegen. 1929 wechselte er seinen Beruf, er wurde Arbeitsvermittler im Siegener Arbeitsamt. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und ihre Bündnispartner wurde ihm im April 1933 fristlos gekündigt. In der Folgezeit musste er sich regelmäßig bei der Gestapo melden. Arbeit fand er erst wieder im Juli 1934 bei den Hüttenwerken Siegerland. Ab dem 1. Juli 1939 arbeitete er als Verwalter des katholischen Marienhospitals in Siegen. Er war im Kirchenvorstand aktiv und stand in der Zeit der Konflikte des Pfarrers Wilhelm Ochse der St. Marien-Gemeinde mit der Siegerländer NSDAP an der Seite des Pfarrers.
Ende August 1939 erhielt Wilhelm Geisbe den Einberufungsbefehl zur Wehrmacht und, obwohl er umgehend einen Freistellungsbescheid bekam, wurde er eingezogen. Er war bis August 1940 Soldat und arbeitete danach wieder im Marienhospital. Er war 1941 Mitorganisator der Verteilung von Predigten des Bischofs von Galen gegen die Krankenmorde. Nach dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 wurde er vorübergehend inhaftiert und anschließend zu sechs Wochen Arbeit am Westwall dienstverpflichtet.
Wilhelm Geisbe erlebte zwar noch die Befreiung von der NS-Diktatur, starb aber wenig später an Typhus.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.465; SZ, 5.11.1929, 3.3.1933; V, 26.4.1924; WP/Sl, 22.7.1959; Wagener, 66, 83, 92, 167; Zabel, 136
Der Anstreicher Konrad Geisler aus Siegen wurde 1943 wegen eines in einem Heißmangelbetrieb beiläufig erzählten politischen Witzes umgehend denunziert. Es folgten die Verhaftung und ein Prozess, in dem Geisler zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Der Justizobersekretär Heinrich Bamberger äußerte im Gerichtsverfahren, dass man Geisler „eigentlich in die Fresse schlagen müsste, wegen seiner Aussagen über den Führer“ (Entn.-Akte Köhler).
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-3.138 (Albert Köhler), NW 1.112-1.327 (Konrad Geisler), NW 1.127-1.250 (Aloysius Merzhäuser)
Franz Gelhaar
* 2.7.1877 in Königsberg / Ostpreussen, gest. 3.8.1955 in Siegen
Der Schlosser Franz Gelhaar war seit 1904/05 in Siegen ansässig und bekannte sich seit 1928 zur christlichen Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas („Ernste Bibelforscher“). Er war verheiratet mit Lina Schöler, das Ehepaar hatte drei Kinder. Er war als Schlosser bei der Firma Waldrich in Siegen beschäftigt.
Erstmals verhaftet wurde er im August 1936. Er wurde bis zum 21. Dezember 1936 in Dortmund inhaftiert. Im Mai 1937 wurde er als „die eigentliche Seele der Siegener Bibelforscher“ mit vier weiteren Angehörigen der Gruppe durch das Sondergericht Dortmund wegen Verstoßes gegen die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, dass er sich trotz Verbot mit weiteren Zeugen Jehovas zur Bibelauslegung getroffen und Schriften der Gemeinschaft auf dem Westerwald besorgt und verteilt zu haben. Die Bibelforscher seien kein religöses, sondern ein politisches Unternehmen. Sie seien ein „Sammelbecken von Staatsfeinden“, das die Anhänger „in pazifistisch-liberalistischer Gesinnung“ erziehe. Franz Gelhaar erhielt zehn Monate Gefängnis. Die Haft verbrachte er bis Dezember 1937 in den Gefängnissen von Hagen und Büren.
Vorsitzender Richter war der NSDAP-Landgerichtsdirektor am Sondergericht in Dortmund, Dr. Dietrich Baedeker, der nach dem NS-Ende als unbelastet geltend in Dormund erneut Landgerichtsdirektor war.
Abermals verhaftet wurde Gelhaar am 9. Dezember 1939 durch die Gestapo. Wegen angeblicher Arbeitsverweigerung wurde er zu fünf Monaten Haft verurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.405; SNZ, 15.5.1937; SZ, 15.7.1937; EB 1940; allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Franz Gerbracht
* 12.7.1895 in Niedersaulheim (Kr. Alzey-Worms)
Der in der Koblenzerstraße 72 (1940) in Siegen wohnende Pflasterer Franz Gerbracht war verheiratet mit Luise Gerbracht. Er war seit 1929 Mitglied der KPD. In seiner vorherigen Wohnung in der Eiserner Straße 73 fanden wiederholt Versammlungen der KPD statt. Wenige Wochen nach der Machtübergabe kamen drei Kriminalbeamte in seine Wohnung und beschlagnahmten ein Wanderer-Motorrad, eine Schreibmaschine und das Radio unter dem Vorwand, dass diese Dinge Eigentum der KPD seien. Der als Nazi berüchtigte Kriminalbeamte Heinrich Schmidt, 1938 als SS-Angehöriger ein Haupttäter der Synagogenschändung und -brandstiftung, zerriss bei diesem „Besuch“ den Führerschein von Gerbracht. Kurze Zeit darauf wurde Franz Gerbracht im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.369; EB 1940
Luise Gerbracht
* 2.6.1903 in Siegen
Luise Gerbracht geb. Dax war die Ehefrau von Franz Gerbracht. Als Mitglied der KPD wurde sie nach der Machtübergabe 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Willi Glauber wurde 1942/43 wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“ einen Monat lang im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Hugo Gloede
* 1882 in Mützelburg (Pommern), gest. 20.2.1967
Seit 1911 lebte Hugo Gloede in Berleburg. Er war promovierter Jurist und in Berleburg als Rechtsanwalt und Notar tätig. Nach der Übernahme der Vertretung des den Nazis distanziert gegenüberstehenden fürstlichen Kammerdirektors Gotthold Reinhardt wurde er 1933 mit einem Schild auf der Brust von der gesamten SA des Kreises Wittgenstein unter Musikbegleitung und angeführt von Paul Giesler durch Berleburg zum Park-Hotel geführt, misshandelt und inhaftiert. Die Wittgensteiner National-Zeitung teilte ihren Lesern den präzisen Inhalt der Brandmarkung mit: „Ich habe die SA beleidigt, ich bin ein gemeingefährlicher Volksschädling.“ Giesler stand neben seinem Opfer und hielt eine Rede. Etwa 2.000 Interessierte waren zum Park-Hotel gekommen, um der Vorführung beizuwohnen. Berleburg hatte zu diesem Zeitpunkt etwas mehr als 3.000 Einwohner.
Nach dem Regimeende trat Hugo Gloede der VVN bei. Als 1948/49 gegen Beschuldigte Ermittlungen wegen der Berleburger Synagogenschändung aufgenommen wurden, bat man aus diesem Kreis Hugo Gloede, die Verteidigung zu übernehmen, was er ablehnte. Das Mandat erhielt an seiner Stelle dann ein ehemaliges NSDAP-Mitglied und Alter Parteigenosse.
StA Bad Berleburg, Nr. 151; LA NRW, Abt. Westfalen, Q 226, Nr. 58; (Wst)NZ, 8.9.1933; Opfermann 2009, 66, 162
August Göbel
* 18.1.1892 in Salchendorf bei Deuz, gest. 23.7.1960 in Siegen
Der Schweißer August Göbel arbeitete im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) in Siegen und war seit 1919 gewerkschaftlich organisiert.
Am 8. Juni 1944 wurde er wegen Wehrkraftzersetzung und antinazistischer Äußerungen durch die Gestapo verhaftet. Die Anklage konnte nicht aufrecht gehalten werden, da der Hauptzeuge der Anklage bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen war. Göbel wurde am 23. Dezember 1944 aus der Haft entlassen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.806
Leo Görg
* 24.3.1884 in Steineroth Kreis Altenkirchen,
Der seit 1919 in Niederschelden wohnende Leo Görg arbeitete bis zu seiner Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen 1931, als Bergmann auf der Grube Concordia. Als Mitglied der KPD wurde er im Frühjahr 1933 verhaftet und einige Monate in Bonn inhaftiert. Wie viele andere Kommunisten findet auch er nach der Haft keine Arbeit, da er als politisch Unzuverlässig gilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 169262
Emil Graskamp
* 21.11.1900 in Siegen
Der Siegener Schmelzer Emil Graskamp war bis 1931 bei der Firma Gontermann beschäftigt und wurde infolge der schlechten wirtschaftlichen Lage arbeitslos. Er war verheiratet mit Lina Graskamp geb. Röcher. Das Ehepaar hatte vier Kinder. Er war ein Bruder von Heinrich Graskamp.
Seit 1923 war er Mitglied der KPD. Die Siegerländer KPD war besonders aktiv in der Erwerbslosenbewegung. Emil Graskamp war Vorsitzender des Kreiserwerbslosenausschusses und ein bekannter Kundgebungsredner. Das setzte ihn aggressiver Kritik durch die politischen Gegner aus, so etwa nach der „ruhigen und friedlichen“ Demonstration einer dreistelligen Zahl von Arbeitslosen zum Siegener Arbeitsamt am 2. Januar 1933, die von der Polizei unter erheblichem Schlagstockeinsatz aufgelöst wurde.
Direkt nach dem Reichstagsbrand wurde Emil Graskamp am 1. Juni 1933 verhaftet und bis zum 8. Juni 1933 in Siegen, Dortmund und Werl inhaftiert. Nach dieser Haft fand Graskamp keine Arbeitsstelle, kein Unternehmer wollte einen Kommunisten und Sträfling einstellen. Er wurde zu Notstandsarbeiten verpflichtet und musste beim Wegebau in der Winchenbach und beim Bau der Kanalisation in der Marienborner Straße arbeiten, um die Lebensgrundlage seiner Familie zu sichern.
Neben der allgemeinpolitisch motivierten Verfolgung wurde Emil Graskamp mit seiner Familie einer rassenhygienischen Erfassung ausgesetzt.
1934/35 forschte der Siegener städtische Fürsorgeinspekteur Wilhelm Langenbach nach „asozialen Familien“ in Siegen. Er erstellte eine kommentierte Liste von Familien von, wie er erklärte, „Untermenschen“, in der er die Attribute „asozial“ und „kommunistisch“ zusammenführte und auf der auch die Graskamps standen. Sie ging an die Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle (RHF) im Reichsgesundheitsamt in Berlin. Die RHF war die zentrale Institution zur Erfassung als „asozial“ kategorisierter Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel ihrer Vernichtung, zunächst durch Sterilisationen, später durch Massenmord in Auschwitz-Birkenau. Langenbach war ein Kritiker der Sterilisation, da die „Schädlinge“ „nach wie vor am Leben bleiben“ würden und so weiterhin Kosten verursachten. Umsetzen konnten das Vernichtungskonzept dessen Befürworter anders als gedacht und gewünscht allein gegen die Roma-Minderheit.
1936 fand Emil Graskamp wieder reguläre Beschäftigung als Installateur bei der Firma Lingemann. Am 1. Mai 1937 wurde er erneut verhaftet und war bis zum 29. Juli 1937 in Koblenz inhaftiert. Durch diese Verhaftung verlor er wieder seine Arbeitsstelle. Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler im Juli 1944 wurde er wieder festgenommen, aber am 31. August 1944 wieder entlassen.
Emil Graskamp überlebte die NS-Diktatur und gehörte nach dessen Ende zu den Initiatoren einer Neugründung der Siegerländer KPD. Er war einer der Unterzeichner eines Einheitsappells führender regionaler KPD- und SPD-Mitglieder (18. August 1945: „Rüttelt die Schlafenden auf! Im Osten glüht der junge Tag!“). Später wechselte er zur SPD und schließlich zur CDU. Nach Gründung der IG Metall 1945 wurde er für einige Jahre deren Vorsitzender. Er war zeitweise Mitglied im Aufsichtsrat der Hüttenwerke Siegerland.
1947 verwies er als Sprecher einer kleinen Gruppe von Stadtverordneten darauf, dass nach dem alliierten Kontrollratsgesetz Nr. 30, das u. a. zur Entfernung von Straßennamen „bekannter Militaristen“ verpflichtete, die Hindenburgstraße und die Hindenburgbrücke umzubenennen seien. Das gelte auch für die nach einem prominenten Antisemiten benannte Stoeckerstraße. Im Stadtrat wurde der mehrfach vorgelegte Antrag von einer großen Mehrheit unter Führung des vormals deutschnationalen Stadtverordneten Ernst Bach jedes Mal niedergestimmt. Diese Mehrheit hatte auch Unterstützer in der SPD und der FDP, so etwa Fritz Fries und Josef Balogh.
BA Berlin, R 165, Nr. 156 („Betr. Bernhard Petri“, 1934/35); ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 106, Nr. 81; ebenda, NW 1.110-247 (Emil Graskamp), NW 1.112-1.120 (Emil Graskamp); LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.807; ebenda, Q 211 a, Nr. 15.680; Fr/Sl, 27.6.1947; SNZ, 5.4.1933; SZ, 2.1., 4.1., 25.2., 5.4.1933; PS Ulrich F. Opfermann, Interview mit Ernst Stein, 28.10.1987; ebenda, NL Ludwig Popp; Langenbach; Opfermann 2001, 226; Pfau 2000, 186f.
Heinrich Graskamp
* 25.3.1907 in Siegen
Der Siegener Kraftfahrer Heinrich Graskamp war verheiratet mit Amanda Röcher und ein Bruder von Emil Graskamp.
Er war Mitglied der KPD und des Roten Frontkämpferbundes. Er betätigte sich sportlich im linken Freien Turn- und Sportverein Siegen. Nach seiner Selbstaussage im Entnazifizierungsverfahren wurde ihm während der Nazizeit „wegen antifaschistischer Gesinnung keine Arbeit zugeteilt.“
Banner des Roten Frontkämpferbunds Siegerland, auf einem Siegerländer Speicher gefunden
Neben der allgemeinpolitisch motivierten Verfolgung wurde Heinrich Graskamp mit seiner Familie einer rassenhygienischen Erfassung ausgesetzt.
1934/35 forschte der Siegener städtische Fürsorgeinspektor Wilhelm Langenbach nach „asozialen Familien“ in Siegen. Er erstellte eine kommentierte Liste von Familien von, wie er erklärte, „Untermenschen“, in der er die Attribute „asozial“ und „kommunistisch“ zusammenführte und auf der auch die Graskamps standen. Sie ging an die Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle (RHF) im Reichsgesundheitsamt in Berlin. Auch die Familie Graskamp setzte er darauf. Die RHF war die zentrale Institution zur Erfassung als „asozial“ kategorisierter Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel ihrer Vernichtung, zunächst durch Sterilisationen, später durch Massenmord in Auschwitz-Birkenau. Langenbach war ein Kritiker der Sterilisation, da die „Schädlinge“ „nach wie vor am Leben bleiben“ würden und so weiterhin Kosten verursachten. Umsetzen konnten das Vernichtungskonzept dessen Befürworter anders als gedacht und gewünscht allein gegen die Roma-Minderheit.
BA Berlin, R 165, Nr. 156 („Betr. Bernhard Petri“, 1934/35); LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.112-1.270 (Heinrich Graskamp); Langenbach
Albrecht Grimm
* 28.3.1895 in Duisburg-Beeck
Der Bäcker Albrecht Grimm wanderte 1914 nach Amerika aus, kehrte aber 1926 nach Deutschland zurück. Er war verheiratet mit Ida Grimm geb. Müller. Das Ehepaar hatte drei Kinder und wohnte in Niederschelden. Grimm war vor 1931 Mitglied der KPD, wegen Differenzen bei der Beitragszahlung trat er schon nach einem Jahr wieder aus. 1934 wurde Grimm (wie mindestens auch Oskar Brado) durch Otto Knautz, Niederschelder Metzgermeister und Mitglied der NSDAP, wegen Kritik am NS-Regime denunziert und am 27. Dezember 1934 verhaftet. Er wurde vor dem OLG Hamm wegen Vorbereitung zu Hochverrat angeklagt und zu einer Strafe von zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Er war zuerst im Amtsgefängnis Eiserfeld, dann in der Steinwache in Dortmund, im KZ Esterwegen und den Gefängnissen von Herford und Hameln inhaftiert. Mit ihm waren die Niederschelder Oskar Brado und Arthur Nikodemus in Esterwegen in Haft. Nach der Haftzeit arbeitete Grimm bis 1944 bei der Firma Gontermann. Im Januar 1944 wurde der aufgrund seiner Verurteilung zunächst als „wehrunwürdig“ geltende Grimm zum Strafbataillon 999 – aufgestellt nach den hohen Verlusten der Wehrmacht an der Ostfront -, nach Baumholder eingezogen. Im August 1944 kam er in Frankreich in Kriegsgefangenschaft und kehrte 1945 nach Niederschelden zurück.
Im Oktober 1945 schrieb er an die Stadt Siegen: „Wie soll ich gegen Knautz vorgehen? Jetzt ist es möglich, nur der Staatsanwalt sagt, dass die Sache verjährt ist. Ist das richtig?“ In seiner Entschädigungsakte findet sich die Bestätigung der Staatsanwaltschaft, das Verfahren gegen Otto Knautz sei wegen Verjährung eingestellt worden. Auch für die Zeit im Strafbataillon bekam Albrecht Grimm keine Entschädigung.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.726; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 32-59 (Albrecht Grimm), NW 1.111-BG. 43-458 (Karl Kraft); FR/Rt, 27.7.1948
Nikolaus Groß
* 30.9.1898 in Niederwenigern a. d. Ruhr, gest. 23.1.1945 in Berlin-Plötzensee, kath.
Nikolaus Groß vor dem Volksgerichtshof, 1944
Nikolaus Groß kam aus einer Arbeiterfamilie und arbeitete zunächst als Metallarbeiter und Bergmann. Er trat dem Gewerkverein christlicher Bergarbeiter Deutschlands bei und nutzte vielfältige Weiterbildungsmöglichkeiten. Er wurde erst Jugendsekretär und später Gewerkschaftssekretär des Verbandes. Später wechselte er als Journalist zur Westdeutschen Arbeiterzeitung der Katholischen Arbeiternehmerbewegung (KAB). Diese Tätigkeit war mit vielen Reisen verbunden, die ihn auch oft ins Siegerland führten. Die Zeitung wurde 1938 von den Nazis verboten. Schon in den 1920er Jahren war Nikolaus Groß ein Gegner des Faschismus. Er engagierte sich im „Kölner Kreis“, einem aus der katholischen Arbeiterbewegung gebildeten Widerstandsnetzwerk rheinischer und westfälischer Katholiken, das nach seinem lokalen Zentrum, der Kölner Zentrale des Westdeutschen Arbeiterverbands, benannt war. In den 1940er Jahren knüpfte er Verbindungen zu der Widerstandsgruppe um den vormals deutschnationalen Carl Friedrich Goerdeler.
Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde auch Nikolaus Groß verhaftet. Der Volksgerichtshof unter Vorsitz seines Präsidenten Roland Freisler verurteilte ihn zum Tode. Nikolaus Groß wurde am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Von Papst Paul Johannes II. wurde Nikolaus Groß selig gesprochen. Zahlreiche Straßen, Plätze, kirchliche und staatliche Einrichtungen sind nach ihm benannt. Der Komponist Stefan Heucke erarbeitete im Auftrag des Bistums Essen ein „Oratorium Nikolaus Groß“, das 2011 in Duisburg uraufgeführt wurde.
SZ, 15.9.1984; Portal Rheinische Geschichte, Biografie, Bistum Essen, Biografie
Heinrich Güls wurde 1941 wegen „Rundfunkverbrechens“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Die Laaspher Familie von Gustav Hagedorn, der Verwaltungsangestellter der fürstlichen Rentkammer Wittgenstein war, nahm während des antisemitischen Pogroms in Laasphe am 9. November 1938, das sich in Gestalt einer nächtlichen Verwüstungsorgie von Laaspher Mob unterschiedlicher sozialer Zuordnung in der Kleinstadt ereignete, die jüdische Familie Präger auf. In ihrem Haus hielt sich zu diesem Zeitpunkt zugleich als Feriengast ein Mitglied der NSDAP auf. Es ist nicht bekannt, ob der Hilfeleistung eine Denunziation oder Sanktionen gefolgt sind. Die Berichterstattung von Zeitzeugen geht davon nicht aus.
Von anderen Laasphern ist bekannt, dass sie jüdische Bitten um Aufnahme und Schutz ausdrücklich ablehnten.
PM Horst Stolz (Laasphe); Opfermann 2009, 105
Weil er angeblich verbotene Beziehungen zu sowjetischen Zwangsarbeiterinnen unterhielt, wurde Eduard Hahn dreimal vom Betriebsobmann des Eichener Walzwerks denunziert, dann angeklagt, verurteilt und in „Schutzhaft“ genommen.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-650 (Karl Scholl)
Else Halemeyer geb. Falke war die Ehefrau von Paul Halemeyer. Sie kam aus der Jugendbewegung, wo sie den Namen „Äsche“ hatte. Sie sei, so ein Zeitzeuge, schriftstellerisch tätig gewesen. Sie war Mitglied der KPD. Gegen sie und weitere Mitglieder der KPD wurde nach einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 wegen Vorbereitung zum Hochverrat ermittelt.
Die profiliert antilinke Siegener Zeitung begrüßte diese Verhaftungen und sprach unterstützend von einer Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte. Zwei Protestrufer nahm die Polizei gleich ebenfalls fest.
Else Halemeyer wurde am 13. Juli 1934 vom OLG Hamm mit elf weiteren Männern und Frauen wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt, sie zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis.
Nach ihrer Haftentlassung gingen die Halemeyers wieder zurück nach Bielefeld.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284, 13.294-13.297; PS Ulrich F. Opfermann, Interview mit Ernst Stein, 28.10.1987; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934 (dort als „Nahmeyer“); SZ, 25.2.1933, 4.12.1933
Paul Halemeyer
* 21.8.1895 in Bielefeld
Paul Halemeyer war Malermeister und Kunstmaler in Bielefeld. Er war verheiratet mit Else Halemeyer. Die beiden zogen 1928 nach Siegen um, weil Paul Halemeyer hier in seinem Beruf arbeiten konnte. Er sah sich als „antikirchlich (nicht antireligiös)“ und organisierte sich politisch in der KPD.
Gegen ihn und weitere Mitglieder der KPD wurde nach einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 wegen Vorbereitung zum Hochverrat ermittelt. Die ihrem ganzen Selbstverständnis nach antilinke Siegener Zeitung begrüßte die Verhaftungen und sprach unterstützend von einer Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte. Zwei Protestrufer nahm die Polizei gleich ebenfalls fest.
Paul Halemeyer wurde am 13. Juli 1934 vom OLG Hamm gemeinsam mit elf weiteren Männern und Frauen wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt, er zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis. Nach ihrer Haftentlassung gingen die Halemeyers wieder zurück nach Bielefeld. Die nun eingetretene „Wehrunwürdigkeit“ wurde offenbar revidiert, denn 1940 wurde Paul Halemeyer zur Wehrmacht eingezogen, 1942 dann entlassen, um bis zum Ende des NS-Regimes als Rüstungsarbeiter eingesetzt zu werden. Als er 1947 entnazifiziert wurde, schätzte man ihn als „politisch zuverlässig“ ein.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284, 13.294-13.297; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.057-AD-1.685 (Paul Halemeyer); PS Ulrich F. Opfermann, Interview mit Ernst Stein, 28.10.1987; EB 1931/32; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934 (dort als „Nahmeyer“); SZ, 4.12.1933
Rudolf Hammerschmidt wurde 1941 wegen „staatsfeindlicher Einstellung“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Der Maurer Christian Hannes gehörte der KPD an und wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Paul Hannes
* 8.8.1916 in Siegen
Der Maurer Paul Hannes war Mitglied der KPD und wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz sei zweifelhaft.
Nach dem Ende des NS-Regimes betrieb er in Siegen ein Transportunternehmen. Im Fragebogen zur Entnazifizierung nannte er die Mitgliedschaft in der KPD nicht. Er gab an, nur zwei Tage in Haft gewesen zu sein.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110 -3.160 (Paul Hannes); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Der Hilchenbacher Kranführer auf den Geisweider Eisenwerken Waldemar Harms wurde 1939 wegen „staatsfeindlicher Äußerungen“ und damit des Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ festgenommen. Zwar wurde der Haftbefehl aufgehoben, aber es folgten der Entlassung aus dem Landgerichtsgefängnis Siegen in einem üblichen Verfahren unmittelbar anschließend die erneute Festnahme durch die Gestapo und „Schutzhaft„.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; Elkar, 251
Nach einer 1946 von der Stadt Berleburg zusammengestellten „Nachweisung“ wurde die in Arfeld lebende Margaret(h)e Hartmann aus politischen Motiven „durch Grausamkeit oder Sadismus misshandelt“. Nach den Angaben in einem Entnazifizierungsverfahren war sie 1944 nach einer Denunziation „wegen staatsfeindlicher Äußerungen zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt“ und in Hagen inhaftiert worden.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-264 (Friedrich Peußner); StA Bad Berleburg, Nr. 151
Karl Hast
* 27.1.1897 in Schwarzenau
Der Hilfsarbeiter Karl Hast wohnte in Geisweid, war verheiratet und hatte vier Kinder.
Er war Mitglied der KPD und dort als Literaturobmann tätig. Vor 1933 war er mehrmals in auch handgreifliche Konfrontationen mit Nationalsozialisten verwickelt. Nach der Machtübergabe an die NSDAP und ihre Bündnispartner verbreitete er weiterhin Flugblätter seiner Partei. Am 27. Februar 1933 wurde er von der Gestapo verhaftet und zunächst im Polizeigefängnis Weidenau inhaftiert, von dort dann nach Werl überstellt. Da er in der Haft erkrankte, wurde er auf Anordnung des Landrats am 30. Mai 1933 aus der Haft entlassen. Für die nächsten 18 Monate stand Karl Hast unter Aufsicht der Gestapo, bei der er sich einmal wöchentlich persönlich melden musste.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.729
Richard Hees aus Eiserfeld war Mitglied der KPD und wurde nach der Machtübergabe an die NSDAP und ihre deutschnationalen Bündnispartner 1933 inhaftiert.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-749 (Wilhelm Heikaus); StA Siegen, Amt Eiserfeld, Nr. 12-007
Albert Heite wurde 1941 wegen „Widerstands“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Else Helmes aus Siegen wurde 1944 wegen „staatsfeindlicher“ Äußerungen denunziert. Zu einer Anklage kam es nicht.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-1.250 (Aloysius Merzhäuser)
Heinrich Hellwig
* 31.12.1904 in Freudenberg, kath.
Der parteilose Heinrich Hellwig arbeitete als Knappschaftssekretär bei der Siegerländer Knappschaft. Nach Denunziationen durch die Kollegen Ernst Bräm, den Knappschaftssekretär Alfred Mengel und den Knappschaftshilfsarbeiter Ludwig Fritz, er sei „gehässig“ gegen die nationale Bewegung aufgetreten“ und habe sich „mißfällig über die nationalsozialistische Bewegung“ geäußert, wurde Heinrich Hellwig im Mai 1933 aus politischen Gründen fristlos aus dem Dienst entlassen. Die Entlassung stützte sich auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933. Im Kündigungsschreiben hieß es entsprechend den Vorgaben des Gesetzes zur Begründung, „weil Sie nicht die Gewähr dafür bieten, daß Sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten.“ Bis zum Oktober 1935 war er daraufhin arbeitslos, anschließend Geschäftsführer der Vereinigten Installateure Siegen, einem Zusammenschluss von Siegener Installationsbetrieben. 1940 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Heinrich Hellwig wurde mit dem Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse ausgezeichnet.
Nach dem Ende des Regimes wurde er wieder bei der Knappschaft eingestellt und als ns-geschädigt anerkannt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.873
Rudolf („Rudi“) Hennig
* 11.3.1895 in Ohra bei Danzig, gest. 11.10.1944 im KZ Sachsenhausen
Rudolf Hennig, 1928
Der Zimmermann Rudi Hennig war seit 1920 Mitglied der KPD und zeitweise Leiter des Unterbezirks Siegen. Gewerkschaftlich war er im sozialistischen („freien“) Zentralverband der Zimmerer organisiert, dessen Vorsitz er seit 1921 innehatte. Er war seit 1930 Mitglied des Reichstags. 1933 war er Organisationsleiter des Bezirks Niederrhein in Düsseldorf, zu dem auch der Unterbezirk Siegen gehörte. Bereits am 28. Februar 1933 hatte er verhaftet werden sollen, war aber rechtzeitig in Wuppertal untergetaucht und versuchte gemeinsam mit seinem Genossen und Reichstagsabgeordneten Hans Pfeiffer, die Untergliederungen der KPD und der mit ihnen verbundenen Organisationen aufrechtzuerhalten bzw. wieder aufzubauen.
Im Juni 1933 wurde er festgenommen und am 26. November 1934 wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem Volksgerichtshof in Berlin angeklagt und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die er in Plötzensee und Wuppertal-Elberfeld verbüßte. Nach der Haftzeit wurde er nicht entlassen, sondern von der Gestapo in das KZ Esterwegen und 1937 in das KZ Sachsenhausen verbracht. Dort wurde er mit 26 weiteren Häftlingen, die im KZ eine Widerstandsgruppe gebildet hatten, am 11. Oktober 1944 erschossen.
2004 wurde in Düsseldorf ein Stolperstein für Rudi Hennig in der Fischerstraße 21 gesetzt.
PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; Gebauer, 274; Weber/Herbst, 229f.
Adam Henrich
* 23.9.1899 in Siegen, im Februar 1945 verschollen
Der Siegener Adam Henrich war Fuhrmann, später arbeitete er als Erdarbeiter (1940). Er war ein Bruder von Julie und Emil Henrich. Verheiratet war er mit Elisabeth Henrich geb. Göbel. Das Paar hatte eine Tochter. Die Ehe wurde zwar 1942 geschieden, aber 1944 lebten beide wieder zusammen in einem Haushalt, und es heißt, eine erneute Heirat sei für den 23. September 1944, Adam Henrichs Geburtstag, geplant gewesen.
Adam Henrich war Mitglied der KPD, des Kampfbunds gegen den Faschismus, in der Roten Hilfe, sang mit seinen Genossen im Arbeiter-Sängerbund und trieb Sport im Arbeiter-Sportverein Rot-Weiß von 1926.
Informationsveranstaltung der Roten Hilfe zum „Altonaer Blutsonntag“, Juli 1932
Im August 1932 war er an einer militanten Aktion gegen die Geschäftsstelle der NSDAP beteiligt. Im Prozess zu diesem Vorfall wurde er wegen Landfriedensbruchs zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt. Zum Zeitpunkt der Machtübergabe im Januar 1933 war Adam Henrich noch in Haft und damit nicht der Verfolgung durch die Rollkommandos der Nazis ausgesetzt. Am 20. August 1944 wurde er verhaftet. Die genauen Gründe dafür sind nicht bekannt, das Datum legt aber nahe, dass Adam Henrich im Zuge der Verhaftungswelle gegen NS-Gegner nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler festgenommen wurde. Er wurde nicht wie viele andere nach einigen Tagen wieder entlassen, sondern in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Dort traf er am 12. September 1944 ein, über sein weiteres Schicksal konnte die Gedenkstätte Sachsenhausen keine Auskunft geben. Sein Freund, Genosse und Mithäftling Karl Wilhelm aus Siegen gab im Entschädigungsverfahren an, dass Adam Henrich am 1. Februar 1945 auf den Todesmarsch von Sachsenhausen in das KZ Bergen-Belsen geschickt worden sei. Seitdem ist er verschollen.
Seine geschiedene Ehefrau stellte nach dem Krieg einen Antrag auf Entschädigung. Sie bekam eine Verfolgtenrente und den Status einer Verfolgten zuerkannt. Als ab 1952 alle westdeutschen Anerkennungsverfahren nach einschränkenden Kriterien überprüft wurden (Anerkennungsgesetz, 4. März 1952), wurde Elisabeth Henrich der Verfolgtenstatus und damit die Rente wieder aberkannt, da zum Zeitpunkt der Verfolgung die Ehe noch nicht bestanden habe.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284, 13.294-13.297; LA NRW, ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.808; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.049-3.804 (Walter Heringlake); ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Emil Karl Henrich
* 18.2.1910 in Siegen, 1944 verschollen in der Ägäis
Der Autogenschweißer Emil Henrich war seit 1931 mit Helene Henrich geb. Manderbach aus Eiserfeld verheiratet und hatte mit ihr zwei Söhne. Er war ein Bruder von Adam und Julie Henrich.
Er war Mitglied der KPD, des Kampfbunds gegen den Faschismus und des Arbeiter-Sportvereins Rot-Weiß von 1926. Aufgrund seiner politischen Aktivität hatte er bereits 1930 seine Arbeitstelle bei der Firma Bertrams in Siegen verloren. Seither war er erwerbslos.
Nachdem am 17. Juni 1932 die Reichsregierung die Aufhebung des geltenden SA- und SS-Verbots verkündet hatte, kam es auch in Siegen noch am selben Tag zu einer NS-Demonstration und zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten, zu denen auch Emil Henrich gehörte. Vom Landgericht wurde er wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten verurteilt, die Ende 1932 amnestiert wurde.
Nach der Machtübergabe wurde Emil Henrich am 25. Juni 1933 verhaftet und seine Wohnung durchsucht. Dabei wurden Unterlagen seines Bruders Adam gefunden und beschlagnahmt, so die Mitgliedsbücher der KPD und des Arbeitersängerbundes, die Mitgliedskarte des Kampfbunds und das Protokollbuch des Arbeitersportvereins von 1926. Emil Henrich hatte kurz vorher von einem angeblich Unbekannten zwei Druckschriften der KPD angenommen. Es handelte sich um Instruktionen der KPD für den illegalen Kampf. Wegen Vorbereitung des „hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, wurde er 1933 mit elf weiteren Mitgliedern der KPD angeklagt und in einem abgetrennten Verfahren im Oktober 1933 zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Haft verbrachte er bis zum 13. Oktober 1934 in Hamm und Düsseldorf.
Nach seiner Entlassung fand Emil Henrich zunächst keine Arbeit. Erst 1936 konnte er wieder bei der Firma Bertrams als Schweißer arbeiten. Mit der Verurteilung wegen der Vorbereitung zum Hochverrat war er als „wehrunwürdig“ eingestuft und konnte damit nicht zur Wehrmacht eingezogen werden. Als durch zunehmende Verluste im Osten die Soldaten knapp wurden, begann auch die Einberufung der Gruppe der „Wehrunwürdigen“. Dies geschah nicht in regulären Wehrmachtsformationen sondern in besonders risikoreichen „Bewährungs“einheiten. Am 1. Januar 1943 wurde Henrich zum Strafbataillon 999 ins württembergische Heuberg einberufen. Das Strafbataillon wurde in Griechenland eingesetzt, und dort ist Emil Henrich am 24. September 1944 mit einem Schiff im ägäischen Meer untergegangen. Er galt seitdem als „vermisst“.
Mit Wirkung zum 15. Juni 1949 wurde Emil Henrich für Tod erklärt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.874, Nr. 26.809; SNZ, 16.7.1934
Paul Eberhard Henrich
* 7.8.1892 in Siegen
Der kaufmännische Angestellte Paul Henrich war Vorsitzender des SPD-nahen Zentralverbands der Angestellten im Siegerland und Mitglied der SPD.
Als leitender Angestellter im Arbeitsamt der Stadt Herne wurde er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur SPD am 29. Juli 1933 aus dem Dienst entlassen, konnte aber ab Oktober 1934 als Einkaufsleiter zur Firma Dango und Dienenthal in Siegen wechseln. Am 3. Juni 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet und mehrere Wochen in Siegen inhaftiert, bevor er am 17. August 1944 entlassen wurde.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-289 (Rudolf Bernshausen); LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.868;
Willi Henrich
* 25.9.1897 in Siegen, gest. 2.5.1957 in Siegen
Der Siegener Fuhrmann Willi Henrich war von 1916 – 1918 Soldat im Ersten Weltkrieg. Er war Mitglied der KPD oder sympathisierte mit ihr bzw., so die Polizei, „verkehrte viel in kommunistischen Kreisen.“ Er wurde erstmals im Juli 1933 durch die SA verhaftet und durch das Kommando Odendahl so schwer misshandelt, das ein Krankenhausaufenthalt erfolgen musste. Der Arzt Dr. Wilhelm Stiebeling gab zu den erlittenen Verletzungen 1947 ein Gutachten ab:
„Herr Wilhelm Henrich in Siegen, … wurde im Juli 1933 in dem Rathaus zu Siegen durch Funktionäre der NSDAP mit Ochsenziemern, Gummiknüppeln und anderen festen Gegenständen so zugerichtet, dass er drei Tage später meine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen musste. Ich fand den Patienten mit ganz verschwollenem Gesicht im Bette liegend vor, er stöhnte laut. Der ganze Körper war durch tiefe Blutergüsse zwischen Haut und Muskulatur blauschwarz verfärbt, als ob er in flüssigem Teer gelegen hätte. Da hierdurch die Hautatmung fast ganz aufgehoben war, der Patient fieberte und einen schwerkranken Eindruck machte, zumal die Gefahr einer Stauungslungenentzündung in bedrohliche Nähe gerückt war, veranlasste ich die sofortige Überführung in das Stadtkrankenhaus. Dort stellte sich noch Harnbluten ein infolge locker geschlagener Nieren. Nach seiner Entlassung wurde er noch bis Anfang Dezember an den Folgen der Misshandlungen von mir weiter behandelt. Die sichtbaren Zeichen der Misshandlungen sowie deren Auswirkungen auf die inneren Organe des Körpers zeugten von einer unglaublichen Rohheit und waren das Schlimmste, was mir vor Augen gekommen ist.“
Durch die Misshandlungen wurde Henrich zu 50 Prozent erwerbsbeschränkt.
Am 2. Dezember 1933 wurde Willi Henrich erneut verhaftet und mit 25 weiteren Mitgliedern und Unterstützern der KPD vor dem OLG Hamm der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt. Er wurde mangels Beweises am 29. Januar 1934 als einziger freigesprochen. Durch den Luftangriff auf Siegen am 16. Dezember 1944 wurde das Haus der Familie Henrich in der Hundgasse 40 völlig zerstört.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr 26.810;SNZ, 30.1.1934
Erich August Hermann
* 27.12.1903 in Buschhütten, gest. 5.8.1941 im KZ Neuengamme
Der Arbeiter Erich August Hermann war mutmaßlich ab Januar 1941 im KZ Neuengamme bei Hamburg inhaftiert. Er war als „politischer Häftling“ eingestuft. Er wurde dort am 5. August 1941 ermordet.
Totenbuch Neuengamme, 66; Mitteilung Gedenkstätte Neuengamme
Liselotte („Lilo“) Herrmann
* 23.6.1909 in Berlin, gest. 20.6.1938 in Berlin-Plötzensee
Familie Herrmann mit Mutter Else, Vater Richard und den Kindern Ernst und Lilo wohnte in Siegen im Hohler Weg 48. Der Berliner Ingenieur Richard Herrmann arbeitete 1922/23 für die H. A. Waldrich KG in deren Zweigbetrieb im Siegener Stadtteil Sieghütte. Tochter Lilo besuchte in dieser Zeit das Mädchengymnasium in der St.-Johann-Straße (heute: Kulturzentrum „Lyz“). Es ist nicht bekannt, ob es eine verwandtschaftliche Beziehung zu der in Siegen beheimateten jüdischen Familie Herrmann gab.
Die Familie zog mehrfach um. Das Abitur machte Lilo Herrmann in Berlin. Dort war sie inzwischen dem Sozialistischen Schülerbund (SSB) beigetreten. In Stuttgart nahm sie ab 1929 ein Chemiestudium auf. Sie wurde in der Roten Studentengruppe und im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) aktiv. Ab 1931/32 studierte sie in Berlin Biologie. Dort trat sie im selben Jahr der KPD bei. Überliefert ist aus dieser Zeit die gemeinsame Arbeit mit ihrem Mitstudenten der Biologie und Freund seit SSB-Zeiten Diethelm Scheer an „Thesen zu den Rassentheorien“. Sie besuchte Kurse der Marxistischen Arbeiterschule („Masch“).
Nachdem Lilo Herrmann 1933 als eine von 110 Studierenden einen Aufruf zur Verteidigung demokratischer Rechte und Freiheiten an der Berliner Universität unterschrieb, wurde sie (wie alle anderen Unterzeichnenden) am 11. Juli 1933 von der Hochschule verwiesen. Die illegale politische Arbeit setzte sie fort. Nach der Geburt ihres Sohns zog sie nach Stuttgart und arbeitete als Sekretärin im Ingenieurbüro ihres Vaters.
In Württemberg war sie innerhalb eines KPD-Netzwerks tätig, das der von seiner Partei von Bremen nach Stuttgart geschickte Bezirksleiter Stefan Lovász in Württemberg aufbaute. Es beschaffte Informationen über die geheime Aufrüstung, so etwa zur serienweisen Produktion von Kampfbombern entgegen den Bestimmungen der Verträge von Versailles in den Dornier-Werken in Friedrichshafen. Es unterhielt Kontakte in die Schweiz, die auch dazu dienten, Informationen an die ausländische Presse gelangen zu lassen. Lilo Herrmann arbeitete mit Stefan Lovász eng zusammen. Bei ihm handelte es sich ausweislich einer Mitteilung des KPD-Funktionärs Franz Feuchtwanger aus der Leitungsebene der Abwehrorganisation der Partei um einen Angehörigen der Roma-Minderheit („ein unverfälschter Zigeuner, wie er bestätigte“).
1935 wurden die illegalen Strukturen von der Gestapo aufgedeckt und mit anderen wurde auch Lilo Herrmann festgenommen. Es kam zu einem Verfahren vor dem Volksgerichtshof in Berlin. Lilo Herrmann, Stefan Lovácz, Artur Göritz und Josef Steidle wurden am 11. Juni 1937 zum Tode verurteilt und trotz zahlreicher internationaler Proteste am 20. Juni 1938 in Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet.
Lilo Herrmann hatte in der Erinnerungs- und Gedenkkultur der DDR einen festen Platz. Zahlreiche öffentliche Einrichtungen, darunter eine Pädagogische Hochschule, trugen ihren Namen. Ein Film mit dem Drehbuch von Stephan Hermlin wurde 1987 produziert. Paul Dessau komponierte für sie das Melodram „Lilo Herrmann“ nach einem biografischen Poem von Friedrich Wolf. In Westdeutschland bedurfte es einer langwierigen Auseinandersetzung im Rahmen eines regionalen „Historikerstreits“, bis in Stuttgart 1988 der Stadtjugendring im Stadtgarten einen Gedenkstein aufstellen konnte. 2016 wurde er mit einem Hakenkreuz beschmiert. 2008 wurde in privater Initiative und mit Beteiligung von Schülergruppen zweier Gymnasien vor dem vormaligen Stuttgarter Wohnhaus in der Hölderlinstr. 22 ein Stolperstein verlegt. Dazu war Lilo Herrmanns Sohn Walter gekommen.
Im Siegerland gibt es nichts, was an ihren zeitweiligen Aufenthalt erinnert. Sie dürfte dort weitgehend unbekannt sein.
Literatur (Auswahl):
– Ditte Clemens, Schweigen über Lilo, Rostock 1993
– Stephan Hermlin, Die erste Reihe, Berlin (DDR) 1951
– Karl-Heinz Jahnke, Jugend im Widerstand. 1933 – 1945, Frankfurt am Main 1985
– Vereinigung der Verfolgten Naziregimes, Landesverband Baden-Württemberg (Hrsg.), Lilo Herrmann. Eine Stuttgarter Widerstandskämpferin. Bearbeitet von Lothar Letsche, Stuttgart 1989
– Friedrich Wolf, Lilo Herrmann. Die Studentin von Stuttgart. Ein biographisches Poem, Berlin (DDR) 1951
EB 1923; Stuttgarter Zeitung, 10.3.2016; Feministische Biografieforschung (fembio); Humboldt-Universität, Biografie; Stolperstein-Initiative Stuttgart
August Hesse
* 7.5.1894 in Willersdorf (Kr. Frankenberg)
Der Bauarbeiter August Hesse war verheiratet mit Martha Hesse geb. Imhäuser und hatte mit ihr drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Ein Sohn starb als Soldat im Zweiten Weltkrieg, und der zweite kehrte 80 Prozent kriegsbeschädigt heim.
August Hesse war seit 1924 Mitglied der KPD. Er arbeitete seit 1929 bei der Firma Arthur Müller als Einschaler und wurde im Juni 1932 arbeitslos.
Nach der Machtübergabe wurde er festgenommen. Das OLG Hamm klagte ihn und 25 weitere Mitglieder und Unterstützer der KPD der Vorbereitung zum Hochverrat an und verurteilte ihn am 29. Januar 1934 zu einem Jahr und vier Monaten Zuchthaus. Zuchthausstrafen hatte das Gericht bei Tatbeständen ab Mai 1933 verhängt, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ eingetreten sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Inhaftiert wurde August Hesse im Gefängnis von Siegen, in Werl, von Februar bis Juni 1934 im KZ Neusustrum, anschließend in Münster und im Zuchthaus Brandenburg-Görden bis zum Februar 1935. Während der Inhaftierung in Neusustrum wurde er abends des Öfteren aus der Baracke geholt und musste nur im Hemd längere Zeit in der Kälte stehen, wie sein Mithäftling Alfred Brinkschulte im Entschädigungsverfahren mitteilte. Nach der Haft arbeitete er bei der Firma Holzmann beim Bau der Kasernen auf dem Wellersberg.
Nach dem Krieg wurde Hesse wieder Mitglied der KPD.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.811; ebenda, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; SNZ, 30.1.1934; V, 26.4.1924; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Walther Hesse
* 7.8.1881 Triebel (Mark Brandenburg)
Der Laaspher Rechtsanwalt und Notar Walther Hesse war verheiratet mit Katharina Hesse geb. Schrader.
Nachdem Walther Hesse 1935 in einem Zivilprozess einen jüdischen Laaspher vertreten hatte, wurde auf Initiative des Laaspher Alten Kämpfers und Lehrers Walther Balzer in der Nähe seiner Kanzlei ein zehn bis 15 Meter langes Transparent mit der Aufforderung „Geht nicht zu jüdischen Rechtsanwälten“ angebracht. In der Wittgensteiner National-Zeitung der NSDAP hatte Balzer zuvor schon Walther Hesse diffamiert, einem „schmierigen Juden Helfersdienste zu erweisen“. Wer Juden vor Gericht vertrete, sei „ein Verräter an den Belangen des Volkes“. Der Rechtsanwalt habe „ein schweres Verbrechen“ begangen und sei wohl am Ende selbst ein Jude. „Einem blutsreinen, unverdorbenen deutschen Rechtsanwalt wäre die innere Stimme Mahnung genug gewesen“, das Mandat abzulehnen. Man solle sich von dem Rechtsanwalt fernhalten. Er möge mitsamt seinem „sauberen Mandanten zum Teufel gehen“. „Heimatrecht und Heimatstätte“ hätten „nur die bei uns, die das reine Blut der Väter in sich tragen“ würden.
Im Jahr darauf zwang die SA den Sohn Heinz des nichtjüdischen Rechtsanwalts als „Rasseschänder“ zu einem Umzug durch Laasphe mit Schild und Schelle. Auf dem Schild stand „Ich habe eine Arierfrau geschändet“. Wiederum also wurde die unerwünschte Familie Hesse der jüdischen Minderheit zugeordnet. Hintergrund der Diffamierung war, dass Mitbürger den Jungen bei einem Rendevous mit einem Laaspher Mädchen beobachtet und ihn anschließend denunziert hatten.
Nach dem Ende des Regimes trat Walther Hesse der CDU bei. Von 1946 bis 1951 war er Bürgermeister von Laasphe. Als Rechtsbeistand fungierte er in Entnazifizierungsverfahren und in Prozessen zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen (NSG-Verfahren).
Balzer, der zu den Verfolgern von Walter Hüsken am Hilchenbacher Lehrerseminar gehört hatte, 1925 der NSDAP beigetreten war („ältester Pg. des Gaues“) und trotz des Verbots der Übernahme von Nazis in den preußischen Staatsdienst in den Weimarer Jahren unbehelligt als Volksschullehrer hatte wirken können, wurde 1945 aus dem Schuldienst entlassen und interniert, aber bereits 1948 als nur „nominelles Mitglied“ der NSDAP entnazifiziert, so dass er wiedereingestellt werden konnte. Die Ortsgruppen Laasphe der SPD, der CDU und der FDP hatten keinerlei Bedenken. Balzer sei „stets anständig“ geblieben, habe nie Andersdenkende und Schüler zu beeinflussen versucht und überhaupt „sehr bald abseits [des Regimes] gestanden“.
Dagegen stand einsam der erfolglose Widerspruch von Walther Hesse, der seinen Verleumder und Verfolger als „einen der schärfsten Vertreter des Nazismus“ qualifizierte.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.037 B VI-9.546 (Walther Balzer); ebenda, NW 1.127-1.566 (Walther Balzer); WNZ, 24., 27.7.1935; Schmidt 1991, 88; Zacharias, 5
Ferdinand Heupel
* ca. 1873, gest. 1946
Ferdinand Heupel nach dem „Verhör“ durch die SA im Arrestgebäude in Wilnsdorf, 21.7.1933
Der Wilnsdorfer Schneidermeister Ferdinand Heupel war bis 1933 Mitglied der Zentrumspartei, für die er 1930 in den Kreistag gewählt wurde. In seinem Ort war er ein bekannter Nazigegner. Als am 30. Juni 1933 ein SA-Schlägertrupp unter der Leitung des Sturmführers Karl Bellersheim loszog, um Gegner zum Schweigen zu bringen, war Ferdinand Heupel eins der Ziele. Er wurde im Wilnsdorfer Arrestgebäude von mehreren SA-Angehörigen „mit Koppeln, Riemen und Stuhlbeinen“ geprügelt. Die erlittenen Verletzungen zogen eine vierwöchige Bettlägerigkeit und anhaltende Schädigungen nach sich. So blieben nach dem Ausheilen mehrere Finger versteift, was bedeutete, dass Heupel seinen Schneiderberuf nicht weiter ausüben konnte.
Die Tat des SA-Trupps hatte für drei seiner Angehörigen 1948 ein Verfahren zur Folge. Im Ergebnis wurden alle drei Angeklagten mangels Beweises freigesprochen.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-1.194 (Fritz Klein); SZ, 6.11.1929, 22.1.1931, 3.3.1933; WP/Sl, 4.5.1948; Arrestgebäude „Räst“ Wilnsdorf. Wilnsdorfer SA-Ausschreitungen
Anton Heuser wurde 1941 im Landgerichtsgefängnis Siegen wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Werner Albert Heuzeroth
* 18.5.1920 in Niederschelden, ev. (1946)
Der Schlosser Werner Heuzeroth in Niederschelderhütte war verheiratet mit Ruth Heuzeroth. Im Februar 1944 wurde er festgenommen, weil er sowjetischen Zwangsarbeitern der Ingo-Werke der SIEMAG in Eiserfeld Butterbrote gegeben hatte. Er wurde nach drei Wochen wieder entlassen. Zum Gang des Verfahrens ist nichts bekannt.
Nach dem Ende des NS-Regimes trat er der KPD bei und arbeitete als Zusteller für den regionalen Zeitungsverlag der KPD. Auch nach dem Verbot seiner Partei 1956 blieb er politisch aktiv. Er wurde Mitglied der DFU. Seine Frau Ruth gab in den 1960er Jahren ein Informationsblatt einer mutmaßlich der DFU nahestehenden Arbeitsgemeinschaft für deutsche Politik-Siegerland-Westerwald heraus.
Werner Heuzeroth stand in ausgeprägter Distanz zur Mehrheit der inzwischen illegalisierten KPD und später dann der DKP. Er organisierte sich zunächst in der nach einem Zirkular benannten Gruppe „Wahrheit“ (1967) und war dann einer der Gründer der 1967 im Siegerland daraus hervorgehenden Freien Sozialistischen Partei/Marxisten-Leninisten (FSP/ML), dann der Gruppe „Roter Morgen“, aus der sich 1968 die maoistisch orientierte KPD/ML bildete, die sich jedoch bereits im Jahr darauf vom Kreisverband Siegen-Olpe distanzierte. Es handle sich, hieß es, dabei um eine „Sekte“. Die Gruppe KPD/ML, Kreisverband Siegen-Olpe-Altenkirchen, um Werner Heuzeroth blieb auf Abstand zu den anderen maoistischen Zusammenschlüssen. Das von ihm herausgegebene „Parteiorgan“ Die Wahrheit, Nachfolger einer gleichnamigen Siegerländer KPD-Kleinzeitung der 1950er Jahre, erschien bis gegen Ende der 1980er Jahre und dann erneut in den 1990er Jahren.
Werner Heuzeroth war spätestens seit den 1960er Jahren als Gastwirt in Niederschelderhütte tätig. Er führte dort im Hüttenweg die Gaststätte „Haus Freundschaft“, die in auffälliger Weise mit einem großen Grafitto die Verbundenheit des Wirts mit der VR China bekundete.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 42-83 (Werner Heuzeroth); PS Ulrich F. Opfermann; Der Spiegel, 20 (1967), Nr. 21, 68; ebenda, 21 (1968), Nr. 48, 68-70; Roter Morgen, April 1969; trend.online-zeitung, 01-2009; mao-projekt, 1; mao-projekt, 2
Kurt Hickmann
* 22.8.1908 in Düsseldorf
Kurt Hickmann lebte seit 1938 als Apotheker in Hilchenbach. Er war von 1938 – 1942 Mitglied der NSDAP und außerdem von 1941 bis 1945 im von den Nationalsozialisten gegründeten
Reichskolonialbund. Obwohl er Mitglied der NSDAP war, mit deren Politik war er wohl nicht einverstanden. Drei Mal wurde er kurzzeitig verhaftet und 1942 vor dem Sondergericht Dortmund wegen öffentlicher „Redereien als heimtückische Angriffe gegen Staat und Regierung“ angeklagt und zu einer kurzen Haftzeit und 2.000 RM Geldstrafe verurteilt. Die Haftzeit war durch die Untersuchungshaft abgegolten. „Obwohl das Gericht nach dem Urteilsspruch die sofortige Haftentlassung anordnete, wurde ich nach Schluss der Verhandlung von der Gestapo erneut verhaftet.“ so seine Selbstaussage im Entnazifizierungsverfahren 1948. In dem Verfahren wurde er in die Kategorie V „Entlastete“ eingeordnet.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 34-385 (Kurt Hickmann), NW 1.111 BG. 40-10 (Ernst Keller)
Christian Hinsen
* 30.11.1886 in Langenau, kath.
Der Schreinermeister Christian Hinsen lebte in Siegen. Er hatte sich dem Verband Christlicher Holzarbeiter angeschlossen und war zum Gewerkschaftssekretär bestellt worden (1920-1933). Christian Hinsen war Mitglied der Zentrumspartei und Stadtverordneter in Siegen. Er trat in das Reichsbanner ein, dessen Vorsitzender er bis zum August 1930 war, und gehörte zu den regelmäßigen öffentlichen Beiträgern des im Siegerland unpopulären Nationalfeiertags der Weimarer Republik, dem „Verfassungstag“ am 11. August. Den Vorsitz des Reichsbanners gab er nach einem Konflikt über die Brüningsche Notverordnungspolitik auf. Das Reichsbanner wandte sich öffentlich dagegen, was Hinsen ablehnte.
Nach dem Machtantritt der NSDAP und ihrer deutschnationalen Verbündeten war er Wohnungsdurchsuchungen ausgesetzt. Im Oktober 1933 kam er in „Schutzhaft“. Er wurde vor dem Landgericht Siegen angeklagt, eine verbotene Schrift („Christus nicht Hitler“) unter den Kollegen verbreitet zu haben. Im Januar 1934 wurde er wegen erwiesener Unschuld freigesprochen.
Nach dem Ende NS-Deutschlands ging Christian Hinsen als Reichsbahnbeamter zum Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Krefeld-Oppum, wo er 1946 zum Werkführer ernannt wurde. Er verstand das als „Wiedergumachung“ im NS-Regime erlittener Benachteiligungen. Er trat nun der CDU bei.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.010-16.342 (Christian Hinsen), 1.010-10.443 (Christian Hinsen); SZ, 3.3.1933; SNZ, 31.1.1934; Pfau 2000, 60, 72, 82, 95
Wilhelm („Willi“) Hirsch
* 22.7.1898 in Hilchenbach
Der Lagerarbeiter Willi Hirsch war verheiratet mit Martha Hirsch geb. Dietrich und hatte mit ihr zwei Kinder. Vin 1924 bis 1928 war er als ehemaliger Frontsoldat im Stahlhelm. Dann wechselte er in die KPD. Er war auch Mitglied der Roten Hilfe in Siegen.
Nach der Machtübergabe wurde er am 28. Juli 1933 mit 25 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern, gegen die wegen Vorbereitung zum Hochverrat ermittelt wurde, verhaftet und vor dem OLG Hamm angeklagt. Er wurde am 29. Januar 1934 zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilt. Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Bis Juni 1934 war Willi Hirsch in Siegen, Hamm und Herford inhaftiert, die weitere Zeit der Haft bis zum 1.2.1935 musste er in einem der KZ im Emsland verbringen. Durch diese Verurteilung verlor er auch seine Wehrwürdigkeit und wurde folglich nicht zur Wehrmacht eingezogen. Am 4.1.1944 wurde er zum Strafbataillon 999 – aufgestellt nach den hohen Verlusten der Wehrmacht an der Ostfront – nach Baumholder eingezogen und beim Kriegseinsatz auf Korfu verwundet. Nach dem Krieg war Hirsch Mitglied der VVN in Siegen.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284, 13.294-13.207, 13.423, 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.813; Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; SNZ, 30.1.1934; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Karl Hirtes
* 19.12.1890 in Wetzlar
Karl Hirtes war von Beruf Steinmetz und wohnte im Bürbacher Weg 75 (1940). Er war Mitglied der KPD und wurde 1934 zusammen mit weiteren 25 Mitgliedern und Unterstützern der KPD festgenommen. Er wurde vor dem OLG Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und am 29. Januar 1934 zu acht Wochen Gefängnis verurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ITS Arolsen 1.2.2.1/2.933-3.132/2.992/0.131; EB Siegen 1940
Peter Holtackers
* 7.2.1900 in St. Hubert (Kr. Viersen), verschollen seit dem 18.3.1944
Der Arbeiter Peter Holtackers wuchs am Niederrhein auf. Sein Vater starb als Soldat im Ersten Weltkrieg. In Siegen meldete Holtackers sich am 27. Oktober 1927 als von Hüls bei Krefeld kommend an. Er war verheiratet mit Lore Holtackers geb. Müller (1906-1955) aus Siegen. Zunächst arbeitete er bis 1929 im Baugeschäft Fritz Baum. Noch im gleichen Jahr wechselt er als Fahrer in ein Transport- und Taxiunternehmen. Holtackers trat 1931 der KPD und 1932 dem Kampfbund gegen den Faschismus bei, dessen politischer Leiter er von Januar bis März 1933 war. Seit 1932 war er auch Mitglied der Roten Hilfe.
Im Juni 1933 wurde Peter Holtackers verhaftet, bei einer Hausdurchsuchung wurden in seiner Wohnung eine Scheibenbüchse Kaliber 9 mm, ein Revolver Kaliber 11 mm und ein Dolch gefunden. Im folgenden Gerichtsverfahren wurde er zusammen mit 25 weiteren Kommunisten wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und am 29. Januar 1934 zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Zuchthausstrafen hatte das Gericht bei Tatbeständen ab Mai 1933 verlangt, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ eingetreten sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Die Haft verbrachte Peter Holtackers in den Gefängnissen von Siegen und Hamm und vom Februar 1934 bis Juni 1936 im KZ Neusustrum. Nach seiner Haftentlassung arbeitete Holtackers als Bauhelfer und Maurer im Betrieb des ehemaligen KPD Mitglieds Rudolf Müller. Obwohl Peter Holtackers durch die Verurteilung als „wehrunwürdig“ eingestuft war, wurde er Ende 1942 zur Wehrmacht eingezogen. Er wurde dem in Siegen stationierten Artillerieregiment 9 als Fahrer in einer Transporteinheit zugeteilt und nach einer zweiwöchigen Ausbildung an die Front in der Sowjetunion geschickt. Das letzte Lebenszeichen von Peter Holtackers war ein Feldpostbrief an seine Frau. Er gilt als seit dem 18. März 1944 verschollen.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.814; SNZ, 30.1.1934; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Heinrich Hundt hatte sich angetrunken am 5. Juli 1936 in zwei Siegener Gaststätten als Kommunist ausgegeben und Äußerungen getan, die „das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben“ geeignet gewesen seien. Er war denunziert und festgenommen worden und hatte sich dabei zur Wehr gesetzt. Das Sondergericht Dortmund verurteilte ihn in Siegen wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis.
SZ, 8.12.1936
Walter Wilhelm Hüsken
* 1.11.1886 in Rheydt geboren, gest. 20.8.1975 in Frankfurt am Main
Der Lehrer Walter Hüsken war verheiratet mit Franziska Hüsken geb. Edelmann. Er unterrichtete von 1920 bis 1923 als Oberlehrer für Deutsch und Geschichte angehende Volksschullehrer am Präparandenseminar in Hilchenbach. Er war seit 1921 Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP), deren Vorsitzender in Hilchenbach und Abgeordneter im Kreistag. Er war Pazifist und Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG). Als die DDP sich im Kontext der allgemeinen Rechtswende Ende der 1920er Jahre auflöste, um sich mit dem antisemitischen und autoritären Jungdeutschen Orden (Jungdo) zusammenzutun und um 1930 die rechtsstehende Deutsche Staatspartei (DStP) zu gründen, vollzog Walter Hüsken diesen Schritt nicht mit. Er gehörte 1930 zu den Gründern der linksliberalen Radikaldemokratischen Partei.
Völkische antisemitische Aktionseinheit, erste Hälfte der 1920er Jahre
Das Hilchenbacher Seminar war eine Hochburg völkischer Nationalisten und erklärter Antisemiten, die zum Teil im Jungdeutschen Orden, in einer Ersatzorganisation der verbotenen NSDAP und in ähnlichen Gruppierungen organisiert waren. Seminaristen, Dozenten und der Seminarleiter drangsalierten in zermürbenden gezielten Angriffen am Arbeitsplatz und in der rechtslastigen regionalen Öffentlichkeit Walter Hüsken, der seine Ansichten nicht verbarg und daher störte, mit dem erklärten Ziel, ihn wegzuekeln. Zu seinen besonders aktiven Gegnern gehörte der spätere SA-Führer und Heimatgeschichtler Dr. Lothar Irle.
Der Konflikt schlug hohe Wellen. Auf seiner Seite hatte Walter Hüsken die DFG und mit einem zusätzlichen, eigenständigen Appell deren Vorsitzenden Heinrich Otto, die Deutsche Liga für Menschenrechte und den Bund entschiedener Schulreformer. Er bat das Kultusministerium der in Preußen regierenden Großen Koalition (SPD, Zentrum, DDP, DVP) um Hilfe, aber „umsonst“, wie die DFG enttäuscht feststellte. Sie verwies vergleichend auf den weithin beachteten „Fall Fechenbach“ (1922) (der einen engen Verwandten der wenig später nach Siegen zuziehenden Paula Jagusch geb. Fechenbach betraf).
Nachdem Walter Hüsken von seinen Verfolgern in den Nervenzusammenbruch getrieben worden war, wurde er vom Kultusministerium 1923 an ein anderes Seminar versetzt, allerdings ohne dort arbeiten zu dürfen.
In der nun eintretenden mehrjährigen beruflichen Zwangspause wurde er als Vertreter und Mitarbeiter der reichsweit in hoher Auflage erscheinenden, von ihm nun stärker reformpädagogisch ausgerichteten Zeitschrift „Schule und Elternhaus“ tätig, die von dem Siegener Verleger Josef Balogh herausgegeben wurde, ebenfalls Mitglied der DDP und der DFG sowie Mitbegründer des republikanischen Reichsbanners.
Zu Jahresbeginn 1927 übernahm Walter Hüsken das Rektorat der Volksschule Eschersheim in Frankfurt a. M., die nach dem Konzept des „Neuen Bauens“ umgestaltet wurde und als eine Reformschule den Namen „Ludwig-Richter-Schule“ erhielt. Eine der Schülerinnen dort war mit Margot Frank (gest. 1945 im KZ Bergen-Belsen) eine Schwester von Anne Frank.
Walter Hüsken war einer der ersten von den neuen Machthabern nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in Frankfurt Entlassenen. Zum Jahresende 1933 musste er damit ein zweites Mal seinen Lehrerberuf aufgeben. Die Siegener Zeitung teilte ihren Siegerländer Lesern den Sachverhalt nicht ohne Genugtuung und mit einer gehässigen Bemerkung mit. Man habe diesen Seminarlehrer „noch in guter Erinnerung als das geistige Oberhaupt der hiesigen Pazifisten.“ Hüsken eröffnete nun ein Reisegewerbe mit Porzellan und Bestecken, um die Familie zu ernähren.
Nach dem NS-Ende kehrte er zu seiner bis 1933 geübten bürgerschaftlich-kritischen Praxis zurück. Früh nahm er an der beginnenden öffentlichen Diskussion um Neutralität und Remilitarisierung teil, so etwa im April 1947 an einer Tagung der „Heidelberger Aktionsgruppe zur Demokratie und zum freien Sozialismus“, in deren Mittelpunkt die Frage der Neutralisierung Gesamtdeutschlands stand. Er leitete seit 1946 den wiedergegründeten traditionsreichen „Frankfurter Friedensverein“ und mischte sich rege in die Debatten um die ins Auge gefasste Wiederaufrüstung ein. Als er erfuhr, dass der regional gut bekannte antisemitische frühere Seminardozent und deutschnationale Kollege Walter Nehm wieder in den Siegerländer Schuldienst übernommen werden sollte, intervenierte neben anderen auch aus Frankfurt Walter Hüsken. Nehm sei ein „Antidemokrat und Jugendverhetzer, … überzeugter Antisemit und Anhänger völkischer Ideen“. Erfolgreich war der Protest nicht: Nehm unterrichtete schon bald wieder.
Walter Hüsken wurde 1967 das Bundesverdienstkreuz am Band verliehen.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111-BG-33-54 (Walter Nehm); Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a. M., Personalakten, Nr. 196.608, Sterbebucheintrag des Standesamts; PS Ulrich F. Opfermann, Regionale Friedensbewegung; SZ, 14.2.1921, 17.11.1933; Appelius, 134; Fries, 24; Hesse 1999; Hesse 2011; Mugdahn, 38, 72; Müller; Opfermann 2009, 58f.
I
Adolf Immel
* 19.4.1888 in Siegen
Der Former Adolf Immel war der Ehemann von Henriette Immel geb. Betz und der Vater von Ernst Immel. Er arbeitete in der Siegener Eisengießerei in Kaan-Marienborn. Er war Mitglied der KPD und von 1932 bis zum Verbot der Partei deren politischer Leiter in Siegen.
Adolf Immel wurde im März 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt. Er wurde am 7. Oktober 1933 ein weiteres Mal durch die Gestapo verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat wiederum vor dem OLG Hamm angeklagt. Er erhielt eine Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten. U-Haft und Strafhaft verbrachte er in den Gefängnissen von Siegen, Hamm, Herford und Hagen. Am 12. Januar 1935 wurde er entlassen. Nach der Entlassung fand er als Antifaschist keine Arbeitsstelle. Daraus ergab sich eine soziale Herabstufung. Er wurde der Stadt Siegen als Pflichtarbeiter zugeteilt und als Friedhofsarbeiter eingesetzt. Dies bedeutete ein deutlich geringeres Einkommen. Später gelang es ihm, wieder in Normalarbeitsverhältnissen Fuß zu fassen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.815
Ernst Friedrich Wilhelm Immel
* 26.10.1910 in Allendorf bei Haiger
Der Maler und Anstreicher Ernst Immel war wie sein Vater Adolf Immel Mitglied der KPD. Politisch aktiv war er auch im Kampfbund gegen den Faschismus.
Gemeinsam mit seinem Vater und 26 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern wurde er im März 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt. Erneut wurde Ernst Immel am 7. Oktober 1933 auf seiner Arbeitsstelle bei der Siegener Firma Kottmann durch die Gestapo verhaftet. Im Gefängnis wurde er durch den SA Mann Knebel geschlagen und misshandelt. Durch diese Misshandlungen wurde er schwerhörig. Es folgte wieder eine Anklage wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm. Ernst Immel wurde zu einer Gefängnisstrafe von 6 Monaten verurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.816;
Henriette Immel
6.9.1891 in St. Goar, gest. 29.3.1956 in Eiserfeld
Henriette Immel geb. Betz war kein Mitglied der KPD wie ihr Mann Adolf Immel, doch stand sie der Partei nahe. Sie war Mitglied der Roten Hilfe und dort als Kassiererin tätig. Als ihr Ehemann und ihr Sohn am 7. Oktober 1933 verhaftet wurden, erlitt sie einen Nervenzusammenbruch. Als sie ihren Sohn Ernst Immel im Gefängnis besuchte, erfolgte ein erneuter Nervenzusammenbruch beim Anblick des Misshandelten. Am 9.10.1933 wurde auch sie von der Gestapo verhaftet und in Siegen inhaftiert. Sie wurde durch das OLG Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt, das Verfahren aber aus Mangel an brauchbaren Ermittlungsergebnissen eingestellt. Nach ihrer Entlassung nach fünf Monaten U-Haft musste sie sich einmal wöchentlich bei der Polizei melden.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.817
Karl Irle
* 19.9.1908 in Allenbach
Karl Irle war Schlosser in der Firma Wilhelm Schuhmacher in Allenbach. Er trat 1925 dem antisemitischen und republikfeindlichen Jungdeutschen Orden (Jungdo) bei, einem Konkurrenten der NSDAP, bei dem er Jugendführer wurde. Nach der Gründung der Deutschen Staatspartei (DStP) aus dem Jungdeutschen Orden (Jungdo) und einer sich nach rechts wendenden Mehrheit der moderat linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) 1930 wurde er Mitglied der neuen Partei.
Jungdo als bürgerliche Mitte für „das Vaterland über die Partei“ und gegen Rechts, Links und Juden, Regionalorganisation Siegerland, siehe auch Walter Hüsken
Nachdem 1933 alle Parteien außer der NSDAP entweder verboten wurden oder sich selbst auflösten, hielt Irle illegal weiter Kontakt zu den Mitgliedern des Jungdeutschen Ordens und der DStP. Am 18. April 1940 wurde er auf seiner Arbeitsstelle durch einen Beamten des Reichssicherheitshauptamts und einen Mitarbeiter der Gestapoleitstelle Hannover verhaftet. Vor dem Sondergericht Hannover wurden er und 28 weitere Männer der illegalen Fortführung des Jungdeutschen Ordens und somit eines Vergehens gegen § 2 des Gesetzes gegen die Neubildung von Parteien angeklagt. Unter den Angeklagten befanden sich drei weitere Siegerländer, der Kaufmann Walter Dick aus Weidenau, der Schweißer Arnold Siebel aus Allenbach und der kaufmännische Angestellte Willi Schmidt aus Siegen. Insgesamt wurden sieben Angeklagte zu Haftstrafen verurteilt, darunter Karl Irle, der neun Monaten Gefängnis erhielt. Am 20. Mai 1941 wurde Karl Irle aus dem Gefängnis entlassen, zwar umgehend wieder in Gewahrsam genommen, aber doch wenige Tage später endgültig entlassen. Im Februar 1942 wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Er überlebte den Krieg.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 6-300 (Karl Irle); LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.734; Werner, 415ff.
Von Lorenz Jäger ist nur sehr wenig bekannt. Dass er von der NSDAP und ihrer Anhängerschaft als Oppositioneller betrachtet wurde, geht daraus hervor, dass er 1933 deren Opfer wurde. Ein SA-Schlägertrupp unter Führung von Ewald Klöckner misshandelte ihn und andere.
1947 kam es zu einem Verfahren gegen die Gruppe vor dem Landgericht in Siegen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nicht die Tat gegen Lorenz Jäger war angeklagt, sondern die schwere Misshandlung von Albert Decker aus Dahlbruch. Haupttäter Klöckner wurde für das Verbrechen an Decker zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, bereits nach der Hälfte der Haftzeit aber wieder entlassen. Lorenz Jäger hatte ihn belastet, für Klöckner hatte als Leumundszeuge der Alte Parteigenosse Dr. jur. Emil Hoffmann gesprochen.
Dass Lorenz Jäger ebenfalls ein Opfer der Schläger geworden war, erklärte er erst in Klöckners Entnazifizierungsverfahren. Die Gewalttätigkeiten an ihm blieben ungesühnt. Entnazifiziert wurde Klöckner als ein nur „nominelles Mitglied“ der NSDAP, da er, wie der Ausschuss in Übernahme seiner Schutzbehauptungen unterstellte, einen „recht gefährlichen Kampf … gegen Nazikorruption“ geführt habe und sich „immer mehr“ zum „Nazi-Gegner“ gewandelt habe.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 1-120 (Walter Bruch), NW 1.127-1.406 (Ewald Klöckner); Fr, 8.7.1947; WR/Rt, 12.7.1947
Robert Jagusch
* 24.2.1888 in Neidenburg (Nibork/Nidzica; Masuren), Siegen (1926/27-1938), gest. 24. oder 25.6.1938 im KZ Sachsenhausen
Robert Jagusch kam aus einer zumindest, was die mütterliche Seite angeht, masurischen („ost“)jüdischen Familie. Seine mütterlichen Großeltern waren Hirsh Katzki – geboren in Nibork – und Jeanette geborene Cohn. Zwei der vier Kinder der beiden, die Töchter Johanna und Wilhelmine, heirateten in die Niborker Familie Jagusch ein. Johanna verehelichte sich mit Adolf und Wilhelmine sich mit Ludwig Jagusch.
Die Bäckerfamilie Johanna und Adolf Jagusch hatte sieben Kinder, Robert war vor Alwine, Max, Alfred, Emil, Helene und Rosalie der Älteste. Mindestens dieser Teil der Großfamilie Jagusch/Katzki migrierte noch im Kaiserreich aus Masuren in den Westen Preußens, ins Ruhrgebiet und dort nach Dortmund. Die Männer gingen in die Industriearbeit. Robert Jagusch arbeitete als Brauer bei der Union-Brauerei, bis er zum Kriegsdienst gezogen wurde. 1916 heiratete er Paula Fechenbach aus einer westjüdischen Kaufmannsfamilie in Mergentheim an der Tauber, deren jüngere Generation zum Teil mit der politischen Linken sympatisierte oder sich ihr auch anschloss. Felix Fechenbach (SPD, USPD, Poale Zion), der Sekretär von Kurt Eisner (USPD), dem ersten bayerischen Ministerpräsidenten nach der Novemberrevolution, war ein Vetter von Paula Jagusch.
Nach dem Ende des Kriegs und einer Zeit der Arbeitslosigkeit wurde Robert Jagusch Reisevertreter in Textilien. 1922 verließ das Paar Dortmund und zog nach Igersheim an der Tauber, von wo die beiden im Mai 1925 nach Siegen kamen.
Das Ehepaar wohnte zunächst am Wellersberg in der Schillerstraße 4. Paula betrieb dort zeitweise eine Butter- und Eierhandlung. Das Ehepaar lebte in einer bürgerlichen Wohnumgebung, die auch nach dem Umzug zu Jahresbeginn 1930 in die Körnerstraße 5 (ebenfalls am Wellersberg) beibehalten wurde. Kinder hatte es nicht.
Sie standen außerhalb der Siegener Synagogengemeinde. Zu einem unbekannten Zeitpunkt schloss mindestens Robert sich der KPD an. Im Siegener Arbeitermilieu war er eine auffällige Erscheinung. In der Zeitzeugenerinnerung wird er als besonders gebildet beschrieben und seine Frau als „sehr bürgerlich“. Er wurde Mitglied im Kampfbund gegen den Faschismus, in der Roten Hilfe, in der er Leitungsfunktionen innehatte, und im Bund der Freunde der Sowjetunion. Die drei mit der KPD verbundenen Organisationen organisierten im Siegerland Aktivitäten gegen die aufkommende NS-Bewegung.
Von Robert Jagusch sagte später ein Zeitzeuge, er sei „der erste Kommunist im Siegerland“ gewesen, „der am Anfang des Faschismus, wie die Schlägerei angefangen hat, … misshandelt worden“ sei. Nach der Machtübergabe konnte er nicht mehr auf dem vormaligen Tätigkeitsniveau arbeiten. Er wurde zur „Pflichtarbeit“ gezwungen, die er täglich auf dem Lindenberg-Friedhof zu verrichten hatte. Spätere Haftpapiere bezeichnen ihn als „Hilfsarbeiter“. Aus der Mitte der Arbeitsgesellschaft war er an deren Rand gesetzt und so in die Nähe angeblicher „Arbeitsscheu“ und „Asozialität“ gerückt worden.
Gegen ihn und weitere Mitglieder der KPD wurde nach einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 wegen Vorbereitung zum Hochverrat ermittelt. Die traditionell kämpferisch antilinke Siegener Zeitung begrüßte die Verhaftungen und sprach unterstützend von einer Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte. Zwei Protestrufer nahm die Polizei gleich ebenfalls mit.
Robert Jagusch wurde am 13. Juli 1934 vom OLG Hamm gemeinsam mit elf anderen Männern und Frauen wegen des Versuchs einer „gewaltsamen Änderung der Verfassung“ („Vorbereitung zum Hochverrrat“) verurteilt, er zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr, die als durch die Untersuchungshaft verbüßt galt.
Als im Frühjahr und im Sommer 1938 zwei reichsweite Razzien gegen als „asozial“ und „arbeitsscheu“ eingestufte Menschen stattfanden, war auch die Stadt Siegen beteiligt. Am 14. Juni 1938 wurden mindestens Robert Jagusch und Karl Kuhndörfer im Zuge der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ an seiner Arbeitsstelle verhaftet, am 22. Juni 1938 im KZ Sachsenhausen eingeliefert und am 24. Juni, „nachmittags um vier Uhr“, möglicherweise aber auch am Tag darauf, getötet. In der Nachricht an die Witwe behauptete die KZ-Verwaltung, er sei „auf der Flucht erschossen“ worden.
Paula Jagusch konnte ausweislich der Meldeunterlagen im November 1939 in die USA flüchten. Nach einem kürzeren Aufenthalt in Baltimore, ging sie nach New York und blieb dort bis ans Ende ihres Lebens. Zeitweise korrespondierte sie mit Ernst Stein, einem engen Freund ihres Mannes, Mitglied der KPD vor wie nach 1945.
Robert Jagusch war keineswegs das einzige NS-Opfer aus der Familie Jagusch/Katzki, das die Verfolgung nicht überlebte. Seine Mutter Johanna starb am 29. September 1942 im Ghetto Theresienstadt, die Tanten Bertha und Wilhelmine verstarben dort ebenfalls in diesem Jahr. Sein 1937 geborener Neffe Dieter David starb nach dem Mai 1942 im Ghetto Zamosc, so auch Thekla geb. Heimberg, Jg. 1904, Schwägerin von Robert und Mutter von Dieter David.
Dessen Vater Alfred gelang 1939 die Flucht erst in die Niederlande und nach der Besetzung dann nach Frankreich, wo er sich – sicher nicht ohne Hilfe aus der eingesessenen Bevölkerung – verstecken konnte. Er kehrte nach der Befreiung nach Deutschland zurück und lebte fortan in der Heimat seiner Schwägerin Paula. Den Kindern Siegbert und Camilla Jagusch seines Cousins Paul glückte mit zehn bzw. sieben Jahren 1936 die Flucht in die USA.
Für Robert Jagusch wurde vor dem Haus in Siegen in der Körnerstraße 5, in dem das Ehepaar zuletzt lebte, 2011 ein Stolperstein verlegt und 2015 eine Eintragung in das virtuelle Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen vorgenommen.
Soweit die Heiratspartner der Geschwister von Robert Jagusch bekannt sind, kamen sie mit Ausnahme von Thekla Heimberg, die Sauerländer jüdische Eltern hatte, aus nichtjüdischen Familien. Soweit eine Überlieferung der Familiengeschichte aus diesem deutschen Teil der Familie bekannt ist, ist sie ohne Hinweise auf die jüdische Herkunft und auf die politische und rassistische Verfolgung während der Nazizeit. Der Enkel- und Urenkelgeneration wurde sie erst durch die Recherchen zur Stolperstein-Verlegung bekannt. Die US-Verwandtschaft dagegen wusste und weiß um die antisemitisch motivierte Verfolgung und bekennt sich mindestens zum Teil bis heute zu ihrer jüdischen Herkunft („We absolutely are very connected to our Jewish origin. Although we are assimilated in the general society, … we identify exclusively as Jewish.“). Im Juni 2021 wurden nach Recherchen und auf Initiative der Dortmunderin Julia Zink aus der Urenkelgeneration Stolpersteine für Alfred, Johann, Thekla und Dieter David Jagusch auch in Dortmund verlegt.
Inzwischen arbeitet – angeregt durch seine Netzfunde – ein weiterer Urenkel an der Rekonstruktion seines Teils der Familie Jagusch.
Literatur:
– Ulrich Friedrich Opfermann, Paula Fechenbach und Robert Jagusch. Jüdische Lebensgeschichten im 20. Jahrhundert, in: Siegener Beiträge 17 (2012), S. 223-246
– Edith Raim, Die Familie Fechenbach zwischen Integration und Verfolgung, in: Geschichte quer. Zeitschrift der Geschichtswerkstätten in Bayern, 14 (2009), S. 41-43
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.037-A/Reg.-12.117 (Eduard Krahe); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284, 13.294-13.297; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 625.271; StA Siegen, Meldekartei Siegen; EB 1927/28, 1935; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934; SZ, 5.4., 4.12.1933; PM Helene Goldsman * Jagusch im Juli und August 2019; PM Julia Zink (Dortmund); PS Ulrich F. Opfermann, Interview mit Ernst Stein, 28.10.1987; Yad Vashem (Israel); Mitteilung Gedenkstätte Sachsenhausen; Opfermann, 2012 (2); Thiemann, 33; Aktives Gedenkbuch zu Robert Jagusch; Aktives Gedenkbuch zu Paula Jagusch
Heinrich Janson
* 27.6.1892 in Saßmannshausen
Heinrich Janson war ein Siegener Arbeiter. Wie im Falle der anderen hier genannten Angehörigen der Namensgruppe Janson gehörten auch zu seinen Voreltern Sinti, die sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wittgenstein ansässig machen konnten. Einige dieser Familien wechselten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts angesichts besserer Arbeitsmöglichkeiten aus dem ländlichen Wittgenstein ins industrielle Siegerland.
Heinrich Janson war verheiratet mit Martha Janson geb. Kleindopp. Seine Frau kam aus einer der regionalen jenischen Familien.
Heinrich Janson war Mitglied der KPD. Er nahm an „Hungerdemonstrationen“ teil und engagierte sich gegen den aufkommenden Faschismus. Nach der Machtübergabe und einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 wurde gegen ihn und weitere Mitglieder und Unterstützer der KPD wegen Vorbereitung des „hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, ermittelt. Die antilinke Siegener Zeitung begrüßte die Verhaftungen und sprach unterstützend von einer Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte. Zwei Protestrufer nahm die Polizei gleich ebenfalls mit. Heinrich Janson wurde am 13. Juli 1934 vom OLG Hamm gemeinsam mit elf weiteren Männern und Frauen wegen des Versuchs einer „gewaltsamen Änderung der Verfassung“ („Vorbereitung zum Hochverrat“) verurteilt, er zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis.
Unter NS-Bedingungen hatte die Zugehörigkeit zu oder die Herkunft aus Sinti-Familien zur Folge, dass die Betroffenen von völkischen Rassehygienikern als kollektiv „asozial“ verzeichnet wurden, um bekämpft werden zu können. Im Siegerland forschte bereits 1934/35 der Siegener städtische Fürsorgeinspektor Wilhelm Langenbach nach „Asozialen“. Er erstellte eine kommentierte Liste von Familien von, wie er erklärte, „Untermenschen“. In dieser Liste, auf die er auch die Familie Heinrich Janson setzte, führte er die Attribute „asozial“ und „kommunistisch“ zusammen. Heinrich Janson sei ein „Hetzer“ wie alle „KPD-Männer, Asozialen und Unterrassigen“. Die Familie stehe „ausserhalb der D[!]eutschen Volksgemeinschaft“.
Die Liste des Fürsorgeinspektors ging an die Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle (RHF) im Reichsgesundheitsamt in Berlin, die die Angaben zur politischen Orientierung und zur „ethnischen“ Herkunft von Heinrich Janson in die Stammbaumgrafik aufnahm. Die RHF war die zentrale Institution zur Erfassung als „asozial“ kategorisierter Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel ihrer Vernichtung, zunächst durch Sterilisationen, später durch Massenmord in Auschwitz-Birkenau. Der Fürsorgeinspektor war ein Kritiker der Sterilisation, da die „Schädlinge“ „nach wie vor am Leben bleiben“ würden und so weiterhin Kosten verursachten. Umsetzen konnten das Vernichtungskonzept dessen Befürworter anders als gedacht und gewünscht allein gegen die Roma-Minderheit.
Der vormalige NS-Aktivist und völkische Heimatgenealoge Dr. Lothar Irle thematisierte die jenische Bevölkerungsgruppe in einer seiner Schriften. Er publizierte 1950 nach einer langen Auflistung abwertender Urteile, die durchgängig „Asozialität“ als angebliches Gruppenmerkmal beinhalteten, eine Namensliste und autorisierte damit die anhaltende Stigmatisierung der Namensgruppe Kleindopp, zu der für die Kenner heimatlicher Verhältnisse auch Martha Janson gehörte.
BA Berlin, R 165, Stammbäume; ebenda, Nr. 156 („Betr. Bernhard Petri“, 1934/35); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934; SZ, 4.12.1933; Günther a und b; Irle 1970, 19; Krämer
Heinrich Janson
* 13.12.1907 in Klafeld
Der Weidenauer Heinrich Janson war gelernter Klempner. Wie die anderen hier genannten Angehörigen der Namensgruppe Janson ging auch seine Herkunftsfamilie auf eine Gruppe von Sinti zurück, die sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wittgenstein ansässig machen konnten. Einige dieser Familien wechselten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts angesichts besserer Arbeitsmöglichkeiten aus den „Zigeunerkolonien“ des ländlichen Wittgenstein ins industrielle Siegerland. Heinrich Janson gehörte zur zweiten Generation dieser Zuwanderer. Er war Mitglied der KPD.
Nachdem am 17. Juni 1932 die Reichsregierung die Aufhebung des geltenden SA- und SS-Verbots verkündet hatte, kam es auch in Siegen noch am selben Tag zu einer NS-Demonstration und zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten, zu denen auch Heinrich Janson gehörte. Vom Landgericht Siegen wurde er wegen Landfriedensbruchs verurteilt.
1933 wurde er dann im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
Unter NS-Bedingungen hatte die Zugehörigkeit zu oder die Herkunft aus Sinti-Familien zur Folge, dass die Betroffenen von völkischen Rassehygienikern als kollektiv „asozial“ verzeichnet wurden, um bekämpft werden zu können. Die reichszentrale Erfassung lag bei der Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle (RHF) im Reichsgesundheitsamt in Berlin. Dort finden sich auch die Daten von Heinrich Janson.
BA Berlin, ZSg. 142/52, Mappe 3.535; LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.874; WR/Rt, 14.9.1948
Karl Janson
* 25.3.1911 in Berleburg
Der Berleburger Karl Janson war ein Sohn des bekannten gleichnamigen Berleburger Rohproduktenhändlers, des von den Einheimischen nach seiner Rolle im kaiserlichen Militär benannten „Husarenkarl“ Janson und dessen Ehefrau Anna Janson. Die auf dem „Berg“ vor der Stadt lebende Familie war wohlhabend. Sie ging zurück auf eine Gruppe sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wittgenstein ansässig machender Sinti.
Regional forschten der Berleburger Bürgermeister Dr. Theodor Günther und der örtliche Zahnarzt Dr. Robert Krämer in den 1930er Jahren die Genealogien auch der Angehörigen der Namensgruppe Janson aus, um „zigeunerische Blutsanteile“ dingfest zu machen. Sie publizierten ihre Feststellungen mit Namenslisten, darin auch die Namensgruppe Janson, reichsweit. Dabei wendeten sie ihre stigmatisierenden Zuschreibungen auch politisch: „Mit dem Instinkt des Untermenschen“ hätten die „Zigeuner“ „auch die Schwächen des vergangenen Staates“ erkannt und sich staatsgefährdend zum Kommunismus bekannt, der eine Variante „asiatischer Weltanschauungen“ sei (Krämer).
Karl Janson jun. wurde zunächst Soldat der Wehrmacht, dann aber als „Zigeunermischling“ entlassen und 1943 im KZ Papenburg in den Lagern Brual-Rhede und Walchum inhaftiert. Damit entging er anders als seine Eltern und weitere enge Verwandte der Deportation der Wittgensteiner Sinti-Nachfahren am 9. März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, das die Mehrheit der Deportierten nicht überlebte, so auch Karl Jansons Eltern nicht. 1944 wurde Karl Janson jun. erneut zur Wehrmacht eingezogen und in Frankreich eingesetzt. Er desertierte dort und wurde von einer französischen Familie versteckt, nach deren späterer Auskunft er sich dem Widerstand anschloss. Er sei „in die Französischen Patrioten eingetreten“.
Informationen über sein weiteres Schicksal liegen nicht vor.
BA Berlin, R 165, Nr. 212; StA Bad Berleburg, Nr. 151; PS Ulrich F. Opfermann, Briefsammlung Doris Jegers; Günther a und b; Krämer
Konrad Janson
* 10.8.1918 in Berleburg
Der Berleburger Arbeiter Konrad Janson wurde vom 5. April bis zum 5. Okober 1937 im KZ Oranienburg inhaftiert. Nach einer 1946 von der Stadt Berleburg zusammengestellten „Nachweisung“ wurde er aus politischen Motiven, mutmaßlich aufgrund einer KPD-Mitgliedschaft, dort „durch Grausamkeit oder Sadismus misshandelt“. Er wurde später zur Wehrmacht eingezogen und 1941 als „Zigeunermischling“ entlassen. Zusammen mit seinem Bruder Karl war er einer der wenigen NS-Überlebenden seiner zahlreichen Familie.
Wie im Falle der anderen hier genannten Angehörigen der Namensgruppe Janson gehörten auch zu Konrad Jansons Voreltern Sinti, die sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wittgenstein ansässig machen konnten. Unter NS-Bedingungen hatte das zur Folge, dass völkische Rassehygieniker die Nachkommen als „Zigeunermischlinge“ und „Zigeuner“ erfassten.
BA Berlin, R 165, Nr. 212; StA Bad Berleburg, Nr. 151
Wilhelm („Willi“) Robert Jakob Janson
* 26.10.1902 in Siegen
Der Siegener Willi Janson war als Händler tätig, der Haushaltsgegenstände verkaufte, was 1935 nicht mehr möglich war, da ihm, wie er später bekundete, „das Gewerbe entzogen“, also der Wandergewerbeschein verweigert wurde. Von Siegen war er nach Frankfurt a. M. gezogen.
Willi Janson war Mitglied der KPD. In Frankfurt wurde er 1938 wegen politischer Betätigung zu einer mehrwöchigen Haft verurteilt. Dabei wurden ihm im Zuge von Misshandlungen mehrere Zähne ausgeschlagen. Zur Wehrmacht wurde er nicht eingezogen, wohl aber dienstverpflichtet und u. a. zu einem längerer Einsatz im besetzten Frankreich beim Feuerluftschutzdienst verwendet (1942-1944). 1942 wurde Willi Janson das Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse verliehen.
Nach dem Ende des NS-Regimes wurde er als Inhaber einer Spedition tätig.
Wie im Falle der anderen hier genannten Angehörigen der Namensgruppe Janson gehörten auch zu Willi Jansons Voreltern Sinti, die sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wittgenstein ansässig machen konnten. Einige dieser Familien wechselten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts angesichts besserer Arbeitsmöglichkeiten aus dem ländlichen Wittgenstein ins industrielle Siegerland. Unter NS-Bedingungen hatte die Herkunft zur Folge, dass völkische Rassehygieniker die Nachkommen als „Zigeunermischlinge“ und „Zigeuner“ erfassten.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-1.940 (Wilhelm Janson)
Heinrich Wilhelm Jochums
* 17.8.1904 in Neukirchen (Kr. Moers)
Heinrich Jochums war von 1934 bis 1956 Pfarrer in Eiserfeld. Er schloss sich der Bekennenden Kirche an. Zeitweise war er Vorstandsmitglied des reformierten Konvents der Bekennenden Gemeinden Westfalens. Nazifunktionäre diffamierten ihn als „Bekenntnishetzer“. Nachdem er verbotene Kollekten durchgeführt hatte (1938, 1942), wurde er zweimal bei der Gestapo denunziert, erfolglos, denn sie tolerierte seit Ende der 1930er Jahre verbotswidrige Kollekten weitgehend. Von Verfahren gegen Heinrich Jochums ist nichts bekannt.
LA NRW, Abt. Westfalen, NSDAP-Kreis- und Ortsgruppenleitungen, 89; Bauks; Heinrich, 171, passim; Irle 1974, 161
Friedrich Jung lebte im Dorf Lindenberg in der Gemeinde Freudenberg. Er bekannte sich zur christlichen Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, auch „Ernste Bibelforscher“ genannt. Die Gruppe war seit dem 24. Juni 1933 vom NS-Regime verboten. Im Mai 1937 wurde er durch das Sondergericht Dortmund wegen Verstoßes gegen die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 verurteilt. Die Zeugen Jehovas sah das Gericht als „Sammelbecken von Staatsfeinden“, das die Anhänger „in pazifistisch-liberalistischer Gesinnung“ erziehe. Vorsitzender Richter war der Landgerichtsdirektor am Sondergericht in Dortmund, Dr. Dietrich Baedeker, der nach dem NS-Ende als unbelastet geltend in Dormund erneut Landgerichtsdirektor war.
SNZ, 15.5.1937; allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Der Arbeiter Heinrich Jung lebte in Siegen. Er trat in die KPD ein und engagierte sich im KPD-nahen Kampfbund gegen den Faschismus. Er wurde zusammen mit weiteren 25 Mitgliedern und Unterstützern der KPD 1933 festgenommen und vom OLG Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Am 29. Januar 1934 wurde er zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er wurde in verschiedenen Hafteinrichtungen festgehalten, so den KZ Papenburg und Neusustrum (1935).
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Nach dem Ende des NS-Regimes trat Heinrich Jung der VVN bei.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; SNZ, 30.1.1934; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Heinrich Jüngst wurde vom Landgericht Siegen wegen angeblicher „Verleumdung“ des Kreisleiters Hermann Burk zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt (1934). Die Berufung wurde verworfen.
Burk wurde 1942 wegen Schwarzmarktgeschäften amtsenthoben.
SNZ, 20.4., 21.7.1934
Otto Jüngst
* 11.1.1892 in Dahlbruch
Der kaufmännische Angestellte Otto Jüngst, Sohn eines Siegerländer evangelischen Pfarrers, trat im Kaiserreich der nationalistischen Deutschen Vaterlandspartei bei, der er bis zur Novemberrevolution angehörte, um nach deren Untergang sich der ihr nachfolgenden DNVP anzuschließen, die er 1920 verließ. Jüngst war in diesen Jahren Generalsekretär des Pressebunds Deutscher Gemeinschaftschristen, einer Leservereinigung, und Redakteur einer als Westdeutsche Rundschau bezeichneten, nicht ermittelbaren Zeitung oder Zeitschrift. Er wurde kurzzeitig Mitglied der SPD und war seit 1922 in der KPD. Dort war er Geschäftsführer des Arbeitsgebiets Siegen im Unterbezirk Hagen. Im „Siegerländer Kommunisten-Prozeß“ vor dem Reichsgericht in Leipzig war er Hauptangeklagter. 1925 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu vier Jahren und sechs Monaten Gefängnis sowie zu 1.000 RM Geldstrafe verurteilt (siehe: Alfred Becker). Gegen Ende der 1920er Jahre kehrte er zunächst zum Protestantismus zurück, trat dann später aber erneut in die KPD ein. Nach der Machtübergabe wurde er verhaftet und inhaftiert, so auch in Konzentrationslagern.
BA Berlin, R 3.003, ORA/RG, Nr. 12J55/31, 13J948/23 und 24, 14aJ321/24; BA Berlin, ZC 10.859; LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 15.680; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; V, 8.10.1920; Dynamit
Willy Kaiser
* 21.3.1894 in Bürbach, gest. 18.3.1953
Der gelernte Kaufmann Willy Kaiser war seit 1936 Buchhalter in der Siegener Firma E. Schneck und seit 1942 dort Geschäftsführer. Er war gewerkschaftlich im linken Zentralverband der Angestellten und bis 1931 auch in der SPD organisiert. Beim Ausstand der Siegener Angestellten (1922) hatte er die Rolle eines Streikführers. Er war Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG). 1931 wechselte er parteipolitisch in die KPD und schloss sich dem Bund der Freunde der Sowjetunion an. Kaiser war Gemeindevertreter in Bürbach von 1924 bis 1933.
Nach der Machtübergabe wurde er mehrfache verhaftet und am 25. Juni 1933 im Braunen Haus in Siegen so schwer durch SA und SS misshandelt, dass er sechs Monate bettlägerig, bis Dezember 1936 arbeitsunfähig und zu 70 Prozent erwerbsunfähig war.
Nach dem NS-Ende trat er erneut der KPD bei und wurde von der Militärregierung in den Kreistag (1945-1946) und in den Beratenden Ausschuß für den Land- und Stadtkreis Siegen (1945-1946) berufen. 1947 gehörte er zu den Initiatoren eines Komitees für die Gründung der SED. Er war Mitglied der VVN.
NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 22-61 (Wilhelm Kaiser); LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.737; PS Ulrich F. Opfermann, NL Siegfried Otto; Fr/Sl, 27.9.1946; Opfermann 2001, 233; Plaum, Sammlung
Henriette Kamnick wurde 1942 wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Robert Kaufmann
* 14.9.1889 Morsbach, kath.
Der seit 1931 in Freudenberg niedergelassene praktische Arzt Dr. Robert Kaufmann war Mitglied des Zentrums. Im Gegensatz zu einer sehr großen Zahl seiner Berufskollegen gehörte Robert Kaufmann nie der NSDAP und dem Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB) an. Im Dezember 1938 wurde er inhaftiert und der „Heimtücke“ angeklagt, das Verfahren jedoch aufgrund der Amnestie vom 9. September 1939 eingestellt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 34-163 (Robert Kaufmann); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 226, Nr. 40
Louis Keßler
* 16.3.1896 in Gießen, gest. 1.5.1942 in Zamosc
Der Siegener Pferdehändler und -metzger Louis Keßler gehörte der jüdischen Minderheit an. 1936 hatte er in einem Lokal in einem Gespräch auf seine Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg verwiesen und vergleichend von Zuhörern als abwertend verstandene Äußerungen über die Wehrmacht getan. Der Wirt erteilte ihm daraufhin ein Lokalverbot. Louis Keßler wurde nach diesem Vorfall denunziert und angeklagt. Im Verfahren vor dem in Siegen tagenden Sondergericht Dortmund wurde zu ihm auch die Gestapo befragt, die ihn offenbar beobachtete und als negativ benannte, dass er sich gern in Gespräche einmische, „die ihn nichts angingen“. Der Staatsanwalt erklärte diese Verhaltensweise für „typisch-jüdisch“, während der Landgerichtsdirektor Ernst Eckardt, sich für Gleichbehandlung aussprach, „obwohl der Angeklagte Jude“ sei und sich daher „der Gastfreundschaft in Deutschland würdig erzeigen“ müsse. Er sei jedoch mit seinen Brüdern „im Felde“ seiner Pflicht nachgekommen, also laute das Urteil nur auf sechs Monate Gefängnis.
Eckardt leitete das Sondergericht seit 1933 und hatte in NS-Juristenkreisen einen Ruf als „Eiserner Strafrichter“. Nach dem NS-Ende galt er mit 60 bekannten Todesurteilen als der „blutigste“ Dortmunder Richter.
Louis Keßler und seine Familie wurden im am 28. April 1942 mit seiner Familie nach Zamosc (Polen) deportiert. Sie überlebten nicht.
Mehrere Einträge im Aktiven Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen und vier Stolpersteine erinnern an die Familie.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; SNZ, 9.12.1936; Dietermann 1998, 92, 110, 134; Thiemann, 30; Aktives Gedenkbuch zu Louis Keßler
Stefan Klaas wurde 1938/39 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ sechs Monate im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Walter Klaas, Arbeiter aus Niederdielfen, versorgte gemeinsam mit seinen Kollegen Walter Schmidt und Richard Strack wiederholt Zwangsarbeiter ihres Betriebs – Kölsch-Fölzer, Werk Eintracht in Siegen – mit Brot und anderen Lebensmitteln sowie mit Kleidung. Am 4. Juli 1942 wurden sie nach einer Denunziation von der Gestapo Siegen dazu vernommen, am Tag darauf in „Schutzhaft“ genommen und einen Tag später in das Arbeitserziehungslager (AEL) Hunswinkel bei Lüdenscheid deportiert, von wo aus sie in das AEL Recklinghausen kamen. Während der Haft waren sie Misshandlungen mit „Stöcken, Stahlhelmen u. a. Gegenständen“ ausgesetzt. Mitte September 1942 wurden sie wieder entlassen.
PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland
Wilhelm Klee
* 21.11.1904 in Alsfeld (Hessen)
Der Siegener Schreiner Wilhelm Klee war Mitglied der KPD, der Roten Hilfe und des Kampfbunds gegen den Faschismus. Er wurde am 26. Juli 1933 verhaftet und im Braunen Haus in Siegen schwer misshandelt. Er hatte schwere Blutergüsse von den Tisch- und – Stuhlbeinen, mit denen er geprügelt worden war. Mit 25 weiteren Mitgliedern und Unterstützern der KPD wurde er der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt und am 29. Januar 1934 durch das OLG Hamm zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Haft musste er in den Gefängnissen von Siegen, Hagen, Hamm, Herford und Bochum verbringen. Er wurde am 28. Juli 1935 entlassen.
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Beruflich war Klee ab 1931 bis zu seiner Verhaftung arbeitslos. Nach der Haft konnte er als bekannter Antifaschist keine Arbeit bekommen und wurde zum Kasernenbau in Siegen zwangsverpflichtet. Später fand er eine Anstellung im Sägewerk Berg in Dreis-Tiefenbach.
Nach dem NS-Ende trat er erneut der KPD bei und wurde Mitglied der VVN.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K104, Nr. 26.821; Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen; SNZ, 30.1.1934; Fr/Rt, 8.10.1948; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Georg Klein
* 11.2.1878 in Frickhofen bei Limburg, kath.
Der gelernte Maurer Georg Klein war in seiner Jugend Mitglied des katholischen Windhorstbundes, bevor er 1896 der Zentrumspartei beitrat. Zum Zeitpunkt der Selbstauflösung des Zentrums im Juli 1933 war er im Vorstand der Parteigruppe in Siegen. Aktiv war Klein auch im christlichen Bauarbeiterverband, dem er ebenfalls 1896 beitrat und dessen Vorsitzender im Kreis Siegen-Olpe-Wittgenstein er später war. Er gehörte auch dem katholischen Männer- und Arbeiterverein an. Nach seiner Meisterprüfung arbeitete er von 1914 bis 1922 als Polier auf der Bremer Hütte in Geisweid, unterbrochen von einem Jahr als Soldat im Ersten Weltkrieg. Nach Tätigkeit in und Ausscheiden aus der Firma Albrecht Jüngst gründete er 1928 einen eigenen Baubetrieb, in dem zeitweise 20 Arbeitskräfte beschäftigt waren.
Seit der Machtübertragung hätten sich, erklärte er im Entschädigungsverfahren, die Geschäfte zunehmend schlechter entwickelt, da er als bekannter ehemaliger Zentrumspolitiker durch die Nationalsozialisten keine öffentlichen Aufträge mehr erhalten habe. Es seien auch einige seiner Mitarbeiter durch das Arbeitsamt zum Wechsel in andere Betriebe verpflichtet worden. Besonders hart habe ihn das 1938 getroffen. Zehn Mitarbeiter seien in andere Firmen dienstverpflichtet und sein Sohn Peter sei zum Arbeitsdienst an den Westwall einberufen worden. Er habe nun seinen Betrieb aufgeben müssen. Dass er mit seiner ganzen Familie „unter Gestapo-Aufsicht u. auf der schwarzen Liste“ gestanden habe, wie sein Sohn in seiner Entnazifizierung behauptete, berichtete Georg Klein nicht.
Im Mai 1936 wurde er wegen angeblicher staatsfeindlicher Äußerungen vier Tage lang inhaftiert und und verhört. Eine Anklage folgte dem nicht. Ein weiteres Mal wurde er am 15. August 1944 wegen angeblichen Abhörens von Feindsendern verhaftet. Auch hier kam es zu keiner Anklage.
Nach dem Ende des NS-Regimes baute er das Unternehmen wieder auf und führte es bis 1954 weiter. Aus Altersgründen und weil seine beiden Söhne aufgrund ihrer Kriegsverletzungen den Betrieb nicht hätten übernehmen können, habe er ihn aufgegeben.
Georg Klein erhielt für betriebliche Einbußen eine Entschädigung.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.362
Peter Klein
* 6.1.1908 in Köln-Kalk, gest. 21.5.1965 in Siegen, kath.
Der Maurer, Stuckateur und Bauführer Peter Klein war wie sein Vater Georg Klein Mitglied der Zentrumspartei. Außerdem gehörte er seit 1925 dem Reichsbanner und ab 1931 dem Kampfbund Brüning, Ortsgruppe Siegen an. Von 1933 bis 1936 sei er, erklärte er, Mitglied der „Werkscharjugend“ gewesen.
Im Entnazifizierungsverfahren und im Entschädigungsverfahren machte er Angaben zu Verfolgungen im NS-Regime, die er erlitten habe. Sie unterscheiden sich.
In seiner Entnazifizierung gab er an,
– am 20. Januar 1934 von der SS festgenommen und verprügelt worden zu sein, nachdem er gegen einen SS-Mann ausgesagt habe. Was er in welchem inhaltlichen Kontext gesagt habe und wer die Täter gewesen seien, teilte er nicht mit. Eine in solchen Fällen übliche Anklage gegen ihn wegen übler Nachrede und Tätlichkeit folgte nicht.
– Am 20. Mai 1937 sei er von SS und SA ein weiteres Mal verprügelt worden. Diesmal, weil er sich gegen eine Verspottung des Fronleichnamszugs „zur Wehr gesetzt“ habe.
Zeugen für diese Angaben nannte er nicht. Belege legte er nicht vor.
– „Von 1933 bis zum Zusammenbruch“ habe „die ganze Familie unter Gestapo-Aufsicht u. auf der schwarzen Liste“ gestanden. „Im Geschäft wurden wir von fast sämtlichen behördlichen Arbeiten [= Bauarbeiten] ausgeschlossen; sogar von Privatarbeiten. Alles aufgrund unserer religiösen sowie politischen Einstellung. Selbst im Ausland stand ich unter der Aufsicht der Gestapo.“ Er sei in Oslo drei Tage inhaftiert worden, weil er „mit Herrn Dr. [med.] Anton Raabe, Oslo, einem der norwegischen Freiheitskämpfer“, ein freundschaftliches Verhältnis gehabt habe. „Wegen Zersetzung der Wehrmacht“ sei seine Frau verschiedentlich von der Gestapo vernommen worden.
– In Griechenland sei er „dauernd verwarnt worden“, weil er „zu der griechischen Bevölkerung anständig“ gewesen sei. Er habe die Bewohner zweier Dörfer „dauernd von der Arbeit befreit.“
Im späteren Entschädigungsverfahren gab er an,
– im März 1933 bei einer „Saalschlacht“ als Angehöriger des Saalschutzes erheblich verletzt worden zu sein und vier Wochen im Marienkrankenhaus verbracht zu haben. Das sei bei einer öffentlichen Versammlung des Zentrums im Saal der Bürgergesellschaft mit dem Thema „Christus, dein Führer“ geschehen. Kurz nach Beginn des Vortrags habe SA und SS mit Ochsenziemern, Stöcken und Schlagringen bewaffnet den Saal gestürmt. Seither habe er ein Wirbelsäulenleiden und häufig anhaltende Kopfschmerzen.
– 1934 sei er festgenommen worden, weil er die Hakenkreuzfahne nicht gegrüßt habe. In anschließenden Verhören seien ihm vier Zähne ausgeschlagen worden.
– 1936 sei er fünf Tage inhaftiert gewesen, weil er Streit mit einem Führer der Hitlerjugend gehabt und dieser ihn bei der Gestapo gemeldet habe. In der Haft habe ihn die Gestapo mit sogenanntem „Kopfkratzen“ gequält, bei dem dem Häftling über längere Zeit mit dem Fingernagel über den Kopf gekratzt worden sei. Nach der Haft habe er einen Nervenzusammenbruch erlitten und drei Monate lang nicht sprechen können.
– Nach Einberufung zur Wehrmacht 1940 und anschließender Entlassung wegen Magen- und Nervenleiden einige Monate später sei er zur Organisation Todt (OT) nach Norwegen einberufen worden. Dort habe er entgegen den Bestimmungen einen norwegischen Arzt aufgesucht, der unter dem Verdacht gestanden habe, dem Widerstand anzugehören, weshalb er durch den Sicherheitsdienst (SD) wegen Feindbegünstigung verhaftet und zwölf Tage inhaftiert worden sei. In der Haft sei er mehrmals misshandelt worden.
– In Griechenland habe er 1943 einige zwangsverpflichtete Dorfbewohner von der Arbeit freigestellt, damit diese bei der Ernte hätten helfen können. Das sei ihm als Sabotage ausgelegt worden. Wiederum sei er durch den SD verhaftet und misshandelt worden.
Zwischen den beiden Darstellungen bestehen erhebliche Differenzen, die nicht aufgeklärt werden können. Valide Belege für die behaupteten Vorgänge fehlen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die von Peter Klein vorgelegte Verfolgungs- und Widerstandsvita teilweise oder vollständig auf Falschangaben beruht.
Der Osloer Arzt Anton Raabe war in Norwegen als Züchter und Halter prämierter Hunde eine bekannte Persönlichkeit. Als Angehöriger des Widerstands ist er unbekannt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-1.512; ebenda, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.877; PM Anne Minken (Oslo)
Carl Paul Rudolf Klingspor
* 7.1.1890 in Siegen, gest. 30.12.1971 in Lugano (Schweiz), ev.
Der Unternehmer Carl Klingspor war Inhaber der Naxos Schmirgelwerke in Siegen und Haiger. Er war ein Gegner der Linken und der Weimarer Republik. 1931 trat er dem Stahlhelm bei und beantragte wenig später seine Aufnahme in die NSDAP, in die er im Jahr darauf aufgenommen wurde (Nr. 987.707). Nach 1933 erwarb er damit den Ehrentitel „Alter Parteigenosse“. Er war Kreisleiter der nationalsozialistischen Handelsorganisation NS-Hago im Siegerland, die er mitbegründet hatte. Durch den Kauf eines Hofs in der Mark Brandenburg wurde er „Erbhofbauer“.
Nachdem sein Sohn Hermann im Dezember 1943 als Wehrmachtssoldat verstarb, übte der Vater Kritik an der Kriegsführung. Gleich von mehreren Denunzianten wurde er daraufhin der Gestapo gemeldet und im Januar 1944 festgenommen. Ein Hofnachbar und zwei Parteigenossen hatten ihn beschuldigt, mehrfach Regierung und „Führer“ grob abwertend („zersetzend“, „hetzerisch“) und den Krieg als nicht gewinnbar dargestellt zu haben („Defätismus“). Er bestritt diese Aussagen. Der 1. Senat des Volksgerichtshofs unter Vorsitz von Roland Freisler verurteilte ihn wegen fortgesetzter regierungsfeindlicher Haltung, Führerbeleidigung, Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung am 30. Juni 1944 zum Tode, jedoch wurde wenige Monate später ein Revisionsverfahren zugelassen, zu dem es zwar nicht mehr kam, wodurch aber die Urteilsvollstreckung verhinderte wurde. Carl Klingspor wurde in den Haftanstalten in Tegel und Brandenburg-Görden inhaftiert und im April 1945 von der Roten Armee aus dem Zuchthaus Görden befreit.
Im Vorfeld des Verfahrens und im Verfahren selbst unterstützte der Münchener Gauleiter und bayerische Ministerpräsident, der Siegener Paul Giesler, Klingspor. Er erschien ungeladen im Prozess und erklärte dort seine Bereitschaft, „für den Angeklagten Zeugnis abzulegen.“ Nach Klingspors Verurteilung trat u. a. der Siegener Oberbürgermeister Alfred Fissmer mit einem Gnadengesuch für ihn ein.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-747 (Carl Klingspor); Irle 1974, 180; Klingspor; Pfau 2005, 148ff.
Heinrich Klingspor
* 11.10.1889 in Eiserfeld
Der Kaufmann Heinrich Klingspor war in den 1920er Jahren Mitglied des antisemitischen und republikfeindlichen Jungdeutschen Ordens (Jungdo), einem Konkurrenten der NSDAP. Der Jungdeutsche Orden wurde 1933 verboten und aufgelöst.
Spruchkarte des Jungdo mit Gedicht der völkischen Schriftstellerin Maria Kahle: Warnung vor „Volkstod“
Wegen Verächtlichmachung des Führers und der Partei wurde Klingspor zweimal in Haft genommen. Im Mai 1933 war er vier Tage in Siegen und von Februar bis Mai 1936 in Laasphe und Berleburg für drei Monate inhaftiert. Einige Zeit nach dem Flug von Rudolf Heß nach England äußerte Klingspor in einer Siegener Gaststätte in angetrunkenem Zustand „Sie gehen stiften. Sie laufen weg. Scheiß Heil, Heil Hitler – Guten Tag.“ Erneut wurde er verhaftet und für zwei Monate wegen staatsfeindlicher Äußerungen in Dortmund inhaftiert. Aus dem gleichen Grund wurde er im April 1942 verhaftet und für vier Monate in Dortmund und Bochum eingesperrt. Im Jahre 1944 wurde er zum Zollgrenzschutz dienstverpflichtet.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.822
Josef Kloth
* 8.4.1890 in Aachen, gest. 14.12.1967 in Bredelar, kath.
Der Gymnasiallehrer Josef Kloth lebte und arbeitete sei 1920 in Siegen. Er war Mitglied des Zentrums mindestens seit 1924 und bis 1933 Stadtverordneter seiner Partei. Nach dem gescheiterten Putschversuch vom 20. Juli 1944 wurde er kurzzeitig im Landgerichtsgefängnis Siegen in Untersuchungshaft genommen, aber am 24. August 1944 wieder entlassen.
Nach dem NS-Ende trat er in die CDU ein. Von 1946 bis 1955 war er Direktor der Staatlichen Oberschule für Mädchen in Siegen.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-2.229; StA Siegen, Bestand Eiserfeld Nr. 1357; SZ, 26.7.1920, 5.11.1929, 3.3.1933; V, 26.4.1924; WP/Sl, 22.7.1959; Opfermann 2001, 234; Irle 1974, 181
Der Weidenauer Ablader Fritz Klotz war Mitglied der KPD und wurde nach der Machtübergabe vorübergehend inhaftiert. In der Endphase des Regimes stand er auf einer Todesliste des Weidenauer Ortsgruppenleiters Ernst Gattwinkel, der sich noch kurz vor dem Einmarsch der US-Truppen verschiedener Gegner zu bemächtigen suchte, um sie hinrichten zu lassen, was ihm auch im Fall Fritz Klotz nicht mehr gelang.
Im Entnazifizierungsverfahren zu Gattwinkel spielte die Liste 1949 durch die Aussagen von Fritz Klotz eine Rolle. Nach Meinung des Ausschusses war dem Mordversuch „keine politische Bedeutung beizumessen“, die „Anschuldigungen des Fritz Klotz“ seien „nicht als eine Belastung“ zu werten. Das sah das Landgericht 1953 in einem Verfahren gegen den ehemaligen Ortsgruppenleiter anders. Es verurteilte Gattwinkel zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.112-672 (Ernst Gattwinkel), NW 1.112-735 (Reinhard Becker), NW 1.127-1.141 (Max Koschuch); SNZ, 16.7.1934; WR/Sl, 26.1.1953
Fritz Knies
* 27.3.1898 in Siegen
Gegen den Siegener Dreher Fritz Knies, Mitglied der KPD, und weitere Verdächtige wurde nach einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 wegen Vorbereitung des „hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“ ermittelt. Die betont antilinke Siegener Zeitung begrüßte die Verhaftungen und sprach unterstützend von einer Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte. Zwei Protestrufer nahm die Polizei ebenfalls gleich mit.
Fritz Knies wurde am 13. Juli 1934 vom OLG Hamm gemeinsam mit elf weiteren Männern und Frauen wegen des Versuchs einer „gewaltsamen Änderung der Verfassung“ („Vorbereitung zum Hochverrrat“) verurteilt, er zu einem Jahr und fünf Monten Gefängnis. Die „hochverräterischen Ziele“ der KPD-Aktivitäten lagen nach Meinung des Gerichts in dem Bestreben, „die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, und im Ziel der „Errichtung einer Rätediktatur nach russischem Vorbilde“. Die Haft verbrachte er in den Gefängnissen von Siegen, Hamm, Herford und Hagen. Nach der Haft konnte er als bekannter Antifaschist keine Arbeitsstelle bekommen. Er wurde zu Notstandsarbeiten verpflichtet, die hauptsächlich aus Erdarbeiten bestanden. Erst 1938 fand er wieder eine reguläre Beschäftigung als Gussputzer in der Firma Eduard Breitenbach, Weidenau. Bei dem Luftangriff auf Siegen am 16.12.1944 verlor Fritz Knies seine Frau, vier Monate später dann an der Front seinen Sohn.
Das OLG Hamm bescheinigte ihm 1949, dass das Urteil von 1934 aufgrund der Amnestie vom 3. Juni 1947 aufgehoben sei.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. Nr. 13.282-13.284, 13.294-13.297; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.852; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934; SZ, 4.12.1933
Werner Koch
* 26.12.1910 in Wiesbaden oder Bielefeld, gest. 31.7.1994 in Emlichheim (Kr. Grafschaft Bentheim)
Der evangelisch-reformierte Pfarrer Werner Koch war verheiratet mit Gerritdina Stokmann. Er studierte in Marburg, Tübingen, Paris und Bonn und war theologisch von Karl Barth geprägt.
Im NS-Regime schloss er sich bereits als Vikar der Bekennenden Kirche an. Als während seines Vikariats 1934 ein Lehrgang zu absolvieren war, der die NSDAP-Kirchenpolitik propagierte, sprach Werner Koch sich während der Veranstaltung gegenüber seinen Mitvikaren gegen dort verbreitete Inhalte aus. Er erreichte eine Resolution der Teilnehmer, den Kurs inhaltlich von Grund auf zu ändern. Die Schulungen wurden daraufhin eingestellt. Mit einem „Heil Hitler“ meldete der kirchliche Leiter des Kurses dem Evangelischen Konsistorium den Vorgang. Er solle in die Personalakten von Koch aufgenommen werden, da Gefahren durch ihn aufgrund „seiner kirchenpolitischen Einstellung“ drohen würden.
Mit dem Ende des Lehrgangs trat Werner Koch der sich formierenden bekennenden „Bruderschaft Junger Theologen“ bei, was er seiner Kirche mitteilte und was zu seiner Entlassung durch das Konsistorium der Rheinischen Provinzialkirche führte.
Als die als stille Eingabe bei Hitler vorgesehene geheime Denkschrift der Vorläufigen Kirchenleitung (VKL), dem Spitzenorgan der „entschiedenen“ Fraktion innerhalb der Bekennenden Kirche, vom Mai 1936 wenig später in den USA und in der Schweiz publiziert wurde, brachten die NS-Behörden damit u. a. auch Werner Koch in Verbindung. Im November wurde er festgenommen und nach einer Gefängnishaft wie mehrere andere Verdächtige ins KZ Sachsenhausen eingewiesen. Die Denkschrift thematisierte u. a. den Rassismus und Antisemitismus des Regimes und seine laufenden Eingriffe in die Kirchenverwaltung. Nach dem Eklat ging die Bekennende Kirche nie wieder über eine Kritik an Einschränkungen des christlichen Glaubens hinaus.
Anstrengungen des Vaters von Werner Koch, über Beziehungen seinen Sohn wieder frei zu bekommen, waren Anfang Dezember 1938 erfolgreich. Der Baron Kurt von Schertel, ein Freund des Vaters, intervenierte, wie Koch später berichtete, bei einem Essen bei Heinrich Himmler, der die umgehende Entlassung anordnete.
1939 wurde Werner Koch zur Wehrmacht eingezogen. Dort war er als Übersetzer und Dolmetscher tätig.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft war er 1947 zunächst Pfarrer in Berlin, dann ab 1952 in Espelkamp und schließlich von 1955 bis 1969 in Netphen. 1972 promovierte er in Paris zum Doktor der Theologie und arbeitete seither vermehrt publizistisch.
Er war nach dem Ende des Regimes der VVN beigetreten und wurde zum Mitglied in deren Hauptausschuss gewählt. Dass er die VVN, wie er sagte, aufgrund einer Dominanz von Kommunisten wieder verließ, hielt ihn nicht davon ab, am 6. und 7. Mai 1967 in Düsseldorf einer der Referenten der internationalen „Konferenz zur Problematik des KPD-Verbots“ zu sein und sich als „Pfarrer aus Netphen“ zu exponieren. Es ging im Kontext der „neuen Ostpolitik“ um die Wiederzulassung einer kommunistischen Partei in Westdeutschland, die er befürwortete.
In den 1960er Jahren gehörte er zu den regionalen öffentlichen Unterstützern der Kampagne für Abrüstung – Ostermarsch der Atomwaffengegner. Er engagierte sich weiterhin gegen völkisch-nationalistische Erscheinungen, so als langjähriger Präsident des Sachsenhausen-Komitees oder lokal, wenn er 1988 als Vorsitzender der niederländisch-deutschen Antifa-Gruppe Nooit meer/Nie mehr die Umbenennung des „Langemarckplatzes“ in Nordhorn durch SPD und CDU in „Mahnmal am Langemarckplatz“ als „Verbrüderung mit ‚Stammtischfaschisten‘“ zu deren Gewinnung als „Wählerschaft“ öffentlich strikt ablehnte.
Im Alter (1990) bekannte Werner Koch in einer öffentlichen Veranstaltung, zeit seines Lebens gegenüber der heterosexuellen Gesellschaft seine Homosexualität verborgen zu haben.
Schriften (Auswahl):
– Alexander Miller, Ein Christ sagt Ja zu Karl Marx, München 1948 (Übersetzung aus dem Englischen von Werner Koch)
– Konferenz zur Problematik des KPD-Verbots in Düsseldorf, in: Junge Kirche, 28 (1967), H. 6, 314-317
– Abschied von einem Vater. Zum Tode von Karl Barth, Junge Kirche, 30 (1969), H. 1, 4-11
– Kirche und Staat im Dritten Reich, Kampen (NL) 1971
– Heinemann im Dritten Reich. Ein Christ lebt für Morgen, Wuppertal 1972
– Der Kampf der Bekennenden Kirche im Dritten Reich, Westberlin 1974
– „Sollen wir K. weiter beobachten?“ Ein Leben im Widerstand, Stuttgart 1982
– Friedrich Weißler (1891-1937). Christlicher Blutzeuge des Rechts, in:
Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, Baden-Baden 1988, 330-341
– Fürchte dich nicht, glaube nur … Im Gedenken an Dr. Friedrich Weissler (1891-1937), in: Junge Kirche, 66 (2005), H. 3, 7-12
Literatur (Auswahl):
– Matthias Schreiber, Werner Koch — ein Fremder unter dem Dach der Kirche, in: Junge Kirche, 52 (1991), H. 1, 31-34
– Diether Koch, Als Christ und Demokrat unbeirrbar, in: Junge Kirche, 55 (1994), H. 10, 548-549
Der Spiegel, H. 12, 19.3.1979, 98-114; Fuchs, 58ff.; Grumbach, 201; Irle 1974, 185; Dietrich-Bonhoeffer-Portal, Personenartikel; Widerstand!? Eveangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus
Wilhelm („Willi“) Kollmann
* 26.6.1893 in Siegen, kath.
Der städtische Verwaltungsangestellte Wilhelm Kollmann, verheiratet mit Elisabeth Kollmann, lebte in Siegen und hatte vier Kinder.
Von 1918 bis 1932 gehörte er der SPD an. 1932 trat er in die KPD ein. Er war von 1929 bis 1933 Stadtverordneter in Siegen (1929-1933) und Bevollmächtigter des Verbands der Gemeinde- und Staatsarbeiter, einer Mitgliedsorganisation der sozialistischen („freien“) Gewerkschaften. Er war Betriebsobmann der Stadtwerke Siegen und bis 1933 Aufsichtsrat im Konsumverein für Siegen. Aus politischen Gründen wurde er im November 1932 kurz nach seinem Übertritt von der SPD zur KPD aus dem städtischen öffentlichem Dienst entlassen und arbeitete nun beruflich heruntergestuft im Straßenbau.
Nach dem Reichstagsbrand tauchte er bei Bekannten in Köln, Butzbach und Siegen unter, wurde aber bereits im April 1933 festgenommen und kam zwei Monate in „Schutzhaft“. Nach seiner Entlassung stand er unter Polizeiaufsicht und musste sich täglich melden. Die Kreisleitung der NSDAP berichtete der Gestapo in Siegen, zwar trete Kollmann nach Flucht und Festnahme nicht mehr in offener Gegnerschaft auf, müsse aber „immer noch als Gegner … bezeichnet werden, … fähig, sich im staatsfeindlichen Sinne zu betätigen, wenn sich ihm dazu Gelegenheit bieten würde.“ (1937) Er hatte nun als Tiefbau-, Lager-, Hilfs- und Transportarbeiter den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen.
Willi Kollmann wurde mehrfach misshandelt (1933, 1934) und kam nach dem Attentatsversuch am 20. Juli 1944 kurzzeitig im Landgerichtsgefängnis Siegen in Untersuchungshaft. Wiederum war er Misshandlungen ausgesetzt. Er verbreitete Auslandsmeldungen, hatte Kontakte zu Zwangsarbeitern und unterstützte sie materiell.
Nach NS-Ende wurde er wieder in die städtischen Verwaltung eingestellt. Als „Wiedergutmachungsmaßnahme“ wurde er 1949 zum Klärmeister der Stadtwerke Siegen und in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Seinen Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenrente lehnte die „Sonderabteilung für die Opfer des nationalsozialistischen Terrors“ des NRW-Arbeitsministers jedoch ab. Nach Auffassung des Obervertrauensarztes erklärten die gesundheitlichen Einbußen sich nicht aus „zurückliegende Traumen“, sondern waren „schicksalsbedingt“.
Politisch organisierte Willi Kollmann sich erneut in der KPD. Er wurde Mitglied der VVN und der DFG, deren erstem Vorstand er 1946 als Schriftführer angehörte.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-630 (Wilhelm Kollmann); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 226, Nr. 67-70; Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland; Fries 2013, 186; Opfermann 2001, 235; SZ, 25.2.1933; Wetzel/Durt, 153
1936 war Wilhelm Kollmann vor dem Sondergericht Dortmund in Siegen wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ angeklagt. Er hatte in einem Klafelder Café behauptet, sozialdemokratischer Stadtverordneter gewesen zu sein und erklärt: „Wir waren Feiglinge, aber die heutigen sind noch größere.“ Nicht die unzutreffende Gleichsetzung mit dem gleichnamigen Stadtverordneten erst der SPD, dann der KPD, sondern die Anschlussbemerkungen wurden vom Gericht als hetzerische Äußerungen im Sinne des „Heimtückegesetzes“ gewertet. Sie zeugten von einer niedrigen Gesinnung und seien geeignet, das Vertrauen in die politische Führung zu untergraben. Kollmann wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
SNZ, 15.7.1936; SZ, 15.7.1936
Karl Kölsch
* 9.8.1886 in Hainchen, kath.
Der Haincher Landwirt, Schmiedemeister und Viehhändler Karl Kölsch hatte im Juli 1943 einen abgesprungenen britischen Fliegersoldaten in sein Haus geholt und ihn dort auf dessen Bitte mit einem Glas Wasser und einem Teller Milchsuppe versorgt. Vom Sondergericht Dortmund wurde er in Hagen wegen Feindbegünstigung und unerlaubten Umgangs mit Kriegsgefangenen zu einem Jahr und drei Monaten Zuchthaus verurteilt und bis zum 1. November 1944 in den Strafanstalten Siegen und „Göllenbeck (Lager)“ (Jöllenbeck?) inhaftiert. Sein Betriebsinventar wurde durch die SS teils zerstört, teils konfisziert. Erst zehn Jahre später war Kölsch in der Lage, sich eine neue Groß-Dreschmaschine, mit der er Auftragsarbeiten durchgeführt hatte, zuzulegen.
Karl Kölsch erkrankte in der Haft und wurde berufsunfähig. Ebenfalls im Juli 1943 hatte Karl Kölsch einen seiner Söhne an der Front verloren.
Karl Kölsch wurde die Anerkennung als Verfolgter wie auch als Geschädigter mit dem Inkrafttreten des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) 1953 durch den Anerkennungsausschuss des Landkreises Siegen verweigert. Er habe nicht aus politischen Erwägungen oder gar aus ablehnender Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus gehandelt“, sondern „aus rein menschlichen Erwägungen, … ohne besondere Überlegungen über die daraus entstehenden Folgen anzustellen.“ Vorsitzender des Ausschusses war der ehemalige Stahlhelm-Mann Hermann Buch, der Vertreter des öffentlichen Interesses und staatliche Volljurist der Amtsgerichtsrat Dr. Berthold Werner, ein ehemaliger Landgerichtsdirektor des Sondergerichts Wien und Kriegsgerichtsrat bei der 71., 182., 28. und 433. Division. Nach dem Ende des Regimes war er nurmehr ein kleiner Amtsgerichtsrat, später dann Landgerichtsrat in Siegen. Als solcher leitete er auch das „Wiedergutmachungsamt“ beim Landgericht.
1954 hob der Regierungspräsident in Arnsberg die Ausschussentscheidung als „unzutreffend“ auf. 1956 wurde Karl Kölsch eine Kapitalentschädigung in Höhe von 2.250 DM als „Wiedergutmachung“ zugesprochen. Damit ließ sich der stark beeinträchtigte landwirtschaftliche Betrieb nicht „sanieren“, wie das populäre Vorurteil vermutete. Allein für die Ersatzbeschaffung der Groß-Dreschmaschine 1953 waren mehr als 11.000 DM aufzuwenden. Dieser Kauf enthält eine bemerkenswerte zeithistorische Pointe. Der Hersteller der Dreschmaschine war die Landmaschinenfirma Karl Mengele & Söhne in Günzburg. Einer der Söhne war der weithin bekannte NS-Verbrecher Josef Mengele, der nach seiner Flucht nach Südamerika (1949) dort ungestört von Anteilen aus dem familiären Betriebsgewinn lebte.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 25-3 (Karl Kölsch); PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland; SZ, 16.11.1987; Böttger/Weyer/Lück, 436; Flender, 25
Wilhelm Robert König
* 21.7.1904 in Dobel (Kr. Calw), gest. 5.2.1945 im KZ Neuengamme
Robert König wurde 1904 in Dobel im damaligen Königreich Württemberg geboren. Welche Gründe ihn ins Siegerland geführt haben, ist nicht bekannt. Er heiratete 1926 Emma Helene Fuselbach aus Müsen. In Müsen wohnten beide im Kirchweg 9.
Robert König war vor 1933 Mitglied der SPD und gehörte als aktives Parteimitglied der überwiegend aus Sozialdemokraten gebildeten Selbstschutzorganisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold in Hilchenbach an. Über seinen beruflichen Werdegang ist bekannt, dass er ab Mitte 1937 bei den Hüttenwerken Siegerland, Werk Eichen (Eichener Walzwerk), erst als Rangierer und später als Nachtwächter im werkseigenen Lager für Zwangsarbeiter beschäftigt war. Durch Zeugenaussagen im Entschädigungsverfahren der Witwe ist belegt, das Robert König den ZwangsarbeiterInnen heimlich Kleidung und Nahrung zusteckte. Seine Hilfepraxis griff noch nicht das NS-System an und stand auch nicht in einem organisierten Zusammenhang, aber sie ignorierte die Vorschriften für den Umgang mit „feindlichen Ausländern“.
Im Juli 1944 wurde Robert König durch die Gestapo verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, sexuellen Kontakt zu einer Zwangsarbeiterin gehabt zu haben. Laut späteren Zeugenaussagen hatte der Wachmann Wilhelm Röcher König bei dem Lagerleiter W. Pabst angezeigt. Der Denunziation war die Verhaftung durch die Gestapo gefolgt.
Bis November 1944 war Robert König im Polizeigefängnis Siegen, anschließend bis Dezember 1944 im Gefängnis Herne, ab dem 13. Dezember 1944 im KZ Neuengamme bei Hamburg inhaftiert. Im KZ Neuengamme wurde er als „Berufsverbrecher“ kategorisiert und hatte die Häftlingsnummer 69.000. Dort verstarb Robert König am 5. Februar 1945, laut Sterbeurkunde angeblich an einer akuten Darminfektion. Seine Leiche wurde wie üblich eingeäschert.
Im Entschädigungsverfahren, das die Witwe Emma König beantragte, ließ sich der Vorwurf des verbotenen Kontakts mit einer Zwangsarbeiterin nicht halten, vielmehr wurde deutlich, dass die anhaltende Gegnerschaft Königs gegen die Nazi-Diktatur der Grund der Anschuldigungen und der Verhaftung war. Aus dem Urteil des Gerichts:
„Auch wenn eine Beziehung zu einer Fremdarbeiterin stattgefunden hätte, so wäre nur eine kurze Haftzeit nach der Rechtsprechung möglich gewesen, nicht aber KZ-Haft. Der wahre Grund seiner Verfolgung war seine Gegnerschaft zum NS. König soll schon längere Zeit überwacht worden sein. Das Gerücht über ein Verhältnis zu einer Zwangsarbeiterin wurde in Umlauf gebracht, um ihn auch moralisch zu treffen.“
In Müsen erinnert an Robert König seit Oktober 2016 ein Stolperstein, dessen Angaben allerdings korrekturbedürftig sind. Er macht König zu einem Widerstandskämpfer, der er nicht war, und nennt als Verfolgungsursache „Verdacht auf Rassenschande“. Die konnte es nur aus völkischer Perspektive geben. Es handelt sich sowohl sprachlich als auch juristisch um ein typisches NS-Gebilde, sollte also nicht ohne ein Zeichen der Distanzierung verwendet werden, schon gar auf einem Stolperstein. Die Angabe ist aber zugleich auch insofern unzutreffend, als „Rassenschande“ Robert König nicht zur Last gelegt wurde. Das Umgangsverbot zwischen Angehörigen der deutschen Volksgemeinschaft und ausländischen zivilen und kriegsgefangenen Arbeitskräften fiel nicht unter das „Blutschutzgesetz“ der Nürnberger Gesetze, der NS-juristischen Grundlage des „Rassenschande“-Vorwurfs.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.470; Mitteilung Stadt Hilchenbach, 12.12.2016
Hilde Korsus
* 1.10.1917 in Siegen
Die Siegener Hausfrau Hilde Korsus geb. Müller wurde 1943 wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Haftanstalten waren in Siegen und zum größeren Teil in „Krefeld“ (Anrath bei Krefeld dürfte gemeint sein). 1935 war sie Opfer einer Zwangsterilisation geworden. Das Erbgesundheitsgericht Siegen hatte seine Entscheidung mit der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ begründet. Das Erbgesundheitsgericht bestand aus dem Amtsgerichtsarzt Ridder, dem Medizinalrat Dr. Ulrich Hammer, dem Leiter des Staatlichen Gesundheitsamts Berleburg, und dem praktischen Arzt Dr. med. Erich Baeumer, Weidenau. 1950 beantragte Hilde Korsus die Wiederaufnahme des Verfahrens. Das Amtsgericht Hagen und dessen ärztlicher Beisitzer stellten fest, dass die bereits bei persönlichen Vorstellungen und bei der Intelligenzprüfung entstandenen gerichtlichen Zweifel an der Siegener Diagnose durch ein universitäres Fachgutachten bestätigt worden seien. Ein „angeborener Schwachsinn“ liege in keiner Weise vor. Das Urteil des Erbgerichts wurde aufgehoben.
In ihrer Entschädigungsakte gab sie an, sie habe sich zwei Jahre illegal in Italien aufgehalten. Ihr Antrag wurde in allen Punkten abgelehnt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.411; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland
Walter Krämer
* 21.6.1892 in Siegen, gest. 6.11.1941 in Hahndorf bei Goslar
Der Siegener Schlosser Walter Krämer wurde als drittes von acht Kindern einer „konservativ-nationalistischen“ (Bodo Ritscher) Lokführer-Familie geboren. 1910 hatte er sich freiwillig für vier Jahre zur Kriegsmarine gemeldet. Der Erste Weltkrieg verhinderte seine Entlassung. 1917 beteiligte er sich am Aufstand der Mannschaften der „Prinzregent Luitpold“ (1917), was zu einer Verurteilung führte. Im Zuge der Novemberrevolution wurde er 1918 von Soldaten aus der Festungshaft befreit und gehörte im selben Jahr dem Siegener Arbeiter- und Soldatenrat an. Nach kurzer Mitgliedschaft in SPD und USPD wurden er und seine spätere Frau Liesel Lehmann 1920 Mitbegründer der Siegerländer KPD (Hermann Weber).
Krämer beteiligte sich als Kompanieführer in den Reihen der aus der Niederschlagung des Kapp-Putsches hervorgegangenen Roten Ruhrarmee an den Kämpfen in Essen. Er fand danach Arbeit auf der Charlottenhütte in Niederschelden, wurde aber aufgrund seiner gewerkschaftlichen und politischen Aktivität bald entlassen, was einen Proteststreik der Belegschaft zur Folge hatte. 1923 wurde er unter dem Verdacht festgenommen, sich zusammen mit anderen Kommunisten Waffen beschafft zu haben. 1925 gehörte er zu den vom Reichsgericht daraufhin im „Siegerländer Kommunistenprozess“ Verurteilten. In ihrer Verteidigung verwiesen die Angeklagten darauf, dass sie einen gewaltsamen Rechtsputsch befürchtet hätten und sich darauf hätten vorbereiten wollen. Tatsächlich hatte der bereits in den Kapp-Putsch involvierte Landrat Heinrich Goedecke 1923 durch seinen vormaligen Assessor Otto Ehrensberger Waffen für Rechtsorganisationen im Siegerland besorgen lassen, was nicht unbekannt geblieben war, wie der damalige SPD-Vorsitzende Fritz Fries später mitteilte. Dieser Vorgang war ohne juristische Folgen geblieben.
Gegen ihn wurden eine Haftstrafe von 3 ½ Jahren und eine Geldstrafe von 600 RM verhängt (siehe: Alfred Becker).
Der Haft folgten Stationen als Parteisekretär in Krefeld, Wuppertal, Kassel und Hannover. Krämer wurde für seine Partei in den Preußischen Landtag gewählt.
Nach dem Machtantritt der NSDAP und ihrer deutschnationalen Bündnispartner wurde er im Zuge der Verhaftungswelle nach dem Reichstagsbrand 1933 ein weiteres Mal verhaftet. Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ erhielt er vom Volksgerichtshof erneut dreieinhalb Jahre Gefängnis. Während der Haft stand seine Frau unter Beobachtung durch Polizei wie Mitbürger. In einem Brief an seinen inhaftierten Genossen bemerkte Heinrich Otto im Oktober 1933 , „daß ihr bald ein bloßer Händedruck zum Verhängnis geworden wäre. Ein öfteres Zusammenkommen mit Liesel kann leider nicht stattfinden.“
Unmittelbar nach dem Haftende wurde Krämer, der sich weigerte, als Spitzel tätig zu werden, von der Gestapo festgenommen und erst im KZ Lichtenburg, dann im KZ Buchenwald festgehalten. In Buchenwald war er als Pfleger im Häftlingskrankenbau tätig und konnte zahlreichen Mithäftlingen durch sein solidarisches Verhalten helfen und deren Leben retten. Daraus ergab sich später der Ehrentitel „Arzt von Buchenwald“ für den Schlosser. Am 3. November 1941 wurde er zusammen mit dem Mithäftling Karl Peix in das Außenkommando Goslar gebracht. Drei Tage später wurden die beiden von der SS erschossen, Karl Peix im Fliegerhorst Goslar, Walter Krämer im Steinbruch in Hahndorf.
Außerhalb seiner Heimatregion wurde Krämer aufgrund seiner Rolle im KZ Buchenwald schon früh umfassend geehrt. Der westdeutsche Publizist und Politikwissenschaftler Eugen Kogon (CDU) würdigte seinen Buchenwald-Mithäftling in Der SS-Staat u. a. als „starke, mutige Persönlichkeit.“ (1946). Der DDR-Schriftsteller und Mithäftling Bruno Apitz setzte ihm in Nackt unter Wölfen (1956, Verfilmung 1963) ein internationales Denkmal. An der Martin-Luther-Universität Halle promovierte Christine Wenzel mit einer Dissertation über „das Leben und Wirken des deutschen Kommunisten Walter Krämer“ (1970). In Weimar und in Neukirchen bei Karl-Marx-Stadt wurden zwei Medizinische Fachschulen nach Krämer benannt (1970). 1992/93 verloren sie durch die Wende wie die Stadt ihren Namen. Im Weimarer „Traditionskabinett Walter Krämer“ (1975ff.) ausgestellte und bewahrte Relikte aus Krämers privatem und politischem Leben wurden entfernt und teilweise vernichtet. Einen kleinen Teil konnte das Siegener Aktive Museum Südwestfalen retten und ausstellen. In Berlin-Lichtenberg gab es eine Klinik (1976ff.), die seinen Namen trug. Am Klinikum Suhl nannte ein Arbeitskollektiv sich nach ihm (1986ff.) usw.
1999 wurde Krämer postum von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet. An dem Verleihungsakt in Siegen durch den israelischen Botschafter am 11. April 2000, dem 55. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald, nahmen mehr als 400 Personen teil.
In Westdeutschland blieb Krämer weitgehend unbekannt. Abgesehen von wenig bemerkten Gedenkveranstaltungen und erfolglosen Versuchen einer Straßenbenennung durch die KPD (1946, 1947), solange sie noch nicht verboten war (1956), kam es in der BRD erst nach der Jahrhundertwende zu öffentlichen Ehrungen (Gedenkstein in Hahndorf, Gedenktafel in Buchenwald. Auf Initiative der VVN-BdA wurde 2012 in Hannover ein „Stolperstein“ für Walter Krämer verlegt. Träger der Solperstein-Verlegungen sind dort die Deutsch-israelische Gesellschaft, das Projekt Erinnerungskultur der Landeshauptstadt und das Netzwerk „Erinnerung und Zukunft in der Region Hannover“, an dem die Stadt beteiligt ist.
In Krämers Heimatregion war die Frage der Ehrung ein jahrzehntelanger Dauerkonflikt, in dem die regionalen parlamentarischen Befürworter sehr lange die Minderheit bildeten. Erst 2012 beschloss der Rat der Stadt Siegen mehrheitlich, einen freien Raum vor dem Haupteingang des Kreisklinikums im Stadtteil Weidenau als Walter-Krämer-Platz zu bezeichnen. Zwei Jahre später wurde der Beschluss umgesetzt. Zeitlich parallel zu den Auseinandersetzungen um Walter Krämer verlief seit den 1970er Jahren ein anderer jahrelanger und immer wieder neu aufbrechender Benennungskonflikt um das nach einem prominenten NS-Kriegsverbrecher und Kreuztaler Großindustriellen benannte Friedrich-Flick-Gymnasium in Kreuztal, das diesen Namen erst 2008 nach mehrheitlichem Ratsbeschluss verlor.
Literatur:
– Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen, Halle (DDR) 1958
– Walter Poller, Arztschreiber in Buchenwald. Bericht des Häftlings 996 aus Block 36, Offenbach 1960
– Christine Roßberg, Arzt ohne Examen, Berlin (DDR) 1982
– Liesel Krämer, Alle Achtung, liebe Liesel, da hätte mancher die Hose voll gemacht, in: Hannoversche Frauen gegen den Faschismus 1933–1945, Lebensberichte, hrsg. von VVN-BdA, Hannover 1982, S. 36–40
– Bodo Ritscher, Arzt für die Häftlinge. Aus dem Leben Walter Krämers, Weimar-Buchenwald 1988
– Klaus Dietermann/Karl Prümm, Walter Krämer. Von Siegen nach Buchenwald, Siegen 1986
– dies., Walter Krämer. Schlosser, Politiker, Arzt von Buchenwald, Verlag der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland, Siegen 2015
BA Berlin, R 3.003, Nr. 12J55/31, 13J948/23 und 24, 14aJ321/24; BA Berlin, ZC 10.859; LA NRW, Abt. Rheinland, RW 58, 12.422 und 36.171; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; EB 1925; Weber, 404
Wilhelm Krämer
*1.5.1895 in Eiserfeld
Der Schlosser Wilhelm Krämer gehörte vor 1933 der SPD an. Er betrieb eine kleine Gastwirtschaft, doch ab 1933 blieben die Kunden mehr und mehr aus, da niemand zu dem Sozialdemokraten gehen wollte. Im November 1936 wurde er dienstverpflichtet und der Firma Waldrich in Siegen zugewiesen. Dort wurden u. a. Rüstungsgüter produziert, dies ab 1939 verstärkt mit Zwangsarbeitern aus den von Deutschland besetzten europäischen Ländern. Am 22. Juni 1942 kam Krämer mit einem sowjetischen Zwangsarbeiter ins Gespräch. Dabei fragte er ihn, ob er das Wolgalied und die Internationale kenne. Zur Unterstützung seiner Frage pfiff Krämer die Melodien beider Lieder leise an. Dieser Vorgang wurde von einem Vorgesetzten mit Namen Meyer (Meier) beobachtet und noch am gleichen Tag wurde Krämer von der Gestapo auf dem Betriebsgelände verhaftet. Er kam zunächst für 14 Tage in das Polizeigefängnis in Siegen, es folgte das Gefängnis in Bochum, bevor er in das Arbeitserziehungslager (AEL) Recklinghausen eingeliefert wurde. Dort war er bis zum 22. September 1942 inhaftiert. In dieser Zeit sei er, wie er im Entschädigungsverfahren erklärte, mehrfach den Schikanen der SS durch einen Obersturmführer Josef Klann ausgesetzt, der ihn mit sogenanntem „Sport“ quälte. Dabei musste ein Häftling barfuß laufen, sich auf Kommando hinlegen und über den Boden kriechen, immer mit Tritten und Schlägen getrieben. Außerdem musste Krämer schwere körperliche Zwangsarbeit im Kanalbau leisten.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.825
Der Wilnsdorfer Volksschullehrer Robert Kramuschke erklärte im März 1934 in einer Seelbacher Gastwirtschaft „Hoch lebe Brüning, Severing und Braun“ und kritisierte die Politik der Hitler-Regierung und insbesondere den 1932 aus dem Zentrum ausgetretenen Vizkanzler Franz von Papen. Daraufhin wurde er verprügelt und denunziert. Der NSDAP-Landrat Heinrich Goedecke beantragte umgehend beim Regierungspräsidenten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens und enthob Robert Kramuschke Anfang April des Dienstes unter Reduzierung seiner Bezüge auf die Hälfte.
SNZ, 14.4.1934
Der Siegener Heinrich Kraus war Mitglied der KPD. Er überlebte die Kommunistenverfolgung durch die Nationalsozialisten nicht. 1946 wurde er vom Volks-Echo, der regionalen Tageszeitung der KPD, als einer derjenigen geehrt, die im Siegerland „als Opfer des Nationalsozialismus und politische Gefangene ihr Leben gaben.“
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.112-1.586 (Wilhelm Langenbach); VE/Rt, 10.5.1946
Walter Kraus
* 7.7.1905 oder 1909 in Siegen
Der in Eichen lebende Kesselschmied Walter Kraus, Mitglied der KPD, wurde in der auf den Reichstagsbrand folgenden Verhaftungswelle gegen Mitglieder dieser Partei verhaftet und war bis Ende März 1933 in Kreuztal und Siegen inhaftiert.
Noch im selben Jahr wurde er erneut verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat am 5.10.1933 durch das OLG Hamm zu einem Jahr und vier Monaten Haft verurteilt. Die Haftzeit musste er bis Anfang Oktober des folgenden Jahres in den Gefängnissen von Siegen, Hamm, Bochum und im Außenkommando Abelitzmoor des Strafgefängnisses Lingen (Ostfriesland) verbringen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.742
Walter Krebs
* 15.2.1900 in Siegen
Der Siegener Schweißer Walter Krebs war Mitglied der KPD. Nach der Machtübergabe wurde er 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste Anfang April in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; SZ, 25.2.1933
Wilhelm Kreck
* 7.1.1906 in Siegen
Der Siegener Schlosser Wilhelm Kreck war Mitglied der KPD. Nach der Machtübergabe wurde er im März 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde vom Gericht als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Hermann Krengel wurde 1939 wegen „Rundfunkverbrechens“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert. Auf ihn wurde die Amnestie vom 9. September 1939 angewandt und er wieder auf freien Fuß gesetzt.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Der Geisweider Rudolf Kretzer gehörte der christlichen Religionsgruppe der Brüderbewegung („Darbysten“) an, „die im Siegerland große Gemeinden besaßen“ (Heinrich). Sie galt dem NS-Regime als „staatsfeindlich“, wurde 1937 verboten und spaltete sich daraufhin in eine große Mehrheit, die sich zum NS-Staat bekannte und bald in den größeren Zusammenhang des ns-kooperativen Bunds Evangelisch-freikirchlicher Gemeinden überging, und eine kleine Minderheit im Untergrund. Rudolf Kretzer wurde mindestens 1937 mehrfach Opfer von Hausdurchsuchungen und Verhören (1937).
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.117-1.141 (Max Koschuch); Heinrich, 222
Der Berleburger Dachdeckermeister Georg Kroh wurde im August oder September 1933 Opfer von Hausdurchsuchungen und im weiteren Verlauf drei Wochen inhaftiert. Vorausgegangen war, dass er im Laufe eines Streitgesprächs mit einem SS-Angehörigen diesem als Unehrlichkeit vorgehalten hatte, eine Grundstück von dem jüdischen Berleburger Julius Goldschmidt gepachtet zu haben. Die Auseinandersetzung führte dazu, dass Georg Kroh von einer Gruppe der SS ergriffen und in eine Gefängniszelle im Berleburger Rathaus gesteckt wurde. Dort empfing ihn ein SS-Mann „mit einem Faustschlag ins Gesicht“. Im Gerichtsverfahren wurde Georg Kroh zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er einen SS-Angehörigen bedroht habe.
StA Bad Berleburg, Nr. 151; Opfermann 2009, 66
Karl Kuhndörfer
* 5.2.1906, gest. 1947
Der Siegener Drechsler Karl Kuhndörfer war Mitglied der KPD. Von Juli 1938 bis April 1939 war er im KZ Oranienburg oder im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Er starb 1947 an den Haftfolgen.
Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; EB 1940; Fr/Rt, 28.11.1947
Wegen „Begünstigung der Flucht eines Kriegsgefangenen“ wurde Adam Kunz 1942 im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Paul Kurz
* 20.10.1903 in Weidenau
Der Klempner Paul Kurz wurde als Mitglied der KPD 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Adolf Wilhelm Friedrich Küthe
* 6.9.1898 in Siegen, gest. 22.4.1930 in Siegen
Ausstellungskatalog der International Exhibition von 1926/27
Der Siegener gelernte Schlosser, spätere Vertreter und vor allem bildende Künstler Adolf Küthe, Sohn des Reichsbahn-Sattlers Carl Christian Küthe und seiner Frau Catharine Küthe geb. Ziegler, verstarb mit erst 31 Jahren aus unbekannten Ursachen. Bemerkenswert ist, dass nicht die Familie, sondern der politisch mit ihm verbundene Heinrich Otto seinen Tod gegenüber der Stadtverwaltung bestätigte.
Adolf Küthe wandte sich schon früh gegen die aufkommende NS-Bewegung. In den 1920er Jahren wurde er Mitglied der KPD. Er trat der Roten Hilfe Deutschlands und dem Verband proletarischer Freidenker bei. 1929 kandidierte er in Siegen bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung für seine Partei.
Eine Förderung durch Existenzsicherung erfuhr er offenbar durch den norddeutschen antifaschistischen Kaufmann Friedrich Bölck, der mit der Produktion und dem Vertrieb von Lebensmitteln zum Multimillionär geworden war. Er übertrug Adolf Küthe die Vertriebsvertretung der Friedrich Bölck AG in Siegen. Der Philanthrop Bölck war eine seltene Ausnahmeerscheinung in seinen Kreisen. Als „Sozialist und Pazifist“ war er ein Unterstützer der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG). Er war 1930 Mitgründer und dann Mitfinanzier der linksliberalen Radikaldemokratischen Partei. Nach der Machtübergabe an die NSDAP und deren deutschnationale Bündnispartner war Bölcks Wohnhaus Angriffen ausgesetzt. Vom Reichssicherheitshauptamt wurde er in die Rubrik „Sozialisten und Kommunisten in Wirtschaftsunternehmen“ eingestuft.
1925 und 1926 zeigte der Berliner Galerist und Verleger Herwarth Walden in seiner Galerie Der Sturm Werke von Adolf Küthe gemeinsam mit solchen von Oscar Nerlinger, Hugó Scheiber und Sandro Malmquist. Die Galerie war seit langem ein europaweit anerkannter Ort der fortgeschrittenen Moderne.
Adolf Küthe, Dekoration, in: Der Sturm, Bd. 17, Nr. 3, Juni 1926
Die von Herwarth Walden herausgegebene Zeitschrift Der Sturm. Monatsschrift für Kultur und die Künste stellte in den 1920er Jahren Werke von Adolf Küthe vor. Mit seinen „Drehkünsten“ wie der Installation „Mensch-Maschine“ stand er für neue zeitgenössische Ausdrucksformen, wie sie etwa Alexander Archipenko vertrat.
Der Sturm gilt mit seinen vor allem expressionistischen und konstruktivistischen Beiträgen zu Literatur und bildender Kunst national und international als „Inbegriff der Avantgarde“. Die Zeitschrift hatte in der Weimarer Republik ein dezidiert antifaschistisches Selbstverständnis. Nachdem bereits 1932 das Bauhaus in Dessau geschlossen wurde, in Essen alle Lehrer der Folkwangschule entlassen wurden, George Grosz, ein Beiträger der Zeitschrift von Walden, nach New York geflüchtet war, stellte der Herausgeber sie ein und emigrierte 1932 noch vor der von ihm erwarteten weiteren Zunahme der Repression durch eine Naziregierung in die Sowjetunion.
Positiv rezipiert wurde Küthe nicht nur in linken Kreisen. In der renommierten liberal-bürgerlichen Kunstzeitschrift Der Cicerone. Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers berichtete 1925 der später ns-verfolgte Kunstschriftsteller Willi Wolfradt in einer Ausstellungsrezension über ihn. 1926/27 fand im Brooklyn Museum in New York die epochale International Exhibition of Modern Art statt, die anschließend in den Anderson Galleries in Manhattan, in der Albright Art Gallery in Buffalo und in der Art Gallery of Toronto gezeigt wurde. Sie zeigte u. a. Man Ray, Fernand Léger, Georges Braque, Hans Arp, Franz Marc, Francis Picabia, Jean Miro, Pablo Picasso, El Lissitzky. Konstruktivisten hatten dort einen herausgehobenen Platz. Einer der deutschen Beiträger war neben u. a. Willi Baumeister, Heinrich Campendonk, Max Ernst, Paul Klee, Franz Marc und Kurt Schwitters der Siegener Adolf Küthe (mit „Karneval“, „Deutschland“, „Landschaft“). Initiatorin der Ausstellung war die sehr angesehene Société Anonyme Inc. der deutsch-amerikanischen Mäzenatin Katherine Sophie Dreier, ein Zusammenschluss zur Förderung neuer Kunst und Künstler. Sie und der ebenfalls dort vertretene Marcel Duchamp organisierten die Ausstellung.
Über seinen Tod hinaus wurde Adolf Küthe in Deutschland als Feind aus der gegnerischen völkisch-bürgerlichen Perspektive wahrgenommen. Die Schrift „Säuberung des Kunsttempels. Eine kunstpolitische Kampfschrift zur Gesundung deutscher Kunst im Geiste nordischer Art“ von 1937, Begleitbuch des NS-Propagandamalers, -autors und Ausstellungsorganisators Wolfgang Willrich zur Propagandaausstellung „Entartete Kunst“, reihte ihn in die Gruppe der verhassten „Kulturbolschewisten“ ein. Willrich war Förderndes Mitglied der SS.
Der Siegener Adolf Küthe hatte in seinem kurzen Leben mit seiner internationalen Reichweite den mit weitem Abstand höchsten Grad der Bekanntheit regionaler Kunstrepräsentanten nach dem ebenfalls in Siegen geborenen Peter Paul Rubens. Dennoch gibt es für seine Herkunftsregion, den heutigen Kreis Siegen-Wittgenstein, für keinen Zeitpunkt einen Nachweis einer öffentlichen Wahrnehmung des Malers, obwohl er anders als Rubens dem Siegerland real verbunden blieb. Das charakterisiert die Siegerländer bildungsbürgerliche Kunstszene vor wie nach 1933 und wiederum nach 1945.
Siegener Zeitung, 28.1.1932, gegen Juden, Moderne und Rotfunk im Vorgriff auf Inhalte der späteren NS-Ausstellung
Während von Adolf Küthe im Siegerland nie etwas zu sehen war, waren mit Ausstellungsbeiträgen und positivem medialen Echo dort seit den Weimarer Jahren profilierte Nazis wie die Architekten Hermann Giesler, Paul Giesler oder Richard Manderbach als „Künstler“ präsent. Damit korrespondiert, dass der Vorsitzende des bildungsbürgerlichen „Siegerländer Kunstvereins“ zeitweise zugleich der Kreisvorsitzende der völkisch-antisemitischen „Siegerländer Hakenkreuzer“ war. In der Berichterstattung der regional tonangebenden Siegener Zeitung zu Künstlern und Kunstereignissen der 1920/30er Jahre ist Adolf Küthe (bis heute) eine vollständige Leerstelle. Dieses Milieu und dieser Künstler standen in wechselseitiger Distanz.
In einer 1978 entstandenen privaten Auflistung des Gosenbacher Schuhmachers und KPD-Mitglieds Ludwig Popp von „Genossen, die … in der Weimarer Zeit an der Abwehr der Faschisten besonders mitgearbeitet haben“, findet sich der bislang einzige regionale Hinweis auf Adolf Küthe als Maler, und zwar mit den drei Eigenschaften, Siegerländer, Kommunist und ein international beachteter Künstler gewesen zu sein: „Adolf Küthe, Siegen, Mitte der 20er Jahre Kreisliteraturfunktion, Expressionist (Expr. Ausstellung London [mutmaßlich 1925]), sehr tätig.“
Blick in die Ausstellung der Société Anonyme 1926/27 in Brooklyn, im Vordergrund die Installation „Le Grand Verre“ von Marcel Duchamp
Literatur:
– International Exhibition of Modern Art Arranged by the Société Anonyme for the Brooklyn Museum. First edition exhibition catalog composed by Katherine Dreier and Constantin Aladjalov, New York 1926 (Personenartikel Adolf Küthe, S. 43)
– Der Sturm, 17 (1926), H. 3, Sonderheft Theater. Mit 10 photogr. Abb., Berlin 1926 [mit avantgardistischen Bühnendekorationen und Figurinen von Adolf Küthe, Sandro Malmquist, Michael Larionov, Feliks Krassowski u. a. sowie einem Essay „Theater“ von Rudolf Blümner]
– Jennifer R. Gross, The Société Anonyme. Modernism for America, New Haven/London o. J. (2013), siehe: Netzfassung [zur Bedeutung der Ausstellung von 1926/27]
– Ulrich F. Opfermann, Bildungsbürgerlichkeit, Heimatkunst, völkische Politik. Zum Siegerländer Kunstverein der 1920er Jahre, in: Siegener Beiträge 19 (2014), 155-181 [zur zeitgeschichtlichen Einordnung nicht von Adolf Küthe, sondern der zeitgenössischen regionalen Kunstszene]
Standesamt Siegen, Geburts- und Sterberegister; EB 1925, 1931; BA Berlin, R 58, Nr. 317; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; SZ, 5.11.1929, 24.4.1930; Brühl, 30, 249, 253; van den Berg, 81; Willrich, 30, 37, 48; Der Cicerone, 1925, 519; Galerie Der Sturm, Ausstellungsinformation, April 1925; Gregor Langfeld, Universität Leiden, 41; Diethard, passim [zu Bölck]; Feder, 292 [zu Bölck]; „Baukasten“ der vergessenen und verschollenen Sturm-KünsTler: https://sturm-baukasten.de/mitarbeiterinnen/kuethe-adolf-wilhelm-friedrich/
Hans Labus
* 6.9.1901 in Hohenlinde (Oberschl.), gest. 1966
Bundestagskandidat der DFU 1965
Der Siegener Kaufmann Hans Labus war verheiratet mit Elisabeth Labus. Er war Mitglied der 1930 gegründeten linksliberalen Radikaldemokratischen Partei. Er und seine Frau waren in der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG). Dort war er von 1930 bis 1933 Vorsitzender des Bezirks Sieg-Lahn-Dill wie auch der Ortsgruppe Siegen.
Die DFG wandte sich früh gegen den aufkommenden Faschismus. So rief sie etwa im Juni 1924 aus Anlass einer vom nationalistischen Rechtsspektrum und dabei wesentlich von der NSDAP in Siegen organisierten Großveranstaltung „Deutscher Tag“ zu einer Gegenkundgebung „gegen die Verächter der Menschenwürde“ auf, Thema: „Das Hakenkreuz ist Deutschlands Untergang“. Sie kritisierte 1928 den Seitenwechsel der Reichstags-SPD in der Frage des Baus des Panzerkreuzers A, der hohe politische Wellen schlug. In der weiteren Folge fasste die SPD einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die DFG, und das SPD-dominierte Reichsbanner weigerte sich, den Saalschutz bei DFG-Veranstaltungen zu übernehmen. Die DFG kritisierte diese Abgrenzung als einen „Ansporn für die schwarz-weiß-roten Wehrverbände“.
1931 schlossen sich unter Führung der Partei die SPD, das Reichsbanner, der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), der Allgemeine freie Angestelltenbund (Afa-Bund) und andere zur „Eisernen Front“ zusammen.
Aufruf von SPD und Eiserner Front zur Wahl der SPD (nach dem Putsch in Preußen, 1932). Die drei Pfeile standen für die Bekämpfung von „Kapitalismus, Faschismus und Reaktion“, auch für „Aktivität, Disziplin, Einigkeit“ und in einer antikommunistischen Variante für „NSDAP, Monarchisten und KPD“.
Nach der Machtübergabe und dem Verbot der DFG wurde es still um Hans Labus. Den Kontakt und das Gespräch mit anderen Siegener NS-Gegnern, so auch zu Heinrich Otto, hielt er aufrecht.
Nach dem Ende des NS-Regimes trat er der VVN bei, war dort zeitweise im Vorstand und leitete deren Sozialausschuss. Spätestens 1946 war er wieder Mitglied der DFG, dort dann ab 1948 mit Unterbrechung im Vorstand des Westdeutschen Landesverbands, leitete ab 1955, das heißt in der Hochzeit der Remilitarisierungsdiskussion, die Orts- und Kreisgruppe Siegen und war von 1959 bis 1962 Beisitzer im Bundesvorstand der DFG. Er war eine der führenden Persönlichkeiten der Siegerländer Friedensbewegung in den 1950er und 1960er Jahren.
Weihnachtsfeier der DFG, Siegen 1964, am Kopfende Hans Labus, links daneben Elisabeth Kollmann, Zweite von links Hedwig Finger
Ostermarsch 1965, Frankfurt a. M., im Vordergrund Siegerländer Teilnehmer
Von der britischen Militärregierung wurde Hans Labus 1945 in den Beratenden Ausschuß für den Land- und Stadtkreis Siegen berufen. Er war zunächst berufener und dann gewählter Stadtverordneter und von 1946 bis 1948 Bürgermeister.
Hans Labus gehörte 1946 zu den regionalen Gründern der FDP, die er verließ, um der SPD beizutreten. Er wechselte anschließend in die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP), die im Siegerland zeitweise größere Bedeutung hatte und die er im Stadtrat vertrat. Seit 1960 war er Mitglied der Deutschen Friedens-Union (DFU), für die er 1965 für den Bundestag kandidierte.
Literatur:
– Traute Fries, Die Deutsche Friedensgesellschaft im Bezirk Sieg-Lahn-Dill in der Weimarer Republik. Eine historische Rekonstruktion, Siegen 2013
Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, Regionale Friedensbewegung; Plaum, Sammlung; EB 1931/32; SZ, 12.6.1924; PM Wilhelm Fries; Appelius, 723; Fries 2007, passim; Kreisarchiv S-W, Personenartikel
Heinrich Langenbach
*10.2.1910 in Siegen
Der Tiefbauarbeiter Heinrich Langenbach war von 1927 bis zum Verbot 1933 Mitglied der KPD. Im Mai 1933 wurde er von vier SA-Männern aus seiner Wohnung geholt und unter Schlägen von Richard Odendahl, Leiter eines nach ihm benannten berüchtigten „Rollkommandos“, verhört. Zwei Wochen später wurde er erneut verhaftet und durch die SA so schwer misshandelt, dass er anschließend drei Monate im Krankenhaus verbringen musste. Im Jahre 1943 wurde er zum Strafbataillon 999 eingezogen. Im Prozess gegen Odenthal wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ 1948 war Langenbach einer der Zeugen der Anklage.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.427
Albrecht Lapp
*18.2.1898 in Buschhütten
Der gelernte Former Albrecht Lapp wurde als Mitglied der KPD noch in der Nacht des Reichstagsbrands am 28. Februar 1933 in Schutzhaft genommen und einen Monat im Polizeigefängnis in Siegen festgehalten. Im August desselben Jahres wurde er auf Weisung des Höheren Polizeiführers West im August erneut verhaftet und am 5. Oktober 1933 nach einem Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat durch das OLG Hamm zu einer Haftstrafe von 15 Monaten verurteilt. Die Haft musste er in den Gefängnissen von Hamm und Werl verbringen, bevor er im April 1934 in das Arbeitslager Benninghausen eingeliefert wurde. Im November 1934 kehrte er zurück und fand im Gegensatz zu vielen seiner Genossen rasch eine Arbeitsstelle als Former bei der Firma Edmund Breitenbach in Weidenau.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.743
Gustav Lemke wurde 1943 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Clemens Lerg
* 13.12.1893 in Essen-Freisenbruch
Der Obermeister im Eichener Walzwerk Clemens Lerg wohnte in Kreuztal, war verheiratet mit Margarethe Flender und hatte zwei Kinder. Er war gläubiger Katholik und Anhänger der Zentrumspartei.
1940 wurden bei ihm Soldaten der Wehrmacht einquartiert. Mit dem Soldaten Alfred Wessely kam es wiederholt zum Konflikt. Wessely zeigte Lerg schließlich wegen verbotenen Abhörens feindlicher Sender bei der Polizei und der Ortsgruppenleitung der NSDAP in Kreuztal an. Beide Instanzen unternahmen jedoch nichts. Daraufhin brachte Wesseley die Anzeige bei der Dienststelle der Wehrmacht vor, diese leitete ein Ermittlungsverfahren ein.
Am 29. Januar 1940 wurde Lerg nun in Kreuztal in Schutzhaft genommen. Es folgte eine Hausdurchsuchung, bei der versteckte Fahnen der katholischen Jugendorganisation gefunden und beschlagnahmt wurden. Auch Lergs Radio wurde beschlagnahmt. Es wurde festgestellt, dass Lerg heimlich verbotene Hirtenbriefe der katholischen Kirche verteilt und mit einem Vikar „von der Hagen“ oppositionelle Zeitungen ausgetauscht hatte. Im Zuge der Ermittlungen wurde auch seine Frau für einige Tage in Haft genommen. Durch das Sondergericht Dortmund wurde Clemes Lerg am 2. April 1940 zu 18 Monaten Zuchthaus wegen „Rundfunkverbrechens“ verurteilt.
Im Entschädigungsverfahren zitierte Lerg aus der Urteilsbegründung, er müsse ganz erheblich bestraft werden, weil er seit langem als Gegner des NS bekannt gewesen und auch in der Öffentlichkeit hervorgetreten sei. Auch auf der Arbeitsstelle sei er als Gegner des NS bekannt gewesen und hätte öfter mit dem Betriebsrat Ärger gehabt.
Dem Urteil des Sondergerichts folgten der Ausschluss aus der Deutschen Arbeitsfront (DAF) für zwei Jahre und die Nichtwählbarkeit in der DAF für fünf Jahre. Weil er die bei Verurteilungen regelmäßig auferlegten Verfahrenskosten – hier 979 RM – nicht zahlen konnte, musste er eine entsprechende Grundschuld auf sein Haus aufnehmen. Die Haft verbrachte Clemens Lerg in Kreuztal, Dortmund (Steinwache), Münster und Gelsenkirchen. Nach der Haft konnte er zwar wieder im Eichener Walzwerk arbeiten, allerdings nicht mehr als Obermeister, sondern nur noch als einfacher Arbeiter, was eine erhebliche Einkommensminderung bedeutete.
Nach dem Zusammenbruch der Diktatur zeigte Lerg seinen Denunzianten Wessely an. Wessely wurde 1948 durch das Schwurgericht Siegen wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ zu drei Monaten Haft verurteilt. Das war der untere Rand des Strafrahmens Wie bei vielen NS-Tätern bewirkte auch in diesem Verfahren eine Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion Strafmilderung.
ITS Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen [dort als „Clemens Berg“]; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 42-1.1166 (Heinrich Klein); LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.744; EB 1940; Opfermann 2001, 237
Rudolf („Rudi“) Leupold
* 9.9.1898 in Chemnitz, gest. nach 1985
Der in Solingen beheimatete Metallarbeiter Rudi Leupold war zunächst Mitglied der SPD und trat 1923 in die KPD über. Gewerkschaftlich war er im linken Deutschen Metallarbeiter Verband (DMV) organisiert, lange Mitglied der Ortsverwaltung und freigestellter Betriebsrat bei Weyersberg, Kirschbaum & Co., dem größten Betrieb in Solingen. Er war Mitglied im Kreisvorstand des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) und Vorsitzender der Arbeiter-Sanitätskolonne Solingen-Mitte. 1929 fuhr er mit einer Arbeiterdelegation in die Sowjetunion, um dort „sanitäre und kurmäßige Einrichtungen“ kennenzulernen. Er wurde Mitglied des Bundes der Freunde der Sowjetunion. 1932 leitete er den Unterbezirk Siegen (= Siegerland und Kr. Altenkirchen sowie Anteile der westlichen und nördlichen Nachbarkreise), im Jahr darauf die große Solinger Parteiorganisation. Er war Mitglied im Kampfbund gegen den Faschismus, deren „Erwerbslosenstaffel“ er vorstand.
Anfang März 1933, wenige Tage nach dem Reichstagsbrand, wurde er verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat festgenommen. Das OLG Hamm verurteilte ihn zu anderthalb Jahren Gefängnis, jedoch nicht wegen Hoch-, sondern wegen Landesverrats. Im Verfahren spielte auch der Aufenthalt in der UdSSR eine Rolle. Er wurde von der Anklage als militärische Ausbildung gedeutet, was widerlegt werden konnte. Zu den Haftorten gehörten das Gefängnis in Anrath am Niederrhein, eine Polizeikaserne in Duisburg, wo Leupold mehrere Tage lang misshandelt wurde, das Gefängnis in Bendahl bei Wuppertal und das KZ Börgermoor.
Nach 21 Monaten Haft 1935 wurde er entlassen und unter Gestapo-Aufsicht gestellt. Jeden zweiten Tag hatte er sich zu melden. Dennoch bildete er umgehend mit Willi Lohbach und Willi Dickhut, ebenfalls aus Börgermoor entlassene Häftlinge, die dreiköpfige Leitung der Parteiorganisation in Solingen und dem südlichen Ruhrgebiet. Zur Tarnung der häuslichen Abwesenheiten trat er dem lokalen Männergesangverein bei, in dessen Vorstand er gewählt wurde. Leupold arbeitete in einem Solinger Betrieb, in dem auch sowjetische Zwangsarbeitskräfte tätig waren und für die er, der dort ebenfalls arbeitende Willi Lohbach und einige betriebliche Sympathisanten Verpflegung, Kleidung und Schuhwerk organisierten. Selbst hergestellte und von außen kommende Flugblätter mit Schlagzeilen wie „Deutsche, helft mit, den sinnlosen Krieg zu beenden!“ und „Wer überleben will, muss Hitler und seine Gefolgsleute stürzen!“ seien verteilt worden, berichtete er später, aber auch, man habe „manche Komplikation zu überstehen“ gehabt. Nach den schweren Bombenangriffen auf Solingen wurde er zu Aufräumarbeiten auf Friedhöfen dienstverpflichtet, zum Lazarettdienst eingezogen und für ein Bombenräumkommando zwangsverpflichtet.
Gleich nach dem Ende des NS-Regimes gehörte Rudi Leupold zu den Initiatoren des Wiederaufbaus von Gewerkschaft und Partei. Von 1947 bis 1951 war er Erster Bevollmächtigter der IG Metall. Er wurde für die KPD in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Als Anfang der 1950er Jahre im Kontext von Protesten gegen die Wiederaufrüstung von der Führung der IG Metall die Solinger Ortsverwaltung aufgelöst und acht kommunistische Gewerkschaftsmitglieder ausgeschlossen wurden, gehörte Rudi Leupold zu ihnen. Bis zum Verbot seiner Partei 1956 war er Erster Sekretär der Kreisleitung Solingen.
LA NRW, Abt. Rheinland, RW 58, Nr. 67.747; ND, 28.3.1956; Hawerkamp, 254ff., 307; Lüerßen, 349; Major, 190
Karl Ley
* 25.12.1889 in Siegen, gest. 27.2.1976 in Siegen
Pseudonym: Justus Marckord
Karl Ley war der Sohn des Schlossermeisters und Inhabers der Westfälischen Handfuhrgerätefabrik in Siegen Carl Ley, der in den 1890er Jahren zu den Gründern der Siegener Gruppe der Deutschen Friedengesellschaft (DFG) gehörte, die er im Kaiserreich als Vorsitzender leitete. Sein Sohn wurde Gewerbelehrer, als solcher Direktor der Berufs- und Berufsfachschule der Stadt Siegen. Er war ebenfalls Pazifist und Mitglied der DFG. Daneben trat er als Autor von Büchern und Aufsätzen hervor und hielt Vorträge zur Jugendpflege, zum Wandern und zum Bergsteigen. Zugleich wurde Karl Ley zum entschiedenen NS-Gegner.
Im Oktober 1918 war er wegen Befehlsverweigerung von einem Kriegsgericht in Beverlo (Belgien) zu einer Arreststrafe verurteilt worden. Seine Sympathien lagen bei den Weimarer Parteien der Mitte. 1932 etwa hielt der Konfessionslose eine Wahlrede für das katholische Zentrum in Gernsdorf (1932). Nach der Machtübergabe an die Nazis und ihre Verbündeten kam es zu Konflikten, und Karl Ley wurde mehrfach gemaßregelt. So hatte er gegenüber einer Lehrerin in Dreisbach geäußert, „Hitler? Das ist ein Lump.“ Die Kollegin denunzierte ihn daraufhin, was seine Entlassung als Leiter der Berufsschule des Amts Netphen zur Folge hatte.
Er war nun gezwungen, den Familienunterhalt mit privatem Nachhilfeunterricht zu sichern. 1936 wurde er an der Berufsschule des Kreises Siegen-Land wiedereingestellt, aber zwei Jahre folgten eine weitere Denunziation, jetzt durch Schüler, und die nächste Entlassung. Die Gestapo vernahm ihn wegen staatsgefährdenden Unterrichts, was aber ohne weitere Konsequenzen blieb. Ein unter Pseudonym publiziertes Buch „Gebete eines Ungläubigen“ unterlag 1943 wegen pazifistischen, internationalistischen und individualistischen Inhalts einem Verkaufsverbot durch das Werbe- und Beratungsamt für das deutsche Schrifttum.
Aufgrund kriegsbedingten Lehrermangels zunächst wiedereingestellt wurde Karl Ley 1943 von den Schülern Heinz Schmidt aus Obersdorf und Otto Weber aus Niederdresselndorf wegen störender Äußerungen ein drittes Mal denunziert und erneut von der Gestapo verhört. Am 11. Februar 1944 wurde er festgenommen und nach neun Monate U-Haft in Siegen vom Volkgerichtshof wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Haftort war die Strafanstalt Berlin-Plötzensee. Am 22. April 1945 wurden die Insassen von der Roten Armee befreit.
Auch nach dem Ende Hitler-Deutschlands blieb Karl Ley auf ausgeprägt persönliche Weise pazifistisch und – ohne Parteibindung – politisch aktiv. Er war zeitweise Vorsitzender der Siegerländer DFG und publizierte verschiedene Schriften in kritischer Begleitung der politischen Entwicklungen, so 1966 „Auf zum dritten Weltkrieg“ oder im Jahr darauf „Gedanken zur Freiheit und Wahlrechtsform. Mit Bezug auf die Schriften Karl Jaspers“. Seine Beiträge erschienen im Volnsberger „Rabenhain-Verlag“, einem Selbstverlag des Autors. Seit Dezember 1945 war Karl Ley als Verwalter der Jugendherberge und Jugendbegegnungsstätte Freusburg tätig.
Veranstaltung der Kreisgruppe Siegen der DFG, 1959
Schriften (Auswahl):
– Gebete eines Ungläubigen, Bonn o. J. (1938)
– Wiedervereinigung?, Siegen Volnsberg o. J. (1966)
– Auf dem Wege zum dritten Weltkrieg, Siegen-Volnsberg o. J. (1967)
– Der Wahn der Freiheit, Siegen-Volnsberg o. J. (1969)
– Die Drehscheibe, Siegen-Volnsberg 1969
– Sexus und Eros, Siegen-Volnsberg o. J. (1970)
– Meilensteine auf der Straße in den Untergang, Siegen-Volnsberg 1971
– Die Hölle des Wissens, Siegen-Volnsberg o. J. (1972)
– Wir glauben Ihnen. Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen eines Lehrers aus dunkler Zeit, Siegen-Volnsberg 1973
– Aufstand gegen den Kaiser, Siegen-Volnsberg 1974
– Der grosse Irrtum, Siegen-Volnsberg o. J. (1975)
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 33-23 (Karl Ley); Ley 1973; Opfermann 2001, 237f.
Hans Lichtenfels
* 1890 Simtshausen bei Marburg
Der Kreuztaler Hans Lichtenfels war Mitglied der KPD und wurde aufgrund seiner NS-Gegnerschaft nach 1933 mehrfach verhaftet. Von 1941 bis 1945 war er im KZ Sachsenhausen inhaftiert.
Hans Lichtenfels war einer der Gründer der regionalen VVN am 8. Mai 1947, dem von den ehemaligen Verfolgten gefeierten Tag der Befreiung vom Faschismus.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.740, 26.913; ebenda, Abt. Rheinland, NW 114-35; SZ, 2.3.1976; WP/Rt, 9.5.1947, 8.11.1988; Gründung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes im Siegerland am 08. Mai 1947
Karl Lohse wurde 1943 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ durch das Sondergericht Dortmund zu einer Geldstrafe verurteilt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-2.796 (Heinrich Metzler)
Karl Loos
* 20.4.1892 in Fellinghausen
Geprägt durch seine schrecklichen Erlebnisse als Soldat auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs trat der Maschinenschlosser Karl Loos 1925 der Deutschen Friedensgesellschaft bei. Für diese hielt er öffentliche Vorträge gegen den Krieg. Karl Loos war in den 1940er Jahren auf dem Eichener Walzwerk beschäftigt und kam dort mit Zwangsarbeitern in Kontakt. Er unterstützte sie regelmäßig mit Brot und anderen Lebensmitteln. 1942 wurde er wiederholt von der Gestapo wegen defätistischer Äußerungen wie „Können den Krieg nicht gewinnen“ vorgeladen und verhört. Es kam auch zu einer Hausdurchsuchung, bei der zahlreiche Bücher von ihm beschlagnahmt wurden. Nach der Niederlage der Nazi-Truppen in Stalingrad hatte er erklärt, „das deutsche Volk müsste sich mal die Schlachtfelder von Stalingrad ansehen, dann würde es wohl vielleicht erkennen, wo der Weg hingeht. Es ist eine himmelschreiende Schande, dass soviel junges Menschenblut für so eine Handvoll Idioten fließen muss.“ Daraufhin wurde er denunziert und im November 1943 von der Gestapo verhaftet. In der Haft wurde er von den Gestapobeamten Weitendorf, Bültmann und Faust mehrmals durch Schläge und Tritte misshandelt. Nach einem Monat wurde er nach einer strengen richterlichen „Ermahnung“ aus der Haft entlassen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 58.924
Emma Löw geb. Hofmann war verheiratet mit Fritz Löw. Am 2.12.1933 wurde sie verhaftet und mit weiteren 25 Mitgliedern und Unterstützern der KPD festgenommen, der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und am 29. Januar 1934 vom OLG Hamm zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.829; SNZ, 30.1.1934
Fritz Löw
* 8.6.1898 in Siegen, gest. 8.1.1945 nach schwerer Verletzung beim Luftangriff auf Siegen am 16.12.1944
Der Schlosser Fritz Löw war mit Emma Löw geb. Hofmann verheiratet. Er war ein Halbbruder von Heinrich Müller. Er war Mitglied der SPD und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, das sich 1931 mit der SPD, dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB), dem Allgemeinen freien Angestelltenbund (Afa-Bund) und anderen zur SPD-geführten „Eisernen Front“ zusammenschloss.
Kundgebungsaufruf, Februar 1933. Die drei Pfeile standen für die Bekämpfung von „Kapitalismus, Faschismus und Reaktion“, auch für „Aktivität, Disziplin, Einigkeit“ und in einer antikommunistischen Variante für „NSDAP, Monarchisten und KPD“.
1932 verließ er SPD und Eiserne Front und trat der KPD und dem Kampfbund gegen den Faschismus bei.
Nach der Machtübergabe wurde er im Juli 1933 von der SA und SS verhaftet und so schwer misshandelt, dass er einen Lungenriss erlitt. Nach den Misshandlungen war er bettlägerig und arbeitsunfähig. Der katholische Pfarrer Wilhelm Ochse, der von den Misshandlungen erfuhr, besuchte ihn zu Hause. Am 3. August 1933 wurde Fritz Löw durch die Gestapo verhaftet, mit weiteren 25 Mitgliedern und Unterstützern der KPD durch das OLG Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und am 29. Januar 1934 als Haupttäter zu drei Jahren Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für fünf Jahre verurteilt. Die „hochverräterischen Ziele“ der KPD-Aktivitäten lagen nach Meinung des Gerichts in dem Bestreben, „die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, und im Ziel der „Errichtung einer Rätediktatur nach russischem Vorbilde“. Zuchthausstrafen hatte es bei Tatbeständen ab Mai 1933 verhängt, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ eingetreten sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“ Die Haft musste Fritz Löw in den Zuchthäusern von Werl und Münster verbringen.
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht“ habe.
In einem Papier der VVN sind für Fritz Löw abseits des Verfahrens von 1934 ohne nähere Erläuterung „3 ½ Jahre KZ“ angegeben.
1957 kämpfte die Witwe Emma Löw unter Hinweis auf das Straffreiheitsgesetz vom 3. Juni 1947 vor dem OLG Hamm vergeblich um die Aufhebung des Urteils. Das Gericht lehnte mit einer strikt antikommunistischen Begründung ab, wie sie auch zehn Jahre zuvor hätte formuliert worden sein können: Das „alte KPD-Mitglied“ Löw habe sich auf einen „erwarteten bewaffneten Aufstand“ in Deutschland vorbereitet und auf die „Errichtung einer Rätediktatur nach kommunistischem Muster“ gehofft. Löw habe seine Handlungen nicht „überwiegend aus Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus begangen“, wie es das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) zur Bedingung mache. Seine Aktivitäten hätten auch nicht erst nach der Machtergreifung, sondern bereits im Dezember 1932 begonnen. Nach den rechtlichen Vorgaben also zu früh. Nach Motiv und Zeit (ab 31 .Januar 1933) könne das entsprechende Amnestiegesetz nicht herangezogen werden. Es gelte auch, dass die begangenen Straftaten einschließlich „Hochverrat“ nicht „allein nach nationalsozialistischer Auffassung“, sondern ganz allgemein „auch heute noch in allen Kulturstaaten“ strafbar seien.
Mit dieser Begründung wurden die Entscheidungen und Handlungen von Löw als strafwürdiges Unrecht und zugleich die des NS-Gerichts als rechtsförmig gewertet. Aufgrund der geringen Sprengstoffmengen jedoch könne die auf jeden Fall gerechtfertigte und abgesessene Strafe – nach deren Verbüßung – doch der Form nach auf das doppelte der Mindeststrafe, also auf zwei Jahre, abgemildert werden.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.829; Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; SNZ, 30.1.1934; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Franz Lowatz
* 5.9.1886 in Landsberg i. W.
Der Burbacher Amtssekretär Franz Lowatz war Mitglied der SPD seit den 1920er Jahren und Vorsitzender der Ortsgruppe des Reichsbanners. Er wohnte ihn Wahlbach.
Nach der Machtübergabe wurde er von einer Schlägertruppe der SA unter Führung des Wahlbacher Gastwirts Wilhelm Bernshausen überfallen, aus seinem Haus geholt und in das Amtshaus in Burbach verschleppt, um ihn als bekannten NS-Gegner dort zusammenzuschlagen. Auf dem Weg dorthin wurde er aus der Dorfbevölkerung heraus „angespuckt und mit Steinen beworfen“. Nach den Misshandlungen in Burbach wurde ihm aufgegeben, Wahlbach innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Man könne nicht länger für sein Leben garantieren. Darüber, dass Franz Lowatz „unter reger Beteiligung der Bevölkerung in Schutzhaft genommen“ worden sei, berichtete die NSDAP-Zeitung.
Fr/Rt, 208.1948; SNZ, 3.7.1933; SZ, 6.11.1929; WR/Rt, 21.8.1948; Opfermann 2001, 238; Opfermann 2009, 66; Pfau 2003, 22
Der mit der Siegener jüdischen Familie Löwenstein verwandte Egon Löwenstein wurde 1937 durch das Sondergericht Dortmund in Siegen wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ und als angeblicher Betrüger zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.
SZ, 19.6.1937
Frau Lüders wurde wegen Verleumdung des Kreisleiters der NSDAP Hermann Burk 1934 durch das Landgericht Siegen zu einer sechswöchigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Berufung wurde verworfen.
Burk wurde 1942 wegen Schwarzmarktgeschäften amtsenthoben.
SNZ, 20.4., 21.7.1934
Michael Maschlanka wurde 1940/41 wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen sechs Monate im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Bernhard Maßbaum
*17.10.1898 in Boschgotthardshütten
Der Schlosser Bernhard Maßbaum war seit 1917 im Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) in Siegen beschäftigt. Er bekannte sich seit 1921 zur christlichen Bekenntnisgemeinschaft der Zeugen Jehovas („Ernste Bibelforscher“). Sie war durch die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 verboten und am 24. Juni 1933 vom preußischen Innenminister für aufgelöst erklärt worden. Dennoch kamen Siegerländer Zeugen Jehovas mindestens bis ins Jahr 1936 weiter zusammen. An diesen, jetzt geheimen Treffen, nahm auch Bernhard Maßbaum teil. Er bezog bis 1935 die inzwischen verbotene Zeitschrift „Der Wachturm“. Am 20. August 1936 wurde Maßbaum wegen seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas verhaftet. Er war bis zum 20. November 1936 in Siegen in Untersuchungshaft. Während dieser Haftzeit wurde sein Arbeitsverhältnis gekündigt. Das Sondergericht Dortmund verurteilte ihn am 14. März 1937 zusammen mit drei weiteren Angehörigen der Gruppe wegen Verstoßes gegen die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 zu zwei Monaten Gefängnis. Die Strafe war durch die Untersuchungshaft abgegolten. Die Zeugen Jehovas sah das Gericht als „Sammelbecken von Staatsfeinden“, das die Anhänger „in pazifistisch-liberalistischer Gesinnung“ erziehe. Vorsitzender Richter war der Landgerichtsdirektor am Sondergericht in Dortmund, Dr. Dietrich Baedeker, der nach dem NS-Ende als unbelastet geltend in Dortmund erneut Landgerichtsdirektor war.
Aufgrund der Verurteilung wurde Maßbaum durch ein Ehren- und Disziplinargericht der Deutschen Arbeitsfront (DAF), Gau Westfalen-Süd, aus der DAF ausgeschlossen. Er fand eine neue Anstellung bei der Firma Siegener Eisenbahnbedarf AG, allerdings zu einem deutlich geringeren Stundenlohn. Nach dem Zusammenbruch der Diktatur wurde Maßbaum als NS-Geschädigter anerkannt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.910; SNZ, 15.5.1937; allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Karl Matiszik
* 2.6.1896 Pisken (Kr. Luyk, Ostpr.), gest. 16.5.1974 Mausbach bei Freudenberg
Der aus dem polnisch-preußischen Osten nach Norddeutschland migrierte Stellmacher Karl Matiszik wurde im Ersten Weltkrieg als „Sturmsoldat“ eingesetzt, nahm an den revolutionären Erhebungen in Kiel und Lübeck teil und wandte sich der politischen Linken zu. Er war in seiner Heimatstadt Oldesloe Mitgründer des Spartakusbunds auf dem linken Flügel der USPD, wechselte in die KPD und nahm 1923 am Hamburger Aufstand der revolutionären Linken teil. In der Weimarer Republik wurde der nun als Industriearbeiter tätige Kommunist mehrfach als Mitglied seiner Partei und als Sprecher von Arbeitslosen in Oldesloe festgenommen. Er nahm früh und bis zu den letzten Wahlen am 12.3.1933 an der Abwehr der drohenden Gefahr von Rechtsaußen teil und setzte diesen Widerstand nach der Machtübernahme durch die Koalitionsregierung Hitler aus NSDAP und DNVP mit der Verteilung von antinazistischen Aufklärungsschriften, Sammlungen für die Rote Hilfe u. a. fort. Es folgten erneut Festnahmen, ein Hungerstreik und Verschleppungen mit schweren Misshandlungen in das „wilde“ KZ-Lager der SA im Oldesloer Stadtforst Kneeden und in das Polizeigefängnis in Hamburg.
Karl Matiszik war im zweiten Oldesloer Kommunistenprozess einer der wegen Vorbereitung zum Hochverrat Angeklagten. Er wurde im April 1934 zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Nach seiner Entlassung ging er erneut in den Widerstand, musste flüchten, wurde festgenommen und in Wandsbek gefoltert („Zähne, Becken, Brust waren zertreten“, 1936). Er konnte aus dem Haftlazarett in die CSR flüchten und gelangte über die Schweiz und Frankreich nach Spanien, wo er sich den republikanischen Streitkräften anschloss (1937).
Er kämpfte in der Internationalen Brigade XI Thälmann/Beimler im Bataillon 6 („Thälmann-Bataillon“) bei Belchite, Teruel und am Ebro, wo er schwer verwundet wurde. Er hatte den Rang eines Sargente. In Spanien trat er der PCE bei (1938).
Nach der Niederlage der Republikaner flüchtete er nach Frankreich und wurde dort im Lager Gurs interniert (1939). Nach seiner Entlassung aus Gurs schloss er sich der Résistance an (1941). Er war Leutnant der Forces françaises de l’intérieur (FFI) und Abschnittsleiter des Maquis II, Groupement Vendôme. Seine Einheit hatte internationalistischen Charakter. Neben Franzosen und ihm als Deutschem standen dort Kämpfer aus Spanien und der Sowjetunion. In Rabastens (Tarn) wurde er verwundet.
In der Endphase des Kriegs befand Matiszik sich im saarländischen Perl an der Mosel im Dreiländereck Frankreich/Luxemburg/Deutschland. Dort wurde er nach der Befreiung von der US-Militärverwaltung als Bürgermeister eingesetzt und in dieser Funktion 1946 von der französischen Nachfolgebehörde übernommen. Zu seinen ersten Entscheidungen gehörte es, „alle ehemaligen Nazis, Verwaltungsbeamte, Lehrer usw. zur Straßenreparatur einzusetzen … Die Straßen waren voller Schlaglöcher, die mit Sand verfüllt wurden.“ Auch über die Verfüllung von Bombentrichtern „durch ehemalige Nazis“ wird berichtet.
1946 kehrte er nach Oldesloe zurück und half beim Wiederaufbau der dortigen KPD. Er kandidierte für seine Partei bei der Gemeindewahl im September 1946. Auch nach dem Verbot seiner Partei in der BRD (1956ff.) trat er nicht aus, sondern blieb dort Mitglied, nun illegal. Anfang der 1960er Jahre zog er nach Mausbach im Siegerland, um in Freudenberg als Hotelpächter zu arbeiten. Mit der Gründung der DKP (1968) trat er ihr bei.
Karl Matiszik auf einer Kreisversammlung der DKP
(Foto: Eva Siebert-Schneider)
Opfermann 2001, 239f.; PM Ulrich Winkel (Mudersbach); PM Torsten Thomas (Wilnsdorf); Pech, 167, 174, 176; Abel/Hilpert, 334f.; Zander, passim; Gelz, 12-14
Adolf Matzke
* 10.3.1902 in Herichsdorf Kreis Hirschberg, Schlesien
gest. nach 1956
Der Gärtner Adolf Matzke war Mitglied der Ernsten Bibelforscher (Zeugen Jehovas). Die Zeugen Jehovas waren durch die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 und durch Erlass des preußischen Innenministers vom 24. Juni 1933 für aufgelöst erklärt und verboten worden, kamen aber dennoch weiter zusammen und setzen ihre Tätigkeiten insgesamt fort.
Am 6. Oktober 1936 wurde Adolf Matzke verhaftet und durch das Sondergericht Breslau zu zwei Jahren Haft verurteilt, die er unter anderem in den Konzentrationslagern Lichtenburg und Neusustrum verbringen musste. Da er sich nach der Haft weiterhin zu seinem Glauben bekannte, wurde er unter Schutzhaft gestellt. Er wurde im Oktober 1938 in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. Nach vier Jahren im Lager wurde er in eine SS-Baubrigade gezwungen, diese Baubrigaden galten unter den Häftlingen als Todeskommando. Nach über neun Jahren Haft endete sein Martyrium am 5. Mai 1945 mit der Befreiung durch US-Truppen im KZ Steyr-Münichholz. Nach dem Ende des Regimes lebte Adolf Matzke in Hilchenbach.
Stempel der Postkontrolle vom Oktober 1942 im KZ Niederhagen bei Wewelsburg, das eine hohe Anzahl von Häftlingen der Zeugen Jehovas hatte. Lagerkommandant dort war der Siegener Adolf Haas.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.752; PM Klaus Dietermann, 27.5.2003; allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Gustav Mauden
* 29.4.1921 in Eiserfeld
gest. 9.11.1976
Der Schweißer Gustav Mauden war jüngstes Kind einer Bergmannsfamilie mit neun Kindern, deren Vater 1942 verstarb. Im Juni 1944 wurde er festgenommen und am 3.11.1944 von der Gestapo Dortmund aus politischen Gründen in das KZ Buchenwald überwiesen. Vorgeworfen wurde ihm, in einem unerwünschten Kontakt mit „Ausländern“ – mutmaßlich Zwangsarbeitskräfte – gestanden zu haben.
Im Dezember 1944, als das NS-Regime ein allerletztes Aufgebot zu sammeln versuchte, wurde auch aus dem KZ in die Wehrmacht entlassen. Das Kriegsende erlebte er in sowjetischer Gefangenschaft.
Brief von Gustav Mauden aus Buchenwald an die Familie, 1944
Nach seiner Rückkehr ins Siegerland heiratete Gustav Mauden und hatte mit seiner Frau Margarete vier Kinder.
1946 trat er nicht zuletzt, wie man sich in der Familie erinnert, „aus großem Respekt gegenüber Kommunisten im KZ Buchenwald“ der KPD bei. Noch vor dem erneuten Verbot dieser Partei 1956 wurde er der Staatsgefährdung beschuldigt und in Hagen inhaftiert, nachdem eine Postüberwachung an ihn adressierte „staatsgefährdende Schriften“ festgestellt hatte. Das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ist nicht bekannt. Mehrfach verbrachte er mit und ohne Familienangehörige Urlaubszeiten in der DDR. Im März 1961 wurde er zusammen mit den KPD-Mitgliedern Ludwig Popp, Albert Schmidt und Karl-Heinz Weber wegen Fortsetzung der Aktivität „einer verbrecherischen Vereinigung“, der illegalen KPD, festgenommen. Bei der Durchsuchung der Wohnräume der Familie Mauden wurden dort gelagerte Druckschriften, Matrizen, Briefumschläge, Papier und „1 Karton mit roten Papiernelken“ beschlagnahmt. Am 15.9.1961 wurde er vom Landgericht Dortmund zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und in der niederrheinischen Strafanstalt Anrath inhaftiert. Es belastete ihn schwer, hieß es, dass er Urlaube in der DDR verbracht habe, darunter auch „zu einer Zeit, als die Leipziger Frühjahrsmesse mit Veranstaltungen des FDGB stattfand“. Er habe möglicherweise „Kurierfahrten“ für Illegale unternommen. Belege für diesen Vorwurf gab es nicht. 1965 wurde ein weiteres Ermittlungsverfahren eröffnet, wiederum verbunden mit der Beschlagnahme von Schriften aus der DDR. Es wurde jedoch wieder eingestellt. In keinem der überlieferten Zeugnisse von Strafverfahren (Eröffnungsbeschlüsse, Ermittlungsergebnisse, Urteile, Haftbegründungen), in denen die vita des Beschuldigten dargestellt wird, findet sich ein Hinweis auf seine NS-Verfolgung, wohl aber auf seine sowjetische Kriegsgefangenschaft.
Mit Gründung der DKP 1968 trat Gustav Mauden ihr bei.
Arolsen Archives, Nr. 5.283.929, 5.283.752, 6.594.347; für die Verfahren gegen Mauden insbesondere Kopien aus den Gerichtsakten aus zwei Nachlässen und einem Vorlass: PS Ulrich F. Opfermann, NL Helmut Hackler (Kredenbach); ebenda, NL Ludwig Popp (Gosenbach); ebenda, VL Uli Winkel (Mudersbach); Verfahrensakte Gustav Mauden
Heinrich Meiners wurde 1944 oder 1945 wegen „Heimtücke“ im Landgerichtsgefängnis Siegen in Untersuchungshaft genommen und am 14. März 1945 von dort in das Zuchthaus Kassel-Wehlheiden überstellt.
Kurz vor dem Einmarsch der US-Truppen Ende März 1945 wurde eine große Zahl von deutschen und nichtdeutschen Häftlingen aus den Haftanstalten Kassel-Wehlheiden und Kassel-Breitenau auf dem Friedhof in Wehlheiden und an anderen Orten auf Befehl des Gestapoleiters und SS-Sturmbannführers Franz Marmon durch Polizeibeamte und Volkssturmangehörige erschossen. Es ist nicht bekannt, ob unter den meist unidentifiziert gebliebenen Mordopfern – Häftlinge und Zwangsarbeiter – auch der in Wehlheiden inhaftierte Heinrich Meiners war.
1960/61 wurden die Überreste der Opfer von ihrem bis dahin bestehenden, auf dem Friedhof Breitenau angelegten Bestattungs- und Mahnort entfernt und zusammen mit anderen NS-Opfern der Endphase weit ab nahe der Burg Ludwigstein auf einer neu eingerichteten „Kriegsgräberstätte“ für Angehörige der Wehrmacht, des Volkssturms und der SS mit diesen zusammengelegt. Architektonisch war der neue Ort als Symbol nicht einer Befreiung vom NS-System, sondern der „Teilung Deutschlands“ konzipiert. Damit ordnete man die NS-Opfer – und womöglich auch den Gestapo-Häftling Meiners – in einen in mehrfacher Hinsicht unzutreffenden politischen Deutungsrahmen ein.
Mahnmal für unbekannte Gestapo-Opfer auf dem Friedhof in Breitenau vor der
Verlegung auf den 1960/61 angelegten Wehrmachtsfriedhof in Ludwigstein
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; zu Breitenau und Wehlheiden: von Horn/Schneider, passim
Der Berleburger Arbeiter und Fuhrmann Eugen Mettbach wurde vom 5. April bis zum 5. Okober 1937 im KZ Oranienburg inhaftiert. Nach einer 1946 von der Stadt Berleburg zusammengestellten „Nachweisung“ wurde er aus politischen Motiven, mutmaßlich aufgrund einer KPD-Mitgliedschaft, dort „durch Grausamkeit oder Sadismus misshandelt“. Ihm wurde der Unterkiefer zerschlagen.
Zu Eugen Mettbachs Voreltern gehörten Sinti, die sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wittgenstein ansässig machen konnten. Unter NS-Bedingungen hatte das zur Folge, dass völkische Rassehygieniker die Nachkommen als „Zigeunermischlinge“ und „Zigeuner“ erfassten.
StA Bad Berleburg, Nr. 151
Ernst Metzler
* 7.7.1904 in Siegen
Der Siegener Arbeiter Ernst Metzler war verheiratet mit Edith Metzler geb. Brandenburger. Er war wie sein Bruder Rudolf Mitglied und Funktionär der KPD. Die Brüder wurden nach Ludwig Popp (1978) „als eine der ersten Gruppen im Siegerland von SA verprügelt.“
Im September 1936 wurde er festgenommen und im Dezember vom Sondergericht Dortmund angeklagt, „fortgesetzt öffentlich handelnd, gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äusserungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP“ verbreitet, öffentlich die Wehrmacht beschimpft und bei seiner Festnahme Widerstand gegen zwei Polizeibeamte geleistet zu haben.
Ernst Metzler hatte in der Gaststätte Peter Kleinmann am Marburger Tor u. a. die Feststellung getroffen, wenn es auch noch zehn bis zwölf Jahre dauere, es kämen noch andere Zeiten und „ihr werdet noch mal so klein werden.“ Er hatte Wehrmachtsangehörige und in persona den uniformierten Kaufmann Otto Richter als „Gesocks“ bezeichnet, was sie machten sei „Afferei“, und ausgerufen, „Proletarier aller Länder vereinigt euch.“ Daraufhin war er umgehend denunziert worden. Gegen die anschließende Festnahme hatte er sich zur Wehr gesetzt. Der seit 1934 als Ankläger des für Siegerland und Wittgenstein zuständigen Sondergerichts Dortmund agierende Oberstaatsanwalt Dr. Josef Wirth – bis 1933 Mitglied der Zentrumspartei – und als Nebenkläger der Kaufmann Richter erhoben Anklage vor dem Sondergericht. Aufgrund des „Heimtückegesetzes“ wurde Ernst Metzler zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt. Der Vorsitzende Richter hatte in der Urteilsbegründung erklärt, die Bestrafung habe in erster Linie der Gesinnung des Angeklagten gegolten. Diese Gesinnung sei schlecht. Der Vorsitzende Richter war der Landgerichtsdirektor Ernst Eckardt, der das Sondergericht seit 1933 leitete und in NS-Juristenkreisen einen Ruf als „Eiserner Strafrichter“ hatte. Nach dem NS-Ende galt er mit 60 bekannten Todesurteilen als der „blutigste“ Dortmunder Richter.
Aus Gründen politischer Unzuverlässigkeit wurde Ernst Metzler in der weiteren Folge mehrfach entlassen. Im Frühjahr 1944 tauchte er für mehrere Monate im benachbarten Dillkreis unter, kehrte dann wieder nach Siegen zurück. Er verschwand erneut mit wechselnden Aufenthaltsorten in den Dillkreis und dann nach Gießen aufgrund einer Warnung, als im Zusammenhang mit dem Putsch vom 20. Juli 1944 Verhaftungsaktionen im Siegerland stattfanden.
Nach NS-Ende trat Ernst Metzler erneut der KPD bei. In einem jahrelangen Rechtsstreit bemühte er sich um eine Verfolgtenrente. Das Verfahren endet 1957 mit einem für ihn ungünstigen gerichtlichen Vergleich. Ihm wurden 25 Prozent einer Rente nach dem Bundesentschädigungsgesetz zugestanden.
LA NRW, Abt. Westfalen, Sondergericht Dortmund, Nr. 1.663; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland; SNZ, 11.1.1937; SZ, 11.1.1937
Katharine Margarethe Metzler
*20.1.1903 in Siegen
Die Hausfrau Margarethe Metzler geb. Klein war verheiratet mit Rudolf Metzler. Am 2.12.1933 wurde sie festgenommen, als Parteilose zusammen mit 25 anderen Mitgliedern und Unterstützern der KPD vom OLG Hamm der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt und am 29. Januar 1934 zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt. Die Haft verbrachte sie bis zum 2.3.1934 in den Gefängnissen von Hagen und Essen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.834; SNZ, 30.1.1934
Rudolf Metzler
* 11.11.1898 in Siegen, gest. 31.10.1948 in Siegen
Der Siegener Schlosser Rudolf Metzler war verheiratet mit Margarethe Metzler geb. Klein und Bruder von Ernst Metzler. Er war seit 1929 Mitglied und zeitweise Organisationsleiter der Ortsgruppe Siegen der KPD, im Kampfbund gegen den Faschismus und in der Internationalen Arbeiterhilfe. Die Brüder Metzler wurden nach Ludwig Popp (1978) „als eine der ersten Gruppen im Siegerland von SA verprügelt.“ Diese erste Verhaftung mit schweren Misshandlungen geschah im April 1933, und bis zum 31. Mai 1933 war Rudolf Metzler in Siegen und Bonn inhaftiert. Im September 1933 wurde er erneut festgenommen, zusammen mit 25 anderen Mitgliedern und Unterstützern der KPD vom OLG Hamm der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt und am 29. Januar 1934 zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“ Er gilt in der NS-Forschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
Aus dieser Haft wurde Rudolf Metzler am 29. Juli 1935 entlassen. Als vorbestrafter politischer Gegner des NS konnte er zunächst keine Arbeit finden. Er und seine Familie lebten von der Wohlfahrtsunterstützung. Erst ab dem 4. Juli 1938 konnte er bei der Firma Bemfert & Co als Schlosser arbeiten. Nach dem NS trat Metzler wieder der KPD bei und arbeitete als Organisationsleiter für die kommunistische Zeitung „Freiheit“.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.882; SNZ, 30.1.1934; SZ, 5.4.1933; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Paul Mischke
* 15.9.1907 in Riemberg (Kr. Wohlau)
Der Siegener Bauarbeiter Paul Mischke war Mitglied der KPD und gehörte dem Kampfbund gegen den Faschismus an. Am 7. Dezember 1933 wurde er festgenommen und zusammen mit 25 anderen Mitgliedern und Unterstützern der KPD vom OLG Hamm der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt und am 29. Januar 1934 zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt.
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“ Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
Mischke verbrachte die Haftzeit zunächst in den Gefängnissen von Siegen, Hagen, Hamm und Herford. Im Juni 1934 wurde er dann in das Konzentrationslager Brual-Rhede überstellt. Aus diesem Lager wurde er am 6. April 1935 entlassen. Da er aufgrund seiner politischen Einstellung und seiner Haftstrafe nicht sofort wieder Arbeit finden konnte, wurde er zu Notstandsarbeiten zwangsverpflichtet. Erst 1937 fand er wieder reguläre Beschäftigung bei der Firma Siegas, bei der er bis ins Jahr 1940 arbeitete. Dann wechselte er die Arbeitsstelle und war bis Anfang 1943 bei der Firma Gontermann angestellt. Am 2. Februar 1943 wurde er zum Kriegsdienst in das Strafbataillon 999 eingezogen. Paul Mischke kehrte 1945 nach Siegen zurück.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.835; VVN-NRW, Bestand Siegen-Wittgenstein; SNZ, 30.1.1934; SZ, 5.4.1933; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Der Siegener A. Müller bekannte sich 1936 und 1937 öffentlich mehrfach dazu, nach wie vor ns-feindliche kommunistische Überzeugungen zu vertreten. Er wurde jeweils denunziert und im Juli 1937 vom Schöffengericht in Siegen vier Monaten Gefängnis verurteilt.
SNZ, 8.7.1937
Heinrich Müller
* 5.3.1905 in Siegen
Der Siegener Linoleumleger Heinrich Müller war ein Halbbruder von Fritz Löw.
Er gehörte nicht der KPD an wurde aber im Dezember 1933 mit weiteren 25 Mitgliedern und Unterstützern der KPD verhaftet und der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Ihm wurde vorgeworfen, eine Pistole und Schriftstücke der KPD aus der Wohnung von Fritz Löw mitgenommen und vernichtet zu haben. Das OLG Hamm verurteilte ihn am 29.1.1934 zu drei Monaten Haft. Diese Haft verbrachte Müller in den Gefängnissen von Hagen, Hamm und Herford. Wie allen Verurteilten wurden ihm die Gerichtskosten auferlegt. Nach der Haft war er längere Zeit arbeitslos. Die Familie mit drei Kindern erhielt in dieser Zeit neben der Miete 8,50 RM Unterstützung wöchentlich.
In den 1950er Jahren strebte Heinrich Müller eine Annullierung des Urteils an. Das schlug fehl, es wurde 1955 bestätigt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.460; SNZ, 30.1.1934
Hermann Müller
* 22.6.1901 in Kredenbach
Hermann Müller arbeitete als Schlosser und Maschinist auf der Charlottenhütte in Niederschelden. Er war Mitglied der SPD und des Reichsbanners. Am 22. Februar 1933, also noch vor dem Reichstagsbrand und der endgültigen Machtübergabe an die NSDAP und deren deutschnationale Bündnispartner kam es zu einer Auseinandersetzung mit dem Dachdeckermeister und SS-Mitglied Debus, die zu einer Schlägerei führte. Debus zeigte Müller daraufhin an, und das Amtsgericht Hilchenbach verurteilte ihn zu zwei Monaten Haft, die er in Arnsberg verbringen musste. Nach der Haft war es für Müller schwierig, noch wieder Arbeit zu finden, und er zog nach Rüppershausen in Wittgenstein. Auch hier war zunächst niemand bereit, ihn einzustellen. Ab August 1935 arbeitete er bis September 1936 bei der Firma Busch-Jäger. Dort wurde er auf Drängen der DAF und der NSDAP-Kreisleitung wegen staatsfeindlicher Äußerungen aufgrund des „Heimtückegesetzes“ entlassen und durch das Gericht in Bad Berleburg zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Danach konnte er nur Stellen als Hilfsarbeiter finden, bevor er 1942 bei der Firma Heinrich Wiedersprecher eine angemessenen Arbeitsplatz fand. Hier wurde ihm nachgesagt, ein Verhältnis mit einer Zwangsarbeiterin zu haben, was zu seiner sofortigen Inhaftierung führte. Die Anschuldigungen erwiesen sich als haltlos, und das Verfahren wurde eingestellt, dennoch verbrachte Müller sechs Wochen in Haft. Nach der Kapitulation im Mai 1945 wurde Hermann Müller als Hilfspolizist eingestellt. Es ist nicht bekannt, wie lange er diese Funktion hatte.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 30.335
Rudolf Müller
* 17.8.1904 in Kaan-Marienborn
Rudolf Müller war Kraftfahrer und als solcher bis 1933 Inhaber einer Autovermietung mit vier PKW. Er war Mitglied der KPD und zeitweise politischer Leiter des Kampfbunds gegen den Faschismus. Um dem Verdacht illegaler Aktivitäten während seiner Fahrten zu begegnen, gab er die Fahrzeugvermietung 1933 auf und war als „Erdarbeiter“ tätig. 1933 wurde er festgenommen, mit 25 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt und am 29. Januar 1934 zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt, die er in Siegen, Hagen, Hamm, Werl und im Zuchthaus Werl und in dem Emsland-KZ Neusustrum verbrachte. Dort erkrankte er schwer. Er wurde als „vollständig invalide“ entlassen.
Zuchthausstrafen hatte das Gericht bei Tatbeständen ab Mai 1933 verhängt, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ eingetreten sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Als politisch Vorbestrafter wurde Rudolf Müller für „wehrunwürdig“ erklärt, dennoch und trotz Invalidität 1942 einberufen und auf „Bewährung“ zur Partisanenbekämpfung im Osten eingesetzt.
Die vier PKW seiner Firma wurden in der Zeit seiner Haft von SS beschlagnahmt. Eins der Fahrzeuge begegnetete ihm – gefahren vom Lagerkommandanten – im Lager Neu-Sustrum.
Nach dem NS-Ende begründete er ein Straßen- und Tiefbauunternehmen (1957).
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-2.277 (Eberhard Nalop); PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland; SZ, 3.3.1933; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Günter Münz
gest. Januar 1943 in Mainz
Günter Münz aus Niederschelden wurde 1943 als Deserteur in Mainz erschossen.
Faust, Chronik, 18.1.1943
N
Kurt Neheimer
* 14.5.1924 in Siegen, gest. 14. 10.1995 in Berlin
Kurt Neheimer war einer von zwei Söhnen von Sigmund Neheimer und dessen zweiter Frau Selma * Munk, die seit der Gründerwelle jüdischer Geschäfte in Siegen in den 1870er Jahren mit einem von Siegmunds Eltern übernommenen Textil- und Garderobengeschäft „vis-à-vis dem Rathaus“ ansässig waren.
Im Sommer 1937 verließ die Familie Siegen und zog nach Werder a. d. Havel. Kurt Neheimer machte eine Gärtner- und eine Tischlerlehre, um in Palästina der Juden- und Linkenverfolgung zu entgehen. Er folgte dorthin 1939 seinem Halbbruder Heinz, der bereits 1933 über Frankreich nach Palästina geflüchtet war. Dort trat Kurt Neheimer in die Kommunistische Partei ein. Nicht einer der zionistischen Kampfeinheiten, die dabei waren, die Palästinenser zu vertreiben, schloss er sich in der weiteren Folge 1942 an, sondern ging als Freiwilliger zu den britischen Streitkräften, um gegen die Naziherrschaft zu kämpfen. Zusammen mit den Rekruten Erich Friedländer, Rudi Meyer und Norbert Jacob gründete er dort eine deutsch-jüdische KP-Gruppe. Mit einer Infanterieeinheit der 8. Britischen Armee, der er bis 1946 angehörte, nahm er an „schweren Kämpfen in Nordafrika“ und dann an den Kämpfen in Italien und Belgien teil.
1946 kam er mit der britischen Armee in die britische Besatzungszone, quittierte den Dienst und wechselte in die SBZ, wo er sich niederließ, um beim Aufbau einer neuen Staatlichkeit mitzuarbeiten. Seine Mutter hatten die Nazis umgebracht. Er erfuhr nie wo und wann.
Kurt Neheimer trat in die FDJ und die SED ein und arbeitete nach Gründung der DDR an einer Richterschule mit am Aufbau eines reformierten Rechtssystems. Als Westemigrant geriet er unter den Verdacht der Kollaboration mit britischen Instanzen und wurde entlassen. Es folgten seine Rehabilitation und sein Wechsel in den Journalismus. Kurt Neheimer war u. a. stellvertretender Chefredakteur der Märkischen Volksstimme, Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung (1960-1967) und Chefredakteur der Wochenpost (1967-1983), die in dieser Zeit eine „Millionenauflage“ (Heinz Knobloch) erreichte.
Er wurde in der DDR ausgezeichnet mit den Vaterländischen Verdienstorden in Bronze (1970), Silber (1974) und Gold (1984) und mit dem Banner der Arbeit (1980).
Schriften:
– Der Mann, der Michael Kohlhaas wurde, Berlin (DDR) 1979 und Düsseldorf/Köln 1979
Meldeunterlagen Siegen; Neues Deutschland, 14.5.1984; Dietermann 1998, 77; Herbst; Hirsch, 208; Jacob, 69; Opfermann 2009, 19; Polkehn, passim; PS Klaus Dietermann
Die Siegener Hausangestellte Erna Neubert wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Der in Klafeld wohnende Arbeiter Neumann war bis zur Machtübergabe Mitglied der SPD. Er wurde 1938 durch das Sondergericht Dortmund „wegen hetzerischer Äußerungen und unberechtigtem Tragen des Parteiabzeichens“, aber auch wegen einer in den Zeitungsberichten nicht näher erläuterten „üblen Bemerkung“ über den Reichsorganisationsleiter Robert Ley nach dem „Heimtückegesetz“ zu einer neunmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Ley hatte aufgrund seiner allgemein bekannten Alkoholabhängigkeit den populären Beinamen „Reichstrunkenbold“.
SNZ, 21.12.1938; SZ, 21.12.1938
Georg Heinrich Neunobel
* 14.9.1893 in Lauterbach, Hessen, gest. 1975, ev.-ref.
Der Pfarrer Lic. theol. und Dr. theol. Heinrich Neunobel, Sohn eines hessischen Oberlandesgerichtssekretärs, war von 1931 bis 1933 Pfarrer in Eiserfeld.
Er trat mehrfach als Redner auf Veranstaltungen der NSDAP auf, so im Juni 1932 als Sprecher eines „Feldgottesdienstes“ bei einem von der preußischen Regierung verbotenen Massenaufmarsch der regionalen SA und HJ. Allerdings geriet er im weiteren Verlauf in eine Distanz zum NS-Regime. Die Gründe sind nicht erkennbar.
1933 wurde er von seiner Pfarrstelle beurlaubt und verließ Eiserfeld, um im Herbst des gleichen Jahres Pfarrer an der Landesheilanstalt Pfafferode bei Mühlhausen in Thüringen zu werden. 1940 wurde er festgenommen und in Erfurt inhaftiert. Durch ein Sondergericht wurde er am 27. August 1940 in Halle wegen „Rundfunkverbrechens“ und „Heimtücke“ zu zwei Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt.
Nach seiner Haftentlassung 1942 durfte er nicht weiter im Kirchendienst tätig sein, sondern war gezwungen, in einer Fabrik zu arbeiten. Die Universität Tübingen entzog ihm 1941 zudem den Doktortitel und die Universität Erlangen folgte 1942 mit dem Entzug des Lizentiatentitels.
Nach dem Ende des NS-Systems arbeitete Neunobel als Studienrat. 1953 erhielt er auf Antrag den Titel „Lic. theol.“ zurück. In dem dazu geführten Verfahren bezeichnete der Dekan der
Erlanger Theologischen Fakultät von 1941/42, der nach dem NS-Ende erneut aktive Theologieprofessor Werner Elert, den Titelentzug als „der damaligen Rechtslage entsprechend“ und das Verfahren als „äusserst korrekt“. Neunobels damalige Verhaltensweisen seien als nicht durch sein christliches Bekenntnis motiviert gewesen, und überhaupt sei Neunobel von „nachgewiesener geistiger Abnormität“.
Elert war Mitautor eines unterstützenden Gutachtens für einen protestantischen Arierparagrafen analog zum Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 gewesen. Er hatte gemeinsam mit führenden Mitgliedern der Deutschen Christen und des Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbundes eine Gegenerklärung zur Barmer Theologischen Erklärung mitgetragen, nach der sich Gott auch in Volk und Rasse offenbare. Kirchlich geehrt wird Elert bis heute als Namensträger des Theologischen Studienhauses Werner-Elert-Heims in Erlangen.
Schriften:
– Die evangelischen Erziehungsvereine (E.E.V.). Werden und Probleme, Tübingen 1926
– Die evangelischen Erziehungsvereine. Das evangelische Erziehungsvereinswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung, Eckartsberga 1927
Neue Zeitung, Wien, 23.6.1932; Bauks; Arbeitsgemeinschaft „700 Jahre Eiserfeld“, 183ff.; Hamm, passim; Heinrich, 261; Irle 1974, 238; Pfau 2000, passim; Merk
Friedrich Neus
* 20.2.1903 in Geisweid, gest. 18.11.1998
Der Geisweider Bankkaufmann Friedrich Neus, Leiter der Zweigstelle Geisweid der Volksbank, hatte 1933 im örtlichen Café Römer abschätzige Bemerkungen zu Hitler gemacht („politischer Hochstapler“) und 1934 ebenfalls in einem Café bei der Übertragung einer Goebbels-Rede vom „Reichslellmull“ gesprochen, das er nicht mehr hören könne. Beide Male wurde er denunziert, und beim zweiten Mal dann ein Verfahren gegen ihn eingeleitet und er festgenommen, jedoch dank „Beziehungen“ bzw. „Vermittlungen von Freunden“ nach bereits zwei Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt. Das Verfahren wurde aufgrund einer Amnestie eingestellt.
1983 berichtete er, das „traurigste Erlebnis“ nach der Machtübergabe sei der Umstand gewesen, dass „selbst die besten Freunde zum Fanatismus der Nazis übergingen“. Andererseits habe er
in dem Ortsgruppenleiter und späteren letzten Kreisleiter Walter Neuser, einem Alten Kämpfer, eine Hilfe gehabt: „Der hat mich immer in Schutz genommen, wenn ich mal wieder was gesagt hatte, und Anzeigen in den Papierkorb geworfen.“ Er selbst sei zwar nur mit Steinen beworfen worden, einer der „harmlosesten Gewaltakte“, habe sich aber dann doch „in die innere Emigration zurückgezogen“.
Nach dem NS-Ende trat Friedrich Neus der SPD bei, wurde in den Kreistag gewählt (1952-1974) und war Bürgermeister des Amts Weidenau (1954-1966). Er hatte zahlreiche kommunalpolitische Funktionen, war u. a. Vorsitzender des Heimat- und Verkehrsvereins Hüttental (1962-1974), und erhielt zahlreiche Ehrungen: Ehrenmitglied des DRK und des VdH, Ehrenbürger und Ehrenplakette in Gold der Partnerstadt Rijnsburg (Niederlande), Ehrenring der Stadt Hüttental, Wappenteller des Kreises Siegen, Feuerwehr-Ehrenkreuz, Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
SZ, 31.10.1981, 29.1.1983; Irle 1974, 238
Arthur Nikodemus
* 8.1.1909 in Niederschelden
Der Dreher Arthur Nikodemus war verheiratet mit Erna Nikodemus geb. Agazzani aus Wilden und hatte mit ihr drei Kinder. Er arbeitete im Eichener Walzwerk und war Mitglied der KPD. Auch nach dem Verbot seiner Partei klebte er in den Jahren 1933/34 weiter deren Plakate und verteilte Propagandamaterial. Ende 1934 wurde Arthur Nikodemus am Tage seiner Trauung auf dem Standesamt verhaftet. Er wurde in das Konzentrationslager Esterwegen verschleppt. Vom 27. Dezember 1934 bis zum 26. Juli 1935 war er dort inhaftiert. Während der Haft stießen ihm Angehörige der SS mit dem Gewehrkolben in die Seite, was zu einem Nierenschaden führte. Nach der Haft konnte er aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeit im Eichener Walzwerk nicht mehr ausüben, wurde jedoch eingezogen und war ab 1939/1940 Soldat der Wehrmacht.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.758
Von Oberg wurde 1934 durch das Landgericht Siegen wegen „Verleumdung des Kreisleiters“ der NSDAP Hermann Burk zu einer Haftstrafe von zwei Monaten verurteilt. Die Berufung wurde verworfen.
Burk wurde 1942 wegen Schwarzmarktgeschäften amtsenthoben.
SNZ, 20.4., 21.7.1934
Wilhelm Ochse
* 12.12.1878 in Melsungen (Hessen), gest. 31.12.1960 in Eremitage bei Siegen
Wilhelm Ochse war ab 1931 katholischer Pfarrer der St. Marien Gemeinde in Siegen. Ochse stand schon vor der Wende der NS-Bewegung ablehnend gegenüber, vor den Reichstagswahlen im März 1933 ließ er 1.000 Exemplare der Broschüre „ Christus – nicht Hitler“ verteilen. Seit dem Reichstagsbrand im Februar 1933 hatte die planmäßige Verfolgung aller Gegner des NS-Regimes begonnen, besonders zu leiden hatten Kommunistinnen und Kommunisten. Auch in Siegen wurden viele Anhänger der KPD und andere Linke von SA und SS festgenommen und schwer misshandelt. Wilhelm Ochse besuchte einige Misshandelte und sorgte für medizinische Versorgung. Er schrieb einen Brief an den Oberbürgermeister Fissmer, in dem er die Übergriffe thematisierte und um die Intervention des OB bat. Diesen Brief verschickte er auch an höhere Stellen der NSDAP und an das erzbischöfliche Generalvikariat in Paderborn. Der Generalvikar Gierse rügte das Verhalten von Wilhelm Ochse streng. Fissmer, der gerade einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP gestellt hatte, ignorierte Wilhelm Ochses Bitte. Den in anderem Zusammenhang von der HJ öffentlich beschimpften und denunzierten Pfarrer bedrohte er, indem er ihn anklagte, die NS-Bewegung verächtlich zu machen. Pfarrer Ochse wurde zum Objekt der Beobachtung. Immer wieder kam es zu Denunziationen aus der Bevölkerung. Diese Drangsalierung Wilhelm Ochses führte 1935 zu einer Festnahme und Anklage vor dem Sondergericht Dortmund, das den Pfarrer wegen zersetzender Äußerungen gegen Staat und Partei nach dem „Heimtückegesetz“ zu acht Monaten Gefängnis verurteilte. Die Haftzeit verbrachte er in Hagen.
Nach Ostern 1937 vervielfältigte Wilhelm Ochse gemeinsam mit Gemeindemitgliedern 1.250 Exemplare der Enzyklika von Pius XI. „Mit brennender Sorge“ und verteilte sie anonym in Siegen. Anfang der 1940er Jahre war er Mitorganisator der Verteilung von Predigten des Münsteraner Bischofs von Galen, in denen dieser die Krankenmorde („Euthanasie“) verurteilte. Im Jahre 1944 wurde Ochse abermals von der Gestapo vorgeladen. Die Gestapo erpresste ihn, entweder er liefere ihr regelmäßig Berichte oder es ergehe eine harte Strafe gegen ihn. Wilhelm Ochse beugte sich dem und verfasste bis zum Ende des NS-Systems sechs Berichte. 1946 veröffentlichte er sie unter dem Titel „6 Berichte an die Geheime Staatspolizei“. Der Pfarrer betreute die Pfarrei St. Marien bis zum Eintritt in den Ruhestand 1955.
Für seine Verdienste um die Gemeinde St. Marien und sein Lebenswerk wurde ihm 1953 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Im November 1978 beschloss der Rat der Stadt Siegen die Umbenennung des Platzes hinter der Marienkirche nach Wilhelm Ochse. Im Dezember 1986 erfolgte sie, und ihm wurde zusätzlich ein Gedenkstein für seine Verdienste „in schwerer Zeit“ gesetzt.
Literatur:
– Ulrich Wagner, Glaubenszeugnis und Widerstand, Siegen 1990
SNZ, 28.9.1935; Irle 1974, 244; Opfermann 2001, 243
Theobald („Theo“) Ostermann
* 15.5.1902
Theo Ostermann war Mitglied der KPD, des Kampfbunds gegen den Faschismus und der Roten Hilfe, deren Unterbezirkssekretariat er angehörte.
Flugblatt der Roten Hilfe Deutschlands (RHD)
1932/33 leitete er den UB. Er wurde von den Nazis verhaftet und schwer misshandelt. Nach einer dreimonatigen Haftzeit 1933/34 wurde er als Gegner der neuen Machthaber aus dem öffentlichen Dienst entlassen und war bis 1935 arbeitslos. Danach arbeitete er als Kranführer im Säurebetrieb des Eichener Walzwerks. Nach dem Krieg engagierte er sich besonders in der VVN, in der er von 1947 bis 1958 als Sozialreferent tätig war. Er war Vorstandsmitglied der Kreisgruppe Siegerland der VVN und ab 1954 Mitglied im Landesvorstand.
Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland; SZ, 3.3., 5.4.1933
Heinrich Otto
* 5.8.1893 in Siegen, gest. 31.7.1983 in Siegen, ev., dann Dissident
Heinrich Otto besuchte als junger Mann die Wegebauschule in Siegen und arbeitete anschließend als Techniker beim Eisenbahnbau der Strecke Siegen – Haiger. Seine berufliche Entwicklung wurde durch den Ersten Weltkrieg maßgeblich beeinträchtigt. Er wurde so schwer verwundet, dass ihm beide Unterschenkel amputiert werden mussten. Geprägt durch die Erfahrungen des Krieges wurde er 1917 kurzzeitig Mitglied der linken USPD und kandidierte 1924 auf einer SPD-Liste für den Stadtrat. Heinrich Otto war seit 1923 Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) und wurde bald deren Bezirkssekretär für den Bereich Südwestfalen, Westerwald und Dillgebiet. Zugleich war er Mitglied der Liga gegen den Kolonialismus.
Im Frühjahr 1928 ging die SPD mit der Parole „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“ in den Wahlkampf. Sie wandte sich gegen ein kostspieliges Vorhaben der Reichsmarine zum Bau von Panzerkreuzern, mit denen die Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrags unterlaufen werden sollten. Nach gewonnener Wahl stimmten jedoch die SPD-Minister im SPD-geführten Kabinett einer Großen Koalition (SPD, DVP, DDP, Zentrum) dem Rüstungsvorhaben zu, was sehr viel Widerspruch an der Parteibasis auslöste und die KPD wenig später veranlasste, mit einem Volksbegehren einen Volksentscheid gegen das Militärprojekt einzuleiten. Die Deutsche Liga für Menschenrechte, das Deutsche Friedenskartell, die DFG, Ernst Barlach, Albert Einstein, Otto Maria Graf, Walter Gropius, Bernhard Kellermann, Alfred Kerr, Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Otto Nagel, Carl von Ossietzky und Die Weltbühne, Max Pechstein, Kurt Tucholsky, Franz Werfel, Heinrich Zille, Arnold Zweig und viele andere bürgerliche Linke unterstützten die Initiative. Die SPD-Führung bekämpfte sie und verbot den Parteimitgliedern die Teilnahme am Volksbegehren, das am 16. Oktober scheiterte. Am 16. November 1928 entschied der Reichstag erwartungsgemäß mit klarer Mehrheit, darunter die Stimmen des Kanzlers und der Minister von der SPD, zugunsten des Rüstungsprojekts und gegen einen Antrag der Fraktion der SPD, der den Kreuzer-Bau ablehnte, aber gesichert ohne Erfolgsaussichten gewesen war.
Der Vorwärts, Zentralorgan der SPD: Nein zum Bau des Panzerkreuzers A, 16.11.1928. Die Rede von Otto Wels: „ein Meisterstück parlamentarischer Demagogie“ (Wolfgang Plat)
Im Siegerland hatte die DFG in öffentlichen Versammlungen mit Hunderten von Besuchern für das Volksbegehren mobilisiert. In der sozialdemokratischen Siegener Volks-Zeitung war dazu am 20. September 1928 ein grob diffamierender Artikel „Die Friedensgesellschaft im Siegerland unter dem Sowjetstern“ erschienen. Heinrich Otto wurde darin als „verbitterter und blinder Fanatiker“, als „Kommunist“ und „Sowjetvertreter“, Walter Krämer als Ottos „Mephisto“, der Pazifismus der DFG als „Krebsschaden“ herabgewürdigt (der Artikel wird, sei es als dessen Autor oder als ihn autorisierende Instanz, dem Siegerländer SPD-Vorsitzenden Fritz Fries zugeordnet).
Am 1. Oktober 1928 erklärte Heinrich Otto seinen Rücktritt als Bezirksleiter. Maßlos enttäuscht von den Manövern der SPD und mit Kritik an der DFG, die der SPD zu viel Einfluss einräume, schloss er sich nun der KPD an, deren politischer Leiter in Siegen er später wurde. Von 1932 bis zur Machtübergabe war er als Instrukteur der KPD im Raum Hannover tätig.
1933 wurde Heinrich Otto ein erstes Mal verhaftet und angeklagt (Verfahren gegen Waldrich u. a.), 1934 dann ein weiteres Mal und der Vorbereitung zum Hochverrat beschuldigt. Der Ausgang des ersten Verfahrens ist nicht bekannt. Zu einer Strafhaft scheint es nicht gekommen zu sein. Das zweite Verfahren musste mangels Beweises eingestellt werden. 1935 ermittelte der Oberreichsanwalt in Berlin gegen ihn und andere Siegerländer, die in der Weindiele Odeon in Siegen ein Lied der Arbeiterbewegung angestimmt hatten und daraufhin denunziert worden waren. Der Ausgang des Verfahrens ist nicht bekannt.
Heinrich Otto unterhielt intensive Kontakte zu sowjetischen Zwangsarbeitskräften, so auch zu einer „Lisa aus Kiew“, die sich nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes als „Kommissarin“ erwies.
Noch in der Endphase des Krieges begann er mit der Reorganisation der KPD auf Kreisebene. Er war einer der Unterzeichner eines Einheitsappells führender regionaler KPD- und SPD-Mitglieder (18.8.1945: „Rüttelt die Schlafenden auf! Im Osten glüht der junge Tag!“) und 1945/46 Mitglied einer „Demokratischen Arbeitsgemeinschaft“ von Vertretern „der vier ehemaligen demokratischen Parteien“ DDP, KPD, SPD, Zentrum, deren Arbeit die Vorstände von CDU, KPD, LDP/FDP, SPD fortführen sollten.
Heinrich Otto war bis 1947 Vorsitzender („Kreissekretär“) der KPD für den Bereich Siegerland-Wittgenstein-Olpe. Von Dezember 1945 bis Oktober 1946 gehörte er dem durch die Militärregierung berufenen Kreistag im Landkreis Siegen an. Auf Vorschlag der KPD, der SPD und der Liberalen wurde er im Februar 1946 zum Landrat gewählt. Er gehörte 1946 dem ernannten Landtag von NRW an. Neben den politischen Ämtern war er im Kreisvorstand des Verbands der Kriegs-, Bomben- und Arbeitsopfer tätig.
Er wurde zum Arbeitsdirektor der Hüttenwerke Geisweid berufen (1946-1954).
Im Sommer 1947 kam es zwischen Heinrich Otto und der Ortsgruppe Siegen der KPD zu einem schweren Konflikt. Man warf ihm vor, die Grundsätze der innerparteilichen Demokratie zu verletzen. Der Angegriffene seinerseits bezeichnete seine Gegner als „parteifeindliche Gruppe“. Die Bezirksleitung sah weniger politische als „persönliche Streitpunkte“. Zum „persönlichen“ Aspekt gehörte, dass Heinrich Otto, wie Ernst Stein berichtete, ein Liebesverhältnis mit der Ehefrau des Vorsitzenden der Siegerländer/Siegener Parteigruppe begonnen hatte, aus dem eine Tochter hervorging. Die Bezirksleitung empfahl mehrheitlich Heinrich Otto den Rücktritt. Dem folgte er und trat dann später aus der KPD aus. Er blieb danach parteilos.
Literatur:
– Fries, Traute, Die Deutsche Friedensgesellschaft im Bezirk Sieg-Lahn-Dill in der Weimarer Republik. Eine historische Rekonstuktion, Siegen 2013
BA Berlin, R 3.017-5.327 (siehe Digitalisate auf siwiarchiv.de); LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-1.281 (Heinrich Otto); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 15.680, 15.681; Fr/Rt, 2.8.1946, 18.4.1947; Der Pazifist, 3 (1923), H. 1; SZ, 3.5.1924; PS Ulrich F. Opfermann, Interview mit Ernst Stein, 28.10.1987; ebenda, NL Siegfried Otto; Blanchet, 9; Fries 2007, 17, 37; Opfermann 1991, 119, 139, 157, 174; Opfermann 2001, 194; Plaum, Sammlung
Der Kommunist Walter Otto wurde 1943 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ in Siegen inhaftiert und von dort in das Gefängnis Herne überstellt. Später wurde er durch Friedrich Lichtenthäler denunziert, weil er für einen sowjetischen Zwangsarbeiter Partei ergriffen hatte, und in ein KZ eingeliefert. Dort erkrankte er an Fleckfieber und litt dadurch an Lähmungserscheinungen. Im September 1944 wurde er aus der Haft entlassen.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; VE, 27.11.1948; WR/Sl, 23.11.1948
Hedwig Pape
* 29.7.1887 in Siegen
Wegen negativer Äußerungen über das NS-System und führende Nationalsozialisten wurde die staatlich geprüfte Krankenschwester Hedwig Pape im Oktober 1939 durch ihren Mieter Kurt Westerheide denunziert und durch das Sondergericht Dortmund angeklagt. Mehr als ein Jahr befand sie sich in Untersuchungshaft und beging dort einen Suizidversuch. Sie schnitt sich mit einer Glasscherbe die Pulsadern auf. Von Beamten des Gefängnisses wurde sie gefunden und vor dem Verbluten bewahrt. Im Verfahren wurde sie freigesprochen. Nach dem Ende des NS-Regimes stellte sie einen Antrag auf Entschädigung, diesen zog sie im Jahre 1956 freiwillig zurück, da sie herzkrank war und die mit der Antragstellung verbundenen Aufregungen vermeiden wollte.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-1.250 (Aloysius Merzhäuser), NW 1.127-1.395 (Gertrud Roth); LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.453; EB 1940
Feodor Paramonow
* 15.4.1890 in Potolez (Kr. Susdal, Russland)
Der russische Staatsangehörige Feodor Paramonow war – wie ein Enkel später berichtete – Kirchenmaler gewesen. Nach Siegen war er als Kriegsgefangener gekommen. Von 1919 bis 1921 fand er eine Tätigkeit als Schmelzer auf der Bremerhütte. Von 1922 bis 1933 war er als Maler und Anstreichergehilfe tätig. Er war seit 1928 mit Selma Paramonow geb. Kleindopp verheiratet. Seine Frau kam aus einer der regionalen jenischen Familien. Die Familie hatte vier Kinder. 1925 (Selbstaussage) oder 1930 erhielt Feodor Paramonow die preußische Staatsbürgerschaft. Seit den 1920er Jahren war er Mitglied der KPD und der Roten Hilfe.
Im Juli 1933 wurde er festgenommen, gemeinsam mit 25 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und vom OLG Hamm am 29. Januar 1934 zu einem Jahr und vier Monaten Zuchthaus und zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. U-Haft und Strafhaft verbrachte er in Siegen, Hagen, Hamm und Münster.Seine Familie lebte unterdessen von 14 RM Wohlfahrtsunterstützung pro Woche.
Zuchthausstrafen hatte das Gericht bei Tatbeständen ab Mai 1933 verhängt, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ eingetreten sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Feodor Paramonow wurde „wegen kommunistischer Betätigung“ die preußische Staatsbürgerschaft aberkannt und die Polizeibehörde Siegen unter der Leitung des OB Alfred Fissmer beantragte seine Ausweisung.
Neben der allgemeinpolitisch motivierten Verfolgung wurde Feodor Paramonow mit seiner Familie einer rassenhygienischen Erfassung ausgesetzt.
Auflistung Siegener Familien von „Untermenschen“ des Stadtinspektors Langenbach, 1934/35, dem späteren Leiter des „Wiedergutmachungs“amts der Stadt Siegen
1934/35 forschte der Siegener städtische Fürsorgeinspektor Wilhelm Langenbach nach „Asozialen“ in Siegen. Er erstellte eine kommentierte Liste von Familien von, wie er erklärte, „Untermenschen“, in der er die Attribute „asozial“ und „kommunistisch“ zusammenführte und auf der auch Familie Paramonow stand. Sie ging an die Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle (RHF) im Reichsgesundheitsamt in Berlin. Die RHF war die zentrale Institution zur Erfassung als „asozial“ kategorisierter Bevölkerungsgruppen mit dem Ziel ihrer Vernichtung, zunächst durch Sterilisationen, später durch Massenmord in Auschwitz-Birkenau. Langenbach war ein Kritiker der Sterilisation, da die „Schädlinge“ „nach wie vor am Leben bleiben“ würden und so weiterhin Kosten verursachten. Umsetzen konnten das Vernichtungskonzept dessen Befürworter anders als gedacht und gewünscht allein gegen die Roma-Minderheit.
Während Selma Paramonow 1938 an einer Krankheit starb, überlebte ihr Mann das NS-Regime.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
Der vormalige NS-Aktivist und völkische Heimatgenealoge Dr. Lothar Irle thematisierte die jenische Bevölkerungsgruppe in einer seiner Schriften. Er publizierte 1950 nach einer langen Auflistung abwertender Urteile, die durchgängig „Asozialität“ als angebliches Gruppenmerkmal beinhalteten, eine Namensliste und setzte auf diese Weise die Namensgruppe die Herkunftsfamilie von Selma Paramonow erneut der Stigmatisierung aus.
BA Berlin, R 165, Nr. Nr. 156 („Betr. Bernhard Petri“, 1934/35); ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1/2.933-3.132/2.992/0.134; LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, , Nr. 13.492-13.522; SNZ, 30.1.1934; SZ, 3.3.1933; PM Peter Paramonow (Siegen); Burleigh, 170; Irle 1970, 19; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Der Weidenauer Schlosser Wilhelm Patt war Mitglied der KPD. Bei ihm wurde zeitweise die 1932 erscheinende KPD-Kleinzeitung „Weidenauer Sender“ hergestellt. Er wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Der Walzendreher Josef Pauli wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Emil Pauly
* 29.4.1905 in Siegen
Emil Pauly war von Beruf Elektriker und politisch in der KPD organisiert. Er wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Josef Pfeifer wurde 1942 wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“ kurzzeitig im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Aloys Graf von Plettenberg aus dem Kreis Olpe wurde 1941 im Landgerichtsgefängnis von Siegen wegen „verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen“ inhaftiert. Wahrscheinlich wurde auch seine Ehefrau inhaftiert. Beide wurden durch ein Gericht verurteilt und in der NSDAP-Zeitung Rote Erde öffentlich an den Pranger gestellt. In der Ausgabe vom 30. April 1941 berichtete das Blatt von einem „ würdelosen Benehmen“ des Grafenpaares, das sich mit einem französischem Kriegsgefangenen freundlich und in französischer Sprache unterhalten habe.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis; Rote Erde, 30.4.1941; Bürger 2016, 105
Ludwig Popp
* 23.11.1899 in Hattenhofen (Oberpfalz), gest. 11.11.1985 in Gosenbach
Ludwig Popp, Sohn eines Oberpfälzer Müllers, besuchte die Volksschule und arbeitete anschließend in einer Hafnerei. 1917 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, verwundet und kam in Gefangenschaft. Nach Kriegsende arbeitslos, war er noch kurze Zeit freiwillig in der Reichswehr, aus der er aufgrund seines Asthma ausgemustert wurde. 1921 kam er aus der Oberpfalz ins Siegerland. Er heiratete dort 1923 Erna Kretzer und hatte mit ihr drei Kinder. Der Sohn Ingemar starb im Zweiten Weltkrieg als Soldat in der Sowjetunion.
Ludwig Popp arbeitete als Schlepper im Bergbau, als Bauarbeiter und in anderen Lohntätigkeiten, bevor er sich 1941 in seinem Heimatort Gosenbach als Schuhmacher mit großer Werkstatt selbständig machte. Bereits in den 1920er Jahren in gewerkschaftliche Funktionen gewählt schloss er sich 1924 der KPD an. Er war Mitglied des Siegerländer Gesamterwerbslosenausschusses. Die Teilnahme an einer Antifa-Demonstration 1929 brachte ihm sechs Wochen Haft.
Am Tag nach dem Reichstagsbrand tauchte Popp mehrere Wochen im Sieger- und Sauerland unter. Nach Angabe des NSDAP-Landrats Heinrich Goedecke in einem Bericht an den Höheren Polizeiführer West konnte allein er sich im März 1933 der ersten umfassenden Verhaftungswelle gegen linke Gegner der neuen Machthaber durch Flucht entziehen. Noch im selben Monat aber war die Fahndung erfolgreich. Ludwig Popp wurde im Sauerland, wohin er untergetaucht war, festgenommen. Er blieb drei Monate in Haft. Im Januar 1935 wurde er erneut verhaftet und verbrachte vier Wochen „Schutzhaft“ in Dortmund und Coesfeld. In der Dortmunder Steinwache wurde er schwer misshandelt. Nach dem Attentat auf Hitler wurde er im August 1944 ein weiteres Mal verhaftet. Er wurde zwei Wochen im Polizeigefängnis Eiserfeld festgehalten.
Nach der Befreiung war er sofort wieder in der KPD aktiv und wurde 1947 Mitglied der VVN. Er wurde durch die britische Militärregierung zum Gemeinderat und Amtsvertreter in Gosenbach berufen und in diesen Funktionen durch die ersten Wahlen bestätigt.
Im Vorfeld des KPD-Verbots ordnete ein Siegener Richter im Juli 1955 eine Hausdurchsuchung gegen Ludwig Popp an. Mit dem Sportverein Eintracht Siegen wagten er und sein Genosse Karl-Heinz Weber es 1956, als Sportdelegation nach Bad Salzungen in die verfemte DDR zu reisen. Diese und weitere Fahrten in die DDR, aber auch die Fortführung der Parteiarbeit nach dem Verbot der KPD 1956 bewirkten, dass Ludwig Popp zusammen mit Gustav Mauden, Albert Schmidt und Karl-Heinz Weber 1961 wegen des Verdachts, als Rädelsführer „Verbrechen und Vergehen“ im Zusammenhang des KPD-Verbots begangen zu haben, verhaftet wurde.
Ohne nähere Quellen- und Zeitangaben
In etwa zeitgleich fanden Verfahren gegen die KPD-Mitglieder Peter Henne und Walter Bauch statt. Zu den Vorwürfen gehörte die Befestigung einer roten Fahne mit dem Emblem „Hammer und Sichel“ an schwer zugänglicher Stelle in der Nähe der Eintracht, eine Aktionsform, die Siegerländer Kommunisten bereits in den NS-Jahren praktiziert hatten, die Verbreitung der Kleinzeitungen Der Metallarbeiter und Die Wahrheit der Siegerländer Parteigruppe, der Versuch, in den Geisweider Eisenwerken und anderen Unternehmen Betriebsgruppen aufzubauen und anderes mehr. Im anschließenden Verfahren wurde Ludwig Popp wegen Landesverrats und illegaler Betätigung für eine verbotene Partei vom Landgericht Dortmund zu neun Monaten Haft verurteilt, die er aufgrund von Haftunfähigkeit nicht antreten musste. Zugleich wurde ihm der Status des NS-Verfolgten aberkannt, was den Verlust der Verfolgtenrente nach sich zog. Die Mitangeklagten erhielten eine Haftstrafe von einem Jahr.
1968 wurde Ludwig Popp Mitglied der DKP. Er war zudem Mitglied der Freigeistigen Gemeinschaft Siegerland (1979).
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.759; Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, NL Helmut Hackler; ebenda, Verfahrensakte Gustav Mauden; SZ, 6.11.1929, 17.9.1983; VE/Rt, 2.7.1955; Dieter Pfau, 2. Mai
Heinrich Quadt
* 3.6.1902 in Niederschelderhütte
Der Maurer Heinrich Quadt war vor 1933 Mitglied der SA, beantragte vor 1933 die Aufnahme in die NSDAP und die Übernahme aus der SA in die SS, wurde aber im November 1932 aus den „Anwartschaften ausgeschlossen“. 1939 wurde er zum Wehrdienst einberufen. Im Jahr darauf hatte er ein Kommando in Ziegenhain, wo er häufiger auch in das lokale Kriegsgefangenenlager kam. Dort erfuhr er, dass „im Lager Offiziere der polnischen Streitkräfte, insbesondere Juden, erschossen wurden, die vor ihrer Erschießung selbst das Grab ausheben mußten.“ Heinrich Quadt „publizierte“ diese Angaben in der Öffentlichkeit. Er wurde daraufhin denunziert, am 8. August 1940 festgenommen, wegen „Greuelpropaganda“ bzw. „Heimtücke“ angeklagt und vom Sondergericht Dortmund zu vier Monaten Gefängnis verurteilt . Eine „Schutzhaft“ durch die Gestapo („von der Gestapo abgeholt“) schloss sich dem an, aus der Heinrich Quadt nach einer Erkrankung durch die Intervention eines Siegener Arztes am 19. April 1941 freigelassen wurde. Während der Polizeihaft in Dortmund wurde er „schwer mißhandelt.“
Nach dem NS-Ende bemühte Heinrich Quadt sich um eine Anerkennung als NS-Verfolgter und stellte einen Antrag auf Entschädigung, der mehrfach abgelehnt wurde. Eine letzte behördliche Stellungnahme dazu datiert aus dem Jahr 1958. Ein Ergebnis ist nicht erkennbar.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland
Heinrich Quinke
* 1.5.1910 in Siegen
Der Dahlbrucher Malermeister Heinrich Quinke tauchte als Gegner der Nazis nach der Machtübergabe zeitweise unter (1934-1935). Im Februar 1937 wurde er wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ vom Sondergericht Dortmund in Siegen zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt und inhaftiert. Er war bis 1938 in Haft.
PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland; SNZ, 2.12.1937
Johann Quinker wurde 1939/40 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ fünf Monate im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Der Hilchenbacher Werkmeister und Sozialdemokrat Josef Ranke kam 1933 kurzzeitig in „Schutzhaft“, 1934 wurde ihm wegen politischer Unzuverlässigkeit die „Führereigenschaft“ aberkannt und er auf diese Weise beruflich zurückgestuft, was mit einer erheblichen Lohnkürzung und mit Einschüchterung einherging.
Elkar, 251
Ernst Reichel
* 6.11.1904 in Kaan-Marienborn
Der Marienborner Schlosser Ernst Reichel war Mitglied der KPD oder sympathisierte mit ihr. Er wurde 1933 verhaftet, mit 25 weiteren Mitgliedern und Unterstützern der KPD der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt und am 29. Januar 1934 durch das OLG Hamm zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis verurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; SNZ, 30.1.1934
Ernst Reichmann
* 5.8.1903 in Eiserfeld, gest. 9.3.1945 in Remagen
Der Maurer Ernst Reichmann wurde am 20. September 1933 wegen Beleidigung der SA verhaftet und durch den SA-Schlägertrupp Odendahl brutal zusammen geschlagen. Es folgte eine Anklage wegen Vorbereitung zum Hochverrat. Das Verfahren vor dem Sondergericht Dortmund endete mit einem Freispruch. Ernst Reichmann wurde später zur Wehrmacht eingezogen und starb im März 1945 als Soldat bei Remagen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 58.936
Gotthold Reinhardt
* 28.12.1871 in Neukirch (Kr. Bautzen), ev.-luth.
Der Fürstliche Kammer- und Forstdirektor Gotthold Reinhardt, Leiter der Rentkammer in Berleburg, machte sich 1933 bei der SA unbeliebt, indem er sich weigerte, sie mit einer Spende zu unterstützen. In einem Vortrag kritisierte er zudem wirtschaftspolitische Vorstellungen der NSDAP. Noch am Tag des Vortrags wurde er daraufhin von einem SA-Kommando unter Leitung von Paul Giesler festgenommen und inhaftiert. Giesler selbst prügelte ihn in der Zelle bis zum Schädelbruch zusammen. „Wenn er die Zelle verlässt“, ordnete er an, „erschießen.“ Gegen den Verteidiger Hugo Gloede des vor Gericht gestellten Kammerdirektors ging die SA ähnlich terroristisch vor.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.118-1.611 (Gotthold Reinhardt); StA Bad Berleburg, Nr. 151; Grebe/Mertens; Opfermann 2009, 66
Karl Robert Adolf Reinsch
* 20.2.1910 in Womelsdorf, gest. 23.11.1942 in Rschew (UdSSR)
Der Siegener kaufmännische Angestellte Adolf Reinsch war verheiratet mit der Verkäuferin Hilde Reinsch geb. Bänfer. Er war Kommunist.
Gegen ihn und weitere Mitglieder der KPD wurde mit einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 wegen Vorbereitung des „hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“ ermittelt. Die die politische Linke bekämpfende Siegener Zeitung begrüßte die Verhaftungen und sprach unterstützend von einer Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte. Zwei Protestrufer nahm die Polizei gleich ebenfalls mit.
Adolf Reinsch wurde am 13. Juli 1934 vom OLG Hamm gemeinsam mit elf weiteren Männern und Frauen wegen des Versuchs einer „gewaltsamen Änderung der Verfassung“ („Vorbereitung zum Hochverrrat“) verurteilt, er zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis. Haftorte waren Siegen, Hagen, Herford und Freiendiez.
Adolf Reinsch wurde nicht weiter als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Er machte eine Umschulung und arbeitete von 1935 bis zu seiner Einberufung als Elektroschweißer.
Hilde Reinsch wurde ebenfalls inhaftiert, wenngleich nur kurzzeitig vom 25. Juni bis zum 12. Juli 1933.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.874; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934; SZ, 4.12.1933
Richard Franz Joseph Renner
* 29.4.1873 in Geppersdorf (Kr. Löwenberg, Schlesien)
Der Laaspher Schreiner Richard Renner war verheiratet mit Anna Pauline geb. Seiffert. Er war Mitglied der SPD, 1918 Mitbegründer des Ortsvereins Laasphe, spätestens seit 1921 für seine Partei im Kreisausschuss, seit den 1920er Jahren im Wittgensteiner Kreistag und als Mitglied einer linken „Freien Gewerkschaft“ deren lokaler „Sekretär“, also ihr hauptamtlicher Vorsitzender. In der Schlussphase der Weimarer Republik war er einer der wenigen sozialdemokratischen Bürgermeister im heutigen Kreis Siegen-Wittgenstein. Noch nach der Kommunalwahl am 12. März 1933 wurde er in den städtischen Magistrat gewählt.
Am 18. April wurde er verhaftet und in Laasphe in Polizeihaft genommen, jedoch schon am Folgetag wieder entlassen. Eine zweite Festnahme folgte in Laasphe im August 1933, und im September 1933 wurde er in das „KZ Papenburg“, das heißt in eins der von Papenburg aus verwalteten Konzentrationslager im Emsland (Börgermoor, Esterwegen oder Neusustrum), verbracht, von wo er im August 1934 entlassen wurde. Die „Emslandlager“ waren bevorzugte Haftstätten der ersten Verhaftungswellen gegen politische Gegner aus dem heutigen Kreis Siegen-Wittgenstein. Seit Anbeginn wurden dort SS-Angehörige aus dem Siegerland eingesetzt.
ITS Arolsen, 6.3.3.2./104.827.552; KrASW, 1.0.5./1-4 (Kreisausschussprotokolle); SNZ, 29.1.1938; SZ, 31.3.33, 7.4.33, 19.4.1933; WKB, 19.4.1933; WNZ, 14.9.1933; Opfermann 2001, 244; Opfermann 2009, 218; Pfau 2003, 23; Wetzel/Durt; Mitt. Gedenkstätte Esterwegen, 15.5.2019
Der Arbeiter A. Reuß war im Oktober 1936 in oder bei Laasphe für eine Essener Firma bei Oberbahnarbeiten der Reichsbahn tätig. In einer Laaspher Gaststätte kritisierte er die Darstellung des Bürgerkriegs in Spanien in den NS-gesteuerten Medien und bezeichnete sie als Lüge. Davon ließ er sich auch durch Widerspruch nicht abbringen, der ihn „auf das Unrechte seines Tuns“, wie es in der NSDAP-Zeitung hieß, verwies, sondern „erging sich in weiteren Drohungen gegen das Dritte Reich.“ Reuß wurde denunziert und von der Polizei wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ in Haft genommen. Der Ausgang des Konflikts ist nicht bekannt.
SNZ, 22.10.1936
Hermann Reuter
* 6.2.1906 in Weidenau
Der Schweißer Hermann Reuter aus Weidenau war Mitglied der KPD und wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Paul Richter wurde 1940 im Landgerichtsgefängnis Siegen wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Rudolf Roscher
* 23.4.1895 in Eiserfeld
Der in Siegen wohnende Arbeiter Rudolf Roscher war Soldat im Ersten Weltkrieg. Er wurde 1923 Mitglied der KPD und war zeitweise stellvertretender Vorsitzender (1927). Außerdem war er Mitglied der Roten Hilfe (1929-1933) und des Kampfbunds gegen den Faschismus (1932). Im Juli 1933 wurde er verhaftet und durch das OLG Hamm mit 25 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Er wurde am 29. Januar 1934 zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt.
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr.Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“
Wie zur damaligen Zeit nicht so selten, übte auch Rudolf Roscher verschiedene berufliche Tätigkeiten aus, er war als Schlosser, Fuhrmann und Kupferschmied beschäftigt.
Hermsen – von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; V, 26.4.1924; ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1/2.933-3.132/2.992/0.134; SNZ, 30.1.1934; PM Raimund Hellwig; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Anna Röser aus Oberfischbach wurde nach einer Denunziation angeklagt, alliierte Sender abgehört zu haben („Rundfunkverbrechen“). Im Verfahren wurde sie 1943/44 freigesprochen.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-1.250 (Aloysius Merzhäuser)
Mit Aufschriften in gelber Farbe auf der Fahrbahn der Provinzialstraße über eine Strecke von einem km und auf einer Gartenmauer wandte sich der Dahlbrucher Anstreicher Eugen Röther im August 1935 gegen den lokalen NSDAP-Ortsgruppenleiter Hermann Jüngst. Die Polizei ermittelte und nahm ihn fest. Die National-Zeitung der NSDAP publizierte seinen Namen und forderte von der Justiz „einen ordentlichen Denkzettel“. Schon zwei Wochen später verhandelte ein Schöffengericht den Fall und verurteilte Eugen Röther zu sechs Wochen und drei Tagen Gefängnis.
Im Prozess bekundete der Ortsgruppenleiter, er sei seit längerem anonymen Angriffen durch Zuschriften und ein öffentliches Spottschild ausgesetzt gewesen.
SNZ, 17.8., 28.8.1935; SZ, 28.8.1935
Als angeblicher Verleumder des Kreisleiters der NSDAP Hermann Burk wurde Rupp 1934 vom Landgericht Siegen zu einer sechswöchigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die Berufung wurde verworfen.
Burk wurde 1942 wegen Schwarzmarktgeschäften amtsenthoben.
SNZ, 20.4., 21.7.1934
Der Katholik Sander war am Mai-Feiertag 1937 bei der Morgenfeier auf dem Siegener Nordplatz aufgefallen, weil er das Horst-Wessel-Lied und die Deutschland-Hymne nicht mitgesungen hatte. Bei dem anschließenden Umtrunk im Kollegenkreis bekannte er sich freimütig zu seinem Glauben und dem daraus hervorgehenden Widerspruch zu NS-Überzeugungen. Daraufhin wurde er denunziert, angeklagt und im November 1937 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ vom Sondergericht Dortmund in Siegen verurteilt.
Er habe, so befand der Staatsanwalt, sich mit Behagen an dummen Witzen politischer Art beteiligt und sich „mit loser Zunge“ hetzerisch und gehässig verhalten. An Stelle der geforderten Gefängnisstrafe von neun Monaten verurteilte das Gericht Sander zu einer Geldstrafe von 400 RM. Vorsitzender Richter war der Landgerichtsdirektor am Sondergericht in Dortmund, Dr. Dietrich Baedeker, der auch nach dem NS-Ende als unbelastet geltend in Dormund Landgerichtsdirektor war.
SNZ, 9.11.1937; SZ, 9.11.1937
Kurt(?) Sander sen.
* in Zeppenfeld(?), ev.
Der Schneidermeister Sander war Inhaber einer Schneiderei in Burbach. Im Entnazifizierungsverfahren seines Sohns Kurt, der, wie es hieß, „der Partei freundlich gegenüberstand“, wurde ein dem Vater geltendes Schild bezeugt, das an dem Haus von Kurt Sander sen. angebracht worden sei und auf dem „Vaterlandsverräter!“ gestanden habe. Das sei „nach der Wahl“ gewesen, mutmaßlich also 1932 oder 1933.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 23-39 (Kurt Sander jun.)
Der Ofenkontrolleur Oskar Sänger aus Niedersetzen wurde im April 1939 wegen „ mangelnden Arbeitseinsatzes und Widersetzlichkeit“ durch die Gestapo festgenommen und drei Monate inhaftiert.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 Bg. 42-751 (Hermann Strohmann)
Der Hilchenbacher Geschäftsführer Saßmannshausen beschuldigte öffentlich und wiederholt den NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Kerstein, mehrfach Eigentumsdelikte begangen und zum Betrug angestiftet zu haben. Er wurde daraufhin denunziert. Im anschließenden Verfahren folgte das Schöffengericht dem Staatsanwalt nicht, der alle Vorwürfe von Saßmannshausen für widerlegt ansah und vier Monate Gefängnis forderte. Das Gericht entschied sich für einen Vergleich: öffentliche Rücknahme der Aussagen ohne weitere Prüfung gegen Einstellung des Verfahrens.
SNZ, 31.7.1935
Der Arbeiter Paul Saßmannshausen aus Laasphe war Mitglied der KPD und wurde Mitte April 1933 wegen „kommunistischer Betätigung und Widerstandes“ gegen die ihn verhaftenden Polizisten in „Schutzhaft“ genommen und in Berleburg inhaftiert.
SZ, 19.4.1933
Emilie Schade
* 22.1.1885 in Berleburg
Die Berleburger Hausfrau Emilie Schade geb. Rebstock war verheiratet mit dem Scherenschleifer und Händler Paul Schade, der ein Mitglied der KPD war. Die Familie lebte in der Berleburger Vorstadt in dem Quartier am Bach Lause, das als „Zigeunerkolonie“ und als „der Berg“ stigmatisiert war. Emilie Schade kam aus einer Familie von Sinti-Nachfahren, deren frühe Vorgänger sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wittgenstein hatten ansässig machen können.
Daher war die Familie der rassehygienischen Erfassung ausgesetzt. Regional forschten der Berleburger Bürgermeister Dr. Theodor Günther und der örtliche Zahnarzt Dr. Robert Krämer in den 1930er Jahren die Genealogien aus, um „zigeunerische Blutsanteile“ dingfest zu machen. Sie publizierten ihre Feststellungen mit Namenslisten, darin auch die Namensgruppen Schade und Rebstock, reichsweit. Dabei wendeten sie ihre stigmatisierenden Zuschreibungen auch politisch: „Mit dem Instinkt des Untermenschen“ hätten die „Zigeuner“ „auch die Schwächen des vergangenen Staates“ erkannt und sich staatsgefährdend zum Kommunismus bekannt, der eine Variante „asiatischer Weltanschauungen“ sei (Krämer).
Die Familie wurde zugleich von der Rassenhygienischen und Bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle (RHF) im Reichsgesundheitsamt in Berlin verzeichnet und eingestuft, um bekämpft werden zu können. Es handle sich bei Emilie Schade, hieß es, um einen „Zigeunermischling mit 2 jüd. Großelternt[eilen].“ Emilie Schades Söhne Daniel und Theodor gehörten zu den am 9. März 1943 als „Zigeunermischlinge“ und „Zigeuner“ nach Auschwitz deportierten etwa 150 Wittgensteinern. Beide starben dort. Aus dem weiteren Familienverband waren es insgesamt neun Angehörige, die nach Auschwitz kamen.
Emilie Schade, die nach dem Ende des NS-Systems der VVN beigetreten und zeitweise deren Vorsitzende war, spielte eine wichtige Rolle bei der strafrechtlichen Verfolgung der Verbrechen an der Berleburger Minderheit. Sie und der als „Nichtzigeuner“ eingestufte August Andres, der mit einer Nachfahrin von Sinti verheiratet war und daher ebenfalls Angehörige verloren hatte, ergriffen im Januar 1946 die Initiative zur Verfolgung der Nazi-Täter, indem sie mit Bezug auf das Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats (zu Verantwortlichen für „Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit“) Strafanzeige gegen elf Berleburger aus der Mehrheitsbevölkerung erstatteten.
In den Verfahren zu regional verübten Verbrechen an wegen „Fremdrassigkeit“ verfolgten Wittgensteinern und Siegerländern kam die Initiative in keinem Fall aus der vormaligen Volksgemeinschaft, sondern ausschließlich entweder aus den Opfergruppen oder von alliierten Instanzen. Emilie Schade und August Andres standen in dem später so genannten „Berleburger Zigeunerprozess“ vor dem Landgericht Siegen auch als Belastungszeugen zur Verfügung. Unterstützt wurden sie von Anton Rebstock, einem Verwandten von Emilie Schade, einem ehemaligen Auschwitz-Häftling und Mitglied des Wittgensteiner KZ-Ausschusses, und weiteren Angehörigen von Opfern.
Das war auch deshalb von hoher Bedeutung, weil andere Belastungszeugen kaum zu finden waren, da der Prozess in der Berleburger Mehrheitsbevölkerung unerwünscht war, wie im übrigen auch die Stigmatisierung und Ausgrenzung der Menschen vom „Berg“ ungeachtet der geschehenen Verbrechen hinaus fortgesetzt wurden. Der Ermittlungsrichter wertete die Glaubwürdigkeit der Aussagen der Sinti-Nachfahren offen ab. Emilie Schade nannte er eine „Wichtigmacherin“.
Der Ausgang des Prozesses entsprach nicht den antifaschistischen Intentionen derer, die ihn in Gang gebracht hatten, sondern dem Mehrheits-Wunsch nach „einem Schlussstrich unter die Vergangenheit“, wie das Presbyterium der Evangelischen Kirche und das Gericht es formulierten. Soweit nicht das Verfahren inzwischen eingestellt war oder ein Freispruch erfolgte, lagen die Strafen am unteren Rand des Strafrahmens und wurden teils anschließend amnestiert. Der vormalige Landrat Marloh als Haupttäter lag als Ausnahme zwar mit vier Jahren Gefängnis deutlich darüber, blieb dank ärztlicher Atteste vom Vollzug aber völlig verschont.
Ungeachtet dieses Ausgangs blieb das Verfahren vor dem Landgericht Siegen eine der vereinzelten deutschen Bemühungen zur justiziellen Ahndung von Tätern des Genozids an der Roma-Minderheit.
Der vormalige NS-Aktivist und völkische Heimatgenealoge Dr. Lothar Irle thematisierte die jenische Bevölkerungsgruppe in einer seiner Schriften. Er publizierte 1950 nach einer langen Auflistung abwertender Urteile, die durchgängig „Asozialität“ als angebliches Gruppenmerkmal beinhalteten, eine Namensliste und setzte auf diese Weise die Namensgruppe Schade erneut der Stigmatisierung aus.
BA Berlin, R 165, Nr. 212; StA Bad Berleburg, Nr. 151; LA NRW, Abt. Westfalen, Q 226, Nr. 31-39; EB 1928/29; Günther a und b; Jegers 1992, passim, insbesondere Bd. II, Anhang, 5; Irle 1970, 26; Krämer; Opfermann 2010; Opfermann 2012
Paul Schade
* 30.3.1881 in Junkernhees
Der Scherenschleifer und Händler Paul Schade lebte in der Berleburger Vorstadt in dem Quartier am Bach Lause, das als „Zigeunerkolonie“ und als „der Berg“ stigmatisiert war. Verheiratet war er mit Emilie Schade geb. Rebstock aus einer Familie von Sinti-Nachfahren, deren frühe Vorgänger sich nach der Mitte des 18. Jahrhunderts in Wittgenstein hatten ansässig machen konnten.
Paul Schade hatte sich wie einige der Bewohner vom „Berg“ politisch in der KPD organisiert, während die Kleinstadt ansonsten eine Hochburg der völkisch-nationalistischen Bündnispartner DNVP und NSDAP war. Der „Berg“ war fortwährend Angriffen aus der Stadt ausgesetzt. Paul Schade sprach später etwa von Konflikten mit der in die Siedlung eingedrungenen SA um den Abriss von KPD-Wahlplakaten, der auf entschiedenen Widerstand gestoßen sei, an dem auch er beteiligt gewesen sei.
Paul Schade war nicht nur allgemeinpolitisch motivierter Verfolgung, sondern mit seinen Angehörigen auch einer rassehygienischen Erfassung ausgesetzt. Wittgensteiner Rassegenealogen forschten nach „zigeunerischen“ und jüdischen „Blutsanteilen“, publizierten reichsweit entsprechende Wittgensteiner Namenslisten, darin auch „Schade“ und „Rebstock“, und verknüpften ihre ethnischen Abwertungen mit politischen. Es handle sich bei dieser Bevölkerungsgruppe um „Untermenschen“, die „instinktiv“ zum Kommunismus, einer „asiatischen Weltanschauung“, tendierten. Darüberhinaus verzeichnete die Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle (RHF) in Berlin die Familienmitglieder und stufte sie in ihre rassepolitisches Kategoriensystem ein (zu diesem Abschnitt siehe Emilie Schade). Paul und Emilie Schades Söhne Daniel und Theodor gehörten zu den am 9. März 1943 als „Zigeunermischlinge“ und „Zigeuner“ nach Auschwitz deportierten etwa 150 Wittgensteinern. Beide starben dort.
Seine Frau war eine treibende Kraft bei der strafrechtlichen Verfolgung der Verbrechen an der Berleburger Minderheit. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem Verwandten Anton Rebstock sagte sie im „Berleburger Zigeunerprozess“ aus. Das war auch deshalb von hoher Bedeutung, weil andere Belastungszeugen als Angehörige der Opfer kaum zu finden waren, da das Verfahren in der Berleburger Mehrheitsbevölkerung unerwünscht war (zu diesem Abschnitt siehe Emilie Schade), wie im übrigen auch die Stigmatisierung der Menschen vom „Berg“ über das NS-Regime hinaus fortgesetzt wurde.
Der vormalige NS-Aktivist und völkische Heimatgenealoge Dr. Lothar Irle thematisierte die jenische Bevölkerungsgruppe in einer seiner Schriften. Er publizierte 1950 nach einer langen Auflistung abwertender Urteile, die durchgängig „Asozialität“ als angebliches Gruppenmerkmal beinhalteten, eine Namensliste und setzte auf diese Weise die Namensgruppe Schade erneut der Stigmatisierung aus.
BA Berlin, R 165, Nr. 212; StA Bad Berleburg, Nr. 151; LA NRW, Abt. Westfalen, Q 226, Nr. 31-39; EB 1928/29; Günther a und b; Jegers 1992, passim, insbesondere Bd. II, Anhang, 5; Irle 1970, 26; Krämer; Opfermann 2010; Opfermann 2012
Otto Schäfer
* 4.1.1888 in Eiserfeld
Nach der Machtübergabe 1933 wurde der Dreher Otto Schäfer vom NSDAP-Propagandawart der Ortsgruppe Eiserfeld Heinrich Klasner zu Anwerbezwecken besucht. In dem Gespräch brachte er unverhohlen seine Ablehnung der NSDAP zum Ausdruck. Er äußerte sich abwertend über Hitler und die SA. „Einem solchen Mann sollte man nicht nachlaufen, er hat die Haare im Gesicht und sieht aus wie ein Verbrecher.“ Die Kappen der SA bezeichnete er als „Affen-Käppi“. Einige Tage nach diesem Gespräch bekam Schäfer erneut Besuch, diesmal vom SA-Sturmführer Heinrich Utsch und dem SA-Mann Paul Gaumann, die ihn aufforderten, ihnen zu folgen. Auf dem Weg zum SA-Heim wurde Schäfer bereits von weiteren SA Männern umringt, der Obertruppführer Wilhelm Mauden verhöhnte ihn und prügelte ihn mit einem Gummiknüppel. Schäfer wurde gezielt in den Unterleib getreten. Nach der Misshandlung wurde er zwei Tage im Polizeigefängnis Eiserfeld eingesperrt. Schäfer musste sich wegen der erlittenen Verletzungen in ärztliche Behandlung begeben. Auf seine Nachfrage bei dem Ortsgruppenleiter der NSDAP in Eiserfeld Walter Daub, wer denn die Arztkosten bezahle, antwortete dieser nur, „die Arztkosten musst du dir selbst bezahlen“.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 169.252
Otto Schäfer
* 1895 in Osnabrück
Der Arbeiter Otto Schäfer war bis 1933 Mitglied der SPD und Vorsitzender der Ortsgruppe des Reichsbanners in Burbach-Holzhausen. Nach der Machtübergabe 1933 wurde er durch SA Männer schwer misshandelt und war kurzzeitig inhaftiert. Nach dem Krieg war er Gemeindedirektor in Holzhausen.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 3-113 (Heinrich Utsch); WR/Sl, 21.8.1948; WP/Sl, 21.10.1948; Pfau 2003, 22
Der Siegener Dipl.-Ing. und Industrievertreter Werner Schäffer bekannte in einer Gaststätte gegenüber SS-Angehörigen, ein Freimaurer zu sein und übte Kritik an einem gegen Freimaurer gerichteten Vortrag in Siegen wenige Tage zuvor und an der NS-Bewegung. Er wurde daraufhin gezwungen, das Lokal zu verlassen, kehrte aber zurück und biss bei dem zweiten Rausschmiss einen der SS-Leute in den Finger. Es folgten Denunziation, Anklage und Verurteilung wegen „Heimtücke“ zu vier Monaten Gefängnis, damit, wie der Vorsitzende Richter begründete, „der Angeklagte für sein Leben einen Denkzettel“ bekomme.
EB 1940; SNZ, 14.7.1936
Gegen Paul Scheele wurde wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ ermittelt, und er nach unbekannter Dauer einer Untersuchungshaft im Landgerichtsgefängnis Siegen im Juni 1942 entlassen.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Johann Scherz wurde 1940 wegen „staatsfeindlicher“ Äußerungen im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Gegen Erich Schiffer wurde 1941 wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ ermittelt. Die Untersuchungshaft verbrachte er im Landgerichtsgefängnis Siegen.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Josef Schiller, junger Gymnasiallehrer an der Oberschule für Jungen in Weidenau, noch Studienreferendar, saß im Februar 1935 im Kontext einer karnevalistischen Kappensitzung mit anderen im Café Wendel in Siegen. Dabei traf er eine Feststellung, die später als „politischer Witz“ mit dem Inhalt, Hitler sei „das Arschloch aus Österreich“ qualifiziert wurde. Ein jüngerer Bruder des SS-Mitglieds Robert Heinz saß mit dabei und erzählte dem Älteren davon, der Josef Schiller daraufhin denunzierte. Aus dem Unterricht heraus wurde der Lehrer verhaftet und kam in Untersuchungshaft. Der anschließende Prozess endete mit einem Freispruch. Dennoch folgten drei Monate KZ und die Entlassung aus dem Schuldienst. Josef Schiller wurde nun Versicherungsvertreter, später dann in ein „Bewährungsbataillon“ eingezogen und starb an der Ostfront.
Der, wie es im Entnazifizierungsverfahren über ihn hieß, „als Denunziant bekannte“ Robert Heinz war aufgrund seiner SS-Mitgliedschaft von einem Spruchgericht zu fünf Monaten Haft verurteilt worden, die mit seiner Internierung verrechnet wurden. Zunächst als untragbar, weil als stark belastet beurteilt, wurde er vom Entnazifizierungsausschuss in der Revision in die mildere Kategorie der „Mitläufer“ eingestuft.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-2.770 (Robert Heinz), NW 1.049-3.804 (Walter Heringlake)
Paul Schindler
* 14.1.1904 in Schmerzke, Brandenburg,
Der Arbeiter Paul Schindler war seit 1929 Mitglied der KPD. Nach dem Verbot der Partei 1933 gehörte er zu denjenigen, die als Antifaschisten weiterhin aktiv blieben. Bei der Verteilung illegaler Flugblätter der KPD wurde er am 24. November 1934 verhaftet , wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Bis Mai 1937 war er in den Zuchthäusern von Brandenburg und Potsdam inhaftiert, dann folgten noch zwei weitere Monate Gestapohaft zur Umerziehung. Am 10. Juli 1937 wurde er aus der Haft entlassen und musste sich in der Folgezeit bis 1940 mehrmals in der Woche bei der Polizei melden. Am 1. April 1943 wurde er zum Strafbataillon 999 eingezogen. Er wurde im besetzten Griechenland eingesetzt und desertierte am 25. September 1944. Über Bulgarien schlug er sich bis in die Sowjetunion durch. Von dort kehrte er 1947 zurück und übersiedelte nach Siegen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.351
Gustav Schmidt
* 14.2.1894 in Siegen
Der Siegener Anstreicher Gustav Schmidt war Mitglied der KPD.
Gegen ihn und weitere Mitglieder der KPD wurde mit einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 wegen Vorbereitung des „hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“ ermittelt. Die antilinke Siegener Zeitung begrüßte die Verhaftungen und sprach unterstützend von einer Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie legitimierte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte. Zwei Protestrufer nahm die Polizei gleich ebenfalls mit.
Gustav Schmidt wurde am 13. Juli 1934 vom OLG Hamm vom Vorwurf des Versuchs einer „gewaltsamen Änderung der Verfassung“ („Vorbereitung zum Hochverrrat“) nach „entlastenden Angaben“ als einziger freigesprochen.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.874; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934; SZ, 4.12.1933
Karl Schmidt
* 8.9.1895 in Eiserfeld
Der Siegener Klempner Karl Schmidt wurde nach der Machtübergabe zusammen mit weiteren 25 Mitgliedern und Unterstützern der KPD festgenommen. Vom OLG Hamm wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und am 29. Januar 1934 zu einem Jahre und neun Monaten Zuchthaus sowie zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für fünf Jahre verurteilt. Die „hochverräterischen Ziele“ der KPD-Aktivitäten lagen nach Meinung des Gerichts in dem Bestreben, „die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, und im Ziel der „Errichtung einer Rätediktatur nach russischem Vorbilde“. Zuchthausstrafen hatte es bei Tatbeständen ab Mai 1933 verhängt, weil „um diese Zeit … die Regierung Hitler schon völlig gefestigt“ gewesen sei. „Ihre Segnungen zeigten sich, und ruhige Verhältnisse waren eingetreten.“ Wer „für die Ziele der KPD. und damit für das Chaos“ eingetreten sei, habe „seine Volksgenossen wieder an den Rand des Abgrunds bringen“ wollen. „Wer das aber will, handelt ehrlos und hat deshalb eine Zuchthausstrafe erwirkt.“
Das Gericht hatte unter dem Vorsitz des Landgerichtspräsidenten Dr. Ernst Hermsen gestanden, der zahlreiche Verfahren gegen die politische Linke und gegen Gewerkschafter leitete. „Wir müssen“, erklärte er in diesem Zusammenhang, „dazu übergehen, die Todesstrafe einzuführen, um der kommunistischen Pest Einhalt zu gebieten.“ 1943 wurde er dienstlich belobigt, er habe „sich um die Niederschlagung des Kommunismus verdient gemacht.“ Von der jüdischen New Yorker Zeitung Aufbau als „the hangman of the Ruhr“ bezeichnet – wurde er von der Britischen Militärregierung 1945 zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Hamm ernannt. Aufgrund starker öffentlicher Kritik wurde er 1946 wieder entfernt und pensioniert. Er gilt heutiger NS-Justizforschung als jemand, der „pathologisch die Linke hasste“ (Michael Burleigh).
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, , Nr. 13.492-13.522; SNZ, 30.1.1934; Burleigh, 170; Raim, 364-370 [zu Hermsen]
Karl Schmidt
* 3.1.1902 Buschhütten, gest. 26.10.1955 in Buschhütten
Der Walzendreher Karl Schmidt war ein überzeugter NS-Gegner. Am 5. Mai 1933 wurde er Aufgrund einer Denunziation festgenommen, weil er die NS-Veranstaltung an diesem Tag als „Karnevalsumzug“ bezeichnet habe, wie er später erklärte, wurde aber umgehend wieder entlassen. Im Oktober 1933 wurde er auf seiner Arbeitsstelle bei den Geisweider Eisenwerken auf Betreiben des SA-Sturmführers Albert Stein aus Niedersetzen und des Betriebsleiters Steinebach durch die Gestapo verhaftet. Er wurde beschuldigt, die Reichsregierung, die SA und die SA-Führung beleidigt zu haben. Die Verhandlung vor dem Sondergericht Dortmund endete jedoch mit einem Freispruch für Schmidt. Er wurde aber von den Geisweider Eisenwerken entlassen und bekam keine Arbeitslosenunterstützung, da die Kündigung aus politischen Gründen erfolgte. Im Februar 1934 wurde er wieder eingestellt.
Am 21. Juni 1936 wurde er durch das Unternehmen zehn Tage beurlaubt, weil er bei einem Werksappell während des Horst-Wessel-Liedes den Hitlergruß verweigerte habe. Er sei, erklärte er im Entschädigungsverfahren, nun als Platzarbeiter, also mit einer deutlichen Lohnminderung, beschäftigt worden. Erst im Oktober 1936 habe er wieder als Walzendreher arbeiten können. Ab November 1940 sei er aufgrund von Repressalien und Bedrohungen mit einem Nervenleiden berufsunfähig gewesen. Vom 1. Februar bis zum 26. März 1945 habe er eine Jüdin Hilde Dörmann in seiner Wohnung versteckt, die hätte verhaftet werden sollen. Dies bezeugte Frau Dörmann, die inzwischen in Staufenberg lebte, schriftlich im März 1946. Er habe sich aber ab März 1945 auch selbst versteckt müssen, da der NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Haas ihn durch die Polizei habe verhaften und „auf Seite schaffen“ lassen wollen.
Nach dem Zusammenbruch des NS-Systems arbeitete Schmidt als Versicherungsvertreter.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 58.983
Walter Schmidt
* 15.11.1905 in Wilnsdorf
Der Bergmann und Fabrikarbeiter Walter Schmidt versorgte gemeinsam mit seinen Kollegen Walter Klaas und Richard Strack wiederholt Zwangsarbeiter ihres Betriebs – Kölsch-Fölzer, Werk Eintracht in Siegen – mit Brot und anderen Lebensmitteln sowie mit Kleidung. Am 4. Juli 1942 wurden sie nach einer Denunziation von der Gestapo Siegen dazu vernommen, am Tag darauf in „Schutzhaft“ genommen und einen Tag später in das Arbeitserziehungslager (AEL) Hunswinkel bei Lüdenscheid deportiert, von wo aus sie in das AEL Recklinghausen kamen. Während der Haft waren sie Misshandlungen mit „Stöcken, Stahlhelmen u. a. Gegenständen“ ausgesetzt. Mitte September 1942 wurden sie wieder entlassen.
PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland
Adolf Schneider
* 4.8.1903 in Eiserfeld, gest. 5.12.1940 in Eiserfeld
Der Bergmann Adolf Schneider war Mitglied der KPD und wurde am 1. März 1933 durch die SA verhaftet und mit einer größeren Gruppe Kommunisten in eins der während der ersten Terrorwelle entstandenen „wilden“ KZs der SA in der Region eingeliefert, das beim Provinzialarbeitshaus Benninghausen bei Lippstadt bestand. Am 1. Juli 1933 wurde er aus der Haft entlassen. Adolf Schneider verstarb im Dezember 1940 an einer Lungenentzündung.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.771
Alfred Schneider
* 20.1.1903 in Niederdielfen, kath.
Der Bergmann Alfred Schneider, verw. von Hedwig Schneider geb. Schreiber und gesch. von Dina Schneider geb. Schweisfurth. war zunächst Anhänger und Mitglied der NSDAP und der SA bevor er ca. 1932 in die KPD eintrat. Nach der Machtübergabe stellte er einen Antrag zur Aufnahme in die SS, dieser Antrag wurde abgelehnt. Er wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Alois Schneider war 1945 im Landgerichtsgefängnis Siegen wegen „Volksschädlingspropaganda“ in Untersuchungshaft.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen
Walter Schneider
* 30.9.1906 in Biersdorf (Kr. Altenkirchen)
Der Zeppenfelder Walter Schneider war Mitglied der KPD und nahm verstärkt seit 1930 an antifaschistischen Aktivitäten teil (Entfernung von Propagandaplakaten u. a.) mit der Folge, dass er im lokalen Raum als NS-Gegner vermehrt unter Beobachtung stand. Als er 1935 auf einer offenen Veranstaltung des CVJM in Gegenwart von mehr als einem Dutzend Personen erklärte, Göring und Goebbels hätten Devisen ins Ausland verschoben, wurd er denunziert und am 27. Januar 1936 vom Sondergericht Dortmund zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Die Haft verbüßte er in einem Arbeitslager bei/in Rheda bei Wiedenbrück, aus dem er 1937 entlassen wurde.
Walter Schneider blieb bei seiner Gegnerschaft gegen NS-Verhältnisse, was ihm Anzeigen wegen „Rundfunkverbrechens“ und „Gerüchteverbreitung“ einbrachte, die aber ohne Auswirkung blieben. Er galt weiterhin als „unzuverlässig“, so dass ihm das übliche Ehestandsdarlehen verweigert, der Antritt einer auswärtigen Arbeitsstelle nicht gestattet und eine Anstellung als Schießmeister verhindert wurde.
Als er 1952 als politisch Verfolgter durch den Anerkennungsausschuss des Landkreises Siegen anerkannt werden wollte, kam es zu einem Einspruch des Vertreters des öffentlichen Interesses beim Regierungspräsidenten in Arnsberg. Die allen Ausschussmitgliedern in gleicher Weise bekannte Datengrundlage wertete er gegen den Antragsteller. Sie sei unzureichend. Er hatte formale Einwände, und er behauptete, es sei kein Nachweis erbracht, „dass der Antragsteller einen Kampf gegen die NS.-Gewaltherrschaft geführt hat.“
Der Vertreter des öffentlichen Interesses und staatliche Volljurist war der Amtsgerichtsrat Dr. Berthold Werner, ein ehemaliger Landgerichtsdirektor beim Sondergericht Wien und Kriegsgerichtsrat bei der 71., 182., 28. und 433. Division gewesen. Nach dem NS-Ende fand er sich zu einem kleinen Amtsgerichtsrat heruntergestuft, später dann war er Landgerichtsrat in Siegen. Als solcher leitete Werner auch das „Wiedergutmachungsamt“ beim Landgericht.
Es ist bislang nicht bekannt, wie das Entschädigungsverfahren ausging.
PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland
Wilhelm Schneider
* 30.3.1888 in Marienborn, gest. 21.8.1957 in Siegen
Wilhelm Schneider trat 1909 in die SPD ein. Er arbeitete als Kassierer und Werber für die Versicherungsgesellschaft Alte Volksfürsorge der linken („freien“) Gewerkschaften und der sozialdemokratisch orientierten Konsumgenossenschaften bis zur Eingliederung der Volksfürsorge in die DAF. Daneben war er bis zum Verbot der SPD Bote und auch Berichterstatter der Siegener Volks-Zeitung, der regionalen Tageszeitung der SPD. Gegen die aufkommende NS-Bewegung war Wilhelm Schneider dem SPD-angelehnten Reichsbanner beigetreten. Nach der Machtübergabe wurde er dreimal von SA inhaftiert, aufgrund seiner Verletzung aus dem Ersten Weltkrieg aber jeweils bald wieder auf auf freien Fuß gesetzt. Nach dem Verlust seiner langjährigen Arbeitsverhältnisse musste er den Lebensunterhalt als schlecht bezahlter einfacher Arbeiter verdienen, seit 1939 in der Rolle des Friedhofsarbeiters.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 55.417; PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland
Wilhelm Schnell
* 1.9.1886 in Langenau
In seiner Stellungnahme während des Wiedergutmachungsverfahren in den 1950er Jahren schrieb der ehemalige Landrat Otto Schwarz (SPD) über Wilhelm Schnell „Er besuchte immer die Veranstaltungen der SPD, der Deutschen Friedensgesellschaft, aber auch der KPD. Er war ein Gegner der Nazis und der Diktatur.“ Wilhelm Schnell gehörte keiner Partei oder sonstigen politischen Organisation an, war aber als Gegner der Nazis auch auf seiner Arbeitsstelle im Eichener Walzwerk bekannt. Als er dort am 9. Dezember 1935 an einer Wand den Schriftzug „Wo bleibt Butter, Fett und Lohn, Nazi, das Lumpenpack“ anschrieb, wurde er als der Verursacher festgestellt und durch das Sondergericht Dortmund wegen Heimtücke zu vier Monaten Haft verurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 58.949
Schölker wurde vom Landgericht Siegen wegen angeblicher „Verleumdung“ des Kreisleiters Hermann Burk zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt (1934). Die Berufung wurde verworfen.
Burk wurde 1942 wegen Schwarzmarktgeschäften amtsenthoben.
SNZ, 20.4., 21.7.1934
Josef Schönenbach
* 12.9.1903 in Siegen, gest. 18.11.1944 in Hamburg-Rahlstedt
Der Arbeiter Josef Schönenbach wohnte mit seiner Frau Frieda Schönenbach geb. Klappert und ihren vier Kindern im Brüderweg. Im Laufe des Kriegs wurde Josef Schönenbach eingezogen. In Frankreich desertierte er, wurde aufgegriffen und verhaftet. Im August 1944 wurde er von Paris in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis in Hamburg-Altona überführt. Von einem Feldgericht wurde er in der Endphase wegen Desertion zum Tode verurteilt und am 18. November 1944 in Hamburg-Rahlstedt erschossen. Ein Stolperstein im Brüderweg 141 erinnert seit 2014 in Siegen an ihn.
PS Klaus Dietermann; Mitteilung der Realschule Am Oberen Schloss, Siegen
Friedrich Schrag
* 5.3.1869 in Haarhausen, gest. 3.6.1938 in Hilchenbach
Der Hilchenbacher Unternehmer Friedrich Schrag, Inhaber der Eisen- und Blechwarenfabrik, Stanz- und Walzwerk Friedrich Schrag, wurde 1937 von dem lokalen NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Linde gegenüber der Gestapo denunziert, in der Öffentlichkeit unter anderem seinen Vorgänger Wilhelm Kerstein der nicht „stimmenden“ Führung der Parteikasse, die Partei der Diskriminierung der jüdischen Minderheit und der Unterdrückung der Meinungsfreiheit beschuldigt zu haben. Zu einem Verfahren oder gar einer Inhaftierung kam es offenbar nicht. Die Familie gab nach dem NS-Ende an, Friedrich Schrag sei jedoch noch lange von der Gestapo beobachtet worden. Eine Firmenfestschrift sprach 1992 davon, der Vorgang habe ihm „erheblichen Ärger durch Ermittlungen und Verhöre der Geheimen Staatspolizei“ eingebracht.
Elkar, 254f.; 1892-1992 Friedr. Schrag, 44
Ernst Schramm
* 16.5.1894 in Niederschelden
Als Soldat im Ersten Weltkrieg wurde Ernst Schramm 1917 von der Kriegsfront entlassen, da schon zwei seiner Brüder dort gestorben waren. Er trat in den 1920er Jahren in die KPD ein und war 1923 deren Vorsitzender im Hauptarbeitsgebiet Siegen im Unterbezirk Hagen. In diesem Jahr wurde er festgenommen und angeklagt, sich staatsgefährdend mit anderen Waffen beschafft zu haben, und im „Siegerländer Kommunistenprozeß“ vor dem Reichsgericht Leipzig wurde er zwei Jahre später wegen Hochverrats zu zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt (siehe: Alfred Becker). Die Angeklagten hatten sich damit verteidigt, sich auf einen Rechtsputsch vorbereitet zu haben. Tatsächlich hatte der bereits in den Kapp-Putsch involvierte Siegerländer Landrat Heinrich Goedecke 1923 durch seinen vormaligen Assessor Otto Ehrensberger Waffen für Rechtsorganisationen im Siegerland besorgen lassen, was nicht unbekannt geblieben war, wie der damalige SPD-Vorsitzende Fritz Fries später mitteilte. Dieser Vorgang war ohne juristischen Folgen geblieben.
Beruflich war der gelernte Dreher seit 1928 als Werksmeister und Kalkulator bei den Siegerländer Kupferwerken in Weidenau beschäftigt. Direkt nach dem Reichstagsbrand wurde Schramm am 1. März 1933 durch die Gestapo verhaftet und musste drei Monate Haft in den Gefängnissen von Siegen und Bonn erleiden. Nach seiner Entlassung am 30. Juni 1933 war er bis zum Mai 1935 arbeitslos. Niemand wollte den Kommunisten und ehemaligen Häftling einstellen. Dann fand er wieder Arbeit in seiner alten Firma. Doch er bekam nicht wieder eine verantwortungsvolle Stelle, sondern wurde zum Dreher herabgestuft. Dies bedeutete eine deutliche Gehaltseinbuße. Die Gestapo überwachte ihn, und er musste sich einmal monatlich persönlich melden. 1939 war er für zwei Monate Soldat. Nach dem Attentat auf Hitler wurde auch Ernst Schramm in Haft genommen. Vom 22. bis zum 31. August 1944 war er in Siegen inhaftiert.
Nach der Befreiung wurde er wieder Mitglied der KPD. Er wurde durch die Alliierten 1945 zum Amtsbürgermeister in Eiserfeld berufen. In den 1950er Jahren wurde ihm der Status des Verfolgten aberkannt, da seine Haftzeiten zu kurz gewesen seien und es keinen Hinweis auf einen „aktiven Kampf gegen den Nationalsozialismus“ gebe. Als „Geschädigter des NS“ blieb er anerkannt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.789; Reichsgerichtsprozeß; Fr/Sl, 30.8.1946; SZ, 5.4.1933
Arnold Erich Werner Schulz
* 30.7.1898 in Stendal, gest. 4.10.1976
Der Leverkusener Arbeiter Arnold Schulz, Sohn einer Weichensteller-Familie mit zehn Kindern und verheiratet mit Gertrud Schulz geb. Göttlich, war Mitglied des KJVD und der KPD seit 1923, erst des Roten Frontkämpferbunds und nach dessen Verbot des Kampfbunds gegen den Faschismus und Stadtrat seit 1930. Seit 1924 war er Vorsitzender des Leverkusener KJVD und zwei Jahre später der KPD.
Er war seit 1926 verantwortlicher Redakteur der Betriebszeitung Der Farbkumpel der kommunistischen Betriebsgruppe der IG Farbenindustrie AG in Leverkusen und von Die Kontrolle, einem Mitteilungsblatt für die Leverkusener Unterstützungsempfänger. Er leitete Antikriegs- und Antifa-Kundgebungen, und er sprach dort. Er war Vorstandsmitglied des „Proletarischen Kulturkartells“. Nach der Machtübergabe wurde er von der Bezirksleitung seiner Partei ins Siegerland geschickt, um dort illegale Parteistrukturen aufzubauen. Am 11. Januar 1934 wurde er festgenommen. Gemeinsam mit elf Siegerländer KPD-Mitgliedern wurde er vor dem OLG Hamm wegen Vorbereitung des „hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, angeklagt und am 13. Juli 1934 als „Hauptschuldiger und Rädelsführer“ zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Ab 1936 wurde er in „Schutzhaft“ genommen und ab April 1938 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Nach der Befreiung wurde er von der britischen Militärregierung zum Stadtrat in Leverkusen berufen (1946) und war anschließend gewähltes auch Bürgerschaftliches Mitglied (1946-1952).
LA NRW, Abt. Rheinland, RW 58, Nr. 20.961; LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423, 13.492-13.522; LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284, 13.294-13.297; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934; SZ, 4.12.1933; PM Torsten Thomas; Geschichte der Stadt Leverkusen; Leverkusen. Who is who?; Zur Geschichte der Kulturvereinigung Leverkusen
Wilhelm („Willi“) Schuß
* 26.7.1898 in Meiswinkel
Der Weidenauer Blechwalzer Wilhelm Schuß war Mitglied der KPD. 1932 war er einer der Verteiler der KPD-Kleinzeitung „Weidenauer Sender“. 1933 und 1934 wurde er zweimal für mehrere Monate in Benninghausen und Herford inhaftiert. Nach dem NS-Ende trat er der VVN bei. 1950 stellte er einen Antrag auf Haftentschädigung nach Verfolgung. Es ist nicht bekannt, wie das Verfahren verlief und ausging.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 114-35 (Wilhelm Schuß); Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland
Erich Schutz
* 15.11.1905 in Siegen
Der Siegener Elektriker Erich Schutz war verheiratet mit Hertha Schutz geb. Bastian, einer Schwester von Karl Bastian.
1926 trat er der KPD bei. Auch nach der Machtübergabe an die NSDAP und ihre Bündnispartner verteilte er weiter Zeitschriften und Flugblätter der KPD. Am 4. April 1933 wurde er im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern durch die Gestapo verhaftet und bis zum 2. Juni 1933 in Siegen und Bonn inhaftiert. Er wurde wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
Kurze Zeit nach seiner Entlassung wurde er durch das SA-Rollkommando Odenthal festgenommen und im „Braunen Haus“ in Siegen mit Gummiknüppeln und Gewehrkolben schwer misshandelt. Bei diesen Misshandlungen riss seine Gallenblase, die später entfernt werden musste, und es wurden ihm schwere Darmverletzungen zugefügt. Als die SA von ihm abließ, benötigte Schutz dringend ärztliche Hilfe, doch der Siegener Arzt Dr. Walter Nöll verweigerte die Behandlung und der SS-Arzt Dr. Ferdinand Pahl beschränkte sich darauf, ihm etwas Morphium gegen die Schmerzen zu verabreichen. Der katholische Pfarrer der Mariengemeinde Wilhelm Ochse sorgte dann dafür, dass Schutz als Patient im katholischen Marienhospital aufgenommen wurde. Dort blieb er 30 Wochen. Nach dem Krankenhausaufenthalt stand er unter Beobachtung der SA und musste sich mehrmals in der Woche melden. Er war bis 1938 arbeitsunfähig, dann arbeitete er wieder als Elektriker. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wurde er vom 2. bis zum 4. August 1944 ein weiteres Mal in Siegen inhaftiert.
Nach der Niederlage des NS-Systems bekam er eine Stelle bei der Bahnpolizei und arbeitete später als Hausmeister. Er war auch wieder aktives Mitglied der KPD. Im Jahre 1952 wurde sein Status als Geschädigter des Naziregimes überprüft. Er sollte ihm aberkannt werden, da „die schweren Misshandlungen nicht der Grund der Invalidität seien.“ Diese Aufassung setzte sich jedoch nicht durch.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.844; ebenda, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423; Fr/Rt, 8.10.1946, 8.10.1948
Hertha Schutz geb. Bastian, Ehefrau des Elektrikers Erich Schutz, wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Ernst Schweisfurth
* 16.3.1892 in Ferndorf
Der Blechwalzer Ernst Schweisfurth war das älteste von sieben Kindern des Puddlers Friedrich Wilhelm Schweisfurth und seiner Frau Henriette Schweisfurth geb. Flender. Im Ersten Weltkrieg wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. 1917 heiratete er Ida Weiss aus Hilchenbach. Das Ehepaar hatte drei Kinder. Die Tochter Inge verstarb 1934 im Alter von fünf Jahren, Sohn Gerhard als Soldat im Januar 1945 in Frankreich. Ida Schweisfurth starb infolge eines Unglückfalls 1935. Der Witwer heiratete in zweiter Ehe Ida Messerschmidt aus Kreuztal.
Ernst Schweisfurth war seit den 1920er Jahren Mitglied der SPD und freigewerkschaftlich organisiert. Er stand den Ernsten Bibelforschern (Zeugen Jehovas) nahe und war Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG).
In den 1930er Jahren arbeitete er im Eichener Walzwerk. Dort war er als NS-Gegner bekannt, wurde aber aufgrund gesundheitlicher Probleme Anfang 1942 als geeignet für den Werkschutz dorthin versetzt. Seine Aufgabe war es, die im Walzwerk beschäftigten Zwangsarbeitskräfte zu bewachen. Das Eichener Walzwerk unterhielt auf seinem Gelände ein Werkslager mit zeitweise 300 Arbeitskräften.
Am 26. Oktober 1942 wurde Ernst Schweisfurth durch die Gestapo verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, intimen Kontakt zu einer Zwangsarbeiterin gehabt zu haben. Im November 1942 wurde er in das Polizeigefängnis Dortmund überstellt und von dort in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. Ein ehemaliger Mithäftling dort, Hans Lichtenfels, schilderte später als Zeuge im Wiedergutmachungsverfahren Ernst Schweisfurths Leidensweg. In Sachsenhausen wurde er aus unbekannten Gründen in das sogenannte Schuhläuferkommando, eine Strafeinheit, überwiesen. Auf einer speziell angelegten „Schuhprüfstrecke“, die über verschiedene Straßenbeläge, Sand, Fels und durch Schlamm führte, mussten die Häftlinge acht Stunden täglich bei Wind und Wetter bis zu 40 Kilometer marschieren. Dabei wurden sie von der SS mit Stöcken drangsaliert. Viele der Häftlinge, die dauerhaft dem sogenannten Schuhläuferkommando unterstellt waren, starben unter Qualen während des Laufens oder an den unmittelbaren Folgen, nur wenige überlebten ihren „Einsatz“ länger als einige Tage. Die Materialtests und die dafür gedachte KZ-Strecke waren auf Initiative der Salamander AG, der Carl Freudenberg AG und anderer Firmen der deutschen Industrie eingerichtet worden. Die Verwendbarkeit neuer synthetischer Ersatzstoffe für Leder sollte am Menschen überprüft werden. Die Versuche wurden fachlich-wissenschaftlich begleitet und ausgewertet.
KZ Sachsenhausen, Häftlinge auf der „Schuhprüfstrecke“
Ernst Schweisfurth stolperte nach Drangsalierungen durch SS auf der Strecke und brach sich das rechte Handgelenk. Es folgte die Verlegung in den „Erholungsblock“, in dem es allerdings weniger zu Essen gab, als arbeitsfähigen Häftlingen zugestanden wurde. Da unter den gegebenen Bedingungen eine Besserung nicht eintrat, wurde er in die Quarantänebaracke überwiesen, die die Häftlinge eine „Sterbebaracke“ nannten. Auf die Frage von Hans Lichtenfels, wo denn Ernst Schweisfurth inzwischen geblieben sei, erklärte der Blockälteste ihm, „dem haben sie einfach eine Spritze gegeben.“ Das offizielle Todesdatum ist in den KZ-Unterlagen mit dem 6. Mai 1943 angegeben.
In dem Entschädigungsverfahren, das Familienangehörige nach dem NS-Ende anstrengten, wurde der Gestapo-Vorwurf von 1942 widerlegt. Der Zeuge Otto Schwarz, damals Lohnbuchhalter im Werk und späterer Landrat des Kreises Siegen, erklärte, dass im Betrieb die allgemeine Überzeugung bestand, dass er nur vorgeschoben war, um einen Gegner des Regimes zu treffen. Ernst Schweisfurth habe die ausländischen Arbeitskräfte unterstützt. Diese Hilfe „bestand im Wesentlichen in der Darbietung von Lebensmitteln und Kleidungsgegenständen. Diese hat er zum Teil auch [unter Kollegen] gesammelt.“
Im Oktober 2016 wurde für Ernst Schweisfurth in Ferndorf ein Stolperstein verlegt.
Literatur (zur „Schuhprüfstrecke“):
– Anne Sudrow, Der Schuh im Nationalsozialismus. Eine Produktgeschichte im deutsch-britisch-amerikanischen Vergleich, Göttingen 2010
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.740, 26.913; Standesamt Kreuztal Nr. 48/1892, 62/1936; Mitteilung Gedenkstätte Sachsenhausen, 14.7.2015; PS Torsten Thomas; WP/Rt, 26.10.2016
Heinrich Schweisfurth
* 11.12.1902 in Siegen
Der Werkzeugschlosser Heinrich Schweisfurth, Mitglied der KPD, wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Der Siegener Studienrat Eduard Schwöppe verweigerte im November 1934 den ihm aufgetragenen Verkauf von Blumen am Wochende für das Winterhilfswerk. Er wurde daraufhin denunziert. Es sei, hieß es in einer öffentlichen Denunziation durch die National-Zeitung der NSDAP, nicht seine erste Verweigerung gegenüber dieser Einrichtung gewesen. Sie prangerte ihn unter der Überschrift „Ein unmöglicher Erzieher“ an und erklärte – ein Berufsverbot empfehlend -, ihm müsse die Fähigkeit abgesprochen werden, im nationalsozialistischen Staat Erzieher zu sein.
SNZ, 8.11.1934
Der Freudenberger Rudolf Siebel-Achenbach wurde 1943 wegen „Heimtücke“ fünf Monate im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftiert. Es folgten zu einem späteren Zeitpunkt vier Monate „„Schutzhaft““ in Dormund-Hörde. Vorgeworfen wurde ihm laut dem Zeitzeugen Ludwig Popp „Querulanterei“, nachdem er „mit verschiedenen Dienststellen zusammengestoßen“ sei.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp
Josef Spanke
* 9.12.1889 in Bochum, gest. 29.11. oder 29.12.1936 in Freudenberg
Der Werkmeister Josef Spanke aus Wetter an der Ruhr war verheiratet mit Anna Spanke geb. Grimm aus Büschergrund. Er war seit 1929/30 arbeitslos.
Josef Spanke war Kommunist und verbreitete Flugschriften seiner Partei auch noch nach der Machtübergabe. Im November 1933 wurde er deshalb festgenommen und in Bochum inhaftiert. Er wurde der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt und zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, die er in Bochum zu verbringen hatte. Als Josef Spanke im Mai 1935 nach Misshandlungen und „Kostentzug“ entlassen wurde, befand er sich nach Aussage eines Freudenberger Arztes, der ihn behandelte, in „sehr schlechtem Allgemeinzustand und reduziertem Ernährungszustand.“ Als Josef Spanke etwa 1 1/2 Jahre später an einer Lungenentzündung starb, ging der Arzt davon aus, dass dessen Gesamtverfassung und nicht vordergründig die akute Lungenentzündung „die Ursache des Todes war.“
Versuche der Witwe, im Entschädigungsverfahren die Haftbedingungen zu belegen, schlugen fehl, da nach Angabe der Bochumer Polizei alle Unterlagen „zum Zeitpunkt der Kapitulation … restlos vernichtet“ worden seien. Der Antrag wurde abgelehnt, da ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Haft und Tod nicht habe nachgewiesen werden können. Im übrigen seien auch die politischen Motive der Verurteilung und die Haftzeiten unbelegt geblieben.
PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland
Adolf Spies
* 13.2.1892 Aumühle b. Dotzlar, ev.
Der Uhrmachermeister Adolf Spies aus Erndtebrück und seine Ehefrau wurden 1934 aus unbekannten Gründen von der Gestapo kurzzeitig in „„Schutzhaft““ genommen. Im September 1942 wurde Adolf Spies nach einer Denunziation von der Gestapo festgenommen und 1943 wegen verbotenen Umgangs mit Zwangsarbeitern zu einer Geldstrafe verurteilt.
LA NRW, Abt. Rheinland, Abt. Rheinland, NW 1.127-238 (Paul Meißner); ebenda, NW 1.127-1.250 (Aloysius Merzhäuser); ebenda, NW 1.118-1.898 (Adolf Spies)
Johannes Stahl
* 1883/84, gest. April 1945
Der Netpher Anstreichermeister Johannes Stahl war verheiratet mit Johanna Stahl, die ihren Mann 1942 als staatsfeindlichen Hetzer denunzierte, nachdem Johannes Stahl bereits zweimal als ein solcher zu Gefängnis verurteilt worden war. Das Sondergericht Dortmund stellte 1942 – auch auf der Grundlage der Aussagen seiner Frau – fest, er habe OKW-Sondermeldungen als „Quatsch“ bezeichnet, einen Juden mit „Heil Hitler“ gegrüßt, um den Gruß verächtlich zu machen, diesen Gruß sonst nur gemurmelt oder mit „dummen Redensarten“ erwidert. Es verurteilte ihn als „unverbesserlichen Hetzer und Schwätzer“ zu vier Jahren Zuchthaus. Dort verstarb Johannes Stahl im April 1945. Seine Frau wurde 1949 wegen Denunziation verurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Sondergericht Dortmund, Nr. 2.193; SNZ, 2.7.1942; SZ, 2.7.1942; WP/Rt, 26.2.1949; WR/Rt, 10.3.1949
Ernst Stein
* 17.2.1901 in Kaan
Verfolgtenausweis des OKD Kreis Siegen, 1947
Ernst Stein kam aus einem pietistischen Kaan-Marienborner Elternhaus. Er war verheiratet mit Paula Stein geb. Klaas. Ernst Stein besuchte die Volksschule, war anschließend Arbeiter und bildete sich zum Techniker fort.
In den 1920er Jahren war er regelmäßiger Gast in einem „Salon“ der liberalen Oberschichtfamilie Dresler in der Burgstraße in Siegen, dem er, wie er später sagte, viel zu verdanken habe, weil er dort viel habe lernen können. Ernst Stein wurde Mitglied des Waldorf-Schulvereins und auch der Roten Hilfe, die er als ihr Sekretär zeitweise leitete. 1928 trat er kurz nach Heinrich Otto der KPD bei. Ernst Stein und der mit ihm befreundete Robert Jagusch besuchten eine zeitweise von der Bezirks-KPD für den Unterbezirk Siegen eingerichtete Parteischule auf der Eintracht. Eins der Parteithemen sei gewesen, erklärte er später, „wie wollen wir den Faschismus bekämpfen?“ Man müsse, habe es geheißen, stärker hervortreten, die Partei sei im Siegerland zu schwach und für die Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten habe man lange „wenig oder nichts getan.“ In den „Jahren 30, 31, 32“ sei allerdings, „was die SPD machte“, schwer erträglich gewesen. Man sei nicht weitergekommen.
Nach der Machtübergabe wurde Ernst Stein im Zuge der Verhaftungswellen gegen Kommunisten festgenommen. Von Juni bis Juli 1933 war er in Weidenau im Polizeigefängnis inhaftiert. Im Juli 1934 wurde er von einem Käner Landjäger Janson, einem Polizeikommissar Hahne und Unbekannten angezeigt und erneut festgenommen und kam im August in die berüchtigte Steinwache im Polizeipräsidium in Dortmund, von wo er im Oktober wieder entlassen wurde. Bei einer Vernehmung seien ihm dort „die Zähne eingeschlagen“ worden.
Zur Eröffnung eines Verfahrens kam es mutmaßlich nicht und jedenfalls nicht zu einer Verurteilung. Für den Verdacht einer kommunistischen, also „hochverräterischen“ Betätigung hatten sich keine Belege erbringen lassen, wie die Gestapo Dortmund 1942 erklärte. Jedoch habe er sich „in den folgenden Jahren dem nationalsozialistischen Staat gegenüber ablehnend“ verhalten. So habe er etwa den „deutschen Gruß“ (= „Hitler-Gruß“) weder angewandt noch erwidert.
1938 wurde Ernst Stein, der beim Bau des Westwalls eingesetzt war, in Schleiden (Eifel) wegen Sabotage festgenommen und kam bis 1939 in Düren in Untersuchungshaft. 1940 tauchte er in Duisburg unter, wo er von einer Elektrogroßhandlung als Kaufmann beschäftigt wurde. Später wechselte er in derselben Funktion zu einer Düsseldorfer Firma, deren Inhaber über ihn und sein Vorleben vollständig eingeweiht gewesen sei. Von beiden Firmen erhielt er ausgezeichnete Zeugnisse seines fachlichen und nichtfachlichen Verhaltens. Er sei, stellte die Duisburger Gestapo fest, sehr zurückhaltend und halte sich größtenteils in seiner Wohnung auf. Spätestens ab 1942 überwachte die Gestapo ihn.
Verfolgtenausweis des OKD Kreis Siegen, VVN zu Fortnahmeversuch, 1952
Nach dem Ende des NS-Regimes fuhr er – laut Selbstaussage mit einem der Polizei gestohlenen Rad – nach Siegen. Dort habe er sich auf der Eintracht mit ehemaligen Genossen getroffen und die Neugründung einer lokalen KPD-Gruppe angeregt, deren Initiatoren dann neben ihm Heinrich Otto, Emil Graskamp, ein späterer britischer Militärpolizist und drei weitere Personen gewesen seien. Der britische Polizist war ein (jüdischer?) Deutscher, der per Fallschirm bei Wesel hinter der Front ab- und eingesetzt gewesen sei. Seit 1947 leitete Ernst Stein die Parteigruppe. Von der Militärregierung wurde er in den Jahren 1945 und 1946 in den Kreistag berufen.
1947 wurde er vom Kreis Siegen als NS-Verfolgter anerkannt. 1952 versuchte das Siegener Amt für Wiedergutmachung, das zu diesem Zeitpunkt von dem Alten Parteigenossen ehrenhalber, und vormaligen eifrigen „Asozialen-“ und Kommunistenjäger Wilhelm Langenbach geleitet wurde, ihm die Anerkennung (und den Verfolgtenausweis) zu nehmen, was nach längerem Tauziehen auch gelang. Seinen Anerkennungsantrag hielt er aufrecht. „Einen weiteren Entschädigungsantrag stelle ich nicht“, erklärte er dazu. Ein Anerkennungsantrag ohne Entschädigungsantrag aber war nach behördlicher Rechtsauffassung unmöglich. Es sei demnach „nichts zu veranlassen.“ Es ging Ernst Stein in diesem Konflikt offenbar um seinen Verfolgten-Status.
StA Duisburg, 506, Nr. 6.517; Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; PS Ulrich F. Opfermann, Interview mit Ernst Stein, 28.10.1987; Fr/Rt, 1.10.1946, 18.4.1947; Blanchet, 84
Gustav Adolf Steinle
* 14. 11.1890 in Schwelm, gest. 6.4.1944 in Siegen, ev.-ref.
Adolf Steinle war von 1932 bis 1944 evangelisch-reformierter Pfarrer in Netphen. Familie Steinle hatte fünf Kinder. Er schloss sich der Bekennenden Kirche an, deren Pfarrer zwar beobachtet wurden, jedoch in aller Regel staatlicher Strafverfolgung nicht ausgesetzt waren.
In einem Gespräch mit dem NSDAP-Bürgermeister Otto Hagedorn hatte er sich 1934 kritisch zum NS-System und seinen Repräsentanten geäußert, woraufhin dieser ihn umgehend bei der Gestapo Dortmund meldete. Steinle sei „eine große Gefahr“ und sein „staatsgefährdendes Treiben“ dürfe nicht „tatenlos“ hingenommen werden. Er wurde vernommen, und es wurde ihm auf der Grundlage der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 unbefristet verboten, sich im Landkreis Siegen aufzuhalten und außerhalb der Kirche im Regierungsbezirk rednerisch tätig zu werden. Presbyter der Bekennenden Kirche intervenierten bei der Gestapo: Adolf Steinle habe sich durch „einen hartnäckigen … Kampf gegen Marxismus [= SPD] und Bolschewismus [= KPD]“ verdient gemacht und sei im Weltkrieg verletzt worden. Die „undurchschaubare“ und „unerwartete“ Anordnung erschüttere „das Vertrauensverhältnis zum neuen Staat“.
Die Reaktionen aus der Siegerländer Bekenntnissynode fielen widersprüchlich aus. Neben Unterstützung stand die Kritik an einem Mangel an „nötiger Vorsicht und Weisheit“. Nicht kritisiert wurden die Denunziation und die Polizeimaßnahmen.
Bereits im August 1935 und kurz vor seiner Ausweisung aus dem Landkreis fiel Adolf Steinle erneut störend auf. Er äußerte sich kritisch zu Goebbels und anderen NS-Führungsfiguren gegenüber einer Frau, die ihrem Mann darüber berichtete, der Steinle anzeigte. 1936 wurde daraufhin ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das „Heimtückegesetz“ eröffnet. Im Juni 1936 kam es zur Verhandlung vor dem Sondergericht Dortmund in Siegen.
Die Anklage ging milde mit ihm um. Der Staatsanwalt erklärte, es sei anzuerkennen, dass der Angeklagte offen und ohne jede Beschönigung sein politisches Bekenntnis dargelegt habe. Das sei sympathisch. Er sei kein Staatsfeind, wohl aber „vollkommen negativ“ gegenüber dem Staat eingestellt und habe das Ansehen der NSDAP und ihrer Gliederungen geschädigt. Er wurde nun zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Da die Strafe unter eine Amnestie fiel, musste er sie nicht antreten. Er konnte auch in Revision der vorausgegangenen Ausweisung seine Tätigkeit als Netpher Gemeindepfarrer wieder fortführen.
Der Bruderrat der Siegerländer Bekennenden Kirche entschied sich in diesem zweiten Konfliktfall, Adolf Steinle „wegen des teilweisen politischen Inhalts seiner Äußerungen“ („sehr bedauerlich“) nicht zu unterstützen. Er forderte ihn auf, sein Verhalten vor der Gemeinde zu bedauern. Er kritisierte, dass der Pfarrer „den Hitlergruß konsequent verweigert“ und das vor Konfirmanden auch noch begründet habe. Adolf Steinle rechtfertigte sich gegenüber der Gemeinde so, dass die Forderung des Bruderrats erfüllt war, „ohne dabei sein Gesicht zu verlieren“ (Heinrich).
Ab nun fiel er nicht mehr auf.
2011 legte die Ev.-Ref. Kirchengemeinde Netphen die „halbwegs im Verborgenen gelagerte“ (Siegener Zeitung) Grabplatte auf dem Gemeindefriedhof frei, so dass an der Friedhofsmauer eine „Erinnerungsstätte“ für ihren vormaligen Pfarrer entstehen konnte.
SNZ, 15.6.1936; SZ, 21.11.2011; Heinrich, 147-155; Irle 1974, 332; HP Gemeinde Unglinghausen zu Adolf Steinle, 2011
Der katholische Verleger Bernhard Steins, Vater von Hans Steins, publizierte die in Siegen erscheinende Tageszeitung Sieg-Rheinisches Volksblatt. Sie stand wie die Tageszeitung Volks-Zeitung der SPD und im Unterschied zur Siegener Zeitung in einem kritischen Abstand zur NS-Bewegung. Noch nach der Machtübergabe erschien dort unter dem Titel „Immer noch Einzelaktionen“ ein Bericht über Übergriffe der SA. Als Beispiel dafür wurde die Misshandlung einer Tochter des vormaligen Netpher Bürgermeisters Andreas Vomfell (Zentrum) durch einen SA-Angehörigen anlässlich einer Durchsuchung des elterlichen Hauses genannt.
Der von der NSDAP als verantwortlich verdächtigte Redakteur Dietz, bekannt als NS-Gegner, und auch der Verleger wurden daraufhin in „Schutzhaft“ genommen und die Zeitung wurde verboten. Es folgten eine Strafanzeige und eine Anklage gegen Bernhard Steins und einzelne Redaktionsmitglieder.
Im Verfahren gab es keine Entlastungs-, sondern nur Belastungszeugen, die SA-Mitglieder waren. Führende Rollen hatten dabei Richard Odendahl, ein in der Region überall bekannter Schläger und Führer eines nach ihm benannten „Rollkomandos“, sowie der mit markigen Parolen zur gekränkten Ehre der Siegerländer SA auftretende höhere SA-Führer Paul Giesler.
Die Selbstentlastungen der SA-Angehörigen gegenüber dem Vorwurf körperlicher Übergriffe übernahm das Gericht als Tatsachenfeststellungen. Das genügte jedoch nicht, um Bernhard Steins als Urheber der angeblichen Verleumdung zu überführen. Es wurden jedoch die anderen Angeklagten, die Tochter des inzwischen entlassenen Bürgermeisters und eine Frau Gerhardus, zu geringen Strafen (14 Tage Gefängnis bzw. 100 RM Geldstrafe) verurteilt.
In der Berichterstattung der Siegener Zeitung wurde als nach wie vor gültige Belastung der Angeklagten hervorgehoben, dass ihre Feststellungen eine „von vornherein unglaubwürdige Unterstellung“ gewesen und „allzu leichtfertig“ publiziert worden seien.
Steins konnte seine Zeitung nun angepasst an die herrschenden Verhältnisse noch bis 1941 weitererscheinen lassen, wenn er auch gezwungen war, sie in Siegerländer Tagespost umzubenennen.
SNZ, 24.1.1934; SZ, 24,11.1934; Hellwig, 56
Hans Steins
* 23.7.1907 in Kaufbeuren, kath.
Der Verleger Hans Steins war der Sohn von Bernhard Steins. Er war von 1931 bis 1934 Schriftleiter des am Zentrum orientierten ns-gegnerischen Sieg-Rheinischen-Volksblatts. Hans Stein war Mitglied des Zentrums und des Kolpingverbands. Um Ostern 1933 24 Tage inhaftiert, konnte er doch im Jahr darauf Mitglied der Reichspressekammer werden und nach dem Verbot des Sieg-Rheinischen-Volksblatts und in Übernahme der Rolle des Verlegers von seinem Vater als Nachfolgeblatt bis 1941 die >em>Siegerländer Tagespost herausgeben. 1941 erging ein Verbot des Papierbezugs für die Zeitung, was ihr weiteres Erscheinen beendete. Hans Steins wurde zum Kriegsdienst eingezogen, den er 1945 als Rottenführer der Waffen-SS beendete, was seine Internierung durch die Militärbehörden zur Folge hatte. Im Entnazifizierungsverfahren, das ihn entlastete, bekundete Pfarrer Wilhelm Ochse, es bestehe „kein Zweifel darüber, dass Hans Steins in scharfem Gegensatz stand zur NSDAP bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht.“
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-2.668 (Hans Stein)
Gustav Steinseifer
* 18.3.1905 in Eiserfeld
Nach seiner Schulzeit begann Gustav Steinseifer 1919 eine Ausbildung zum Schlosser bei der Erzbergbau Siegerland AG, dort arbeitete er bis 1930. Im Zuge der Witschaftskrise wurde er entlassen und blieb ohne Beschäftigung. Gustav Steinseifer war der KPD beigetreten und offenbar als Antifaschist deutlich hervorgetreten, denn er wurde schon kurz nach der Machtübergabe dem Terror durch die SA ausgesetzt. Er wurde nachts aus dem Bett geholt und „verhört“. Ihm wurde vorgeworfen, anonyme Drohbriefe an SA-Angehörige geschrieben zu haben und drei Tage mit weiteren 20 als NS-Gegner Verdächtigen inhaftiert. Nach weiteren zwei Wochen Haft im Gerichtsgefängnis in Siegen wurde er zwar entlassen, einige Tage später aber erneut von SA-Leuten aus seinem Haus gezerrt und im Eiserfelder SA-Heim mit Knüppeln und Gummischläuchen geprügelt. Infolge dieser Misshandlungen war er mehrere Tage bettlägerig. Aufgrund seiner politischen Einstellung konnte er in der Folgezeit keine Arbeitsstelle finden. Der damalige Leiter der DAF im Siegerland Johannes Bedenbender erklärte ihm zynisch und an den politischen Gründen seiner Arbeitslosigkeit vorbei: „Es sind noch genügend andere da, die zuerst in Arbeit gebracht werden müssen.“ Steinseifer nahm Gelegenheitsarbeiten an, um sich und seine Familie zu ernähren. Erst 1938 konnte er wieder eine Stelle als Schlosser bekommen.
Als er in den 1940er Jahren bei der Eiserfelder Firma Gebrüder Schmeck tätig war, wurde er wegen angeblicher Arbeitsverweigerung bei der – wie seine Tochter später bekundete – Gestapo denunziert. Er sei 1944 ein Vierteljahr im Arbeitserziehungslager Hallendorf bei Braunschweig inhaftiert und krank entlassen worden.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 59.955; ebenda, Abt. Rheinland, NW 1.112-1.142 (Artur Vetter)
Wilhelm („Willi“) Steinseifer
* 9.4.1892 in Siegen, gest. 26.5.1945 in Ebrach (Oberfranken)
Der Siegener Briefträger Wilhelm Steinseifer war bis zum Verbot seiner Partei Mitglied der SPD. Offenbar aus dem öffentlichen Dienst entlassen war er nach der Machtübergabe gezwungen, nurmehr als Arbeiter, später dann als Briefträger im Notdienst den Lebensunterhalt zu verdienen. 1942 wurde er wegen Abhörens alliierter Sender („Rundfunkverbrechen“) und Verbreitung der so erhaltenden Informationen vom Sondergericht Hagen als „Volksfeind und Meckerer“ zu drei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus und vier Jahren Ehrverlust verurteilt. Vorausgegangen war nach späteren Angaben eines Postkollegen eine Denunziation durch Kollegen. Wilhelm Steinseifer wurde in den Haftanstalten Werl (1942-1943), Zweibrücken (1943-1944) und Ebrach (1944-1945) inhaftiert und starb kurz nach seiner Befreiung an den Haftfolgen.
Nach dem Ende NS-Deutschlands wurde er in der regionalen Tageszeitung Volks-Echo der KPD als einer derjenigen geehrt, die im Siegerland „als Opfer des Nationalsozialismus und politische Gefangene ihr Leben gaben.“ 1984 benannte der Rat der Stadt Siegen einen Privatweg am Fuße des Rosterbergs nach Wilhelm Steinseifer. Das Aktive Gedenkbuch der NS-Gedenkstätte in Siegen widmet Wilhelm Steinseifer einen Artikel.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-1.250 (Aloysius Merzhäuser); Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen-Wittgenstein; PM Traute Fries (Siegen); SNZ, 17.11.1942; VE/Rt, 10.5.1946; Aktives Gedenkbuch
Die Freudenbergerin Berta Stephan war verheiratet mit Gustav Stephan. Ihr gemeinsamer Sohn war Herbert Stephan. Beide Eltern waren Mitglieder der christlichen Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas
Die, wie sie auch hieß, Internationale Bibelforscher-Vereinigung war nach der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 und durch Erlass des preußischen Innenministers vom 24. Juni 1933 für aufgelöst erklärt und verboten worden. Ihre Mitglieder, so auch Berta Stephan, kamen aber weiter zusammen und setzten ihre Tätigkeiten fort. Berta Stephan wurde wegen Verbreitung verbotener Schriften und Teilnahme an verbotenen Versammlungen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 32-330 (Herbert Stephan), NW 1.049-3.804 (Walter Heringlake); allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Gustav Lorenz Stephan
* 13.7.1880 in Germerode (Kr. Eschwege)
Der Freudenberger Verwaltungsbeamte, Regierungsinspektor und Bürovorsteher im Kulturbauamt (1928-1936, 1939-1944) Gustav Stephan war verheiratet mit Berta Stephan. Ihr gemeinsamer Sohn war Herbert Stephan. Beide Eltern waren Mitglieder der christlichen Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, Gustav Stephan seit 1923.
Die, wie sie auch hieß, Internationale Bibelforscher-Vereinigung, war nach der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 und durch Erlass des preußischen Innenministers vom 24. Juni 1933 für aufgelöst erklärt und verboten worden. Ihre Mitglieder, so auch Gustav Stephan, kamen aber weiter zusammen und setzten ihre Tätigkeiten fort. Gustav Stephan wurde von 1936 bis 1939 in den Ruhestand versetzt und 1938 wegen Verbreitung verbotener Schriften und Teilnahme an verbotenen Versammlungen zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.
Als Gustav Stephan 1948 entnazifiziert wurde, zweifelte der Ausschuss mit einem Radikalismusverdacht gegen den Zeugen Jehovas an dessen künftiger Verfassungstreue. Er sei zwar „ein weitbekannter Gegner des Nazitums und lehnt jeglichen Militarismus ab … Ob er einer demokratischen Staatsauffassung huldigt, ist hier nicht bekannt, da wohl auch diese von der internationalen Bibelforschergruppe als unsinnig angesehen werden dürfte.“
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 32-779 (Gustav Stephan); ebenda, NW 1.111 BG. 32-330 (Herbert Stephan), NW 1.049-3.804 (Walter Heringlake); allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Heinrich Stinn
* 25.12.1898 in Weidenau, gest. im November 1948
Der Arbeiter Heinrich Stinn aus Münkershütten wurde nach Kriegsteilnahme, Gefangenschaft und Novemberrevolution 1921 Mitglied der KPD. Eng befreundet war er mit Karl Wilhelm.
Nach der Machtübergabe an die NSDAP und ihre deutschnationalen Bündnispartner setzte er die politische Arbeit noch eine Weile fort, wurde aber festgenommen und sieben Monate inhaftiert. Nach seiner Entlassung, erklärte er in seinen Erinnerungen, habe er mit der Zeit feste Arbeit bekommen und seine Schulden tilgen können. Das ging mit einem Rückzug aus der politischen Aktivität einher: „Jetzt, wo meine Hände gebunden [waren], ich nicht mehr all zu viel für die Arbeiterbewegung tun konnte, setzte ich alles daran, das Los meiner Familie zu gestalten.“
Nachdem er 1938 krankheitsbedingt zunächst untauglich gemustert wurde, wurde er bei der Organisierung letzter Reserven 1943 als tauglich eingestuft und im Januar 1944 eingezogen. Zu diesem Zeitpunkt war einer seiner beiden Söhne gefallen und der andere in Kriegsgefangenschaft.
Nach dem Ende des NS-Regimes trat er in die neugegründete KPD ein. Zeitweise war er Mitglied des Kreisvorstands. Beruflich war er Leiter des Flüchtlingsamts im Amt Weidenau (1946).
Er hinterließ ein „Kriegstagebuch“ für die Jahre 1944 und 1945.
PS Ulrich F. Opfermann, Heinrich Stinn, Kriegstagebuch, passim, 9f.; EB 1940; Fr/Sl, 10.9., 11.10.1946; VE, 24.11.1948
Josef („Jupp“) Stock
* 8.9.1885 in Siegen, gest. 22.10.1962 in Freudenberg-Hohenhain
Josef Stock wurde in eine katholische Familie in Siegen geboren. Nach dem Besuch der Volksschule arbeitete er als Gruben- und Hüttenarbeiter. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat, um anschließend seine Tätigkeit auf Grube und Hütte wieder aufzunehmen.
Spätestens 1930 trat er der KPD bei. Er leitete die Ortsgruppe Siegen-Ost. Nach der Machtübergabe wurde er mehrmals verhaftet, zweimal auch 1944 in der Verhaftungswelle des Putschversuchs vom 20. Juli. Es kam zu mehreren Hausdurchsuchungen.
Josef Stock wurde von SA und SS schwer misshandelt, so in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1933 im „Braunen Haus“ der NSDAP in Siegen. Er erlitt Verletzungen durch Fußtritte und Prügel mit Knüppeln und Ochsenziemern. Über den ganzen Körper verteilten sich Blutergüsse, der Arzt stellte später Beeinträchtigungen der Wirbelsäule und Beckenverändungen fest. Längere Zeit war er bettlägerig, neun Monate akut erkrankt. Wesentliche Beeinträchtigungen blieben zurück, so eine Lähmung eines Unterarms (Medianusparese). Seit 1937 war er anerkannter Vollinvalide.
Josef Stock beantragte eine Entschädigung für die erlittene NS-Verfolgung, die ihm in einem mehrjährigen Verfahren 1954 zugestanden wurde, nachdem zunächst sowohl der Anerkennungsausschuss des Kreises Siegen-Land als auch des Regierungsbezirks Arnsberg sie verweigert hatten. Der Regierungspräsident widerrief diese Entscheidungen, da Josef Stock „aus grundsätzlicher Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus im Kampf gegen diesen gestanden“ und dadurch die vorhandenen Schäden erlitten habe.
Ende der 1930er oder Anfang der 1940er Jahre zog Josef Stock mit der Familie seines Neffen Fritz Stock nach Freudenberg-Hohenhain. Der Neffe starb 1944 an der Ostfront. In Hohenhain ist Josef Stock älteren Bürgern noch heute als „[Fritz] Stocks Onkel“ bekannt. Er half vielen Menschen bei Versorgungsanträgen wie generell in der Kommunikation mit Behörden.
Aus dem Entschädigungsverfahren ist eine umfangreiche Aussage von Josef Stock zum Ablauf nazistischer Festnahmen und Misshandlungen in Siegen überliefert:
„Meine erste Verhaftung durch die S.A. erfolgte 1933 … . … Einer nach dem anderen wurde gleich darauf hingewiesen, wer nicht das Gewünschte gesteht, kommt auf die Folterpritsche, die dort aufgestellt war. So … der … Nazi-Häuptling Odendahl. …
Die nächste Verhaftung erfolgte in der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1933. … ich lag im Bett, plötzlich flog die Haustür auf, ich hörte meinen Namen rufen, machte Licht und sah die S.S.-Leute wieder in Uniform u. bewaffnet. … sie sagten, anziehen und mitkommen. … [Im Keller des „Braunen Hauses“] musste ich mich ausziehen, Jacke u. Weste wurden mir weggenommen. Eine Anzahl dieser Sadisten zerrte mich an Händen u. Füssen auf die Folterpritsche, wo ich bis zur Bewusstlosigkeit mit Gummiknüppeln u. Ochsenziemern geschlagen wurde. Nach der dritten Tortur wurde ich in einen Nebenraum gestossen. Dort lag gleichfalls ein ganzer Haufen geschlagener, wimmernder Menschen, nach einiger Zeit wurde ich wieder rausgeholt, um noch gleichartige Torturen erleben zu müssen. Mein ganzer Körper war über u. über geschwollen, schwarz durch die Schläge geworden, durchnässt von Schweiss am ganzen Körper, zitternd musste ich mich wieder anziehen. … So wurde ich noch im Hinausgehen ins Gesäss getreten. … Die Polizei sah mit verschränkten Armen dem Herbeiholen der Delinquenten durch die S.S. u. S.A. zu und rührte keinen Finger gegen die Verbrechergilde. … Den folgenden Morgen hat meine Schwägerin den Dr. Burgmann … bestellt. Dieser erschien nachmittags, fragte nach seinem Eintreten, ob ich da unten gewesen sei. Ich erwiderte, ich wäre bei den Leuten, die das neue Tierschutzgesetz erlassen hätten, gewesen. Fiebernd lag ich in einem durchnässten verschwitzten Bett, die Rippen schwarz gebrannt. Kein Mensch traute sich, nach mir zu sehen, da das nebenan liegende Haus das Standartenbüro der Braunen Pest war. Der Arzt schrieb mir ein Rezept, um dann nie wieder zu kommen. Nach einigen Tagen ging meine Schwägerin zum selben Arzt, um mir eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu holen. … sein Sohn vertrat ihn. Er … sagte, merkwürdigerweise hat mein Vater entgegen seiner Gewohnheit keine Krankheitseintragung gemacht. Ich kann Ihnen somit kein Arbeitsunfähigkeitszeugnis ausstellen. …
Die dritte Verhaftung wurde in der Nacht vom 21. auf den 22. August 1944 gegen ½ 5 Uhr morgens von einem Beamten des Sicherheitsdienstes ausgeführt. Ich musste mit zur Polizeiwache zum Rathaus, Siegen. Dort angekommen, kam ich in den Aufenthaltsraum, wo die Polizeibeamten alle mit heruntergemachten Sturmriemen sassen. … Einige Minuten später wurde ich zur Wachstube rübergeführt, der Beamte rief Hände hoch, und [ich] wurde einer körperlichen Revidierung unterzogen. … Ich wurde vernommen, dann brachte mich der Polizeibeamte Heinr. Fahle in eine Zelle, die von Ungeziefer wimmelte, es stank dort zum Erbrechen. Das Klosett war verstopft und lief über u. ähnliches. Einige Ausländer hörte ich in der Nebenzelle sprechen. Es dauerte nicht lange, dann kam noch eine Anzahl auch Verhafteter, Bekannte und Unbekannte, dann folgte Verhör durch Gestapo. Nachmittags etwa gegen ½ 5 Uhr wurde ich mit anderen zum Landgerichtsgefängnis gebracht u. zehn Tage festgesetzt. Mit mir in der Zelle war der frühere Stadtverordnete Willi Kollmann aus Siegen. Am zweiten Tag wurden wir im Gefängnis vom Gerichtsarzt Kreisarzt Dr. Althaus untersucht, der mich ’nicht mehr haft- u. lagerfähig‘ schrieb.“
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.774; PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; ebenda, VVN Siegerland
Der Siegener Eduard Stötzel bekannte sich zur christlichen Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas („Ernste Bibelforscher“). Dieser Zusammenschluss war seit dem 24. Juni 1933 vom NS-Regime verboten. Im Mai 1937 wurde er mit drei weiteren Bibelforschern durch das Sondergericht Dortmund wegen Verstoßes gegen die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Zeugen Jehovas sah das Gericht als „Sammelbecken von Staatsfeinden“, das die Anhänger „in pazifistisch-liberalistischer Gesinnung“ erziehe.
Vorsitzender Richter war der Landgerichtsdirektor am Sondergericht in Dortmund, Dr. Dietrich Baedeker, der nach dem NS-Ende als unbelastet geltend in Dortmund erneut Landgerichtsdirektor war.
SNZ, 15.5.1937; allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Robert Stötzel
* 6.10.1884 in Siegen, ev.
Der Siegener Schlosser Robert Stötzel wohnte in der Fludersbach Nr. 33 und arbeitete bei den Stadtwerken Siegen als Maschinist. Er war seit 1906 Mitglied der SPD und trat einer linken „freien“ Gewerkschaft bei. Am 19. April 1933 wurde er fristlos entlassen. Aufgrund seiner Mitgliedschaften galt er als politisch unzuverlässig. Grundlage der Entlassung war das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933.
Sein Einspruch gegen die Kündigung wurde abgelehnt, und er bekam durch das Arbeitsamt eine sechswöchige Sperre der Arbeitslosenunterstützung, weil ihm aus politischen Gründen gekündigt worden sei. Erst im Oktober 1935 fand er als Heizer in der Artilleriekaserne auf dem Siegener Heidenberg wieder Arbeit. Dort war er bis 1942 tätig, um dann als Schachtmeister für die Firma Hundhausen zu arbeiten.
Nach der Befreiung wurde er erneut von der Stadt Siegen eingestellt, nun als Hausmeister. Er wurde als ns-geschädigt anerkannt und für Lohneinbußen entschädigt. Erneut trat er der SPD bei. Da er von der Notwendigkeit eines Zusammengehens der Arbeiterparteien überzeugt war, wurde er 1947 Mitglied des regionalen Komitees für die Gründung einer sozialistischen Einheitspartei, der SED, im Siegerland.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.876; ebenda, NW 1.110-2.136; ebenda, NW 1.110-3.263 (Theodor Steinbrück); PS Ulrich F. Opfermann, NL Siegfried Otto
Richard Strack, Arbeiter aus Buschhütten, versorgte gemeinsam mit seinen Kollegen Walter Klaas und Walter Schmidt wiederholt Zwangsarbeiter ihres Betriebs – Kölsch-Fölzer, Werk Eintracht in Siegen – mit Brot und anderen Lebensmitteln sowie mit Kleidung. Am 4. Juli 1942 wurden sie nach einer Denunziation von der Gestapo Siegen dazu vernommen, am Tag darauf in „Schutzhaft“ genommen und einen Tag später in das Arbeitserziehungslager (AEL) Hunswinkel bei Lüdenscheid deportiert, von wo aus sie in das AEL Recklinghausen kamen. Während der Haft waren sie Misshandlungen mit „Stöcken, Stahlhelmen u. a. Gegenständen“ ausgesetzt. Mitte September 1942 wurden sie wieder entlassen.
PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland
Robert Stracke
* 16.1.1887 in Weidenau
Der Siegener Röster Robert Stracke gehörte der KPD an. Er wurde 1933 verhaftet, mit 25 weiteren Mitgliedern und Unterstützern der KPD der Vorbereitung des Hochverrats angeklagt und am 29. Januar 1934 durch das OLG Hamm zu vier Monaten Gefängnis verurteilt.
1955 versuchte er eine Revision des Urteils zu erreichen. Das war nicht erfolgreich, es wurde bestätigt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.492-13.522; SNZ, 30.1.1934
Kurt Strahlendorf, Montagearbeiter der Wanderer-Werke, war im August 1943 von seiner Firma nach Siegen geschickt worden, wo er sich öffentlich ns-kritisch zu dem schweren Luftangriff auf Hamburg Ende Juli/Anfang August geäußert hatte. Dabei hatte er mehrere Gauleiter kritisiert und „Nieder mit Hitler!“ gesagt. Es war zu einem Wortgefecht zwischen ihm und dem Ortsgruppenleiter Albert Köhler gekommen. Der denunzierte ihn in der Kreisleitung der NSDAP bei dem dortigen SS-Angehörigen Walther Schleifenbaum, 1938 einer der Synagogenbrandstifter, der umgehend die Gestapo informierte, die Kurt Strahlendorf festnahm und wegen Verdachts auf „Heimtücke“ im Landgerichtsgefängnis Siegen inhaftierte. Die Ermittlungen gegen ihn endeten mit einer Verurteilung am 12. August 1944 durch das OLG Hamm wegen Wehrkraftzersetzung und Heimtücke zu vier Jahren Zuchthaus und vier Jahren Ehrverlust.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-3.138 (Albert Köhler)
Der Siegener Heinrich Strauch bekannte sich zur christlichen Glaubengemeinschaft der Zeugen Jehovas („Ernste Bibelforscher“). Seit dem 24. Juni 1933 war dieser Zusammenschluss vom NS-Regime verboten. Im Mai 1937 wurde er mit drei weiteren Bibelforschern durch das Sondergericht Dortmund wegen Verstoßes gegen die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Die Zeugen Jehovas sah das Gericht als „Sammelbecken von Staatsfeinden“, das die Anhänger „in pazifistisch-liberalistischer Gesinnung“ erziehe. Vorsitzender Richter war der Landgerichtsdirektor am Sondergericht in Dortmund, Dr. Dietrich Baedeker, der nach dem NS-Ende als unbelastet geltend in Dortmund erneut Landgerichtsdirektor war.
SNZ, 15.5.1937; allgemein zu den Zeugen Jehovas im NS: Lila Winkel
Friedrich Ströhmann
* 21.5.1883 in Wilgersdorf, kath.
Friedrich Ströhmann lebte mit seiner Frau und acht Kindern in Wilnsdorf. Er war Polizeibetriebsassistent gewesen, erkrankt und 1926 als Invalide aus dem Dienst ausgeschieden. Er war Mitglied der Zentrumspartei und lehnte die Nazis ab. Wegen „Verlästerung der SA“ wurde er am 28. Juni 1933 in Wilnsdorf von mindestens einem Dutzend SA-Angehörigen aus seinem Haus geholt, geschlagen und im Amtshaus inhaftiert. Die schweren Misshandlungen, die SS-Ärzte attestierten, machten ihn wochenlang bettlägerig.
1947 kam es zu einem Verfahren gegen drei der Beteiligten vor dem Landgericht Siegen. Die Anklage lautete auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Haus- und Landfriedensbruch, Nötigung, Körperverletzung, Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung. In seinem Urteil verneinte das Gericht Haus- und Landfriedensbruch sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bei diesem Anklagepunkt ging es davon aus, die Angeklagten hätten nicht die Absicht gehabt, Grausamkeiten zu begehen. Es verhängte fünf bzw. sechs Monate Gefängnis gegen Albert Braach und Arthur Otterbach) wegen Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Die anderen Straftatbestände waren verjährt. Der ehemalige Gendarmeriemeister Albert Klinke wurde freigesprochen. Ihm war im Verfahren seine Aufforderung vorgehalten worden, „schlagt den Schweinehund [Ströhmann] tot.“
Während des Verfahrens kam es zu einem Zwischenfall. Frau Ströhmann war als Zeugin geladen worden und nicht erschienen, weil sie keine Schuhe besaß. Sie wurde daraufhin in geliehenen Schuhen dem Gericht vorgeführt und zu 10 RM Ordnungsstrafe und zum Ersatz der Kosten des Fernbleibens verurteilt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 VERSORGUNG-6 (Friedrich Ströhmann); Fr/Rt, 4.7.1947; WP/Sl, 1.7.1947; WR/Sl, 2.7.1947; Bericht des Polizeibetriebsassistenten a. D. Friedrich Ströhmann, Wilnsdorf zum 28. Juni 1933 [von 1946]
Walter Thiemann
* 6.8.1898 in Barmen, gest. 26.1.1983 in Siegen, ev.
Pfarrer Walter Thiemann war mit Hilde Thiemann geb. Schmits verheiratet und hatte mit ihr neun Kinder, von denen drei starben, eins bei der Geburt und zwei bei einem Luftangriff.
Von 1925 bis 1931 war er als Pfarrer in Bethel sowie als Leiter der neu gegründeten Volkshochschule Lienen (Kr. Tecklenburg) tätig. Ab 1928 war er Taubstummenseelsorger für Münster und Tecklenburg. 1934 trat er eine Pfarrstelle in Gronau bei Münster an. Dort wurde er Mitglied der Bekennenden Kirche. Er wandte sich in der internen evangelischen Diskussion gegen einen gegen konvertierte Juden gerichteten kirchlichen „Arierparagrafen“, gegen den antisemitisch-pornografischen Stürmer und die überall aufgestellten Stürmer-Schaukästen und setzte sich auf der Kanzel für inhaftierte Pfarrer ein. Wiederholt wurde er nach einer Predigt denunziert und anschließend zur Gestapo bestellt. Auch ein Fenster wurde der Familie von Unbekannten eingeworfen.
Nachdem er im Juli 1939 eine nichtkirchliche NS-Beerdigung durch Choräle auf seinem Waldhorn bei offenem Fenster gestört hatte, kam es am 10. Juli 1939 zu seiner Festnahme. Es folgten drei Haftmonate im Polizeigefängnis Münster und anschließend – ohne dass Vernehmungen oder ein Verfahren stattgefunden hätten – die Verbringung in das KZ Buchenwald.
Anstrengungen seiner Frau, über Beziehungen ihren Mann wieder frei zu bekommen, waren im Dezember 1939 erfolgreich. Die Reichsfrauenführerin Scholtz-Klink intervenierte, wie Thiemann später berichtete, bei einem Essen bei Heinrich Himmler mit einer Kritik am Umgang mit Vätern kinderreicher Familien am Beispiel Walter Thiemann. Himmler sei „sehr betroffen“ gewesen und habe die umgehende Entlassung angeordnet (kuriose Falschangabe zur Haft bei dem ns-belasteten Regionalhistoriker Dr. Lothar Irle: „1940-1946“), und Walter Thiemann konnte nach Gronau zurückkehren. 1940 erhielt er eine Pfarrstelle in Neunkirchen. Er wechselte von dort nach Siegen, wo er bis 1964 Pfarrer war.
Nach der Befreiung vom Nazi-Regime war Walter Thiemann viele Jahre Mitarbeiter im Arbeitsausschuss des Deutschen Evangelischen Kirchbautags und Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit im Siegerland. Mit seiner 1968 erschienenen Zeitgeschichte der jüdischen Minderheit im Siegerland war er ein früher Pionier der regionalen Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Im August 1968 erhielt er für seine kirchlichen und kulturellen Verdienste das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
Schriften:
– Von den Juden im Siegerland, Siegen 1968
– In meines Herren Hand. Erinnerungen 1934-1939, Siegen 1978
PS Ulrich F. Opfermann, VVN Siegerland; Irle 1974, 344; Kurzbiografie durch die Kirchengemeinde Gronau
Georg Ufer
* 15.7.1900 in Kaisersfelde (Kr. Mogilno), gest. 27.8.1989 in Wurmlingen bei Tübingen
Pflanzen eines Baums für Georg Ufer
im Ehrenhain von Yad Vashem am 15.12.1980
Der Siegerländer Berg- und Dipl.-Ing. Dr. Georg Ufer war als Major der Wehrmacht und Kriegsverwaltungsrat im NS-beherrschten Südosteuropa eingesetzt. In Belgrad (Serbien) traf er im Winter 1940/41 mit Joseph Pozwolski zusammen, dem jüdischen Repräsentanten der französischen Firma René Weil. Dabei ging es um den Erwerb einer Mine in Jugoslawien. Die Verhandlungen wurden abgebrochen, nachdem Ufer unerwartet nach Deutschland zurückgerufen wurde. Nach seiner Rückkehr nach Belgrad musste er feststellen, dass sein vormaliger Gesprächspartner den Judenstern trug, ein Häftling war und als solcher dazu bestimmt, in einem dafür zusammengestellten Kommando nach den Überresten von Toten zu suchen, die unter den Trümmern der deutschen Bombardements lagen, um sie auszugraben.
Georg Ufer gelang es, Joseph Pozwolski als unabkömmliche technische Fachkraft für seine in Skopje (Mazedonien) tätige Einheit frei zu bekommen. Dort musste er den Judenstern nicht weiter tragen. Da die Deportationen weiterliefen, fürchtete Georg Ufer um das Leben seines Schützlings und organisierte 1942 dessen Flucht in das italienisch besetzte Gebiet. Dort wurde Joseph Pozwolski zwar festgenommen, konnte aber zu albanischen Widerstandskämpfern fliehen und überlebte.
Um die Rettungstat von Georg Ufer entstanden Gerüchte. Er wurde denunziert und mehrfach erfolglos vom SD verhört.
Am 11. Mai 1980 zeichnete ihn die israelische Gedenkstätte Yad Vashem für seine Fluchthilfe mit der „Medaille der Gerechten der Völker“ aus. Im Jahr darauf erhielt er das Bundesverdienstkreuz.
Literatur:
– Thomas A. Bartolosch, Dr. Georg Ufer (1900-1989), in: Heimat-Jahrbuch des Kreises Altenkirchen und der angrenzenden Gemeinden, 61 (2018), 299-318
SZ, 4.1.2006; Opfermann 2001, 254; Gedenkstätte Yad Vashem
Friedrich („Fritz“) Vetter
* 6.6.1887 in Bamenohl (Kr. Meschede), kath.
Der langjährig bei der Sparkasse Siegen tätige Stadtinspektor Fritz Vetter wurde aufgrund des NS-Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 1933 nach Konflikten mit der Stadtverwaltung und dem OB Alfred Fissmer um von ihm als „ungesetzlich“ gewertete Transaktionen der Sparkasse zwangspensioniert. 1935 wurde er nach, wie es später hieß, „grob beleidigenden“ Eingaben beim Regierungspräsidenten gegen den Gauinspekteur der NSDAP Walter Heringlake, den Oberbürgermeister Alfred Fissmer, den NSDAP-Stadtrat Dr. Koch und einen Rendanten Nolte in der Provinzialanstalt Aplerbeck auf seinen Geisteszustand untersucht. Er wurde als „vermindert zurechnungsfähig“ eingestuft, zu neun Monaten Gefängnis und zur Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt verurteilt. Dieser letzte Teil des Urteils wurde in der Berufung wieder zurückgenommen. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis verteilte Friedrich Vetter einen Bericht „An meine Mitbürger in Siegen“ in der städtischen Bevölkerung und schrieb im Juli 1937 den Regierungspräsidenten erneut an. Wiederum wurde er angeklagt, „auf die schlimmste Weise“, wie in der Zeitung zu lesen war, führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unbegründet angegriffen zu haben. Damit waren mit dem Gauinspekteur, dem Oberbürgermeister und dem Beigeordneten und Kreiswirtschaftsberater Georg Seibel höhere regionale Nazis gemeint.
Der NSDAP-Staatsanwalt Herbert Müller beantragte ein Jahr und vier Monate Gefängnis sowie die anschließende zwangsweise Unterbringung von Fritz Vetter in einer Anstalt. Das Gericht unter dem NSDAP-Landgerichtsdirektor Albrecht Goebel entschied im Januar 1938 zwar nur auf fünf Monate Gefängnis, jedoch angesichts hoher „Wiederholungsgefahr“ und angeblich verminderter Zurechnungsfähigkeit nach § 51 auf Internierung in einer Anstalt. Die vom NSDAP-Rechtsanwalt Bernhard Lauf vorgetragenen Entlastungsüberlegungen wie „Verteidigung des Vaterlands“ im Ersten Weltkrieg griff es nicht auf. Friedrich Vetter wurde ein Jahr und vier Monate in der „Heilanstalt“ Eickelborn festgehalten.
Die Verhandlung wurde offenbar, um den umlaufenden Gerüchten über die Korruptheit von Parteigenossen zu begegnen, als exemplarischer Fall in der National-Zeitung der NSDAP in umfangreicher Darstellung ausgewertet. An keiner Stelle benannte dabei das Blatt (oder auch die parallel berichtende Siegener Zeitung) die konkreten Inhalte der „üblen Nachrede“. Mindestens zu dem Gauinspekteur, wenig später ein Großprofiteur der „Arisierungen“ und einer daraus sich ergebenden Parteiuntersuchung, liefen spätestens seit 1934 im Siegerland Gerüchte um, er nutze seine Beziehungen zur privaten Bereicherung.
Während der jeweiligen Ermittlungen gegen Friedrich Vetter kam es zu mindestens fünf Hausdurchsuchungen.
Nach dem Ende des NS-Regimes entlastete ihn der Entnazifizierungsausschuss umfassend und stufte ihn demonstrativ als politisch Verfolgten ein. Alle Maßnahmen gegen Friedrich Vetter seien politisch motiviert gewesen. In seinem Entnazifizierungsverfahren wandte er sich ausführlich gegen den NS-OB Alfred Fissmer, den er als die entscheidende Kraft hinter seiner Verfolgung betrachtete, und zugleich gegen den sozialdemokratischen Regierungspräsidenten Fritz Fries, den er als Fissmer verbunden schilderte. Fries habe, wenngleich aufgrund des Einspruchs der Militärregierung vergeblich, Fissmer mit einer Straßenbenennung sogar zu ehren versucht und schütze ihn weiterhin.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-1.918 (Friedrich Vetter); EB 1935; SNZ, 15.1.1938; SZ, 15.1.1938
Gustav Vitt
*27.12.1895 in Herzhausen, gest. 9.6.1960 in Siegen, ev.
Der Siegener Gustav Vitt war Mitglied der SPD, Gewerkschaftssekretär und seit 1930 Geschäftsführer sowie Verlagsleiter und Geschäftsführer der sozialdemokratischen Siegener Volks-Zeitung, für die er auch selbst Beiträge schrieb. In diesen Rollen war er ein in der Region prominenter Gegner der Nazis. Als am 2. Mai 1933 nach dem vom Kabinett Hitler als Feiertag eingeführten „Tag der nationalen Arbeit“ in Siegen ein SA-Trupp unter Führung von Paul Giesler und Richard Odendahl das „Haus der Arbeit“ der linken Siegerländer Gewerkschaften besetzen wollte, in dem auch die Zeitung der SPD ihren Sitz hatte, weigerten sich Gustav Vitt und ein Kollege, die Hausschlüssel zu übergeben. Unter Misshandlungen wurden die beiden festgenommen. Die Festnahme vollzog sich nach einem nach der Befreiung angelegten Erinnerungsprotokoll so:
„Giesler rief: ‚Da sitzt ja das Schwein, das die ganzen Artikel gegen uns geschrieben hat.‘ Danach durch die SA Wurf aus dem Arbeitszimmer gegen die Wand des Hausflurs. Schläge mit Karabinerkolben und Stahlruten über den Kopf und in die Seiten. Anschließend Vernehmung in den oberen Räumen, danach Spießrutenlaufen durch ein Spalier von SA-Leuten bis an die Haustüre. Am obersten Podest der Treppe schwerer Schlag auf den Hinterkopf mit einem harten schweren Gegenstand. Sturz die Treppe hinunter bis zum Treppenpodest. Am Boden Tritte von allen Seiten. Beim Aufrichten sofort wieder Schläge von allen Seiten über den Kopf. Sturz auf den Hausflur, wieder Fußtritte von allen Seiten. Beim Aufstehen Verschränken der Hände über dem Kopf zum Schutze, wieder Schläge mit Gummiknüppel und Stahlruten. An der Haustüre werfen mich zwei SA-Leute zurück in den Flur in die Schlägerkolonne.“
Im Anschluss an die Misshandlungen wurde Gustav Vitt festgenommen und 13 Tage lang in Siegen inhaftiert. Nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes ergab sich für Gustav Vitt die Möglichkeit im Verlag der Siegener Zeitung als Anzeigenwerber und Buchhalter tätig zu werden.
Nach NS-Ende trat er erneut in die SPD ein. Er war einer der Gründer der regionalen VVN am 8. Mai 1947, dem von den NS-Verfolgten gefeierten „Tag der Befreiung“, und gehörte deren Vorstand an. Spätestens nach 1945 war er Mitglied der DFG.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-1.372 (Gustav Vitt); Westfalenpost, 9.5.1947
Es ist bemerkenswert, dass der bekannte Heimathistoriker Lothar Irle diese herausragende Persönlichkeit der Siegerländer Sozialdemokratie nicht in sein „Siegerländer Persönlichkeiten- und Geschlechter-Lexikon“ aufnahm, in dem allerdings insgesamt auch nur sehr wenige sozialdemokratische Angehörige der Generation des Bearbeiters anzutreffen sind.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.847; PS Ulrich F. Opfermann, Regionale Friedensbewegung; Fr/Rt, 13.5.1947; WP/Rt, 9.5.1947; Pfau 2003, 26f.; Pfau 2005, 191
Fritz Weber
* 1899/1900 in Siegen, gest. 8.12.1974, kath.
Fritz Weber war von 1940 bis 1941 Pfarrer der Kirchengemeinde St. Joseph in Weidenau. 1941 wurde er im Zusammenhang mit der Vervielfältigung, Verbreitung oder Verlesung von Predigten und Hirtenbriefen des Münsteraner Bischofs Clemens August von Galen festgenommen. Nach der Haftentlassung war er als Pfarrer in Rimbeck und Sprockhövel tätig und übte danach eine Lehrtätigkeit am Priesterseminar St. Caspar in Neuenheerse aus.
Von 1961 bis 1971 war er Pfarrvikar in Walpersdorf.
Bürger 2018, 118; SHK 52 (1977), 35; PM Wilfried Lerchstein (Netphen)
Hedwig Weber geb. Schäfer war verheiratet mit Richard Weber. Sie war Mitglied der KPD. 1933 wurde sie im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde vom Gericht als zweifelhaft beurteilt.
Nach dem Ende des NS-Regimes wurde sie wieder in der KPD aktiv.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Heinrich Weber
* 30.12.1899 in Siegen
Der Siegener Anstreicher Heinrich Weber war Mitglied der KPD.
Gegen ihn und weitere Mitglieder der KPD wurde mit einer aufsehenerregenden Festnahmeaktion im Dezember 1933 wegen Vorbereitung des „hochverräterischen Unternehmens, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern“, ermittelt. Die betont antilinke Siegener Zeitung begrüßte die Verhaftungen und nannte sie unterstützend eine Maßnahme im „Kampf gegen die Hetzer und Wühler kommunistischer Färbung“. Sie rechtfertigte sie als gegen „nur zu gut bekannte Staatsfeinde“ gerichtet, als welche sie die NSDAP und ihre Anhängerschaft nie bezeichnet hatte. Zwei Protestrufer nahm die Polizei gleich ebenfalls mit.
Heinrich Weber wurde am 13. Juli 1934 vom OLG Hamm gemeinsam mit elf weiteren Männern und Frauen wegen des Versuchs einer „gewaltsamen Änderung der Verfassung“ („Vorbereitung zum Hochverrrat“) verurteilt, er zu etwas mehr als einem Jahr Gefängnis.
Neben der parteipolitisch motivierten Verfolgung wurde Heinrich Weber mit seiner Familie einer rassenhygienischen Erfassung ausgesetzt. 1934/35 forschte der Siegener städtische Fürsorgeinspektor Wilhelm Langenbach nach „Asozialen“ in Siegen. Er erstellte eine kommentierte Liste von Familien von, wie er erklärte, „Untermenschen“. Dabei kombinierte er die Zuschreibungen „asozial“ und „kommunistisch“. Die Liste, auf der auch Heinrich Weber mit seiner Familie stand, schickte er an die Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle (RHF) im Reichsgesundheitsamt in Berlin. Die RHF war die zentrale Institution zur Erfassung und Vernichtung als „asozial“ kategorisierter Bevölkerungsgruppen, zunächst durch Sterilisationen, später durch Massenmord in Auschwitz-Birkenau. Langenbach war ein Kritiker der Sterilisation, da die „Schädlinge“ „nach wie vor am Leben bleiben“ würden und so weiterhin Kosten verursachten. Umsetzen konnten das Vernichtungskonzept dessen Befürworter anders als gedacht und gewünscht allein gegen die Roma-Minderheit.
BA Berlin, R 165, Nr. 156 („Betr. Bernhard Petri“, 1934/35); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.282-13.284; ebenda, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.874; SNZ, 4.12.1933, 16.7.1934; SZ, 3.3., 4.12.1933
Richard Weber
* 28.7.1893 in Siegen, kath.
Der Bergmann Richard Weber aus Siegen war verheiratet mit Hedwig Weber geb. Schäfer. Er war Mitglied der KPD. In den 1930er Jahren arbeitete er zunächst als Former bei der Firma Gontermann-Peipers, dann auch als Schachtmeister, Vorarbeiter und Verlader. Nach der Machtübergabe wurde er 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde vom Gericht als zweifelhaft beurteilt. Zu einer erneuten kurzzeitigen Haft kam es im Zuge der Verhaftungswelle nach dem Putschversuch vom 20. Juli 1944.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-660 (Richard Weber); LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Der Bergmann Rudolf Weber aus Wahlbach wurde als Antifaschist mehrfach verhaftet. Im Jahre 1934 wurde er durch das OLG Hamm wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Er war 1933/34 inhaftiert.
PS Ulrich F. Opfermann, NL Ludwig Popp; EB 1940
Karl Hermann Weiß
* 8.8.1896 in Vormwald, gest. 27.6.1975, ev.
Der Hilchenbacher Unternehmer Karl Weiß war Inhaber der Drahtstiftefabrik Weiß & Münker KG. Er war in den 1930er Jahren Vorsitzender des lokalen Schützenvereins und bis 1933 im Vorstand des TV Hilchenbach. Politisch hatte er sich der Eisernen Front angeschlossen, deren Fahne er vor der Machtübergabe an dem Hochschornstein seiner Fabrik wehen ließ, was in Hilchenbach ungewöhnlich und nicht ungefährlich war.
Emblem der Eisernen Front
Nach der Machtübergabe geriet in Konflikte mit dem lokalen NSDAP-Ortsgruppenleiter Wilhelm Kerstein, weil er kein Hehl aus seiner Ablehnung des NS-Systems machte und offen erklärte, niederländische Firmen nicht mit dem Briefgruß „Heil Hitler“ konfrontieren zu können, angeblich nachteilige Aussagen über den als „Reichstrunkenbold“ bekannten Reichsorganisationsleiter Robert Ley tat, bekannte, „bis zur Machtübernahme überzeugter Demokrat“ gewesen zu sein, und anderes mehr. Kerstein denunzierte ihn 1934. Das durch die Anzeige eingeleitete Verfahren wurde jedoch aufgrund einer Amnestie eingestellt.
1939 beantragte Karl Weiß die Mitgliedschaft in der NSDAP, in die er Anfang 1940 aufgenommen wurde und deren Mitglied er bis 1945 blieb.
Nach dem NS-Ende wurde Karl Weiß zunächst in seinem Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“ eingestuft, in der Berufung aber als „entlastet“. Der Ausschuss erklärte, er sei „sehr stark von der hiesigen Ortsgruppe verfolgt und sehr oft zu Vernehmungen vorgeladen“ worden. „Ohne Scheu und Rücksicht“ sei er „für die Juden“ eingetreten. Belege für die letzte Aussage enthält seine Akte allerdings nicht.
In der weiteren Folge trat Karl Weiß in die FDP ein und war zeitweise Mitglied des Kreistags.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-483 (Karl Weiß); Elkar, 253f.; Opfermann 2001, 256
Hermann Weller aus Herdorf war vor 1933 Mitglied der KPD. Durch das Sondergericht Kirchen wurde er 1942 wegen Verächtlichmachung von Hitler und Göring zu einem Jahr Haft verurteilt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111-BG. 42-166 (Artur Reiffenrath)
Johann Karl Friedrich („Fritz“) Werthenbach
* 4.1.1874 in Kaan, „dissident“
Der Siegener Werkmeister Fritz Werthenbach war im Deutchen Werkmeisterverband organisiert und Mitglied der KPD und 1932 ein Mitbegründer des Bunds der Freunde der Sowjetunion im Siegerland. Aufgrund der Zugehörigkeit zu diesen Organisationen wurde er unter dem NS-Regime verfolgt. Nach dessen Ende trat er der neu gegründeten Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) bei, deren Vorsitz er hatte. Nachdem sie 1955 verboten wurde, wurde Fritz Werthenbach im März 1956 als Funktionsträger verhaftet und gegen ihn Anklage erhoben. Der Ausgang des Verfahrens ist nicht bekannt. 1962 war Fritz Werthenbach Mitglied der DFU.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.110-1.355 (Fritz Werthenbach); ebenda, NW 1.110-508 (Albert Link); PS Ulrich F. Opfermann, Flugblatt der KPD; ebenda, Werner Heuzeroth an DFU, 6.9.1962; VE/Rt, 22., 24., 28.3.1956
Karl Wilhelm
* 30.4.1891 in Weidenau, gest. 11.1.1981 in Weidenau
Der Weidenauer Metallarbeiter Karl Wilhelm nahm 1918 als Marinesoldat am Matrosenaufstand in Kiel teil. Er war Mitglied des linken Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV). Parteipolitisch schloss er sich zunächst der USPD und 1923 dann der KPD an. Im Siegerland war er zeitweise deren politischer Leiter im Unterbezirk Siegen, der die Kreise Siegen und Altenkirchen sowie Anteile der westlichen und nördlichen Nachbarkreise umfasste. Von 1923 bis 1933 vertrat er die KPD im Weidenauer Gemeinderat und war als Betriebsratsvorsitzender tätig. Eng befreundet war er mit Heinrich Stinn.
Nach dem Reichstagsbrand wurde Karl Wilhelm bereits am 1. März 1933 verhaftet. Zunächst verbrachte er drei Wochen im Polizeigefängnis Weidenau bevor er über Dortmund, Werl und Hagen in das Konzentrationslager Esterwegen kam. Am 26. Februar 1934 wurde er von dort nach Siegen entlassen. Nach der Haft musste Karl Wilhelm sich regelmässig bei der Polizei melden, er stand unter Aufsicht. Zunächst fand er keine Arbeitsstelle, da die Firmen ihn wegen seiner politischen Einstellung ablehnten. Einige Jahre arbeitete er als selbständiger Kaffeehändler, um dann ab 1939 wieder eine Anstellung als Arbeiter an einer Presse finden zu können. Bei der reichsweiten Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler wurde Karl Wilhelm im August 1944 erneut verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Dort war er bis zur Befreiung des Lagers im April 1945 inhaftiert. Nach dem Krieg wurde Karl Wilhelm durch die britische Militärregierung für einige Monate als Amtsbürgermeister in Weidenau eingesetzt. Er war wieder der KPD beigetreten und als Verfolgter in der VVN organisiert. Er war Mitbegründer der IG Metall im Kreis Siegen und deren 2. Bevollmächtigter. Nach dem Verbot der KPD 1956 setzte er die Parteiarbeit illegal fort und trat 1968 der neu gegründeten DKP bei.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.111 BG. 32-677 (Karl Wilhelm); ebenda, NW 1.023-7.151 (Ernst Hoof); LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.782; Archiv der VVN-BdA, Landesverband NRW, Best. Siegen; Fr/Sl, 30.8.1946, 11.10.1946, 20.8.1948; SZ, 26.4.1924, 6.11.1929, 13.3., 5.4.1933; Opfermann 2001, 257; PS Ulrich F. Opfermann, Heinrich Stinn, Kriegstagebuch, 4/23, 4/37, 4/45f., 5/51, 6/13f.
Der Invalide Heinrich Wolf war Mitglied der KPD und wurde 1933 im Zuge einer ersten Einschüchterungswelle gegen als Gegner der NS-Bewegung bekannte Siegerländer gemeinsam mit 27 weiteren KPD-Mitgliedern und -Unterstützern verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor dem OLG Hamm angeklagt. Das Verfahren musste in allen Fällen mangels Beweises eingestellt werden. Auch der hochverräterische Vorsatz wurde als zweifelhaft beurteilt.
LA NRW, Abt. Westfalen, Q 211 a, Nr. 13.422, 13.423
Martin Wolff
* 11.11.1911 in Essen
Martin Wolff stammte aus einer Essener Arbeiterfamilie, war bereits als Jugendlicher bei den Jung-Spartakisten und im Jungsturm des Roten Frontkämpferbundes (RFB) aktiv und wurde Mitglied der KPD. Bei einer Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und SA-Männern 1931 fielen Schüsse, und ein SA-Mann starb an den Schussverletzungen. Wolff und weitere Kommunisten wurden zu einer Haftstrafe verurteilt. Nach der Machtübergabe 1933 wurde er aus dem Gefängnis Münster in das Konzentrationslager Esterwegen verschleppt. Von dort wurde er später in das Konzentrationslager Dachau überstellt. Nach verschiedenen Zwischenstationen, darunter im Steinbruch des Außenlagers Weißsee in Tirol, kam er in das Konzentrationslager Buchenwald.
Nach seiner Befreiung trat Wolff erneut der KPD und zugleich der VVN bei und 1969, wie er in einer Erinnerungsschrift bekundet, der DKP, die er im Jahr darauf jedoch wieder verlassen habe, da sie „verbürgerlicht“ gewesen sei. Zeitzeugen berichten, er sei im weiteren Verlauf der Partei „Die Grünen“ beigetreten. Er selbst erklärte 1990 in der Neubearbeitung seiner 1983 erstmals erschienenen autobiografischen Schrift „12 Jahre Nacht. Stationen eines Lebensweges“, er sei 1986 in den – damals maoistischen – Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD eingetreten, der auch die Neuauflagen 1990 und 2014 publizierte. Von den „Grünen“ ist dort an keiner Stelle die Rede.
Gerald Lehner wiederum beschreibt diese Schrift als „geheimes Tagebuch“, das Wolff „1945 den amerikanischen Befreiern Österreichs übergab.“ Das ist ohne Quellenbeleg und der Sache nach unwahrscheinlich. Belegbar sind jedoch die Stationen von Wolffs Verfolgung.
Die Person Martin Wolff galt vielen Zeitzeugen und gilt bis heute Akteuren der Erinnerungskultur als widersprüchlich und zweifelhaft.
LA NRW, Abt. Westfalen, Regierung Arnsberg, K 104, Nr. 26.710;
WR/Sl, 6.10.1955; Wolff (1990)
Luise Wunderlich
Luise Wunderlich lebte in Laasphe und gehörte dort der KPD oder der SPD an. 1944 wurde sie vom OLG Hamm wegen Wehrkraftzersetzung, hetzerischer Reden und Abhörens alliierter Sender („Rundfunkverbrechen“) zu vier Jahren Haft verurteilt.
LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.127-1.250 (Aloysius Merzhäuser)
Otto Wunderlich
* 10.9.1904 in Herbertshausen, ev.
Der Herbertshausender Viehhändler Otto Wunderlich wurde Anfang Juli 1944 verhaftet, im Landgerichtsgefängnis Siegen in Untersuchungshaft genommen und der Verweigerung einer Panzerschicht, der Aufwiegelung der Bevölkerung, der Verächtlichmachung der Wehrmachtsuniform und der bevorzugten Behandlung von Fremdarbeitern, d. h. wegen „Heimtücke“ angeklagt. Ob es zu einer Verhandlung vor dem Sondergericht Dortmund kam, ist nicht bekannt. Mutmaßlich wurde er am 22. August 1944 aus der U-Haft wieder entlassen.
ITS Archives Arolsen, 1.2.2.1-11.362.889, Landgerichtsgefängnis Siegen; LA NRW, Abt. Rheinland, NW 1.118-2.796 (Otto Wunderlich)
Laasphe, verh. mit Maria Wunderlich, SPD (1928ff.), Reichsbanner, Himmelfahrt 1934 („Vatertag“) von einer Gruppe SA-Mitglieder auf dem Lahnhof verprügelt und mit Messerstichen verletzt
SPD-Unterbezirk Siegen-Wittgenstein, unpag.
Kontakt: vvn-bda@gh-siegen.de
Web: siegen.vvn-bda.de
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